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Kapitel 1 - Antonia

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Langsam und gemächlich arbeitete sich das Fuhrwerk auf der Handelsstraße nach Mühlhausen vorwärts. Es hatte zu nieseln begonnen. Das störte den dunkelblonden, hageren, jungen Mann nicht. Er war tief in Gedanken versunken. Die Zügel hielt er nur locker in den Händen, denn die Pferde kannten den Weg, den sie schon hunderte Male beschritten hatten.

Den Umhang noch fester um sich gezogen hing Georg, der jüngere der beiden Fuhrmänner, seinen Gedanken nach. Auch sein fünf Jahre älterer Schwager, der Mann seiner Schwester Griseldis, der den gleichen Namen trug wie er selbst, war - anders als sonst - völlig ruhig und in sich gekehrt.

Eigentlich hatte dieser Tag ein ganz besonderer werden sollen. Die beiden Fuhrleute befanden sich auf dem Rückweg vom Eisenacher Markt, hatten guten Gewinn für die verkauften Waren erzielt und freuten sich auf das bevorstehende Osterfest im Kreise ihrer Familien.

Der dünne Georg, wie er von allen zur Unterscheidung von seinem Schwager - dem dicken Georg - gerufen wurde, hatte einen besonderen Grund zur Vorfreude. Seine Frau Agnes erwartete in den kommenden Tagen ihr erstes Kind. Hoffentlich würde dieses Mal alles gut gehen. Im vorigen Sommer hatte Agnes, mit der er seit dem letzten Frühjahr verheiratet war, ein Kind verloren. Seitdem hing ein Schatten über der jungen Ehe. Dieses Mal würde bestimmt alles besser werden. Die alte Kräuterfrau, die er und Agnes in ihrer Hütte außerhalb der Stadtmauern in der Georgiivorstadt aufgesucht hatten, versorgte sie mit Kräutern, damit Agnes das Kind diesmal austragen konnte. Wenn er an die Nacht zurückdachte, in der Agnes sich vor Schmerzen gekrümmt und das Baby verloren hatte, wurde er traurig und wütend zugleich. Wäre er die Tage zuvor zuhause und nicht - wie auch heute - wegen der Geschäfte unterwegs gewesen, hätte Agnes sich mehr schonen können und wäre nicht deutlich vor der Zeit niedergekommen. Er hatte sich damals wie heute große Vorwürfe gemacht. Hoffentlich war es ihr gut ergangen, dachte er gequält, denn sie waren wieder vier Tage unterwegs gewesen.

So in seinen Gedanken gefangen, bemerkte er nicht, dass ihn sein Schwager schon mehrfach angesprochen hatte. »Was machen wir nun mit unserer ungewöhnlichen Fracht?«, wollte der dickere der beiden Fuhrmänner vom Bruder seiner Frau wissen. »Vielleicht sollten wir sie ins Antoniushospital schaffen, dort wird sich gewiss jemand ihrer annehmen«, beantwortete er die Frage selbst.

Die beiden Fuhrleute waren kurz, nachdem die Stadttore von Eisenach geöffnet worden waren, mit dem Fuhrwerk nach Hause unterwegs gewesen. Sie hatten die Vogtei Felchta schon durchquert, als sie im Bienental unter einer Linde eine reglose Gestalt entdeckten. Zunächst dachten die beiden, der Landstreicher wäre bereits tot. Sie hielten das Fuhrwerk an, gingen langsam auf den Toten zu, und wollten ihn auf die Ladefläche ihres Karrens legen, damit er in Mühlhausen ein christliches Begräbnis bekäme.

Als der dünne Georg den Umhang des Leichnams ein wenig anhob und darunter in das Gesicht einer jungen Frau blickte, erschrak er so sehr, dass er rückwärts stolperte und auf den Boden fiel. Sie hatte die Augen kurz geöffnet und ihn direkt angesehen, bevor sie erneut in eine tiefe Ohnmacht versunken war.

