Читать книгу Gestalten des Schulraums - Wolfgang Schönig - Страница 18

Abbildung 6

Оглавление

Wilhelminischer Schulraum (Ende 19. Jahrhundert)

Quelle: Bendele 1984, ohne Seitenangabe

Dieser kasernenähnliche Typus des Schulraums und – eng mit ihm verbunden – der Frontalunterricht setzen sich durch, als es im hoch militarisierten Preußen um die Bildung und Gliederung der Massen geht. Der Schulraum ist nun nicht mehr kirchlich, zünftig, höfisch oder bürgerlich, sondern militärisch strukturiert: »The system of public instruction is almost, if not quite, as military in spirit as that which governs the army, and the buildings do not escape the regime«, schreibt Robson (1874, 71) über die preußischen Schulbauten. Dass dieser moderne Schulraum den Vorbildern der Fabrik und des Militärs folgt und dementsprechend wirkt, wird also keineswegs erst von reformpädagogischen Autoren des 20. Jahrhunderts bemerkt und reflektiert. Obgleich Robson an dieser im 19. Jahrhundert neuen Schulraumkonzeption manches (u.a. Größe, Ordnung, Helligkeit) fasziniert und er dies in die Reform des Schulbaus in England einbringt, blickt er doch auch kritisch auf diesen neuen Schulraumtyp, der nicht nur die Kontrolle zentralisiert, sondern zudem die Separierung und Isolierung der Schülerjahrgänge und die Separierung und Isolierung der (zuvor im Großraum gleichzeitig anwesenden) Lehrer mit sich bringt und darüber hinaus auch noch die Gleichschrittigkeit des Lernens aller Schüler einer Klasse voraussetzt.

Robson schaut sich viele preußische Schulen an und beschreibt sie seinen Landsleuten: »There is a series of class-rooms entered from a wide corridor. He [the child] is placed in one of these, fitted with benches and desks precisely similar to, but smaller, than those used by boys twice his age, and there he commences that intellectual drill which is continued till the age of 14. Such a system must give a dull boy a better chance, for the most awkward recruit will make a tolerable soldier if drilled regularly, and […] for a sufficient long time. It can hardly fail to raise the masses of a nation. On the other hand the tendency to destroy individuality of character must be ranked as a loss« (Robson, 1874, 72). Der Verlust an unterrichtlicher Flexibilität und an Berücksichtigung der Individualität ist ein wesentliches Implikat des Schulraums der Moderne. Der moderne Schulraum preußischer Provenienz ist ein Raum des zentral gesteuerten unterrichtlichen Gleichschritts.

Der Vorlauf dieses Schulraumtyps ist lang, er reicht gut drei Jahrhunderte zurück. Schon der Kupferstich, der Luthers Aufruf zur Gründung christlicher (Rats-)Schulen bebildert, zeigt die gewünschte Zentralität des Lehrers und das zugleich gewünschte Hintereinandersitzen der Schüler vor diesem an. Mit Comenius nimmt das Bemühen um räumliche Zentralisierung in Koppelung mit einer Vorstellung des Unterrichts, der allein vom Lehrer ausgeht, zu. Auch Pestalozzis Ausrichtung der gesamten Schülerschar auf die Tafel bzw. Tabelle und seine Methode des Zusammensprechens zielen auf den zentral gesteuerten Gleichtakt des Unterrichts. Aber erst in den preußischen Schulbauten des 19. Jahrhunderts mit ihren je Stockwerk von einem Flur abgehenden, für Jahrgangsklassen vorgesehenen Klassenzimmern, die jeweils ein Lehrerpult und vor diesem gegebenenfalls aufsteigend gereihte Schülersitze und -tische vorsehen, etabliert sich diese Form als Schulraum der Moderne.

Dass dieser Schulraumtyp eine preußische Lösung ist, in England hingegen die im ersten Abschnitt skizzierte alte Bauweise und das ihr zugehörige Schulverständnis zum Teil bis ins 20. Jahrhundert hinein beibehalten oder die räumliche Einheit nur auf flexible Weise, z.B. mittels Vorhängen, getrennt wird, sei angemerkt. Begründen lässt sich die dortige längere Beibehaltung des Großraums mit der Scheu vor dem mit der modernen Form verbundenen Risiko, dass die Schule ihre Einheit verliert, in Klassen auseinanderfällt. Freilich ist dieses Auseinanderfallen selbst eine ältere Tendenz, die schon in den großen Lateinschulen der frühen Neuzeit mit der Entstehung von Fachklassen für Schreiben und Rechnen beginnt und mit der Entscheidung für Jahrgangsklassen an Dynamik gewinnt. Letztlich setzt sich das »German planning« (vgl. Filmer-Sankey, 2003, 225) in Form von »a class room for every class and a general room for assembly« (T. Roger Smith, zit. n. Filmer-Sankey, 2003, 224) auch in England durch.

Während im englischen Schulraum das häusliche Modell zumindest im »assembly room« bzw. in der »hall« fortwirkt, erzeugt der preußische Schulraum Zugehörigkeit nicht im lokal-familiären, sondern im nationalen Sinn. Die großen, hellen, reinlichen Schulbauten des späten 19. Jahrhunderts dienen nicht nur der Hygiene, sondern bringen Reichtum und Nationalstolz der Sieger von 1870/71 in einer auch für die Kinder der »Massen« erlebbaren Form zum Ausdruck. Ist das sorgsam filternde Verhältnis des wilhelminisch-preußischen Schulraums zur Welt eine abwehrende Reaktion auf die Vermehrung gesellschaftlicher Information und die Beschleunigung des gesellschaftlichen Informationsflusses, so wird die innere Nüchternheit zugleich – zumindest bei Gymnasialbauten jener Zeit – von imposanter Fassade umgeben. Wer den aufwendig gestalteten Eingang durchschritten hat, befindet sich gleichsam in heiligen Hallen der Bildung, in denen das Leben nichts zu suchen hat.

Gestalten des Schulraums

Подняться наверх