Читать книгу Morgen werde ich verkauft - Wolfgang Pfeifenschneider - Страница 9

Unbeschwerte Tage in Berlin

Оглавление

Im Sommer 1939 – die Sommerferien hatten gerade begonnen – da fuhr Mutter mit uns nach Berlin zu ihren Eltern. Wir fuhren immer nachts im Eisenbahnabteil „Mutter und Kind“ und hatten dadurch den kleinen Raum ganz für uns alleine. Wir spielten Karten und andere Spiele. Zwischendurch schliefen wir auch. Auf den großen Bahnhöfen war es laut und hell, da wurden wir wieder wach. Am frühen Morgen, wenn es hell wurde, war es für uns Kinder besonders interessant zu sehen, wie die Leute mit ihren Fahrrädern oder zu Fuß an den Bahnschranken warteten. Wenn es uns allzu langweilig wurde, haben wir die Telegraphenmasten gezählt. Die Fahrt dauerte neun Stunden. Wir kamen am Bahnhof Zoo an und stiegen um in die S-Bahn nach Steglitz-Feuerbachstraße. Von da war es nicht weit bis zu unseren Großeltern in die Lauenburger Straße. Wir mussten über eine große Brücke, unten durch fuhren die Schnellzüge, Ring- und S-Bahnen. Diese Brücke war immer einer unserer Lieblingsplätze, denn da konnte man lange verweilen, denn es gab immer etwas zu sehen.

Die Großeltern wohnten in der dritten Etage (der Berliner sagt vermutlich heute noch „3 Treppen hoch“). Die Wohnung war im Vorderhaus. Das Ganze war ein riesengroßer Wohnkomplex. Durch die Hintertür konnten wir aus dem einen Haus schlüpfen, den Hof überqueren, in ein anderes Haus hinein – so kürzten wir den Weg zur Poschinger Straße extrem ab. Die Portiersfrau, sie hieß Frau Struwe, fand das gar nicht so toll und ließ uns das auch oft merken.

Für die „Alten Herrschaften“, unsere Großeltern, war es sehr beschwerlich, in den dritten Stock zu gelangen. Da wollte jeder Weg genau überlegt sein. Der Balkon der Großeltern war nach vorne zur Lauenburger Straße. Und sie wussten sich zu helfen: Oben vom Balkon wurde ein weißer Leinenbeutel mit passendem Geld heruntergelassen, der Bäckerjunge holte die Geldstücke heraus und legte die Brötchen hinein. Danach zogen wir den Beutel einfach wieder hoch.

Wir genossen die Zeit bei unseren Großeltern mütterlicherseits sehr.


Leider konnte Vater erst immer später nachkommen, denn er mochte ja die Fabrik nicht so lange alleine lassen. Bevor er kam, rief er im Nebenhaus bei dem Bäcker an, denn die Großeltern hatten noch kein eigenes Telefon. Hierfür meldete er sich über Voranmeldung an und ließ den Großeltern seine Ankunft mitteilen. Wenn Vater kam, war die Freude groß; wir holten ihn vom Bahnhof ab. In der kurzen Zeit, die er bei uns sein konnte, nahm er sich für „seine Jungens“ viel Zeit. Wir besuchten die Museen für Meereskunde und Verkehr und das Zeughaus. Auch ein Besuch im Zoo gehörte unbedingt dazu, wenn Vater kam.

Wenn wir hungrig und durstig waren, gingen wir mit Vater einfach zu Aschinger, das war eine kleine Gaststätte um die Ecke. Da gab es Kinderbier, Limonade und andere Getränke aus Automaten. Und auf dem Tisch stand ein Korb mit Brötchen. Wir kamen aus dem Staunen gar nicht heraus, denn die kosteten nichts! Bemerkte der Ober, dass der Korb leer wurde, füllte er ihn einfach wieder auf. Meine Großeltern hatten 1931/32 ein kleines Mädchen in Pflege genommen. Die Eltern waren Juden und mussten auswandern. In Brasilien sollen sie eine Pelzfarm aufgebaut haben, während Erika (bis zu Ihrem Tod vor wenigen Jahren) allein in Deutschland blieb. Erika war unser Drilling (Foto unten).



Wenn Vater etwas mit uns unternahm, gehörte Erika stets dazu. Ob Kleidungsstücke oder Spielzeug, wir wurden gleichmäßig beschenkt. Erika nannte unseren Vater Onkel Hans.

Meine Patentante war die Schwester des Bankiers Schwartz aus Berlin. Dieser hatte eine große Villa in der Grunewaldstraße. Die stand auf einem 33.000 Quadratmeter großen Grundstück, ich erinnere mich auch an eine große Orangerie. Großvater Conell, der Vater unserer Mutter, war dort Gärtner und wir durften ihn ab und an dort besuchen. – Die Schwartzsche Villa gibt es heute noch, sie wurde später an die Stadt Berlin verkauft und ist nach vielen Umbauten und unterschiedlichen Nutzungen heute Kulturzentrum des Bezirks Steglitz-Zehlendorf.

Unser Vater wohnte im Urlaub oder wenn er dienstlich in Berlin zu tun hatte stets bei seiner Mutter (sein Vater, unser Opa, war bereits verstorben) in der Liliencron-Straße 8 in Südende, damals eine Villenkolonie in Steglitz. Oma Adele war Hausdame bei Frau Geheimrat Dallmeier. Eine Tochter von Frau Geheimrat war die seinerzeit sehr bekannte Schauspielerin Lil Dagover. Unser ganz persönlicher Star war jedoch mehr ihre Schwester, Frau Dr. Voss. Denn sie war immer sehr nett zu uns. Einmal hatte sie uns zur Besichtigung des Funkturms eingeladen. Im Restaurant bekamen wir eine Brause, danach fuhren wir mit dem Fahrstuhl zur Aussichtsplattform in 138 Metern Höhe. Die Aussicht über Berlin war toll! Anschließend ging es noch zu Wertheim, in diesem riesigen Kaufhaus durften wir uns noch Spielzeug aussuchen. Das war ein wunderbarer Abschluss eines unvergesslichen Tages mit Frau Dr. Voss.

Kurz vor Ferienende sagte Vater: „Wir müssen zurück. Es ist Mobilmachung!“ Die Koffer wurden schnell gepackt und wir fuhren zurück nach Altenessen. In den Zügen und auf den Bahnhöfen waren schon viele Soldaten zu sehen. Am 1. September 1939 begann der Zweite Weltkrieg mit dem Einmarsch der Deutschen in Polen.

Morgen werde ich verkauft

Подняться наверх