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Creole Jazz Band

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Im Sommer 1922 entschloss sich Oliver, seine Band um einen zweiten Kornettisten zu erweitern, eine Rolle, die er selbst in der Band von Manuel Perez gespielt hatte oder Bunk Johnson in der von Buddy Bolden. Er mag sich auch an die Stunden erinnert haben, die er dem jungen Louis Armstrong einst in New Orleans gegeben hatte. Jedenfalls schickte er ihm ein Telegramm und lud ihn ein, Mitglied der Creole Jazz Band in Chicago zu werden. Er erweiterte damit die Bandbesetzung aus Kornett, Posaune, Klarinette und Rhythmusgruppe um ein zweites Kornett, vielleicht auch, weil er in Louis Armstrong Potential sah, das sein musikalisches Konzept bereichern konnte. Oliver wusste durchaus, dass der junge Armstrong technisch besser war als er, dass er einen moderneren Ansatz besaß, rhythmisch, melodisch und harmonisch eine reichere Erfindungsgabe. Aber er sagte, wie Lil Armstrong später erzählte: »Solange er in meiner Band spielt, wird er sich nicht vordrängeln können. Hier bin immer noch ich der King.«39

Armstrong ließ sich nicht lang bitten. Andere Musiker hatten ihm zuvor angeboten, New Orleans mit ihnen zu verlassen, Kid Ory etwa, als er an die Westküste gehen wollte, oder sogar Fletcher Henderson, der Anfang 1922 durch die Stadt kam und Armstrong für sein Orchester engagieren wollte. Der aber fühlte sich seiner Heimatstadt noch zu stark verbunden – oder er war von den Angeboten einfach nicht genügend überzeugt. Als Oliver ihm allerdings sein Telegramm schickte und ihn dringend bat, nach Chicago zu kommen, reagierte er innerhalb nur weniger Tage. Um den 8. Juli 1922 kam er in Chicago an. Oliver war der väterliche Freund und Mentor. Zu ihm blickte Armstrong auf, für ihn nahm er auch diese Reise ins Ungewisse in Kauf. Und finanziell verbesserte sich etliches für ihn. Wo er zuvor in New Orleans gerade mal 1,50 Dollar pro Abend verdient hatte, bekam er in Chicago 7,50 Dollar, also 52,50 Dollar pro Woche, dazu Trinkgelder, die diese Summe leicht noch einmal verdoppelten. Das entsprach mehr als dem Doppelten dessen, was ein Arbeiter damals verdiente.

