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Erste Jobs

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Das Kornettspiel jedenfalls, das Armstrong im Heim erlernt hatte, war nun eine willkommene zusätzliche Einnahmequelle. Die Schule besuchte er nicht mehr, was er später immer bedauert hat. Er musste seine Mutter und Schwester unterstützen, kaufte ein verbeultes Kornett in einem Pfandhaus und verdiente sein Geld mit Musik. Die erste Band, mit der er auftrat, bestand aus ihm, einem Pianisten und einem Schlagzeuger. Sie spielten in einer Spelunke namens Matranga’s, und Armstrong nahm 1,25 Dollar pro Abend ein – damals eine Menge Geld. Der Gig begann um 8 Uhr abends und dauerte bis zum Morgengrauen. Armstrongs Mutter Mayann kam gegen Mitternacht vorbei und brachte etwas zu essen. Um 4 oder 5 Uhr morgens kamen die Huren ins Matranga’s und gaben der Band ein Trinkgeld, damit sie den Blues spielte. Nach dem Gig ging Armstrong nach Hause, legte sich ein paar Stunden hin und arbeitete dann in einem Kohlenhof oder lud Bananendampfer aus. Einmal kam Joe Oliver vorbei im Matranga’s, hörte sich Armstrong an und meinte: »Ich kann das alte Kornett einfach nicht mehr sehen. Ich werde dir ein neues Horn geben.« Oliver nahm ihn unter seine Fittiche, lud ihn nach Hause zum Essen ein, gab ihm Aufgaben aus einem unbekannten Übungsbuch und spielte mit ihm im Duett.24

»In jeder Band gab es in diesen frühen Tagen in New Orleans wenigstens einen Musiker, der Noten lesen konnte«, erklärte Armstrong 1960 in einem Fernsehinterview.25 Meist sei das der Trompeter, der Kornettist oder gegebenenfalls der Pianist gewesen. Der Grund war einfach: Es brauchte wenigstens einen Musiker, der die Melodiestimme spielen und die neuen Stücke, die in den Notengeschäften ankamen, dem Rest der Band vermitteln konnte. Danach, so Armstrong, hätten sich die Musiker übers Wochenende zurückgezogen und geprobt. Das sei dann nicht anders gelaufen als in den Vokalquartetten, in denen er mitgewirkt habe: Man musste die Melodiestimme kennen und dazu in der Lage sein, eine passende Begleitstimme dazu zu bilden. Bei den Stunden mit Oliver ging es um beides: sichere Melodieerfindung und den Einsatz einer effektvollen Komplementärstimme.

Ein weiterer einflussreicher Mann in Armstrongs Jugend war Benny Williams. »Black Benny«, wie er allgemein genannt wurde, spielte die Bass und die Trap Drum in verschiedenen Brass-Bands der Stadt, etwa der populären Tuxedo Brass Band. Armstrong schaute zu ihm auf, und Black Benny begleitete den jungen Kornettisten fast väterlich und machte andere Musiker der Stadt auf ihn aufmerksam, den Sopransaxophonisten Sidney Bechet etwa oder den Posaunisten Edward »Kid« Ory.

Auch Ory – 1886 auf einer Plantage circa 45 Kilometer flussaufwärts von New Orleans geboren – hatte seine ersten musikalischen Erfahrungen mit Gesang gemacht. Allerdings nicht mit Barbershop-Gesang, sondern mit dem Summen von populären Schlagern in einem »humming quartet«. Einer der vier Sänger übernahm die Melodie, die drei anderen sorgten für dreistimmigen, wenn nicht gar vierstimmigen Harmoniegesang, erzählte er später.26 Ory jedenfalls erkannte Armstrongs Talent und bot ihm an, er könne bei ihm einsteigen. Als Orys Kornettist Joe Oliver 1918 New Orleans verließ, um nach Chicago zu gehen, nahm Armstrong, der aushilfsweise bereits einige Male in Orys Brassband mitgespielt hatte, seinen Platz ein. Er war sozusagen der Kronprinz, gehörte bereits 1918 zu den vielversprechendsten Musikern der Mississippi-Metropole. Armstrong war gerade mal siebzehn Jahre alt, sein Repertoire war noch relativ klein, doch er lernte schnell.