Der Fuhrmann bekreuzigte sich und trat wieder auf die Frau zu. Sie war jung, vielleicht sechzehn oder siebzehn Jahre alt und bildschön. Ihre Haut war so blass, dass er meinte, jede einzelne Blutader hindurchscheinen zu sehen. Die Augen waren so blau wie das Tuch, aus dem der Umhang gefertigt war. Dieser war mit einem Pelz verbrämt – ein kostbarer Umhang - wie man auf den ersten Blick erkennen konnte. Sie trug die Kleidung einer Edelfreien, das lange strohblonde Haar fiel offen über ihre Schultern, nicht unter einem Schleier oder Gebende verborgen.

»Sie ist wohl nicht verheiratet«, kam der dicke Georg zum selben Schluss wie er. »Aber was machen wir jetzt mit ihr? Sie wird erfrieren, wenn wir sie hier liegen lassen. Vielleicht sucht man sie auch längst.« Hilflos blickten sich die beiden Männer um, doch außer ihrem Fuhrwerk war niemand in der Gegend unterwegs gewesen. »Nehmen wir sie mit, uns wird schon etwas einfallen«, meinte der dicke Georg pragmatisch wie immer.

Er fasste der Fremden unter die Arme und wartete, denn sein Schwager sollte nach den Füßen greifen. Dieser zögerte jedoch, weil er noch nie eine Frau - außer seiner Agnes - an den Beinen berührt hatte. Verlegen und mit hochrotem Gesicht griff er nach den Fesseln der jungen Dame, und gemeinsam legten sie den Körper auf den Fuhrwagen. Dabei verrutschte der Umhang und das kunstfertig gearbeitete Obergewand und gaben den Blick auf den gewölbten Leib einer Hochschwangeren frei. Jetzt war es der Ältere der beiden Fuhrmänner, der sich bekreuzigte und ein leises Gebet an Maria Magdalena, die Schutzpatronin der Sünderinnen, sprach.

Der dünne Georg kletterte auf den Kutschbock und schnalzte mit der Zunge, um die beiden Braunen anzutreiben. Sein Schwager setzte sich wortlos neben ihn und hing eigenen Gedanken nach. Kurz bevor sie das Stadttor am Blobach erreichten, meinte der dünne Georg, dass es wohl richtig sei, die junge Edelfreie im Antoniushospital behandeln zu lassen, vor allem, weil ihre reichen Angehörigen am ehesten dort nach ihr suchen würden.

»Wie gut, dass Bruder Jordan sich so ausgezeichnet mit Kräutern auskennt. Er wird bestimmt wissen, was zu tun ist.«

Bruder Jordan war im Gefolge des Landgrafen Ludwig von Thüringen vor weniger als zehn Jahren als Pilger über die Alpen nach Jerusalem zur Kreuzfahrt aufgebrochen. Auf dem Kreuzzug war der Landesherr einer schrecklichen Seuche erlegen. Unterwegs musste Bruder Jordan viel Schlimmes erlebt haben, denn der einst so fröhliche kleine Mönch kam vier Jahre später ausgemergelt und um Jahrzehnte gealtert nach Mühlhausen zurück, um hier am Aufbau des Antoniushopitals mitzuhelfen. Er hatte unterwegs Ordensbrüder getroffen, die das süditalienische Ordenshospital der Deutschritter in Barletta vor über dreißig Jahren gegründet hatten und brachte viele Ideen mit nach Mühlhausen. Seitdem waren fünf Jahre vergangen und das Antoniushospital, ein Hospital, das anno 1207 von den Bürgern der Stadt gebaut worden war, war nun sein Zuhause. Er war verantwortlich für den Kräutergarten des Spitals und würde der jungen Frau sicher helfen können.

Das Fuhrwerk durchquerte erst kurz vor der Abendmesse das Stadttor und bog, nachdem die Fuhrleute rasch mit einer der Stadtwachen gesprochen hatten, nach links in Richtung des Hospitals ein.

