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Handeln und Handlung
ОглавлениеKommunikation setzt auf das aktive Zusammenwirken mit Anderen. Die Kommunikationspartner nehmen mithilfe von Zeichen, die als Daten übermittelt und wahrgenommen werden, auf etwas Drittes Bezug. Das setzt einen Kontext aus bestehenden Erfahrungen im Umgang mit solchen Prozessen voraus. Kommunikation erscheint so als eine Form des Handelns, das sich an Andere richtet. Das nötigt zu klären, von welcher Art Verhalten sein muss, so dass es als kommunikative Handlung angesehen werden kann,
N, M und O sind Kollegen einer Arbeitsgruppe. Es gibt auseinandergehende Meinungen. S ist ein weiteres Mitglied der Arbeitsgruppe, gegenwärtig nicht anwesend und hat, weil er mit vielem nicht einverstanden ist, eine eigene Initiative gestartet. | |
01 N | Da musst du handeln. Das ist ganz klar. Es kann doch nicht sein, dass der alles tun darf, was ihm gerade in den Sinn kommt. Ich würde ihm zuerst einmal untersagen, ohne Rücksprache mit den Anderen einfach neue Termine festzusetzen und Leute einzuladen, die wir gar nicht wollen. Er macht, was er will. |
02 O | Ich sage immer, schnelles Handeln erspart dir andauernden Ärger. |
03 M | Ich kann nicht einfach zu ihm hingehen und sagen, hör auf damit. |
Gremienarbeit: Gesprächsnotiz |
Die Episode ereignete sich im Vorfeld einer Gremiensitzung in der Universität und wurde im Nachhinein schriftlich festgehalten. In der Szene wird über die Notwendigkeit eines Handelns von M gegenüber der Person S gesprochen. Das, was geäußert wird, legt sprachliches Handeln zur Lösung des Problems mit S nahe. Es sieht so aus, als solle M mit jemandem reden, der sich des Problems annehmen könnte. Das Ereignis könnte aber auch als ein institutioneller Vorgang vorgestellt werden und würde dann in Form eines offiziellen Schreibens an eine übergeordnete Person oder Stelle erfolgen, in dem ein Verbot weiterer Handlungen von S ausgesprochen oder eine Bitte vorgetragen wird, S möge in Zukunft bestimmte Dinge unterlassen. N beschreibt Handlungen des Kritisierten als sprachliche Handlungen, zu denen er nicht berechtigt ist, was zu Effekten führt, welche die Gruppe nicht wünscht. Im Kommentar von M wird Handeln als eine nicht durchführbare Möglichkeit des Reagierens beschrieben.
Merkmale einer HandlungHandlungBegriffDas Verhalten, das Thema der Episode ist, zeichnet sich durch eine Reihe von Merkmalen aus, die erste Hinweise auf das geben, was wir mit Handlung meinen: Es ist ein Tun, das auf ein Etwas gerichtet erscheint, d.h. derjenige, der etwas tut, weiß von seinem Handeln und kann es im Hinblick auf ein Ziel abschätzen. Dieses Tun unterliegt Bedingungen, die eine Durchführung möglich und sinnvoll bzw. nicht angebracht erscheinen lassen.Motive Vor dem Handeln steht also ein Motiv, das zu einem bestimmten Tun herausfordert. In der Episode wird die Notwendigkeit zum Handeln angesprochen und implizit darauf hingewiesen, dass bisher gültige Absichten der Gruppe infrage gestellt würden, wenn das Verhalten von S sich nicht ändert. Ziel der Handlung soll ein Zustandswandel der gegenwärtigen Situation sein.
Wenn von Handeln die Rede ist, lässt sich in der wissenschaftlichen Diskussion ein begriffliches Umfeld beobachten, das durch immer wieder auftretende Eigenschaften charakterisierbar ist.
Definition
Teleologisch: griechisch telos, Ziel, auf ein ideales Ergebnis ausgerichtet
Habermas (1995, S. 185–189) beschreibt dieses mit vier typischen Merkmalen:HandlungMerkmale
teleologisch
normreguliert
dramaturgisch
kommunikativ
Jürgen Habermas (*1929)
Philosoph und Soziologe, Schwerpunkt: Theorie kommunikativen Handelns
1. Eine Handlung ist teleologisch: Ein Aktor stellt einen Bezug zur objektiven Welt her. Er handelt, weil er einen Erfolg wünscht. Handlungen sind zweckrational. 2. Eine Handlung ist normenreguliert: Ein Aktor stellt einen Bezug zur sozialen und objektiven Welt her. Er handelt, weil etwas erwartet wird. Handlungen sind wertrational. 3. Eine Handlung ist dramaturgisch: Ein Aktor stellt sich in seinen Bezügen auf eine soziale, objektive und subjektive Welt ein. 4. Eine Handlung ist kommunikativ: Die Aktoren haben einen reflexiven Weltbezug und ihre Verständigung ist abhängig von der Stimmigkeit dieser Bezüge.
