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Prolog

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Sie wusste kaum noch, wie viele Tage sie schon unterwegs gewesen war. Ihr kam es vor wie Wochen. Mit letzter Kraft schleppte sich die hochschwangere junge Frau im Bienental kurz vor der Freien Reichsstadt Mühlhausen unter eine Linde. Nicht mehr lange – bald würde sie zuhause sein.

Mit dem Gefolge ihres Vaters reiste sie diese Route schon oft, nur hatte sie den Weg bequem auf dem Rücken einer braven Stute zurückgelegt.

Heute ging sie zu Fuß, hatte Durst und fror. Die Nächte im April waren immer noch kalt, auch wenn die Tage mit den warmen Sonnenstrahlen bereits den Frühling verkündeten.

Die letzte Mahlzeit hatte sie am gestrigen Abend gegessen. In der Vogtei Dorla hatte eine barmherzige Seele einen Kanten Brot und einen Krug mit Brunnenwasser für sie übrig gehabt. Bestimmt war dieser an ihrer Kleidung aufgefallen, dass sie eine Dame von Stand war, nur, dass sie zu Fuß und ohne Gefolge reiste.

Die meiste Zeit war sie in der Nacht unterwegs gewesen. Sie hielt sich etwas abseits des Pfades und suchte hinter Büschen Schutz, wenn ein Reiter oder ein Wagenzug den Weg passierten. Tagsüber schlief sie von Sträuchern verborgen und nur von einem Mantel umhüllt fernab der Straßen.

Sie war auf dem Weg nach Schlotheim - zum Hof ihrer Eltern. Dort würde sie in Sicherheit sein, und auch das Ungeborene, das sie unter dem Herzen trug.

Die junge Frau strich über den vorgewölbten Leib, in dem sich das Kind in den letzten Stunden kaum bewegt hatte. Noch bevor sie die ersten Bewegungen spüren konnte, entwickelte sie einen unbändigen Hass auf die Leibesfrucht, die sie gegen ihren Willen empfangen hatte. Genau denselben Widerwillen empfand sie für den Vater des Kindes, dem sie hatte zu Diensten sein müssen.

Sie war Hofdame am Hof der Margarethe von Babenberg, der Frau von König Heinrich VII. gewesen.

Von Geburt an war sie beschützt aufgewachsen. Das Mädchen hatte eine Amme und Hauslehrer gehabt, die ihm Latein und Rechnen beibrachten. Ihre Mutter lehrte sie, wie sie einen großen Hof mit Bediensteten zu führen hatte. Ihr wurde eingebläut, dass die Jungfräulichkeit das teuerstes Gut sei. Sie sollte später einmal einen Reichsministerialen heiraten, denn eine andere Verbindung wäre unter ihrem Stand gewesen.

Mit zehn Jahren wurde sie an den Hof nach Frankfurt gerufen, um dort der Königin als eine der Hofdamen zu dienen. Ihr Vater, ein Reichsministerialer, der die Herren von Schlotheim mit den edelsten Pferden seines Gestüts versorgte, war vor Freude außer sich, als die Wahl der Herrscherin auf seine Tochter fiel.

Kurz nach deren sechzehntem Geburtstag war die junge Edelfreie einem der Adligen aus dem Gefolge des Königs aufgefallen, der seinen Dienstherren auf den Frankfurter Hoftag begleitet hatte. Er zwang sie in sein Bett und raubte ihr kostbarstes Gut. Von diesem Tag an holte er sie immer wieder in sein Schlafgemach. Je inständiger sie bettelte, von ihr abzulassen, umso mehr schien er Gefallen an ihrem Elend zu finden. Er schlug sie und verlangte Dinge von der jungen Frau, die nicht einmal eine Hure gegen Bezahlung tat.

Tagsüber flüchtete sie sich in die Kirche und hoffte, dass ein Blitzstrahl sie treffen und ihrem Leiden ein Ende bereiten möge. Aber der Herr gewährte ihr diese Gnade nicht. Jeden Abend holte der Peiniger sie wieder in sein Bett und ließ seine Freunde dabei zusehen, wie er sie mit Gewalt nahm. In einer Nacht musste sie sogar den beiden betrunkenen Gefolgsleuten zu Willen sein.