Die beiden Männer waren länger unterwegs gewesen, als sie eigentlich geplant hatten. Der dünne Georg sprang vom Kutschbock und lief bereits in Richtung des Kräutergartens, in dem er Bruder Jordan um diese Zeit vermutete. Er fand den kleinen Mönch wie erwartet bei der Arbeit, die Finger grün von den zerdrückten Kräutern. »Bruder Jordan, wir benötigen Eure Hilfe«, unterbrach der Fuhrmann den Mönch.

Dieser blickte von seinen Beeten auf und lächelte Georg verschmitzt an.

»Es macht mich durchaus neugierig, wenn du nach der Reise, statt zuerst zu deiner jungen Frau zu laufen, bei mir auftauchst.«

Mit wenigen Sätzen erklärte der Fuhrmann die Situation. Nachdem Bruder Jordan sich die Hände im Brunnen auf dem Hof gewaschen hatte, warf er einen Blick auf die seltsame Fracht.

»Das arme Kind, was mag ihm wohl widerfahren sein, dass es allein und gesegneten Leibes fernab der Heimat dem Tode näher ist als dem Leben?« Seufzend rief der Mönch nach zwei Halbkreuzlern, die gerade dabei waren, den Hof von Unrat zu befreien.

»Schafft die Frau in eine der Kammern und sorgt dafür, dass es ihr an nichts fehlt. Danach schickt nach der alten Josepha von St. Georgii, damit sie nach der Schwangeren sehen kann.«

Noch während Jordan die letzten Worte ausgesprochen hatte, stellte er sich innerlich auf einen ausführlichen Disput mit seinen Ordensbrüdern ein. Sie duldeten diesen heidnischen Zauber der Alten nicht, aber Jordan hatte schon bei ihrer ersten Begegnung am Bett eines Sterbenden erkannt, dass die Frau eine Heilkundige war. Außerdem war sie eine Wehmutter und die Edelfreie war eindeutig gesegneten Leibes. Er verabschiedete sich von den beiden Georgs, die sichtlich erleichtert schienen, ihre ungewöhnliche Fracht in den Händen der Mönche in guter Obhut zu wissen.

Nach dem Gottesdienst am Abend in der St. Blasienkirche war Jordan bereits auf dem Weg zur Kammer der jungen Frau, als er vom Tor des Hospitals her einen heftigen Wortwechsel einer alten Frau mit zwei der Sariantbrüder, die leicht bewaffnet das Hoftor des Hospitals bewachten, mitbekam. Mit flinken Füßen machte sich der Mönch auf den Weg zum Tor, um Josepha, die sich schon wütend abgewandt hatte, hereinzubitten. Mit wenigen Worten zur Erklärung begleitete er die Wehmutter zu der Schwangeren und fragte, ob sie noch irgendetwas bräuchte.

»Heißes Wasser und Leinentücher und etwas von Eurem Frauenkraut«, fügte sie grinsend hinzu. Dann machte sie sich an die Arbeit.

Zunächst betrachtete sie die Fremde und kam zu dem gleichen Schluss wie die Fuhrleute und auch Bruder Jordan.

Sie trug die Kleidung einer Edelfreien, die zartgliedrigen Hände wiesen keine Schwielen auf. Wahrscheinlich hatte die Frau noch nie in ihrem jungen Leben schwer arbeiten müssen.

Sie zog der Schwangeren die Lederschuhe und Beinlinge aus. Dabei erschrak sie. Überall an den Beinen konnte man Spuren von Züchtigung erkennen, Flecke in allen Farben und Striemen mit Doppelkonturen, wie sie Stockschläge hinterließen. Das arme Ding, dachte Josepha und fragte sich abermals, was die junge Frau wohl in den letzten Wochen ertragen haben musste. Nachdem ein Halbkreuzler die gewünschten Gegenstände gebracht hatte, und Josepha der Dame noch das wunderschöne moosgrüne Bliaut ausgezogen hatte, machte sie sich daran, die Edelfreie mit dem heißen Wasser zu waschen. Danach rieb sie den geschundenen Körper mit einem Öl aus Frauenkraut ein, damit die Wunden besser heilen konnten. Sie flößte ihr verdünnten Wein ein und betete zu Maria Magdalena, damit sie der jungen Frau in ihrer schweren Stunde Beistand leistete.

