Читать книгу Die verschollene Beute - Wolfgang Wiesmann - Страница 13
Polizei
ОглавлениеEine aufgebrachte Hauptkommissarin der Kripo Münster betrat in Begleitung ihres Kollegen Mörris den alten Kotten von Karin Poggenpohl. Frau Berse hatte draußen vor der Tür gewartet, wurde aber nur eines flüchtigen Blickes gewürdigt. Der Bestatter hatte am Vorabend die Leiche in einen Blechsarg verfrachtet und bis kurz vor Mitternacht auf den diensthabenden Arzt gewartet, weil der sehr beschäftigt war. Der Arzt hatte erklärt, dass es ratsam sei, die Polizei einen Blick auf das Geschehen werfen zu lassen, weil ein Gewaltverbrechen nicht auszuschließen war. Der Bestatter verständigte die Polizei der Wache Dülmen. Der zuständige Beamte sah keinen zwingenden Grund, sofort anzurücken und vertröstete den Bestatter bis zum nächsten Morgen. Neben der Leiche zu wachen, machte keinen Sinn, sodass sich der Bestatter für einige Stunden zu Hause aufs Ohr gelegt hatte. Nach einem kurzen Frühstück machte er sich auf den Weg zurück zum Hof und hoffte, die Polizei wäre noch nicht dort. Ein mulmiges Gefühl begleitete ihn. Eigentlich hätte er wissen müssen, dass er die Leiche nicht hatte bewegen dürfen, aber ein Mord in Dülmen? Wer dachte denn an so was?
Nun lag Karin im Sarg und Kommissarin Fey Amber warf einen Blick auf sie und ließ sich dann beschreiben, wo genau sie gefunden worden war. Der Bestatter konnte sich gut erinnern und versuchte, seinen Lapsus wieder gut zu machen, indem er sich so auf den Boden legte, wie er Frau Poggenpohl vorgefunden hatte. Fey war sauer und kostete die Situation aus. Eigentlich nicht ihre Art, aber die Lektion musste sitzen.
„Legen Sie Ihren Kopf so auf den Boden, dass die Platzwunde an Frau Poggenpohls Stirn durch den Aufprall zu erklären wäre“, murrte sie absichtlich verärgert.
Der Bestatter bemühte sich redlich, sagte dann aber, dass er sie so nicht gefunden hätte, was nahelegte, dass ihr eine Kopfwunde vor dem Sturz von der Treppe zugefügt worden war. Das allein rückte die Möglichkeit eines Gewaltverbrechens in den Fokus. Ausschlaggebend für das Einschalten der Mordkommission war allerdings ein anonymer Anruf gewesen, der früh morgens im Polizeipräsidium Münster eingegangen war. Ein Mann hatte wörtlich gesagt: „Karin Poggenpohl wurde ermordet.“ Fey hatte sich darüber gewundert, warum der Anrufer nicht bei der örtlichen Wache in Dülmen oder einer lokalen Zeitung angerufen hatte. Wieso wählte er sofort die Mordkommission in Münster? Das setzte voraus, dass er die zuständige Behörde kannte.
Fey übte Nachsicht und reichte dem Bestatter ihre Hand.
„Stehen Sie auf. Die Kriminaltechnik ist unterwegs und bevor der Chef uns hier am Tatort herumlaufen sieht, machen wir uns lieber aus dem Staub.“
Ihr Kollege Mörris befand sich im Gespräch mit Frau Berse. Sie gingen gerade über den Hof zur Tenne, wo Karin ihre Töpferkurse abhielt. Die Tenne war im alten Fachwerkstil erbaut worden. 1886 hatte ein Zimmermann in den Stirnbalken gebeitelt. Das Scheunentor stand offen. Mörris ging direkt auf einen rot beleuchteten Schalter zu. Der Brennofen war noch warm und vermittelte ein wohliges Gefühl. Hatte Karin etwas brennen wollen? Auf den ersten Blick stand nichts aus frischem Ton herum, kein Topf, keine Vase oder Schale, kein Huhn, Zwerg oder Igel.