»Er hatte ein exzellentes Gehör und ein großartiges Gedächtnis«, erinnerte sich Edward Ory später. »Man musste ihm ein neues Stück nur vorsummen oder vorpfeifen, dann war er sofort drin. Und wenn er ein Stück einmal gespielt hatte, vergaß er es nie mehr. Innerhalb von nur sechs Monaten hatte jeder in New Orleans von ihm gehört.«27 Eines der Stücke, in dem der junge Kornettist in Orys Band hervortrat, hatte Armstrong selbst mitgebracht. Er habe es ›Get Off Katie’s Head‹ genannt, so Ory, habe die Musik und den Text selbst verfasst und sogar einen kleinen Tanz eingebaut. Dann habe er den Titel für 50 Dollar an den Pianisten und Musikverleger Clarence Williams verkauft, der in der Urheberrechtsmeldung 1919 als Komponist den Geiger Armand J. Piron angab. ›I Wish I Could Shimmy Like My Sister Kate‹ hieß das Stück in dieser Version und wurde 1922 zu einem populären Hit überall in den Vereinigten Staaten. Armstrong habe nicht einmal das versprochene Honorar gesehen.28

Joe Oliver war wie andere Musiker nach Chicago gegangen, weil der für die amerikanische Navy zuständige Minister in Washington im August 1917, also vier Monate nach Eintritt der Vereinigten Staaten in den Ersten Weltkrieg, die Prostitution im Umkreis von fünf Meilen um alle Navy-Stützpunkte verbieten ließ. Die Kommunalpolitiker, die durchaus um die Wirtschaftskraft des Rotlichtbezirks wussten, versuchten in Washington zu intervenieren, aber das Ministerium blieb hart: »Entweder schließt ihr das Rotlichtviertel, oder die Streitkräfte werden es tun«, ließ der Minister dem Bürgermeister mitteilen. Zwei Wochen später verabschiedete der Stadtrat die Verordnung, und am 12. November 1917 endete die Geschichte von Storyville als einer der größten Sündenmeilen der Welt. Mit dem neuen Gesetz verloren nicht nur die Prostituierten ihre Arbeit, sondern genauso viele Wirte und mit ihnen auch die Musiker.

Nun stellte die Schließung von Storyville nicht den einzigen Grund dar, warum Musiker ihr Glück anderswo versuchten. Schon zuvor waren Musiker aus New Orleans im Zuge einer allgemeinen Migration aus dem Süden fortgegangen, um an der Westküste, in San Francisco oder Los Angeles, oder aber in New York, St. Louis oder Chicago ihr Glück zu versuchen. Die Schließung des Rotlichtviertels aber ließ auch Musiker, die eigentlich nicht aus der Stadt fortwollten, ihre Meinung überdenken. In New Orleans war mit Musik einfach kein Geld mehr zu verdienen. Und von den Kollegen, die fortgegangen waren, kamen begeisterte Rückmeldungen nach Hause: Dort draußen würde richtig nach Musik verlangt, hieß es in ihren Briefen, und, dass Musiker aus New Orleans überall einen guten Ruf besäßen.

Joe Oliver also ging 1918 nach Chicago. Jelly Roll Morton hatte es kurz zuvor an die Westküste gezogen. Kid Ory entschied sich 1919 ebenfalls, nach Kalifornien zu gehen, und er wollte Armstrong mitnehmen. Der lehnte aber ab, weil er fürchtete, fern der Heimat zu stranden. In späteren Jahren kam Ory dann immer wieder mal mit seinem jungen Schützling zusammen. So spielte er zwischen 1925 und 1927 in verschiedenen Besetzungen der Hot Five und Hot Seven. 1930 kehrte er nach Kalifornien zurück und musste über zehn Jahre lang erst auf einer Hühnerfarm, später im Büro einer Eisenbahngesellschaft arbeiten, um sich über Wasser zu halten. In den 1940er Jahren schaffte er ein Comeback und wurde als einer der Veteranen des frühen Jazz gefeiert. Mit Armstrong wirkte er 1947 im Film New Orleans mit, kam außerdem 1957 als Special Guest zu den Armstrong All Stars auf die Bühne des Newport Jazz Festivals und trat schließlich 1962 während eines Engagements in Disneyworld im nachgebauten Schaufelraddampfer »Mark Twain« als Gast der All Stars auf.

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