Читать книгу Kommunikationswissenschaft - Wolfgang Sucharowski - Страница 15

Kommunikation als Wissenschaft – die Anfänge der TheoriebildungKommunikationTheorie Kommunikationswissenschaft

Оглавление

Komplexe Phänomene, Kommunikation gehört dazu, zeichnen sich dadurch aus, dass sie nicht mithilfe einer einfachen kausalen Relation beschrieben werden können. Die das Phänomen bestimmenden Elemente sind in sich so heterogen, dass jeder Beobachter damit überfordert ist, sie als ein System zu identifizieren. Was er aber kann, ist sie genau beobachten und das, was er sieht, beschreiben sowie das Beschriebene analysieren.

SignaltheorieDurch die Arbeiten von Shannon und Weaver (1949) wurde Kommunikation erstmals zum Thema für die Wissenschaft und erhielt so eine theoretische Begründung. Shannon gelangen theoretisch begründete ErklärungenShannon, Claude Weaver, Warrenerst durch die Entwicklung seiner Signaltheorie.Signaltheorie Seit den 1960er Jahren standen Beobachtungen zu Aspekten der Informationsverarbeitung im Mittelpunkt des Forschungsinteresses an der Kommunikation.

Klaus, Georg (1912–1974): Philosoph, Logiker, Kybernetiker an der Humboldt Universität zu Berlin und Akademie der Wissenschaften der DDR

Klix, Friedhart (1927–2004): Professor der Psychologie und Kognitionstheoretiker an der Humboldt Universität zu Berlin

Klaus (1973) und Klix (1971) setzen sich mit Themen zur Wirksamkeit von Signalen auseinander. Die Aufmerksamkeit galt vor allem elektrischen Signalen, denn sie sollten möglichst sicher Informationen von einem Ort zum anderen transportieren. Das setzte einen spezifischen Informationsbegriff voraus.Transfermodell Informationen sollten transporttauglich sein, d.h. sie müssen über weite Distanzen hin schnell und sicher versendet werden können. Sie dürfen beim Transport möglichst wenig beeinträchtigt werden, d.h. sie müssten so transformiert werden, dass äußere Einflüsse wie beispielsweise Stromschwankungen im Netz die Information nicht verändern. Diese Umwandlung erfolgte mithilfe eines Codes.Code Das Versendete wurde einer Verschlüsselung anvertraut, die dem Empfänger bekannt sein musste bzw. einem Gerät, das das Codierte in die ursprüngliche Form zurückübersetzt.

Aus der Rezeption dieser Themenstellung entstanden eigenständige Wissenschaftsdisziplinen wie die InformatikInformatik und KybernetikKybernetik. Die dabei entwickelte Signaltheorie verwies auf neue Erklärungsmöglichkeiten und -zusammenhänge von Kommunikation. Sie wirkte weit über den technischen Bereich hinaus in die nicht-technischen Disziplinen wie die Psychologie oder Linguistik hinein. Auch hier erhielten die Begriffe Information und Codes einen zentralen und tragenden Stellenwert.

Digitale und analoge InformationDie Gruppe von Palo Alto um Paul WatzlawickWatzlawick, Paul (1969) beschäftigte sich mit dem Phänomen der Information im Rahmen ihrer psychotherapeutischen Arbeit und unterschied zwischen zwei Informationsverarbeitungsweisen. Ein Signal kann einem stringenten Regelkanon folgend in Information überführt werden. Es kann zur Informationsentnahme verschiedenen Deutungspraktiken unterliegen. Im ersten Fall wird von der digitalen, im zweiten von der analogen Modalität gesprochen. Die Informationsentnahme aus sprachlichen Äußerungen folgt dem ersten, die bei der von Körperverhalten einer Person beispielsweise dem zweiten. Sprache basiert auf festen grammatischen und lexikalischen Regeln, nach denen die Bedeutung linguistisch erschlossen wird. Körperbewegungen und -haltungen unterliegen offenen und von Situationen beeinflussten Deutungsmustern. Ähnlich weitreichend ist ihr Vorschlag einer Unterscheidung zwischen einer Sach- und einer Beziehungsebene, wenn Personen miteinander interagieren. Die Akteure beobachten und finden Daten aus unterschiedlichen Bezugsfeldern. Es gibt zum einen das Gegenüber der Person und zum anderen das Feld, in dem Thema und Sachverhalte der Interaktion zugänglich gemacht werden.