Bruder Jordan trat nach kurzem Anklopfen in das Krankenzimmer und blickte fragend auf die betende Josepha. Als diese ihr Gebet beendet hatte, erzählte sie dem Mönch von ihren Vermutungen.

»Sie war wohl schwer gezüchtigt worden, der ganze Körper geschunden. Ich habe Johanniskrautöl auf die Wunden gerieben und ihr etwas zu Trinken gegeben. Zwischendurch hat sie gestöhnt und ich musste ihr mehrfach die Schweißperlen von der Stirn wischen. Ich habe sie untersucht. Die Geburt wird nicht mehr lange auf sich warten lassen. Ich lasse Euch rufen, wenn es Neuigkeiten gibt.«

Josepha wand sich wieder der Kranken zu, und Bruder Jordan grübelte einmal mehr über das Geheimnis nach, dass die junge Frau umgab. Er verließ die Kammer und machte sich auf den Weg zu Bruder Anselm, um sich mit ihm zum Schicksal der Schwangeren zu beraten.

In der Zwischenzeit waren auch die beiden Fuhrmänner zuhause eingekehrt. Zunächst hatte der dünne Georg mit seinem Schwager den Karren abgespannt, die Pferde trockengerieben und gefüttert. Griseldis hatte die Männer schon das Fuhrwerk die Holzgasse herunter treiben sehen und erwartete ihren Gatten und ihren Bruder bereits mit einem Becher Dünnbier und einem frischen Laib Brot. Der dicke Georg begrüßte seine Frau, er fasste sie um die Taille und zog sie für einen Kuss an sich. Ihre Augen leuchteten, und ein strahlendes Lächeln zog sich über das Gesicht. Dies war auch ihrem Bruder nicht entgangen.

Er freute sich für das Glück seiner Schwester. Auch wenn die Ehe bisher nicht mit einem Kind gesegnet war, sah man den beiden doch an, wie sehr sie sich liebten. Seine Gedanken schweiften wieder zu Agnes ab und er überlegte schon, wie er sich schnell von seinem Schwager und seiner Schwester verabschieden konnte, ohne unhöflich zu wirken. Griseldis ahnte bereits, was in ihrem Bruder vorging. »Nun trink schon aus und mach, dass Du nach nebenan kommst. Da wirst du sicher sehnsüchtig erwartet«, sprach sie lächelnd und sah abwechselnd zu ihrem grinsenden Mann und ihrem aufgeregten Bruder.

»Geht es Agnes gut?«

»Ich denke schon, obwohl sie mir heute Morgen auf dem Markt etwas blass erschien«, meinte die rotblonde, sommersprossige Frau. Sich schnell verabschiedend machte sich Georg auf den Weg zu seinem Haus, welches nur durch den gemeinsam genutzten Stall vom Heim seines Schwagers getrennt war.

Agnes erwartete ihn bereits, denn auch sie hatte die beiden Fuhrleute ankommen sehen. Sie wusste aber auch, dass ihr Mann der Höflichkeit halber zunächst bei seiner älteren Schwester einen Willkommenstrunk nehmen würde. Als Georg müde und erschöpft die Wohnkammer betrat, fand er seine Frau auf einem Schemel in der Nähe des Herdfeuers beim Nähen eines Kinderhemdchens vor. Er wartete einige Sekunden, denn er wollte sich diesen Anblick tief in das Gedächtnis einbrennen. Sie sah so hinreißend aus mit ihren schwarzen Haaren und den von der Herdwärme geröteten Wangen.

Einen Augenblick später ging er mit schnellen Schritten durch den Raum, kniete sich vor ihr nieder und nahm ihre Hände in die seinen.

