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2. Die südliche Levante in der mittleren und späten Bronzezeit
ОглавлениеKanaanäisches Stadtstaatensystem
Die südliche Levante ist seit Jahrtausenden besiedelt, aber wegen ihrer kleinräumigen Gliederung haben sich nur selten ausgreifende Territorialherrschaften gebildet. Vielmehr war die Region in der Spätbronzezeit (bis etwa 1100 v. Chr.) von einer Vielzahl von kleinen und kleinsten Stadtstaaten geprägt. Man spricht daher vom „Kanaanäischen Stadtstaatensystem“, das sich vor allem in der Küstenebene und im Hügelland ausbildete. Das judäische und ephraimitische Bergland, wo später die beiden Königreiche Israel und Juda entstehen sollten, war zunächst nur sehr dünn besiedelt.
Das „Mittlere Reich“ Ägyptens
Seit jener Epoche der ägyptischen Geschichte, die man das „Mittlere Reich“ nennt (11.–12./13. Dynastie, ca. 2055–1773 v. Chr.), war die Levante immer wieder Ziel von Feldzügen der Pharaonen. Sie errichteten während des Mittleren Reiches dort jedoch keine permanente Herrschaft. Vielmehr kehrten die Ägypter mit Tributen und Kriegsgefangenen wieder in ihr Reich zurück, ohne im Norden eine Besatzung zurückzulassen. In einer ägyptischen Quelle aus dem 19./18. Jahrhundert, den sogenannten Ächtungstexten, taucht zum ersten Mal der Name der Stadt Jerusalem auf („Rūšalimum“, vgl. HTAT 003), die offensichtlich zu jener Zeit im ägyptischen Machtbereich lag. Über die bloße Erwähnung des Namens hinaus ist aber nichts bekannt. Die Politik des Ausgreifens in die Levante hatte jedoch auch den umgekehrten Effekt, dass vor allem im Nildelta vermehrt Kanaanäer ansässig wurden.
Die „Zweite Zwischenzeit“ und die Hyksos
Auf das Mittlere Reich folgte die sogenannte „Zweite Zwischenzeit“. Die Zwischenzeiten der ägyptischen Geschichte zeichneten sich dadurch aus, dass es keinen Monarchen gab, der das gesamte Land von Theben im Süden bis in das Nildelta im Norden unter seiner Herrschaft vereinigen konnte. Vielmehr herrschten in diesen Epochen oft mehrere Regionalfürsten gleichzeitig, die gelegentlich auch einen gewissen Teil des Landes unter ihre Kontrolle bringen konnten. Um die Mitte des 17. Jahrhunderts gelang es einem dieser Regionalfürsten, der der kanaanäischen Bevölkerungsgruppe angehörte, die Herrschaft über das Nildelta zu erringen. Die Hauptstadt dieser Dynastie war Avaris im östlichen Nildelta, und sie benutzte die Selbstbezeichnung „Herrscher der Fremdländer“ (ḥq3.w ḫ3ś.wt), was später von den griechisch schreibenden Autoren mit „Hyksos“ wiedergegeben wurde. Während der etwa einhundert Jahre währenden Herrschaft der Hyksos ist ein gewisser kanaanäischer Kultureinfluss in Unterägypten zu beobachten. Mit dem Auftreten der ersten Herrscher der 18. Dynastie, die den Beginn des „Neuen Reiches“ markiert, ging diese Episode der ägyptischen Geschichte allerdings zu Ende.
Flavius Josephus und die Hyksos
Die für die Geschichte Israels an sich irrelevante Herrschaft der Hyksos hatte eine spätes und folgenreiches Nachspiel, weil der jüdische Schriftsteller Flavius Josephus im 1. Jahrhundert unserer Zeitrechnung die Hyksos mit den Vorfahren der Israeliten identifizierte (Contra Apionem 1,73–105). Diese Gleichsetzung basierte freilich nicht auf historischer Forschung, sondern auf dem apologetischen Interesse, das hohe Alter des Judentums beweisen zu wollen. Gleichwohl wurde sie auch von modernen Historikern aufgegriffen und mit der biblischen Josephserzählung in Verbindung gebracht. Doch diese Hypothese hat weder einen exegetischen Anhaltspunkt in den Texten noch eine historische Wahrscheinlichkeit für sich.