ZeichentheorieZeichentheorieMorris, Charles W.Eine weitere Sicht auf Zeichen entwickelte Morris (1938). Er schlug vor, drei Typen zu unterscheiden. Es gibt willkürlich festgelegte Zeichen, wie die Zeichen der Schrift. Zeichen können bildhaft sein, so dass aus ihrer Gestalt auf Gegenstände geschlossen wird, Ikons beispielsweise. Zeichen werden auch als Symptome für etwas sichtbar, Rauch lässt ein Feuer vermuten. Mit dieser Sicht auf Zeichen wurde eine eigenständige Disziplin, die Semiotik, angeregt.

Ein anderes Problem beschäftigte die Psychologie in den 30er Jahren. Sie fragt nach dem Signalbegriff aus der Perspektive des Zeichens und seiner Nutzer. Wie interagieren Personen im Hinblick auf ein Zeichen, um zu Informationen zu gelangen. Bühler (1934) entwickelte ein eigenes Konzept das Organon-Modell.Organon-Modell In diesem wird zwischen den Nutzern als Sender und Empfänger und dem Gegenstandsbereich unterschieden. Die drei Komponenten interagieren über das im Zentrum stehende Zeichen. Den Gebrauch desselben charakterisiert er als Ereignis, bei der der Sender mithilfe eines Ausdrucks, der auf Gegenstände verweist, an den Empfänger appelliert, sich auf das Ereignis einzulassen. Damit wird die Wirksamkeit von Zeichen durch das Zusammenspiel verschiedener Komponenten beschreibbar.

Symbolischer InteraktionismusAndere Wege ging die Sozialpsychologie. Wie kommt es, dass zwei Personen, wenn sie interagieren, aus den ihnen vorliegenden Daten dieselben Informationen erschließen. Die Lösung wird darin gesehen, dass das Erschließen von Information mit Fähigkeiten der Akteure erklärt wird, sich in den Anderen hineinversetzten und seine Reaktionen abschätzen zu können. Gesprochen wird von ReziprozitätReziprozität und Antizipation des Gegenübers. Mead und Morris (1934)Mead, George H. verwies damit auf die Notwendigkeit, zwischen der eigenen und der Vorstellung des Anderen zu unterscheiden, indem gelernt wird, die Nähe zwischen beide abzuschätzen: Was begründet die Erwartung, dass mein Gegenüber das tut, was ich erwarte?

EthnomethodologieTurn TakingEinen eher strukturell formalen Zugang zum Anderen wählten die Ethnomethodologen Scheggloff und Sacks (1973)Schegloff, EmanuelSacks, Harvey indem sie den Wechsel zwischen den Sprechern beobachteten und nach Formen suchten, die ein regelhaftes Verhalten der Akteure ermöglichen und so einen geordneten Austausch der Sprecherbeiträge erwarten lassen. Das miteinander Reden setzt gewisse Rücksichtnahmen voraus, wenn das Geäußerte gemeinsam behandelt werden soll.