»Wie ist es dir ergangen in den vier langen Tagen meiner Abwesenheit?«

»Gut, mein Lieber, aber ich habe die letzten Nächte kaum geschlafen. Das Baby hat mich viel getreten und das Nachtgeschirr musste ich auch häufiger benutzen. Seit letzter Nacht habe ich schlimme Schmerzen im Kreuz, die einfach nicht aufhören wollen.«

Agnes wollte aufstehen, um ihrem Mann das Abendessen aufzutragen, aber Georg hielt sie auf und fragte besorgt, ob er nach der Wehmutter rufen solle.

»Ich denke, wir können noch eine Weile warten, aber wenn es dich beruhigt, kannst Du nach dem Abendessen nach ihr schicken lassen.«

Nachdem Georg eilig etwas von dem Getreidebrei gegessen hatte, den Agnes vor seiner Rückkehr zubereitet hatte, ging er vor die Tür und pfiff nach Michi, einem fünfjährigen Nachbarsjungen, der sich den lieben langen Tag in der Holzgasse herumtrieb. Er war der älteste Sohn des Tuchmachers Michael und nach seinem Vater benannt, wurde aber von jedermann nur liebevoll Michi gerufen.

Wie erwartet kam der Junge die Gasse herauf gerannt und hüpfte dabei geschickt über die Pfützen, die der letzte Regenschauer hinterlassen hatte. Georg erklärte ihm, dass er die alte Josepha bei den Ordensbrüdern im Antoniushospital finden würde und sie bitten möge, nach Agnes zu schauen. Nachdem Michi auf dem Weg war, um seinen Auftrag zu erfüllen, machte sich der junge Fuhrmann auf den Weg zu seiner Schwester Griseldis, um auch um Hilfe zu bitten.

Als es bereits dunkel war, kam Josepha mit ihrem Kräuterkörbchen, um nach Agnes zu sehen. Diese hatte sich schon ein Nachtgewand angezogen, das Ehebett mit alten Laken versehen und lag nun stöhnend und schwitzend darauf. Griseldis war bereits dabei, Wasser auf dem Herdfeuer zu erhitzen und Georg lief unruhig auf und ab. Er war erleichtert, als er Josepha zu Agnes in die Schlafkammer führte, gab seiner Frau einen letzten Kuss und ging zurück in die Wohnkammer, in der sein Schwager bereits auf ihn wartete. Beide hatten einen Becher Dünnbier vor sich stehen, aber keinem von ihnen war nach Trinken zumute.

Das Stöhnen der Kreißenden vermischte sich immer mehr mit ihren Schmerzensschreien. Der dünne Georg stand auf und kniete sich vor das Kreuz, das an der Wand der Wohnkammer hing. Er betete und weinte gleichzeitig, aus Angst, er könne seine Frau oder das Kind verlieren.

Nach einem letzten durchdringenden Schrei wurde es plötzlich ruhig nebenan. Kurz darauf trat Griseldis mit einem in Leinen gewickelten Bündel aus der Schlafkammer.

»Herzlichen Glückwunsch, du hast einen strammen Sohn. Agnes geht es gut. Die Alte kümmert sich noch um sie.« Lächelnd reichte sie ihrem Bruder das Neugeborene und beobachtete das Minenspiel in dessen Gesicht.

So sehr sie sich auch mit ihm freute, umso trauriger wurde sie tief im Inneren. Sie war nun schon seit sieben Jahren mit ihrem Mann verheiratet und war in dieser Zeit nicht einmal schwanger geworden. Vielleicht sollte sie ebenso die Kräuterfrau fragen, ob sie nicht ein Mittel kannte, sich und ihrem Mann den sehnlichsten Wunsch zu erfüllen.

Die trüben Gedanken verscheuchend schickte sie ihren Mann zum Pfarrer der Altstadtkirche. Der Geistliche sollte die Taufe vornehmen, denn zu viele Neugeborene überlebten die ersten Tage oder Wochen nach der Geburt nicht.

»Um einen Gefallen bitte ich dich aber, nennt ihn nicht Georg, davon gibt es schon mehr als genug in dieser Familie.«

Damit lächelte sie wieder, drehte sich um und ging zurück in die Schlafkammer. Dort erwartete sie bereits die erschöpfte Agnes.

