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KAPITEL 2 Bailoutistan

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Anfang 2010, rund fünf Jahre bevor ich Finanzminister wurde, ging der griechische Staat bankrott. Wenige Monate später organisierten die Europäische Union, der Internationale Währungsfonds und die griechische Regierung die größte Bankrottverschleierung der Welt. Wie verschleiert man einen Bankrott? Indem man dem schlechten Geld gutes Geld hinterherwirft. Und wer finanzierte das Verschleierungsmanöver? Ganz gewöhnliche Menschen, »Outsider«, aus der ganzen Welt.

Die Griechenlandrettung, wie das Verschleierungsmanöver euphemistisch hieß, wurde Anfang Mai 2010 beschlossen und besiegelt. Die Europäische Union und der Internationale Währungsfonds gaben dem bankrotten Griechenland rund 110 Milliarden Euro, den größten Kredit in der Geschichte.1 Gleichzeitig entsandten sie Gerichtsvollzieher nach Athen – die Troika, so genannt, weil sie die drei beteiligten Institutionen repräsentiert: die Europäische Kommission (EK), die Exekutive der EU, die Europäische Zentralbank (EZB) und den Internationalen Währungsfonds (IWF). Die Beamten sollten Maßnahmen durchsetzen, die unter Garantie das griechische Volkseinkommen reduzieren und den größten Teil der Schuldenlast den schwächsten Griechen aufbürden würden. Ein cleverer Achtjähriger hätte begriffen, dass das nicht gut ausgehen konnte.

Jemandem, der bankrott ist, neue Kredite aufzuzwingen unter der Bedingung, dass er sein Einkommen reduziert, ist eine grausame und ungewöhnliche Bestrafung. Griechenland wurde niemals gerettet. Mit ihren »Rettungs«-krediten und der Troika ihrer Schergen, die voller Begeisterung Einkommen vernichteten, verwandelten die EU und der IWF Griechenland de facto in die moderne Version eines Schuldgefängnisses aus einem Roman von Charles Dickens, und dann warfen sie den Schlüssel weg.

Schuldgefängnisse wurden abgeschafft, weil sie trotz ihrer Grausamkeit die Menschen nicht davon abhielten, neue, nicht tragfähige Schulden anzuhäufen, noch den Gläubigern halfen, ihr Geld zurückzubekommen. Damit der Kapitalismus Ende des 19. Jahrhunderts richtig durchstarten konnte, musste man die absurde Vorstellung aufgeben, dass alle Schulden heilig sind, und sie durch das Konzept der begrenzten Haftung ersetzen. Warum sollten Kreditgeber verantwortungsvoll Kredite vergeben, wenn alle Schulden garantiert sind? Und warum sollten manche Schulden höher verzinst werden als andere, was das höhere Ausfallrisiko widerspiegelt? Bankrott und die Abschreibung von Schulden wurden für den Kapitalismus das, was in der christlichen Lehre seit jeher die Hölle ist: unangenehm, aber notwendig. Doch seltsamerweise flüchtete man sich im 21. Jahrhundert beim Umgang mit der Insolvenz des griechischen Staats wieder in die Verleugnung des Bankrotts. Warum? Erkannten die EU und der IWF nicht, was sie da taten?

Im Gegenteil, sie wussten genau, was sie taten. Obwohl sie in ihrer peniblen Propaganda immer behaupteten, sie wollten Griechenland »retten«, dem griechischen Volk eine zweite Chance geben, Griechenlands chronisch korrupten Staat reformieren helfen und so weiter, gaben sich die mächtigsten Institutionen und Staaten keinen Illusionen hin. Sie wussten, dass man eher Blut aus einem Stein pressen kann, als ein bankrottes Gebilde dazu bringen, dass es seine Kredite zurückzahlt, indem man ihm noch mehr Geld leiht, besonders wenn man als Teil des Handels auch noch sein Einkommen reduziert. Sie sahen, dass die Troika daran scheitern würde, das Geld der Steuerzahler, mit dem man Griechenlands Staatsschulden refinanziert hatte, wieder hereinzuholen, selbst wenn es ihnen gelingen sollte, das Tafelsilber des gestürzten Staates zu konfiszieren. Sie wussten, dass die berühmten »Rettungs«- oder »Bailout«-Pakete nichts anderes waren als Fahrscheine für die einfache Fahrt ins Schuldgefängnis, ohne Rückfahrt.

Woher weiß ich, dass sie es wussten? Weil sie es mir gesagt haben.

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