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Andere Zeichen und Funktionshintergründe
ОглавлениеZoopragmatikZoopragmatikDie vorausgegangenen Überlegungen zur Spezifikation des Zeichenbegriffs haben Hinweise darauf gegeben, mit welchen Problemen Kommunikation konfrontiert ist, wenn Zeichen ins Spiel kommen. Es baut sich sehr rasch eine Komplexität auf, welche das Modellieren der Vorgänge unmöglich erscheinen lässt. Methodisch ist es daher reizvoll, sich der Komplexität schrittweise zu nähern, indem zunächst einfachere Systeme betrachtet werden. Einen interessanten Zugang bietet hierfür die sog. Zoopragmatik, die sich mit der Zeichenverarbeitung von Tieren in der Interaktion mit ihrer Umwelt beschäftigt. Dabei geht es nach Sebeok (1992, S. 78) um die Verarbeitung von Zeichen aus der belebten und unbelebten Umwelt.
Thomas A. Sebeok (1920–2001)
Biosemiotiker, amerikanischer Professor für Semiotik, Schwerpunkte: Untersuchung der Kommunikation von nicht-menschlichen Lebewesen (Zoosemiotik), Begründer der Biosemiotik
Die kognitive Zoosemiotik setzt bei der Wahrnehmung eines Reizes an. Dabei handelt es sich nicht um eine dyadische Reiz-Reaktions-Kette, sondern es liegt eine triadische Interaktion vor: Der Zeichenprozess ist in einen Funktionskreis eingebunden, der den Organismus mit seiner Umwelt in einer komplementären Relation verbindet. Die Zeichenwahrnehmung kann dabei beabsichtigt oder unbeabsichtigt sein. Von einer intentionalen KognitionIntention ist dann die Rede, wenn eine Situation von einem Organismus beobachtet wird. Dabei kann sich die Beobachtung auf Zeichen einer belebten oder nicht-belebten Umwelt beziehen. Stammen die Zeichen von einem Lebewesen, ist die Frage der Absicht zu klären. Kann eine solche unterstellt werden, kommt der Begriff der Kommunikation ins Spiel. Dabei muss das intendierte Zeichen nicht von einem fremden Organismus ausgehen.
Sebeok (1972, S. 72) beschreibt als ein sehr anschauliches und einfaches System die Echo-Ortung, wie sie im Tierreich auftritt. Hier wird beispielsweise von der Fledermaus ein akustischer Laut erzeugt, dessen Funktion darin besteht, Raumdistanzen zu erkennen. Der Laut wird akustisch von Objekten widergespiegelt und kann so empfangen und im Gehirn zu einer Raumkonstruktion verarbeitet werden. Das Fledermaus-Beispiel ist ein Beleg für die Selbstreferentialität. Der Organismus verfügt über eine Verarbeitungseinrichtung, die Daten aus der Außenwelt als exterozeptive Zeichen wahrnimmt und im Gehirn als propriozeptive ihm eigene erkennt und zur Selbstorientierung auswerten kann. Ähnlich verhält es sich bei Blinden, die sich aufgrund der Geräusche eine Raumkonstrukt für ihre Orientierung aufbauen.
Erklärung
Wenn wir die kognitiven Prozesse im Hinblick auf die kommunikative Qualität näher bestimmen wollen, dann ist, bezogen auf die möglichen Einflussfaktoren (z.B. Repräsentamen, Selbstvergewisserung oder Reziprozität) die Kommunikation hier nur als schwach motiviert zu bezeichnen: Es gibt eine Zeichenverarbeitung, aber die Zeichen sind hochgradig spezialisiert auf ein sehr enges Anwendungsfeld. Die Zeichenproduktion und -verarbeitung erfolgt zielgebunden, sie ist selbstreflexiv, aber nicht ohne weiteres reflexiv zugänglich.
„Zeichenverarbeitung“ in der PflanzenweltKommunikationPflanzenDie Signalverarbeitung im Pflanzen- und Tierreich lässt weitere Aspekte der kommunikativen Funktionsweise sichtbar werden. Eine Blume baut ein Signal aus Farb- und Duftstoffen auf. Dieses Signal kann nun aufgrund organischer Ausstattung von einer Biene oder einem Vogel verarbeitet werden. Eine von Bienen bestäubte Pflanze ist nie rot, und zwar weil das Verarbeitungsprogramm einer Biene dafür nicht eingerichtet ist. Die Pflanze kann nur solche Farben benutzen, die von den sie befruchtenden Tieren „verstanden“ werden. Die Signalverarbeitung zielt nach Zahavî und Zahavî (1997) auf die Arterhaltung ab, indem versucht wird, mit auf bestimmte Adressaten ausgerichteten Signalvorgaben, deren Verhalten zu beeinflussen.