SoziologieSoziologieDie Verhaltensmuster, die Kommunikation begleiten, haben darüber hinaus tiefer greifende Ursachen. Eine Gruppe von Soziologen suchte die Quelle für die Kommunikation nicht beim Einzelnen oder in der konkreten Interaktionssituation. Luhmann (1984) Luhmann, Niklasging davon aus, dass soziale Wirklichkeit überhaupt erst durch Kommunikation möglich wird. Mitglieder der Gesellschaft sind auf sie angewiesen und agieren erst durch sie miteinander. Die Frage, die sich damit verbindet, lautet: Wann tritt Kommunikation im gesellschaftlichen Handeln auf und welchen Anspruch erhebt sie bzw. wird ihr zugeschrieben. Habermas (1984) Habermas, Jürgenglaubt, dass Akteure grundsätzlich zur Kommunikation fähig und bereit sind, weil Kommunikation der Weg ist, Geltungsansprüchen in der Gesellschaft zu verfolgen. Er stützt sich dabei auf die Ideen der Sprechakttheorie, die seit Austin (1962) Austin, John L.zu klären versucht, wie aus sprachlichen Äußerungen ein Handeln im Umgang miteinander wird.

SprachphilosophieKooperationsmaximen Es zeigte sich aber, dass ein solcher Handlungszusammenhang nicht allein sprachlich erklärt werden kann. Die Theorie der Kooperationsmaximen von Grice (1975) Grice, H. Paulveranschaulichte, wie Akteure aus dem, was ihnen gesagt wird, auf etwas dahinter Liegendes schließen und dass es dafür bestimmte Schlussverfahren gibt, um das nicht Gesagte mitverstehen zu können. Bildhaft wird auf dieses Phänomen in der Psychologie durch Ruch/Zimbardo (1974, S. 366–367) hingewiesen. Die Eisberg-Metapher soll zum Ausdruck bringen, dass das Dargebotene immer nur ein Teil von etwas Umfassenderen, aber nicht Sichtbaren ist. Den Handelnden ist nur ein geringer Anteil zugänglich, es wird von 20 % gesprochen. Der andere Rest bleibt vor- oder gar unbewusst.

Bernstein, Basil (1924–2000): britischer Soziologe an der Universität London,

Schwerpunkte: Sprachliche Code, diskutiert als Bernstein-Hypothese vom elaborierten und restringierten Code der Mittel- und Unterschicht


Eisbergmodell

LingustikDie LinguistikLinguistik der 70er Jahre entwickelte kein eigenes Konzept, um Kommunikation zu erklären. Sie schloss sich der SignalübertragungstheorieSignaltheorie an. Vertreter der Soziolinguistik wie Bernstein (1973) oder Labov (1978) Labov, Williamdiskutierte Varietäten sprachlichen Verhaltens von Gruppen in der Gesellschaft und nutzte dazu den Begriff des Codes.Code Die Gruppen verwenden unterschiedliche Codes. Müssen Mitglieder dieser verschiedenen Gruppen miteinander kommunizieren, kommt es immer wieder zu Konflikten und dies belastet die Interaktion.


William Labov (*1927)

Amerikanischer Linguist, Schwerpunkte: Sprachwandel und Sprachvariation, Soziolinguistik

Wolfgang Wahlster (*1953): Informatiker und theoretischer Linguist, Schwerpunkte: intelligente Benutzerschnittstellen und natürlichsprachliche Dialoge

Fuzzy LogicKommunikation setzt voraus, mit Bedeutungen umgehen zu können. Bedeutungen werden in den vorgestellten zeichentheoretischen Ansätzen mit den Zeichen verknüpft. Verbreitet ist eine monodirektionale Vorstellung, die besagt, das Zeichen selbst verfüge über die Kraft, auf etwas in der physikalischen oder mentalen Wirklichkeit zu verweisen. Der Zeichenbenutzer weiß um diese Verweisfunktion des jeweiligen Zeichens und verlässt sich darauf, dass die anderen dasselbe Wissen haben. Tatsächlich besitzen Zeichen eine solche ein-eindeutige Verweisfunktion nicht. Schon die Simulationen im Rahmen der Forschung zur Künstlichen Intelligenz in den 1970er Jahren, wie sie Wahlster (1979) Wahlster, Wolfgangdiskutierte, zwangen zur Entwicklung der sog. Fuzzy LogicFuzzy Logic. Das ist eine Theorie, die sich mit der Vagheit sprachlicher Ausdrücke auseinandersetzt und dies als Besonderheit natürlichen Sprechens nachweist. Nicht zufällig gewann der Begriff des Sprachspiels von Wittgenstein (1967) Wittgenstein, Ludwig J.J.besondere Aufmerksamkeit, denn er verweist auf die gegenseitige Abhängigkeit von Zeichen und Zeichennutzern, die ihm seine Bedeutung erst im situativen Handeln zuzuschreiben erlauben. Offen geblieben ist das Wie. Kommunikation wird gerade aufgrund dieser Unbestimmtheit herausgefordert.