Das „Neue Reich“ Ägyptens
Mit dem Auftreten der 18. Dynastie und dem damit verbundenen Beginn des „Neuen Reiches“ (18.–20. Dynastie, ca. 1550–1069 v. Chr.) änderte sich die ägyptische Präsenz in der Levante erheblich, denn nun wurden in mehreren Städten Garnisonen und Stützpunkte eingerichtet, die eine permanente Herrschaftsausübung ermöglichten. Hauptorte waren Gaza am Mittelmeer und Beth-Schean im mittleren Jordantal. Zu nennen ist insbesondere Pharao Thutmosis III. (1479–1425), der mehrfach im palästinisch-syrischen Raum intervenierte. Im Jahr 1458 eroberte er die später israelitische Stadt Megiddo und ließ die Fürsten der Region einen Loyalitätseid schwören, der auf einer seiner Siegesstelen dokumentiert ist: „Wir werden nichts Böses wiederholen gegen Mn-ḫpr-R‘ (= Thutmosis), er lebe ewig, unseren Herrn, in unserer Zeit des Lebens; denn wir haben seine Macht gesehen. Er hat uns Atem gegeben, wie er wollte.“ (nach HTAT 032, vgl. auch die Annalen HTAT 031; TUAT.NF 2, 212–220).
Jerusalem in den „Amarnabriefen“
Aus der Zeit der Pharaonen Amenophis III. (1390–1352) und Amenophis IV. (= Echnaton, 1352–1336) sind zahlreiche Briefe aus der Staatskanzlei erhalten geblieben, die nach ihrem Fundort „Amarna-Briefe“ genannt werden. Sie geben einen guten Einblick in die politische Lage Kanaans während des Neuen Reiches. Absender der Briefe sind etliche der Stadtfürsten in der Region, die den Pharao über Probleme vor Ort unterrichten und häufig auch um Hilfe bitten. Die Briefe zeigen, dass die Stadtfürsten der Levante einerseits dem Pharao untertan waren, andererseits aber untereinander in heftiger Fehde lagen. Manche von ihnen strebten danach, ihr Herrschaftsgebiet auszudehnen, also eine Territorialherrschaft zu errichten, mithin das zu tun, was später Israel und Juda gelingen sollte. Ein weiteres Problem jener Epoche waren Bevölkerungselemente, die sich der Kontrolle des Pharaos, aber auch der seiner Vasallen, entzogen und für Unruhe und gelegentlich sogar Aufruhr sorgten. Diese Personen werden in den Briefen „Hapiru“ genannt. Dieser Ausdruck ist etymologisch wohl mit dem Begriff „Hebräer“ verwandt. Diese „Hapiru“ waren freilich keine Ethnie, sondern lose, soziologisch als outlaws zu bezeichnende Gruppen und auch keine einmalige Erscheinung, sondern immer wieder anzutreffen.
König Abdu-Ḫeba von Jerusalem
Unter den Absendern der „Amarna-Briefe“ ist auch der Stadtfürst von Jerusalem, Abdu-Ḫeba, der sich gegen eine Koalition der Stadtfürsten von Sichem und Gezer zur Wehr setzen muss und dazu eine Garnison Soldaten vom Pharao erbittet. Der Name „Abdu-Ḫeba“ bedeutet „Diener der (Göttin) Ḫeba“, die seit dem 3. Jahrtausend als Hauptgöttin der Hurriter bekannt ist. Die Hurriter hatten im 3. und 2. Jahrtausend in Nordmesopotamien/Nordsyrien mehrere Königreiche errichtet, die ihr Einflussgebiet zeitweise bis in die südliche Levante ausweiten konnten. Möglicherweise gab es in Jerusalem eine hurritische Herrscherschicht über der ansonsten kanaanäischen Bevölkerung. Allerdings war Jerusalem in jener Zeit keine bedeutende Stadt: Die Zentren lagen weiter nördlich in Hazor, Megiddo und Sichem sowie in den Küstenstädten.