Avishag Zahavi (*1922) und Amotz Zahavi (*1928)
Professorin für Pflanzenphysiologie (links); Israelischer Zoologe und Naturschützer (rechts); Schwerpunkte: Verschränkung der Überlegungen aus der Evolutionsforschung und empirische Befunde aus der Verhaltensforschung miteinander zum Handicap-Prinzip
PhytosemiotikPhytosemiotikDie Interaktion ist auf fremde Organismen ausgelegt. Sie ist erfolgreich, wenn es einen Organismus gibt, der für die Verarbeitung des Signals ausgestattet ist und daher das Signal wahrnehmen und artgemäß verarbeiten kann. Das Signal selbst muss diesen anderen Organismus erreichen und ebenfalls entsprechend ausgestattet sein. Wir haben es also mit einer sehr starken Zielorientierung zu tun. Interessant ist dabei, dass die Zeichenverwendung auch im Dienste der Täuschung Anderer stehen kann. Das geschieht im Tierreich oft durch Farben, die aus Schutzgründen artfremde Organismen zu Fehlinterpretationen veranlassen sollen.
Verarbeitet ein System solche Reize als Signal, schlägt Krampen (1983) Krampen vor, in diesem Fall von der Phytosemiotik zu sprechen. Die Funktion der Signale ist dabei für die Verarbeiter des Signals eine andere als für die, welche das Signal senden. Die Pflanze muss ihren Bestand sichern, die Biene sucht nach Nahrung. Obwohl es sich um dyadische Interaktionsprozesse zwischen Organismen handelt und obwohl sie zielgeleitet und selbstbezüglich angelegt sind, fehlt es ihnen an der Gegenseitigkeit. Es sind daher Interaktionsformen, die ebenfalls als schwach kommunikativ bezeichnet werden müssen.
Signalaustausch unter VögelnKommunikationTiereDas Merkmal der Gegenseitigkeit findet sich beim lautlichen Signalaustausch von Vögeln. Hier gibt es auch eine Symmetrie, denn verschiedene Organismen können die gleichen Zeichen verwenden. Die Verwendung ist dialogisch angelegt und mit einer bewussten Reaktionserwartung verknüpft. Das Eintreten oder Nicht-Eintreten der Reaktion löst in gewissen Spielräumen Entscheidungshandlungen zu bestimmten Verhaltensweisen des Organismus aus.
Die gesendeten Zeichen besitzen Botschaftscharakter: Sie können anderen drohen, sie anlocken oder warnen. Die Zeichen vermitteln also in Abhängigkeit von der Art des Gebrauchs und in Abhängigkeit vom Produzenten unterschiedliche Inhalte. Ihnen haftet eine appellative Funktion an, d.h. wir begegnen auch im Tierreich Interaktionsformen, die deutlichere kommunikative Eigenschaften aufweisen als die bereits angesprochenen. Die Organismen verfügen mit mehr Bewusstheit über Zeichen, die sie an einen fremden Organismus senden können. Die Zeichensendung ist nicht auf eine eindimensionale und monodirektionale Verarbeitung beschränkt und es ist nicht nur eine spezielle Signalform verarbeitbar. Die Reaktion auf die gesendeten Zeichen bedarf einer Zeicheninterpretation und hat Freiheitsgrade. Es gibt nicht nur eine Interpretation bzw. die richtige oder falsche. Entscheidungen über die Interpretation basieren auf einer strukturellen Kopplung mit anderen Organismen.
Zeichen zwischen Mensch und TierKommunikationTiereEin weiterer Forschungsbereich betrifft die interspezifische Kommunikation. Ein Beispiel dafür ist der Umgang zwischen Mensch und Tier. Auch hier bilden spezielle Zeichen die Grundlage für die Interaktion. Marler (1965, 544–584) Marlerentwickelte schon sehr früh eine ZeichentypologieZeichenTypen, die zwischen Identifikatoren, Präskriptoren, Designatoren und Bewertungszeichen unterscheidet.
IdentifikatorenDie Identifikatoren sind selbstreferentiell. Sie verweisen auf den Zeichenproduzenten und erlauben es, ihn hinsichtlich bestimmter Eigenschaften wie Alter, Geschlecht und Gattung zu identifizieren.
PräskriptorenBei der Verhaltensorientierung spielen Präskriptoren eine Rolle. Die Akteure nehmen im Verhalten Eigenschaften wahr, aus denen sie Schlüsse auf die zu erwartende Interaktion ziehen.