»Ist alles in Ordnung mit dem Kleinen?«, fragte sie ängstlich.

Bevor Griseldis ihre Frage beantworten konnte, öffnete sich die Tür erneut, und Georg betrat zögerlich mit dem Bündel auf dem Arm die Kammer. Er reichte seiner Frau das Neugeborene.

»Du musst ihn gleich stillen, das bringt den Milchfluss in Gang«, meinte Josepha.

Nachdem die Wehmutter sich überzeugt hatte, dass alles in Ordnung war, verabschiedete sie sich von den frischgebackenen Eltern und machte sich auf den Weg zurück zu ihrer mysteriösen Adligen ins Antoniushospital. Kurz darauf betrat Bruder Anselm das Haus der Fuhrleute, um den neugeborenen Knaben auf den Namen Konrad zu taufen.

Josepha rieb abermals die Wunden der jungen Frau mit Frauenkrautöl ein. In ihrer Abwesenheit hatte Bruder Jordan über die Edelfreie gewacht. Auf die Frage, ob sie in der Zwischenzeit erwacht sei, schüttelte der Mönch bedauernd den Kopf.

Als der Ordensbruder die Kammer verlassen hatte, wischte Josepha ein letztes Mal in dieser Nacht den Schweiß von der Stirn der jungen Frau, legte sich auf einen mit Stroh gefüllten Sack neben die Schlafstatt der Schwangeren und fiel in einen traumlosen Schlaf.

Als sie am folgenden Morgen erwachte, blickte sie in die offenen Augen der Edelfreien und schickte ein kurzes Stoßgebet zum Heiligen Michael, dem Schutzpatron der Kranken. Sie trat zu der jungen Frau und fragte sie nach dem Namen, aber diese starrte einfach durch sie hindurch, als wäre die Alte gar nicht da. Die strohblonden Haare waren nass und klebten an ihrem Körper. Auch das seidene Untergewand war durchnässt. Sie glühte vor Fieber und warf sich unruhig hin und her. Rasch rief Josepha nach einem Halbkreuzler, der ihr frisches kaltes Wasser holen sollte, und schickte nach Bruder Jordan.

Der Mönch hatte gerade die Matutin beendet. Neugierig betrat er die Kammer der Kranken.

»Sie glüht vor Fieber, wir müssen sie ausziehen und den Körper in nasse, kalte Decken wickeln«, wurde er durch Josepha begrüßt.

Vorsichtig und ohne Hast entkleideten die beiden die junge Frau und bedeckten deren Körper mit den nasskalten Tüchern. Dies taten sie wieder und wieder, bis das ganze Bett, der Boden und ihre Gewänder tropfnass waren.

Als gegen Abend das Fieber sank, waren die alte Frau und der Mönch der Erschöpfung nahe.

»Sie schläft und das Feuer ist heraus aus ihrem Körper. Wir sollten uns mit etwas Brot und Wasser stärken und dann auch ein wenig ruhen«, meinte Bruder Jordan und ließ einen der Halbkreuzler das Essen bringen.

Gemeinsam aßen sie die Schnitten und erfrischten sich an dem eiskalten Brunnenwasser. Danach machte sich der Mönch auf den Weg zur Karmette, die in der abgedunkelten Blasienkirche, der Kirche des Deutschen Ordens in der Altstadt, gefeiert werden würde. Josepha blieb bei der jungen Frau, wechselte noch ein letztes Mal die Tücher und schlief ein, kaum dass sie auf ihrem Strohlager lag.

Am nächsten Morgen wurde sie durch einen durchdringenden Schrei geweckt. Die Adlige saß im Bett, hielt sich den Leib und krümmte sich vor Schmerzen. Beruhigend redete Josepha auf sie ein und untersuchte sie, nachdem sie ihre Hände gewaschen und mit Gänseschmalz eingerieben hatte. In der Nacht war das Fruchtwasser abgegangen und das Köpfchen des Kindes stand tief im Schoß der jungen Frau. Nun gibt’s kein Zurück, dachte sich die Wehmutter und fühlte nach dem Herzschlag der Schwangeren. Kaum zu tasten, aber regelmäßig, das beruhigte die Alte zunächst. Sie sprach noch ein kurzes Gebet zu Margareta, der Schutzpatronin der Gebärenden, und machte sich an die Arbeit.