Quelle
Zum König, meinem Herrn, sprich: Folgendermaßen Abdu-Ḫeba, dein Diener: Zu den Füßen meines Herrn falle ich sieben- und (noch einmal) siebenmal nieder.
Siehe, Milki-ilu (= Stadtfürst von Gezer) trennt sich nicht von den Söhnen Lab’āyas (= Stadtfürst von Sichem) und von den Söhnen Arzāyas (= unbekannter Stadtfürst), die auf das Land des Königs für sich aus sind. Warum zieht der König einen Stadtherrn, der derartiges tut, nicht zur Rechenschaft? Siehe, die Tat Milki-ilus und Tagis, die sie verübt haben, ist, dass sie Rubūtu genommen haben und nun Jerusalem nehmen wollen. Wenn dieses Land dem König gehört, warum liegt es dann dem König nicht wie Gaza am Herzen? Siehe, das Land Ginti-Kirmil gehört Tagi und Leute von Gintu befinden sich als Garnison in Beth-Sean. Sollen wir etwa handeln wie Lab’āya, als er das Land Sichem den ’Apirū (= Hapiru) gab? Milki-ilu hat an Tagi und die Söhne Lab’āyas geschrieben: „… Gebt alles, was sie wünschen, den Leuten von Kegila, damit wir Jerusalem (ú-ru-sa-lim) isolieren!“
… So möge der König sich erinnern und es möge der König 50 Mann als Garnison schicken, um sein Land zu schützen. Das ganze Land des Königs ist abgefallen. … (EA 289 nach HTAT 058, vgl. TUAT II/5, 514–516)
Ramses II. und Merenptah
Auch die Pharaonen der 19. Dynastie hielten die Kontrolle über den syrisch-palästinischen Raum aufrecht. Für einen der größten Pharaonen, Ramses II. (1279–1213), war er das Aufmarschgebiet für seine Auseinandersetzungen mit dem hethitischen Großreich, die schließlich mit dem Friedensvertrag von 1259 endeten, dem ersten und zudem gut erhaltenen Friedensvertrag der Weltgeschichte. Ramses’ Nachfolger Merenptah (1213–1203) hat eine Siegesinschrift aus seinem fünften Regierungsjahr hinterlassen, in der er zahlreiche von ihm beherrschte Länder und Völker aufzählt.
Quelle
Die Häuptlinge werfen sich nieder und rufen „Schalom“ (š3-r-m). Keiner von den Neun Bögen (= Feindvölker) hebt sein Haupt. Tjehenu (= Libyen) ist erobert. Cheta (= Hethiterreich) ist befriedet. Kanaan ist mit allem Übel erbeutet. Askalon ist herbeigeführt. Gezer ist gepackt. Inuam (= Stadt südlich des Sees Genezareth) ist zunichte gemacht. Israel ist verwüstet, ohne Samen. Charue (= Hurriterreich) ist zur Charet (= Witwe) des Geliebten Landes geworden. Alle Länder insgesamt sind in Frieden. Wer als Fremdling herumzieht, wird gebändigt vom König von Ober- und Unterägypten: Meri-Amun, Ba-en-Re, dem Sohn des Re: Mer-en-Ptah, Hetep-her-Maat, der mit Leben beschenkt ist wie Re (= Sonnengott) alle Tage. (nach TUAT I/6, 551, und HTAT 066)
Der Name „Israel“ auf der Siegesstele
Bemerkenswert ist die Erwähnung von „Israel“ (jj-s-i-r-j-3-r), das hier als Menschengruppe, etwa als Stamm oder Volk, klassifiziert wird und nicht wie Askalon, Gezer und Inuam als Stadt bzw. Stadtstaat. Damit wird Israel von den kanaanäischen Stadtstaaten kategorial abgesetzt, was in gewisser Weise dem entspricht, was sich im 10. Jahrhundert dann auch zeigen wird, dass nämlich Israel nicht als Stadtstaat, sondern als Regionalherrschaft entsteht. Es wird diskutiert, ob man dieses „Israel“ auf Grund der Abfolge der Namen in der Inschrift lokalisieren kann. Das hängt zum einen an der nicht sicheren Lokalisierung der Stadt Inuam und zum andern an der Frage, ob der Text ein Feldzugsbericht oder eine hymnische Aufzählung von beherrschten Ländern und Völkern ist. Je nachdem muss man dieses Israel im ephraimitischen Bergland oder weiter nördlich um den See Genezareth suchen. Wie dem auch sein mag: Diese Inschrift gibt einen kleinen Blick frei auf das, was später einmal das Nordreich Israel werden sollte.
