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Von der Operation Befreiungsschlag zur Bankrottokratie

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Sobald die Rettungskredite in das griechische Finanzministerium hereinschwappten, begann die »Operation Befreiungsschlag«: Das Geld wurde umgehend an die französischen und deutschen Banken zurückgeleitet. Im Oktober 2011 war das Risiko deutscher Banken durch griechische Staatsschulden schon um ordentliche 27,8 Milliarden Euro geringer geworden und betrug nur noch 91,4 Milliarden. Fünf Monate später, im März 2012, lag es bei unter 795 Millionen Euro. Die französischen Banken wurden ihre Risiken noch schneller los: Im September hatten sie sich von griechischen Staatsanleihen im Wert von 63,6 Milliarden Euro befreit, und im Dezember 2012 standen gar keine mehr in ihren Büchern. Die Operation Befreiungsschlag war somit in weniger als zwei Jahren abgeschlossen. Nichts anderes sollte mit der Griechenlandrettung erreicht werden.

Waren Christine Lagarde, Nicolas Sarkozy und Angela Merkel tatsächlich so naiv zu glauben, dass der bankrotte griechische Staat dieses Geld mit Zinsen zurückzahlen würde? Natürlich nicht. Sie sahen die Sache genau als das an, was sie war: ein zynischer Transfer von Verlusten aus den Büchern der französisch-deutschen Banken auf die Schultern der schwächsten Steuerzahler Europas. Und genau das ist der Punkt: Die europäischen Gläubiger, mit denen ich verhandelt habe, legten keinen besonderen Wert darauf, ihr Geld zurückzubekommen, weil es gar nicht ihr Geld war.6

Margaret Thatcher sagte gern, Sozialisten würden unweigerlich ein finanzielles Chaos anrichten, weil ihnen irgendwann das Geld anderer Leute ausgehe.7 Was hätte die Eiserne Lady gedacht, wenn sie gewusst hätte, dass ihr Bonmot so gut auf ihre selbst ernannten Schüler zutreffen würde, die neoliberalen Apparatschiks, die Griechenlands Bankrott managten? Lief deren Griechenlandrettung auf etwas anderes hinaus als darauf, die Verluste der französischen und deutschen Banken zu sozialisieren, sie mit dem Geld anderer Leute zu bezahlen?

In meinem Buch Der globale Minotaurus, das ich 2010 schrieb, während Griechenland implodierte, habe ich argumentiert, dass die kapitalistische Ideologie vom freien Markt 2008 kollabierte, siebzehn Jahre nach dem Ende des Kommunismus. Bis 2008 stellten die begeisterten Anhänger des freien Markts den Kapitalismus als darwinistischen Dschungel dar, der unter heldenhaften Unternehmern die erfolgreichsten auswählte. Aber nach dem finanziellen Kollaps von 2008 stand der darwinistische Ausleseprozess auf einmal kopf: Je insolventer eine Bank war, besonders in Europa, desto besser waren ihre Aussichten, sich große Teile vom Einkommen anderer Menschen unter den Nagel zu reißen: von den hart Arbeitenden, den Innovativen, von den Armen und natürlich von allen, die keine politische Macht hatten. Für dieses neue System prägte ich die Bezeichnung Bankrottokratie.

Die meisten Europäer denken gerne, die amerikanische Bankrottokratie sei wegen der Macht der Wall Street und der berüchtigten Drehtür zwischen den amerikanischen Banken und der amerikanischen Regierung schlimmer als ihr europäisches Pendant. Wie unrecht sie doch haben. Die europäischen Banken wurden in den Jahren vor 2008 so grauenhaft schlecht geführt, dass die hirnlosen Banker der Wall Street dagegen geradezu gut aussehen. Als die Krise zuschlug, standen die französischen, deutschen, niederländischen und britischen Banken mit über 30 Billionen Dollar im Risiko, mehr als das Doppelte des BIP der Vereinigten Staaten, mehr als das Achtfache des BIP von Deutschland und beinahe dreimal so viel wie das Sozialprodukt von Großbritannien, Deutschland, Frankreich und Holland zusammen.8 Ein Bankrott Griechenlands 2010 hätte eine sofortige Bankenrettung durch Deutschland, Frankreich, die Niederlande und Großbritannien erforderlich gemacht, die jedes Kind, jede Frau und jeden Mann in diesen vier EU-Ländern ungefähr 10.000 Dollar gekostet hätte. Im Vergleich: Ein ähnliches Problem an der Wall Street hätte vergleichsweise geringe Kosten von nicht mehr als 258 Dollar pro US-Bürger verursacht. Wenn der Zorn der amerikanischen Öffentlichkeit die Wall Street auch zu Recht traf, die europäischen Banken hätten das 38,8-Fache dieses Zorns verdient gehabt.

Und das ist noch nicht alles. Washington konnte die toxischen Papiere der Wall Street bei der Federal Reserve parken und dort lassen, bis sie entweder wieder Gewinn bringen würden oder schließlich vergessen wären und der Entdeckung durch künftige Archäologen harrten. Einfach ausgedrückt: Die Amerikaner müssten nicht einmal die vergleichsweise harmlosen 258 Dollar pro Kopf aus ihren Steuern bezahlen. Aber in Europa, wo Länder wie Frankreich und Griechenland im Jahr 2000 ihre Zentralbanken abgeschafft hatten und die EZB keine uneinbringlichen Forderungen übernehmen durfte, musste das Geld für die Bankenrettung bei den Staatsbürgern eingetrieben werden. Wenn Sie sich jemals gefragt haben, warum das europäische Establishment so viel mehr Wert auf Austeritätspolitik legte als das amerikanische oder japanische, dann haben Sie hier den Grund. Weil die EZB die Sünden der Banken nicht in ihren Büchern verstecken darf, müssen die Regierungen ihre Staatsbürger zwingen, die Bankenrettung durch Einschnitte bei Sozialleistungen und Steuererhöhungen zu finanzieren.

War die schändliche Behandlung Griechenlands eine Verschwörung? Wenn ja, war es eine Verschwörung ohne bewusste Verschwörer, zumindest am Anfang. Christine Lagarde und die ihr Gleichgesinnten hatten nie vor, Europas Bankrottokratie zu begründen. Aber was für eine Wahl hatten sie, die französische Finanzministerin, ihre europäischen Pendants und der IWF, als alles zur Rettung der französischen Banken zu tun, die dem sicheren Tod ins Auge blickten – selbst wenn das bedeutete, neunzehn europäische Parlamente auf einmal hinsichtlich der Kredite für Griechenland zu belügen? Aber nachdem sie einmal eine so gewaltige Lüge präsentiert hatten, blieb ihnen nichts anderes übrig, als ihre Lüge immer weiter zu vergrößern und sich hinter immer neuen Ausflüchten zu verstecken. Hätten sie die Wahrheit gesagt, wären sie ihre Ämter los gewesen. Bevor sie sich versahen, hatte die Bankrottokratie auch sie erfasst, genau wie sie Europas Outsider erfasst hatte.

Das teilte mir Christine Lagarde mit, als sie mir anvertraute, »sie« hätten zu viel in das gescheiterte Griechenland-Programm investiert, um jetzt davon abzurücken. Sie hätte auch die elegantere Formulierung von Lady Macbeth verwenden können: »Getan wird nie mehr ungetan.«

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