In den folgenden Stunden legte sie feuchte Tücher auf die Stirn der Kreißenden, massierte den Rücken und redete beruhigend auf sie ein. Aber noch immer hatte die junge Frau kein Wort gesprochen und ihr Blick ging ins Leere.

Nach Mitternacht bat Josepha einen der Diener darum, Bruder Jordan in der Matutin davon zu berichten, dass die Geburt nun unmittelbar bevorstand und er sich für eine Nottaufe bereit machen sollte.

Der Bedienstete kam mit dem Mönch zurück und half Josepha dabei, die Frau aufzurichten.

»Das Kind will kommen, aber sie hilft nicht mit«, flüsterte die Wehmutter, nachdem der Diener gegangen war. »Setz dich hinter sie und drück mit aller Kraft den Bauch nach unten, wenn ich es dir sage«, bat sie den Mönch, und dieser tat, was ihm aufgetragen wurde.

Es schien beiden wie eine Ewigkeit zu dauern, bis am Morgen des Ostersonntags im Jahre des Herrn 1235 endlich das Kind geboren war - ein Mädchen. Bruder Jordan nahm das kleine Wesen, wickelte es in ein Tuch und setzte sich mit ihm auf den Strohsack in der Ecke der Kammer.

Die Wehmutter war damit beschäftigt, die Nachgeburt zu entbinden und die junge Mutter, die abermals ohnmächtig geworden war, zu waschen. Der Ordenspriester streichelte dem kleinen Mädchen über den schwarzen Flaum auf dem Kopf und war entzückt von den winzigen Fingerchen. Als er auch darüber strich, griff das Neugeborene nach seinem Zeigefinger und begann, daran zu saugen. Ein Lächeln stahl sich auf das Gesicht des Mannes, und das erste Mal seit fünf Jahren spürte er so etwas wie inneren Frieden.

Durch die hektische Betriebsamkeit am Bett der jungen Mutter wurde der Mönch wieder in die Wirklichkeit zurückgeholt.

»Sie verblutet«, war alles, was Josepha ihm noch zurief, als sie die Tür der Kammer aufriss und einen Bediensteten herbeirief. »Schnell, kaltes Wasser, schnell ...«

Sie rieb den Unterleib der Frau mit Johanniskrautöl ein, massierte ihn und konzentrierte all ihre Gedanken darauf, durch die Massagen den Bauch der jungen Mutter dazu zu bringen, sich zusammenzuziehen, damit es aufhörte zu bluten.

Nach einer gefühlt endlosen Zeit, in der es unaufhaltsam weitergeblutet hatte, griff Bruder Jordan nach den runzligen alten Händen der Wehmutter.

»Sie ist von uns gegangen. Du hast alles getan, aber unserem Herrn hat es gefallen, sie zu sich zu rufen. Nun hat ihr Leiden ein Ende.«

Erschöpft und unendlich müde ließ sich Josepha zu dem Strohsack führen, setzte sich darauf und warf das erste Mal seit der Geburt einen Blick auf das Neugeborene.

»Und was machen wir jetzt mit dem Säugling? Wir wissen nicht, wer die Mutter war, wo sie herkam, ob jemand nach ihr gesucht hatte, und das Hospital ist nun wirklich nicht der richtige Platz für ein Waisenkind.«

Bruder Jordan nickte bedächtig mit dem Kopf. Mit seinem Sinn für das Praktische griff er nach seinem Kreuz, nach einem Fläschchen mit Weihwasser und taufte das kleine Wesen auf den Namen Antonia – nach dem Hospital, in dem es geboren worden war.

Antoniusfeuer

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