Ludwig Josef Johann Wittgenstein (1889–1951)

War einer der bedeutendsten Philosophen des 20. Jahrhunderts, Schwerpunkte: Philosophie der Logik, der Sprache und des Bewusstseins

PraxeologieWenn der Komplexität der Verwendung von Zeichen Rechnung getragen wird, hat das Folgen für das Verständnis von Kommunikation. Die Akteure können sich nicht darauf verlassen, dass das, was sie äußern, von anderen auf dieselbe Weise verstanden wird. Sie sind deshalb gezwungen beobachten zu lernen, ob das, was der Andere tut, mit dem, was sie möchten, kompatibel ist. Gibt es Differenzen, kann Kommunikation diese bearbeiten. Baecker (2005) hat auf diesen Aspekt aufmerksam gemacht. Die Akteure kontrollieren jedoch nicht, ob der Angesprochene über ein identisches Weltwissen verfügt, sondern sie beobachten, an welchen Punkten gemeinsames Handeln scheitert oder gefährdet ist. Um das zu verhindern oder zu überwinden und die Beobachtungsgabe der Akteure zu schärfen, braucht es Erfahrungen mit Kommunikation.Praktiken

Ein Kind hebt eine verschmutzte Kirsche vom Boden auf und will sie in den Mund stecken. „Nein, das ist bäh!“ ruft die Mutter. Das Kind schaut verständnislos und will die Kirsche essen. Die Mutter nimmt sie dem Kind weg. Das Kind findet etwas, was es essen möchte. Der Hinweis, das nicht zu essen, wird nicht verstanden. Mutter und Kind können sich den Bedeutungszusammenhang essbare und nicht essbare Gegenstände noch nicht erklären. Dem Kind fehlen entsprechende Erfahrungen. Die Mutter interveniert durch ihr Eingreifen in das Handeln des Kindes, sie nimmt ihm die Kirsche weg.

Reichertz (2009) Reichertz, Joverbindet daher die Frage nach der Kommunikation immer mit der nach der Macht. Denn versagt Kommunikation entsteht die Gefahr einer gewaltsamen Intervention, das Handlungsziel wird erzwungen. Wer kommunizieren will, muss sich daher immer auch fragen, was kann Kommunikation und was kann sie in dieser Situation nicht.

Zusammenfassung

Kommunikation ist Gegenstand verschiedener Wissenschaftsdisziplinen. Sie wird zum ersten Mal in der Technik der Signalübermittlung greifbar. Die Idee, dass eine Botschaft übermittelt wird und dafür geeignete Bedingungen herrschen müssen, findet sich noch heute im Verständnis von Kommunikation wieder. Das steht in engem Zusammenhang mit der Vorstellung, Zeichen garantierten diesen Vermittlungsprozess, man müsse diese nur richtig gebrauchen. Damit wird aber die Komplexität kommunikativen Handelns völlig unterschätzt. Schon früh hatte die Sozialpsychologie dies erkannt und die Soziologie reagierte darauf, indem sie sich Gedanken darüber machte, in welchem operativen Zusammenhang Gesellschaft und Kommunikation zu verstehen sind, wenn Handlungen notwendig werden. Eine zentrale Frage für eine Kommunikationswissenschaft ist daher: Woher nimmt Kommunikation ihre Wirkmacht?

Kommunikationswissenschaft

Подняться наверх