Handlungen sind mit Kontexten verbunden, die in der Welt verankert sind und Bezüge zur sozialen und gesellschaftlichen Wirklichkeit besitzen. Sie sind mit einer subjektiven Perspektive auf den jeweiligen Weltausschnitt hin ausgerichtet, sie sind standort- bzw. standpunktgebunden. Sprachliche HandlungenHandlungSprache unterscheiden sich hierbei von nichtsprachlichen, weil der Akteur des Handelns mit einem tatsächlichen oder gedachten Gegenüber konfrontiert wird und dessen Sicht auf die Welt bei den eigenen Handlungen mitreflektiert werden muss. Wie bewusst das geschieht, ist von den Akteuren und Situationen abhängig, in denen sie sich befinden.
Das Handeln setzt KontexteKontext voraus, die im Zusammenwirken mit einer Zielfixierung oder zumindest Zielauseinandersetzung entstehen. Jemand tut etwas, weil er sich damit auseinandersetzen will oder muss. Die Anderen erkennen sein Verhalten als Handlung, wenn sie Erwartungen aufbauen können, die sich aus ihnen bekannten Werte- bzw. Handlungskontexten herleiten lassen. Einem Verhalten kann unabhängig davon Handlungscharakter unterstellt werden, weil die Akteure eine solche Handlung wollen und im Verhalten dazu keinen Widerspruch sehen. Kommunikation wird für die Akteure konkret fassbar, wenn eine Verständigungsinteraktion nötig ist.
Max Weber (1864–1920)
Soziologe und Nationalökonom, Schwerpunkt: Herrschafts- und Religionssoziologie
Weber (1922) Weberhat die Bedeutung des Themas früh erkannt und den Begriff Handlung wissenschaftlich zugänglich gemacht. Er bezeichnet Verhalten als Handeln, wenn der Handelnde einen subjektiven Sinn, d.h. eine Intention, damit verbindet:HandlungBegriff
„… Handeln soll … ein menschliches Verhalten (einerlei ob äußeres oder innerliches Tun, Unterlassen oder Dulden) heißen, wenn und insofern als der oder die Handelnden mit ihm einen subjektiven Sinn verbinden. Soziales Handeln aber soll ein solches Handeln heißen, welches seinem von dem oder den Handelnden gemeinten Sinn nach auf das Verhalten anderer bezogen wird und daran in seinem Ablauf orientiert ist.“ (Weber 1922, 1)
Parsons (1937, S. 44) Parsonsdifferenziert den Definitionsvorschlag dahingehend, dass es kleinste Elemente einer Handlung gibt, die ihr einen Sinn geben (unit actunit act) und mindestens die folgenden Elemente haben: einen Handelnden (actoractor) und einen Zweck bzw. ein Ziel (endend), d.h. den zukünftigen Status der Angelegenheiten, an dem die Handlung orientiert ist – in diesem Sinne ist das Schema „teleologisch“. Die Handlung muss zudem in einer Situation begonnen werden, die sich vom zukünftigen Status in einem bedeutenden Aspekt unterscheidet. Hinzukommen die Bedingungen (conditionsconditions) des Handelns, die sich nicht ändern lassen, und die Mittel (meansmeans), über die der Handelnde die Kontrolle hat.
Talcott Parsons (1902–1979)
Amerikanischer Soziologe, Schwerpunkte: Handlungstheorie und soziologische Systemtheorie
Für Parsons gibt es Beziehungen zwischen ihren Elementen: Im Falle der Wahlmöglichkeit zwischen alternativen Mitteln zur Zielerreichung besteht eine normative Orientierung. Dieses grundlegende Konzept impliziert: 1. Handlung ist immer ein Prozess in der Zeit. 2. Die Tatsache, dass dem Handelnden Wahlmöglichkeiten zur Verfügung stehen, schließt die Möglichkeit von Irrtum ein. Parsons entwirft so eine Handlungstheorie, in der Handlungen als System beschrieben werden, das verschiedene Funktionen umfasst: Anpassung, Zielerreichung, Integration und Inhalte latenter Muster. Diese Funktionen werden genutzt, um Probleme der Umwelt bewältigen zu können. Sie dienen den Betroffenen als Rahmen. Der Bezugsrahmen ist subjektiv,
„denn die Phänomene sind Dinge und Ereignisse, wie sie in der Sichtweise des Handelnden erscheinen, dessen Handlung analysiert und betrachtet wird. […]Die prinzipielle Bedeutung dieser Betrachtung ist, dass der Körper des Handelnden für ihn ebenso wie die Handlungssituation die ‚äußere Umwelt‘ bilden“ (Parsons 1937, 47).