DesignatorenDesignatoren informieren über die Beziehung zu anderen Artgenossen oder über das Verhältnis zur Umwelt. Sichtbar werden sie beim Paarungsverhalten oder in der Fürsorge und lassen sich bei der Organisation von Nahrung, Fortpflanzung und Reviersicherung beobachten.
BewertungszeichenDie Bewertungszeichen helfen, den sozialen Umgang mit den Artgenossen zu organisieren. Sie regulieren Nähe und Distanz. Das Mienenspiel eines Schimpansen enthält z.B. eine Reihe von Merkmalen, die über seine Artgenossen hinaus als Drohung „gelesen“ werden können. Das heißt es gibt eine Gruppe von Organismen, die spezielle Signale erkennen können, auch wenn sie nicht zu derselben Gattung wie der Sender gehören. Die Interaktionen sind dyadisch und zielorientiert angelegt. Viele sind symmetrisch und basieren auf gegenseitigen Erwartungen hinsichtlich spezifischer Reaktionsmuster. Das rezeptive Verhalten ist nicht auf die Verarbeitung nur einer Botschaft eingeschränkt, sondern der Angesprochene nimmt aktiv teil, indem er das Dargebotene bestimmten situativen Bedingungen zuweist und daraus den Fokus für eine Botschaft ableitet. Das steht im Zusammenhang mit einer zunehmenden Selbstreferentialität der Zeichenverwendung. Auf diese Weise gewinnen die Interaktionen bereits eine gut erkennbare kommunikative Dichte.
Zeichengebrauch der PrimatenKommunikationTierIn der Primatenforschung ist man sich nicht einig, inwieweit Menschenaffen über symbolische Zeichen verfügen. Preuschoft (1990) Preuschoft vertritt die These, Menschenaffen verwendeten Zeichen mit einer deskriptiven Funktion. Sie sei gegenüber der menschlichen Sprache nur quantitativ begrenzt. Demgegenüber glaubt Sebeok (1991) nachweisen zu können, dass die vorliegenden Ergebnisse Artefakte von Dressurakten seien. Differenzierter urteilt Deacon (1998)Deacon. Er sieht in den bisherigen Forschungsreihen einen deutlichen Hinweis darauf, dass die Tiere ein Symbolverständnis haben. Donald (1991) glaubt darüber hinaus, dass die Tiere die Fähigkeit haben, semantische Relationen aufzubauen. Ungeklärt ist auch der Status von syntaktischen Regeln. Einig ist man sich, dass komplexe Konstruktionen nicht verwendet werden. Unabhängig von den Meinungsverschiedenheiten ist offenkundig, dass die Primaten ein interaktives Verhalten zeigen, das eine gewisse kommunikative Dichte besitzt.
Terrance William Deacon (*1959)
Amerikanischer Neuroanthropologe, Schwerpunkte: Biosemiotik, Linguistiktheorien und kognitive Neurowissenschaften
Merlin Donald (*1939)
Kanadischer Psychologe, Kognitions- und Neurowissenschaftler, lehrte Neuroanthropologe, Schwerpunkte: Kritik an der Computermetapher, wenn es um das Verstehen des menschlichen Geistes und seinen Umgang mit Symbolen und Sprache geht.
Grundsätzlich gilt: Ein Datenaustausch ist bereits auf einer sehr elementaren Ebene von Organismen unbestreitbar. Diese Daten werden zu Informationen, wenn zwischen ihnen unterschieden wird bzw. unterschieden werden kann.DatenVerarbeitung Es gehört dann zum Selbsterhalt eines Organismus, dass nur diejenigen Daten wahrgenommen werden, die Relevanz besitzen. Für einen solchen Organismus existieren gewissermaßen Ordnungen zum Selbsterhalt, die nicht hintergehbar sind. Auch der menschliche Organismus funktioniert auf diese Weise, wenn sich Körperorgane über Nervenbahnen gegenseitig wahrnehmen oder sich die Zellverbände in einem Organ organisieren.
Zusammenfassung
Das Grundprinzip, Daten aus der Umgebung zur Sicherung des eigenen Selbst zu nutzen, entwickelt sich weiter, wenn Freiheitsgrade im Umgang mit solchen Ordnungen entstehen, systematisch vergrößert werden und man sich schließlich durch Selbstkontrolle selber beobachten kann. Wenn über Kommunikation gesprochen wird, ist daher zu klären, worauf die daran Beteiligten achten und warum sie das tun. Erst dann werden Daten sichtbar, die als Informationen fungieren können. Das bedeutet, es muss Erfahrungen geben, um solche Daten zu erkennen und sie mit bestimmten Bereichen der bekannten Lebenswelten zu verbinden. Ist das nicht möglich, werden die Daten erst gar nicht wahrgenommen oder bleiben unverstanden und sind gewissermaßen unsichtbar.