Читать книгу Gänseblut - Wolfgang Santjer - Страница 10
Frühjahr 2009, Weener im Rheiderland, Haus der Familie Alting
(Karte Nr. 8)
ОглавлениеEr saß in seinem Auto und beobachtete das Haus von diesem Alting. Das kleine Überraschungspaket lag im Fußraum vor dem Beifahrersitz. Vier Uhr morgens, die schwache Zeit der Menschen, Tiefschlafzeit und genau der richtige Zeitpunkt für sein Vorhaben. Vorsichtig öffnete er die Tür, nahm das Paket und schlich sich zum Haus.
Alting hing sicher sehr an dem Modell der Marker Mühle in seinem Vorgarten. Der Mann lächelte grimmig, als er sich vorstellte, wie viel Handarbeit darin steckte. Das Paket passte genau durch das kleine Tor der Modellmühle. Er befestigte es im Innenraum des Modells und wickelte die Angelschnur ab, die aus dem Paket hing. Mit dem anderen Ende der Schnur ging er zur Eingangstür und befestigte es an der Klinke. Vorsichtig prüfte er die Spannung. Optimal, nicht zu fest und nicht zu lose.
Er schlich zurück zu seinem Auto. Das gemeine Grinsen auf seinem Gesicht wollte einfach nicht verschwinden.
Menno Alting hatte schlecht geschlafen. Seine Tochter Gretje hatte ihn noch gewarnt. »Reg dich doch nicht so auf, Papa, das ist nicht gut für deine Nerven.«
Natürlich hatte sie wieder recht gehabt, aber dieses letzte Zusammentreffen mit den Jägern … Seine Wut kochte noch einmal hoch, als er daran dachte.
Vorgestern hatte er zusammen mit Naturschützern aus den Niederlanden eine große Anzahl verschiedener Gänse auf einer Wiese beobachtet. Alting wies seine Kollegen gerade auf zwei seltene Gänse hin, als ein Geländewagen auf ihren Standort zufuhr war und circa 200 Meter entfernt auf dem Seitenstreifen anhielt. Alting beobachtete mit dem Fernglas, wie das Seitenfenster des Autos heruntergelassen wurde. Der Fahrer streckte einen Arm aus dem Seitenfenster und warf einen Gegenstand in Richtung der Gänse. Der laute Knall eines Silvesterböllers ließ die Naturschützer zusammenzucken und die Gänse flogen in Panik davon. Gleichzeitig heulte der Motor des Geländewagens auf, der Fahrer fuhr rückwärts auf eine Grundstücksauffahrt und wendete dort. Alting rannte und stieß dabei das Stativ mit dem Fernglas eines niederländischen Kollegen um. Als er sich dem Wagen näherte, gab der Fahrer langsam Gas und beschleunigte immer etwas, sobald Alting wieder näher an ihn herankam. Dieses Spiel wiederholte sich einige Male. Schließlich war Alting völlig außer Atem stehengeblieben und hatte nur noch den ausgestreckten Stinkefinger aus dem Seitenfenster des davonfahrenden Geländewagens gesehen.
Besonders ärgerte ihn, dass dies ausgerechnet vor den Augen der niederländischen Kollegen geschehen war. Das teure Fernglas musste er dem niederländischen Naturschützer auch noch ersetzen. Außerdem war das Autokennzeichen des Geländewagens so verschmutzt gewesen, dass er es nicht hatte lesen können. Es war ihm auch nicht gelungen, den Fahrer zu identifizieren, aber natürlich war das einer der Jäger gewesen.
Direkt nach dem Vorfall hatte Alting voller Wut einen Leserbrief per Internet an den Redakteur des Rheiderlandkuriers geschickt. Der war gestern in der Zeitung erschienen. Jetzt war er gespannt auf die Gegenreaktion. Alting war sich sicher, einen Leserbrief der Jäger in der heutigen Ausgabe der Zeitung zu finden. Dieser Kleinkrieg zwischen Jägern und Naturschützern wurde mit Leserbriefen und wechselseitigen Anzeigen und Gegenanzeigen bei den Behörden geführt.
Menno Alting ging zur Eingangstür, um die Zeitung aus dem Postkasten zu holen. »Mist! Scheißtür, seit wann klemmt das Ding?!«
Er zog kräftiger. Die Tür öffnete sich, die außen angebrachte Schnur spannte sich und der Mechanismus im Kasten wurde in Gang gesetzt.
Die Schnur zog einen feinen Stahldraht in die beiden Kontakte der eingebauten Batterie. Die Stahlwolle entzündete sich in dem Moment, in dem Alting einen zärtlichen Blick auf seine Mühle warf. Die brennende Stahlwolle zündete das Schwarzpulver und das Sprengstoffpaket explodierte. Menno Alting hielt sich reflexartig die Hände vors Gesicht. In seinen Ohren summte es und als er die Augen wieder öffnete, war von seiner Mühle nur noch ein qualmender Rest übrig. Der Vorgarten war mit Holzsplittern übersät.