„Merkwürdig“, brummte Mörris. „Sie schaltete den Ofen ein, will etwas auf der Tonscheibe fertigen, kommt aber nicht dazu. Zumindest müsste hier ein Tonklumpen zu sehen sein. Können Sie sich das erklären, Frau Berse?“
„Früher war Karin immer sehr gewissenhaft, aber in letzter Zeit wurde sie etwas tüddelig. Kam nicht zum Kaffee, wenn wir uns verabredet hatten oder ließ tagsüber das Licht brennen. Getöpfert hat sie aber immer mit Vollgas. Da war sie in ihrem Element. Ich habe ihr oft bei der Arbeit zugeschaut. Der Ofen brannte eigentlich immer, wenn sie hier war.“
„Es wäre also möglich, dass sie töpfern wollte, und dann gestört wurde. Nahm sie dabei ihr Handy mit? Falls sie einen Anruf erhielt, könnten wir den Anrufer ermitteln. Leider haben wir ihr Handy bisher nicht gefunden.“
„Sie wird es verlegt haben. Wie gesagt, sie war nicht immer ganz bei der Sache. Ich habe aber auch niemanden gesehen. Von uns aus können wir die Zufahrt nicht überblicken.“
„Schildern Sie bitte, was Sie gestern Abend gemacht haben, nachdem Sie den Anruf von Frau Thüner erhalten haben.“
„Ich bin natürlich gleich mit dem Fahrrad rüber, weil Frau Thüner sich Sorgen gemacht hat. Im Flur sah ich, dass Karin unten an der Treppe lag. Ich habe sie angesprochen. Keine Reaktion. Dann wollte ich meinen Mann holen, weil ich Angst hatte. Ich traute mich erst nicht, sie anzufassen, aber habe dann doch ihren Puls zu fühlen versucht. Da war nichts. Mein Mann und ich haben Frau Thüner und den Bestatter angerufen. Der meinte später, es müsse auch ein Arzt kommen, der den Tod offiziell bescheinigt. So kam das ins Rollen.“
„Haben Sie irgendetwas im Haus verändert, oder ist Ihnen etwas aufgefallen, das nicht hierher gehört oder verstellt wurde?“
„Wir sind zwar Nachbarn, aber so gut kenne ich Frau Poggenpohl auch wieder nicht. Ich habe nichts angerührt und mein Mann war nur kurz im Haus. Ich sage das nur wegen der Fingerabdrücke.“
„Keine Sorge, wir können das differenzieren. Frau Poggenpohl hatte ihr Wohnzimmer in der ersten Etage. Unten befinden sich nur Räume mit abgestellten Möbeln, Fahrrädern und Gartenwerkzeugen. Wieso diese Aufteilung?“
„Im Erdgeschoss war es ihr zu feucht. Sie hat sich lieber oben häuslich eingerichtet.“
„Als ich kurz durch die Zimmer ging, fiel mir eine Flasche Kaffeelikör auf. Sie stand auf dem Wohnzimmertisch und ein Pinnchen daneben. Trank Frau Poggenpohl gerne ein Schnäpschen?“
„Nicht, dass ich wüsste. Sie trank höchstens in Gesellschaft.“
„Das wär’s vorerst“, sagte Mörris. „Geben Sie mir bitte noch die Nummer von Frau Thüner.“ Mörris begleitete Frau Berse zurück zum Kotten und entließ sie nach Hause.
Harry rauschte mit seiner Crew von der Spurensicherung auf den Hof, begrüßte Fey und wandte sich an Mörris.
„Alter Junge, du hast einen beneidenswerten Job. Jagst Verbrecher an der Seite der schönsten Frau der Welt, während ich mich mit einem Mikroskop unterhalte und Mikroben analysiere, die ich unter den Fingernägeln einer weiblichen Leiche hervorgepult habe. Wo ist da die Gerechtigkeit und wo ist hier der Tatort?“
„Ich dachte immer, ihr mit euren Pinseln und weißen Kitteln zerlegt das Universum aus purem Enthusiasmus in seine Einzelteile. Wenn dir eine Frau fehlt, dann stell doch eine ein.“
„Die, die ich einstellen würde, steht neben dir und grinst.“
Mörris wandte sich an Fey und musterte sie.
„Ein charmantes Lächeln würde ich sagen.“
„Schleimer! Wo geht’s zum Tatort?“
Harry und seine Leute machten sich ans Werk. Fey beauftragte den Bestatter, die Leiche in die Gerichtsmedizin nach Münster zu bringen, damit sie dort von der zuständigen Pathologin Dr. Birgit Degenhardt in Augenschein genommen werden konnte. Sie hoffte, Degenhardt würde eindeutige Befunde liefern, die entweder Mord oder Unfall definierten. Sie begab sich ins Haus, um dort nach Informationen zur Familie des Opfers zu suchen und Mörris hörte sich in der umliegenden Nachbarschaft um.
In der Küche wimmelte es von Kleintieren aus Ton. Besonders Igel, Küken und Frösche bevölkerten Regale und Fensterbänke. Teller, Schüsseln und Tassen waren offensichtlich auch den formenden Händen von Karin Poggenpohl entsprungen. Gemütlich sah anders aus, dachte Fey, ging ins Wohnzimmer, dort gleich zum Schrank und öffnete die Türen. Herrenunterwäsche, gebügelte Hemden und im Mittelteil Anzugjacken und Hosen. Strümpfe und Männerschuhe in den Schubladen. Wo war der Mann dazu?
Harrys Leute rümpften die Nase, als Fey sich an ihnen vorbeidrängte, um weiter in Akten und Unterlagen zu stöbern. Sie bemerkte einen Stapel Magazine und Hefte zum Motorsport. Es gab einen Partner in Karins Leben, einen Mann mit einem Faible für schnelle Autos. Sie durfte keine Zeit verlieren, seine Identität herauszufinden. Sie rief Mörris an und informierte ihn über den männlichen Unbekannten, sodass er sich bei den Nachbarn auch nach ihm erkundigen konnte.