Das Repertoire der Band im Lincoln Gardens bestand aus populären Hits, die sich mit Eigenkompositionen Olivers und bald auch Armstrongs sowie Blues und Tanzmusik in verschiedenen Tempi abwechselten. Bud Freeman, ein junger weißer Saxophonist, der mit seinen Freunden damals regelmäßig im Lincoln Gardens vorbeischaute, berichtete, dass die Band den Abend mit eher seichten tagesaktuellen Schlagern begonnen habe, die schon mal bis zu zehn oder fünfzehn Minuten dauern konnten.40 Wenn das Publikum dann angeheizt war und auf die Tanzfläche strömte, kamen die »heißeren« Titel. Laut Baby Dodds hatte die Band am frühen Abend noch einen anderen Job in einem Restaurant, bei dem sie »dinner music« spielen musste, ihr übliches Bandrepertoire, ein paar Walzer und tagesaktuelle Schlager. Dynamisch ging es also von wild bis soft: Teilweise spielte die Band einzelne Stellen zur Abwechslung so sanft, dass man die Füße der Tänzer hören konnte.41 Man tanzte Charleston, Black Bottom oder Bunny Hug. Es gab Showeinlagen, etwa wenn die Instrumente Tiergeräusche nachahmten, wenn Baby Dodds den Shimmy tanzte, während er weiter Schlagzeug spielte, wenn Bill Johnson im Liegen Bass spielte, oder wenn Armstrong eine seiner Tanzeinlagen zum Besten gab, die schon das Publikum in New Orleans begeistert hatten. In einigen Stücken spielte Louis auch die Slide Whistle (Kolbenflöte), eine Art Ulkinstrument, das sich sonst vor allem im Instrumentarium von Schlagzeugern befand, die zu Beginn des Jahrhunderts für alle komischen Soundeffekte zuständig waren. Solche musikalischen Slapstick-Nummern brachten der Band im Lincoln Gardens Riesenapplaus ein. Jazz war damals eben vor allem Unterhaltungsmusik, und neben dem musikalischen Drive, neben dem faszinierenden Zusammenspiel der Musiker und den Soli etwa von Armstrong gehörten auch solche Clownerien mit dazu, das Publikum zu unterhalten. Wobei wir hier ein wenig vorgreifen müssen, denn wir werden gleich die Aufnahmen diskutieren, die diese Zeit dokumentieren, und sie zeigen: Ja, die Slide Whistle und andere Bühnenaktionen Armstrongs stammten aus der Tradition des Vaudeville. Sie sind aber immer in Verbindung mit der großen Virtuosität zu sehen, die er auf dem Kornett zeigte. Andere Kornettisten nutzten eine ganze Reihe an Gimmicks, Dämpfer- und sonstigen Klangeffekten, um ihre Soli interessant zu machen oder das Publikum zu einer Reaktion zu bewegen. Bei Armstrong aber stand grundsätzlich der musikalische Effekt an erster Stelle. Die Arpeggien, die er in seinen Soli oder hinter Oliver einbrachte, mögen für den einen oder anderen im Publikum wie ein effektheischender Instrumental-Gimmick gewirkt haben, ein Kornett, das sich gebar wie eine Klarinette. Für Armstrong aber waren solche Figuren zugleich ein Schritt hin zur Abstraktion seines späteren Solostils, eine Entfernung von der melodischen Paraphrase hin zur harmonischen Umspielung, die in neue, einprägsame Melodiephrasen mündet.


King Oliver’s Creole Jazz Band (v. l. n. r.): Baby Dodds (Schlagzeug), Honore Dutrey (Posaune), King Oliver (Kornett), Louis Armstrong (Kornett), Bill Johnson (Bass), Johnny Dodds (Klarinette), Lil Hardin (später Armstrong) (Piano) (Fotoarchiv, Jazzinstitut Darmstadt)

Die schwarzen Bands in Chicago ließen sich im Großen und Ganzen zwei Lagern zuordnen: Es gab eingespielte Ensembles, die in den Theatern und größeren Ballsälen auftraten, und es gab die oft mit Musikern aus New Orleans bestückten Bands, die in den Cabarets und Nightclubs zu hören waren. Die Theaterorchester – sie nannten sich oft auch so, etwa Erskine Tate and His Vendome Theatre Orchestra – spielten meist im Loop, dem Geschäfts- und Entertainmentzentrum Chicagos. Zu ihrem Repertoire zählte Tanzmusik genauso wie klassische Ouvertüren, populäre Schlager oder W. C. Handys ›Memphis Blues‹. Die New-Orleans-Bands, die eher auf der South Side, dem schwarzen Viertel der Stadt, zu hören waren, klangen im Vergleich dazu rauer, archaischer. In ihrer Musik standen das kollektive Zusammenspiel und die Improvisation im Vordergrund. Einige Musiker waren in beiden Welten zu Hause – so auch Louis Armstrong, dessen Karriere in King Olivers New-Orleans-Band begonnen hatte, bevor er nach seiner Rückkehr aus New York im November 1925 in Erskine Tate’s Vendome Theatre Orchestra und ähnlichen Bands landete. Armstrong war mit allen Spielorten der Stadt vertraut, vom Lincoln Gardens, der sich vor allem an ein junges schwarzes Publikum richtete, über das Dreamland Café, ein von Schwarzen betriebenes »black and tan«, das also ein gemischtes Publikum anzog, bis zum Sunset Café, einem der teuersten Clubs auf der South Side, das sich vornehmlich an eine weiße Kundschaft richtete.

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