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3. Die südliche Levante im 11. Jahrhundert
ОглавлениеAufsiedlung im Bergland
War das Bergland während der Spätbronzezeit nur sehr spärlich besiedelt, so ändert sich dies ab dem 11. Jahrhundert etwa zeitgleich mit dem Niedergang des kanaanäischen Stadtstaatensystems. Nach zögerlichem Anfang im 12. Jahrhundert ist ab etwa 1100 eine starke Zunahme von kleinen und kleinsten dörflichen Siedlungen zu verzeichnen, die sich zunächst im galiläischen und ephraimitischen Bergland ausbreiten, mit einer gewissen Verzögerung aber auch im südlicher gelegenen judäischen Bergland. Begünstigt wurde diese Besiedlung vormals unwirtlicher Regionen durch außergewöhnlich hohe Niederschläge, die man für die Zeit zwischen 1100 und 950 in den Sedimenten nachgewiesen hat.
Herkunft der Berglandbewohner
Wer waren diese Berglandbewohner? Schriftliche Zeugnisse haben sie nicht hinterlassen, und ihre materielle Kultur zeigt gegenüber der benachbarten Kultur der kanaanäischen Städte im Tiefland sehr viel Kontinuität und nur wenig Eigenes. Ihre bevorzugte Wohnform etwa war das sogenannte Vierraumhaus, in dem eine ganze Familie samt Vieh unterkommen konnte.
Israel Finkelstein
Manche Forscher, deren führender Vertreter der israelische Archäologe Israel Finkelstein ist, sehen hier Parallelen zur Wohnform von Nomaden und vermuten, dass diese Dörfler vormals Nomaden gewesen waren. Nach dieser Theorie hätten während der Bronzezeit im Bergland (relativ wenige) Nomaden gelebt, die ihre tierischen Produkte gegen die ackerbaulichen der Städte in den Ebenen eintauschten. Mit dem Zusammenbruch des Kanaanäischen Stadtstaatensystems sei diese Symbiose zu Ende gegangen, und die Berglandbewohner seien gezwungen gewesen, nun ihrerseits sesshaft zu werden und Ackerbau zu betreiben.
William Dever
Eine andere Gruppe von Forschern, die von dem amerikanischen Archäologen William Dever angeführt wird, weist darauf hin, dass das Vierraumhaus wie auch andere kulturelle Eigenarten nicht nur im Bergland, sondern in der gesamten Region angetroffen werden können. Nach dieser Theorie führte der wirtschaftliche Niedergang im 11. Jahrhundert dazu, dass die Zahl der Menschen, denen die Städte eine Lebensgrundlage bieten konnten, stark zurückging. Die Verlierer dieses Verarmungsprozesses hätten nach neuen Existenzmöglichkeiten gesucht und diese im Bergland gefunden.
„Protoisraeliten“?
Beide Szenarien stimmen sowohl darin überein, dass diese Berglandbewohner Teil der kanaanäischen Kultur waren, als auch darin, dass am Ende dieses über hundert Jahre währenden Prozesses der Aufsiedelung im Bergland dort zwei neue Machtzentren entstanden waren, nämlich Israel und Juda. Die Berglandbewohner des 11. Jahrhunderts werden gern als „Protoisraeliten“ bezeichnet. Es ist aber strittig, inwieweit, ja sogar ob diese Menschen überhaupt ein Identitätsbewusstsein hatten, das sie von den Kanaanäern des Tieflandes absetzte.
Die Stämme Israels
Sehr viel wahrscheinlicher ist, dass die Berglandbewohner zunächst nur in Sippen und später darüber hinaus in Stämmen organisiert waren. Diese Stämme werden im Alten Testament vielfach erwähnt, meist jedoch in Gestalt eines hierarisch differenzierten Zwölf-Stämme-Systems, das bereits eine enge Zusammengehörigkeit und damit auch das Königtum voraussetzt – so etwa in der Jakobserzählung (Gen 29,31–30,24; 35,16–20; 35,22b–26a) oder in den Stämmesegen (Gen 49; Dtn 33). Ein älterer, vermutlich aus der frühen Königszeit stammender Text, das Deboralied (Ri 5), erwähnt dagegen ganz unsystematisch einige Regionalgruppen, die darüber beraten, ob sie gemeinsam in den Krieg ziehen wollen – bemerkenswerterweise noch ohne den Begriff „Stamm“ und noch ohne die später wichtige, symbolische Zwölfzahl.
Quelle
5,14 | Aus Ephraim, dessen Wurzel in Amalek ist, hinter dir, Benjamin, mit deinen Volksscharen, aus Machir zogen herab Gebieter und aus Sebulon die den Führerstab halten. |
15 | Und die Obersten in Issachar waren mit Debora und wie Issachar so Baraq. In die Ebene wurde er gechickt mit seinen Fußtruppen, in den Sippen Rubens waren große Beratungen des Herzens. |
16 | Warum bliebst du zwischen den Hürden, das Flötenspiel bei den Herden zu hören? […] |
17 | Gilead blieb untätig jenseits des Jordan. Und Dan, warum diente er auf fremden Schiffen? Asser saß an der Küste der Meere, und an seinen Buchten blieb er untätig. |
18 | Aber Sebulon ist ein Volk, das seine Seele dem Tod preisgab, auch Naftali, auf den Höhen des Gefildes. |
Stämme und Geographie
Die Namen der meisten Stämme sind wohl Landschaftsnamen. „Ephraim“ etwa bedeutet „lockere Erde“ und meint die Region im mittelpalästinischen Bergland, in der der Stamm zu Hause war. Auch der Name des Stammes Benjamin ist geographisch konnotiert, denn er bedeutet „Sohn des Südens“ und muss ihm von seinem nördlichen Nachbarn, dem lange Zeit dominierenden Hauptstamm der Israeliten, Ephraim, gegeben worden sein.
Die Stämme in der Geschichte Israels
Die Stämme hat es vor, während und nach der Epoche der Monarchie gegeben. Als Einzelstamm waren sie ein relativ konstanter Faktor, der auch durch den Aufbau einer zentralen monarchischen Administration nicht eliminiert wurde. Was sich mehrfach geändert hat, ist ihr Verhältnis untereinander, also unter anderem die Anwort auf die Frage, welchem Stamm der Primat zukommt (das Thema der Josephserzählung Gen 37–50), und ihre Bedeutung für das Selbstverständnis Israels.
Auf einen Blick
Die Region, die Schauplatz der Geschichte Israels im Altertum war, ist die südliche Levante. Was war die Rolle Ägyptens in der Levante im 2. Jahrtausend v. Chr.? Wann und wo wird der Name „Israel“ zum ersten Mal erwähnt? Welche Entwicklungen haben im 11. Jahrhundert in der südlichen Levante stattgefunden? In welcher Weise wird der Name „Israel“ im Alten Testament verwendet?