Ursprung der Exodustradition?
Möglicherweise enthält die Merenptah-Inschrift sogar den Kern dessen, was sehr viel später zur Gründungslegende Israels werden sollte, nämlich der Exodustradition. Nach diesem hypothetischen Szenario könnte es Pharao Merenptah gewesen sein, der nach einem Feldzug in die Levante Israeliten als Kriegsgefangene nach Ägypten gebracht hat. Nach seinem Tod brachen länger anhaltende Nachfolgekämpfe mit mehreren schnellen Wechseln auf dem Thron aus (Amenmesse, Sethos II., Siptah, Tausret, ca. 1203–1186). Vielleicht sind im Laufe dieser Unruhen einige der Kriegsgefangenen entkommen und wieder in ihre Heimat zurückgekehrt. Es gibt zwar keinerlei Belege für einen solchen Ablauf der Ereignisse, doch stellt diese Rekonstruktion eine Möglichkeit dar, die Entstehung der Exodustradition zu erklären.
Ansiedlung der Philister
Während der Herrschaft der 20. Dynastie, insbesondere unter Ramses III. (1184–1153), erlebte die Levante den sogenannten „Seevölkersturm“, eine frühe Völkerwanderung. Diese Menschen kamen aus verschiedenen Regionen des Mittelmeerraumes und zerstörten unter anderem das Hethiterreich in Anatolien sowie zahlreiche Städte in der Levante. Ramses III. konnte ihren Expansionsdrang schließlich eindämmen und einige von ihnen in der südlichen Levante ansiedeln. Darunter waren die Philister, die ab dem 12. Jahrhundert im Südwesten Kanaans mehrere Städte gründeten bzw. übernahmen, u.a. Gaza, Aschdod, Aschkelon, Ekron und Gat, die für die Geschichte Israels fortan eine wichtige Rolle spielen sollten.
Beginn der „Dritten Zwischenzeit“
Die ägyptische Oberherrschaft über die kanaanäischen Stadtstaaten endete mit dem Untergang der 20. Dynastie, und auch in der darauf folgenden „Dritten Zwischenzeit“ (21.–25. Dynastie, ca. 1070–664 v. Chr.) erschienen die Pharaonen nur gelegentlich in der Levante. Der letzte Herrscher der 20. Dynastie, Ramses XI., regierte von 1099–1069, und seine Herrschaft war wie die seiner Vorgänger von Aufständen und wirtschaftlichen Problemen geprägt. Die Schwächephase Ägyptens sowie der Seevölkersturm hatten erhebliche Auswirkungen auf die gesamte Levante, die in einem deutlichen Rückgang des Handels, der städtischen Siedlungen und der Bevölkerung resultierten. Der Niedergang des kanaanäischen Stadtstaatensystems in den Jahren um 1100 führte aber im Gegenzug dazu, dass andere Regionen stärker besiedelt wurden, und darin liegt die Wiege Israels.