Im Küchenschrank wurde sie fündig. Nicht nur, dass sie dort eine Tasse mit dem Namen Hannes fand, außerdem lagen dort, völlig unsortiert, diverse Unterlagen. Fey stöhnte und machte sich an die Arbeit Kursplakate, Rechnungen und Garantien in kleine Häufchen aufzuteilen. Außer einem Stammbuch, das Karins Geburtsurkunde, Taufbescheinigung und Heiratsurkunde enthielt, tauchten keine privaten Dokumente auf.
Fey schaute sich die gerahmten Fotos an der Wand an. Das Porträt eines Mannes stach heraus. Er war auch auf anderen Fotos zu sehen. Als sie das Bild umdrehte, sah sie ein Kreuz und das Datum 12. Mai 2014. Offensichtlich handelte es sich um ihren verstorbenen Mann, aber Fey konnte sich nicht vorstellen, dass die Sachen im Schrank einst diesem Mann gehört hatten. Die modischen Anzüge und vor allem die Schuhe passten nicht zu ihm. Bärtig und mit verwegenem Lächeln trug der Mann auf dem Bild Pullover und Jeans. Hannes, der Mann auf der Tasse, bevorzugte elegante Kleidung.
Harry kam herein und durchkreuzte ihre Gedanken.
„Der Kaffeelikör dort in der Flasche ist mir suspekt. Ich habe ihn geschüttelt. Meiner Meinung nach ist seine Konsistenz nicht normal. Ich werde das im Labor untersuchen. Außerdem haben wir Blut an der Kante der Badezimmertür entdeckt. Der Flur ist dort verschachtelt und schlecht beleuchtet. Kann sein, dass es nur ein Unfall war. Sie hat einen Schnaps zu viel getrunken, sich am offenen Türblatt gestoßen, torkelt und fällt die Treppe hinunter. Wir werden sehen.“
„Das würde ihre Kopfverletzung erklären. Die Wunde an der Stirn wäre dann nicht beim Sturz von der Treppe entstanden. Degenhardt wird das klären. Sag Bescheid, wenn ihr etwas in Richtung ‚Mann‘ findet. Das Opfer hatte einen Freund und ich muss wissen, wo er steckt.“
Ein anderes Foto an der Wand zeigte die Familie Poggenpohl im Jahr 1937. Abgelichtet wurde sie vor der Fassade ihres Hauses in Sythen. Oberhalb des Eingangs stand „Postamt“. Offensichtlich hatten die Poggenpohls dort in früheren Zeiten das Postamt geleitet, aber Karin lebte auf einem Bauernhof bei Börnste in Dülmen. Einer der Poggenpohl-Jungs aus Sythen musste also auf dem Bauernhof in Börnste eingeheiratet haben und aus dieser Ehe stammte Karin. Fey sah sich die Daten an. Karin Poggenpohl war nur 11 Jahre verheiratet gewesen, hatte aber immer ihren Familiennamen behalten. Witwe war sie seit sechs Jahren, aber offensichtlich wieder in festen Händen.
Fey hielt sich an jedem Strohhalm fest, um endlich Kontakte mit relevanten Personen herstellen zu können, aber nichts deutete auf andere Verwandte hin. Karins Handy wäre die Lösung gewesen. Dieser Hannes meldete sich vielleicht die ganze Zeit, bekam aber keine Antwort. Fey sah sich die Kontoauszüge an. Eine Zahlung von fünf Euro an den Heimatverein Sythen machte sie aufmerksam, weil die Überweisung erst vor zwei Tagen getätigt worden war. Betreff: „Heimatgeflüster“. Sie recherchierte und rief den Vorsitzenden an, der ihr über die Veranstaltung Auskunft gab. Er wusste auch, dass Karin und Marion Thüner Freundinnen waren und Marion aktives Mitglied des Heimatvereins war. Ihre Handynummer lieferte er gleich mit.
Feys Versuch, Marion zu erreichen, scheiterte am Stundenplan der Grundschule. Vierte Stunde Rechtschreiben in Klasse 3b. Nachdem Fey den Schulleiter über die Umstände ihres Anrufs informiert hatte, war Marion nach zwei Minuten am Telefon. Die Lehrerin schilderte haarklein die Vorgänge vom gestrigen Abend und wurde dabei immer nervöser, sodass sich ihre Worte teils überschlugen. Fey hätte vielleicht besser das Wort Mordkommission vermeiden sollen, aber die Wahrheit schmeckte nicht immer nach Schonkost. Feys Hoffnung, von Marion Thüner die Handynummer von Karins Partner Hannes zu erfahren, wurde jedoch enttäuscht.
Fey vereinbarte einen Termin mit Marion für ein ausführliches Gespräch und fragte sich, wo Mörris blieb. Ihr Magen knurrte. Sie hätte gerne mit ihm im Extrablatt in Dülmen etwas gegessen und später könnten sie sich einen Kaffee in der Privatrösterei Schröer gönnen. Wenn es nicht zwischendurch ein kulinarisches Highlight gab, litt die Ermittlungsarbeit. Das wusste sogar ihr Chef Carstensen, der es allerdings noch nie für nötig gehalten hatte, sie zu einem Arbeitsessen einzuladen.