Ihr unkeusches Geheimnis konnte sie niemandem berichten, denn sie wäre in Unehre aus den Diensten der Königin entlassen worden, auch wenn die junge Frau keine Schuld traf. Sie ließ ihren Eltern Nachrichten zukommen, in denen sie darum bat, wieder nach Hause zurückkehren zu dürfen. Aber ihr Vater bestand darauf, dass sie in der Stellung als Hofdame verblieb.

Als sie bemerkte, dass sie ein Kind in sich trug, wollte sie nicht mehr leben. Sie verweigerte Essen und Trinken – in der Hoffnung, sie würde sterben. Am Ende aller Kräfte brach sie beim Beten in der Kirche zusammen. Man brachte sie in ihre Kammer und versorgte sie mit Speisen und Getränken. Ein Medicus ließ sie zur Ader.

Als die junge Hofdame sich erholt hatte, fing sie an, Pläne für die Flucht zu schmieden. Sie verbarg die Schwangerschaft hinter weiten Roben und wartete den Winter über darauf, ihren Peinigern entkommen zu können.

Nach dem Zusammenbruch in der Kirche hatten sie, um kein erneutes Aufsehen zu erregen, von ihr abgelassen und sich an einigen Mägden vergangen. Kurz vor ihrer Flucht lauerte der Ritter ihr jedoch in einem dunklen Gang der Burg auf und zerrte sie in seine Kammer. Er warf sie auf die Bettstatt und legte die Bruche ab. Mit Schrecken erinnerte sie sich daran, wie er grinsend auf seine aufgerichtete Lanze sah und im gleichen Moment nach ihr griff.

Als er ihre Röcke zurückschlug, um sich erneut an ihr zu vergehen, fiel sein ungläubiger Blick auf den vorgewölbten Leib. So verharrte er einen Augenblick, den die junge Frau nutzte, um dem Ritter zu entkommen. Aber er hatte sich schnell wieder gefangen und packte sie an den langen strohblonden Haaren.

Sie fiel rücklings auf den Boden und spürte einen schneidenden Schmerz im Bauch. Ohne darauf zu achten trat sie um sich und wollte aus der Kammer fliehen, aber der dunkelhaarige Hüne hielt sie weiterhin an ihrem Zopf fest. Der Mann war rot vor Wut und fing an, sie mit seiner Reitgerte zu schlagen. Sie legte schützend die Arme um den Bauch und schrie so laut sie konnte.

Von den Schreien der jungen Frau angelockt, stürzten die beiden Freunde des Ritters in dessen Gemach. Sie erfassten die Situation und hinderten ihren Gefährten daran, sie zu erschlagen. Sie kroch auf allen Vieren aus dem Zimmer und floh in ihre Kammer.

Noch in derselben Nacht stahl sie sich aus der Burg.

Der Schnee war in den letzten Tagen getaut. Sie hatte eilig etwas zu Essen und zu Trinken in ein Bündel gepackt und ihren wärmsten Umhang angezogen. So gerüstet konnte sie durch eine der Seitenpforten aus der Burganlage schleichen.

Wie von Hunden gehetzt flüchtete sie in ein nahe gelegenes Wäldchen. Von diesem Tag an war sie unterwegs in Richtung Schlotheim zum Hof ihrer Eltern. Hier würde sie vor den Fängen der Peiniger in Sicherheit sein. Ihre Mutter könnte sie gewiss vor dem Zorn des Vaters bewahren.

Sie war tage- und nächtelang auf den Beinen gewesen – in ständiger Angst, dass man sie finden und töten würde. Höchstwahrscheinlich hatte ihr Verschwinden einiges Aufsehen erregt, denn sie war eine Tochter aus gutem Hause.

Die junge Adlige war nun am Ende ihrer Kräfte. Sie setzte einen Fuß vor den anderen, ohne darauf zu achten, wohin sie trat. Sie streichelte den massigen Bauch. In den letzten Stunden hatte sie keine Bewegung des Kindes gespürt. Vielleicht war es ja schon tot, genau, wie sie es in Kürze sein mochte. Ihr geschundener Körper fühlte sich bleischwer an. Die Beine drohten, den Dienst zu versagen. Als sie nicht mehr weiter gehen konnte, setzte sie sich unter eine Linde, zog den indigoblauen Umhang fest um sich, betete zu Gott, dass er sie zu sich rufen möge, und schlief sofort ein.

Antoniusfeuer

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