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»Warum bauen wir heute keine Kathedralen mehr?«

BILL BRYSON

BILL BRYSON, geboren 1951, ist Brite und einer der erfolgreichsten Sachbuchautoren der Welt. Seine Wissenschaftshistorie Eine kurze Geschichte von fast allem war auch in Deutschland ein Bestseller. Zuletzt erschien Mein Amerika. Von 2005 bis Ende 2011 war Bryson Kanzler der Universität von Durham und damit Nachfolger von Peter Ustinov. Im Sommer 2011 erschien Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge.

Wir sind unglaublich reich. Wir haben mehr Geld, als wir ausgeben können. Aber nutzen wir diesen Wohlstand dafür, unsere Lebensqualität zu steigern? Wir scheinen getrieben von dem Drang, mehr und mehr Dinge anzuhäufen, anstatt uns auf jene Dinge zu konzentrieren, die unseren Bedürfnissen entsprechen, und uns an ihnen zu erfreuen.

Die Dinge, von denen ich träume, müssen nicht von makelloser Schönheit sein. Es genügt, wenn sie interessant sind, einnehmend, fesselnd, oder wenn sie eine Verbesserung für ihre Umgebung bedeuten. Die Welt, das Universum überhaupt, ist ein ziemlich toller Ort. Und ich stoße immer wieder auf Dinge, die mich staunen lassen. Ich bin zum Beispiel fasziniert davon, wie ein Baum am richtigen Platz oder eine Bank oder eine Telefonzelle einen Ort aufwerten kann.

Mir scheint, die Briten hatten dafür schon immer einen besonderen Instinkt. Die Kathedrale von Durham zum Beispiel ist eines der schönsten Gebäude, die ich kenne. Ich habe viel Zeit meines Lebens in Durham verbracht, weil ich Kanzler der dortigen Universität bin. Die Kathedrale ist neunhundert Jahre alt. Wenn ich sie betrete, denke ich: Vor neunhundert Jahren schon waren Menschen fähig, ein Gebäude wie dieses zu erschaffen. Warum können wir das heute nicht mehr? Warum sieht alles, was wir heute bauen, so billig und meist auch hässlich aus? Warum können die Dinge, die wir der Welt hinzufügen, diese nicht eher bereichern, statt sie ärmer zu machen?

Natürlich gibt es moderne Gebäude, die sehr gelungen wirken. Besonders in London sind in den letzten Jahren einige davon erbaut worden. Auch Manhattan ist ein klassisches Beispiel für eine moderne und doch erfreulich anzuschauende Stadt. Aber wenn man sich Manhattan vorstellt, wie es vor fünfzig, sechzig Jahren war, dann war es ungleich schöner. Die Gebäude hatten eine Gestalt und waren nicht einfach nur rechteckig.

Unsere Zeit entwickelt sich immer mehr dahin, dass alles, was uns interessiert, sich um Nutzwert, Geschwindigkeit und Bequemlichkeit dreht. Ich glaube, das beraubt uns einiger Qualitäten. Ich meine damit nicht nur die Architektur.

Deutsche Autobahnen zum Beispiel sind natürlich äußerst effizient. Aber könnten sie nicht auch ein wenig das Auge und den Geist erfreuen? Könnten sie nicht harmonischer in die Landschaft eingefügt sein? Als man begann, Straßen dieser Art zu bauen, nannte man sie in Großbritannien noch »Parkways«. Und so waren sie auch: wie lang gezogene Parks.

Die Kathedrale von Durham wurde aus Glauben gebaut, aber das spielt für mich persönlich keine Rolle. Wenn ich sie betrete, sind es nicht neunhundert Jahre Glauben, die mich berühren. Sondern es sind neunhundert Jahre Stein. Neunhundert Jahre Beständigkeit und Schönheit. Für mich ist die Größe dieses Gebäudes eine rein architektonische und keine spirituelle.

Das Amerika, in dem ich in den fünfziger Jahren aufwuchs, war ein ansehnlicherer Ort als es heute der Fall ist. Samstags ging man »in die Stadt« und das ganze Leben spielte sich dort im Zentrum ab. Heute ist fast das gesamte Leben aus den Zentren amerikanischer Städte verschwunden. In meiner Heimatstadt Des Moines in lowa gibt es heute mehr Kinoleinwände als jemals zuvor. Aber die Qualität des Erlebens lässt sich nicht vergleichen. Als Kind ging ich in wunderbare Filmpaläste. Wenn man heute in Des Moines ins Kino will, muss man raus zu einer Shopping Mall fahren, und die Leinwand hat etwa die Größe eines Bilderrahmens.

Ich glaube, viele von uns würden gern sehen, dass unser Planet schöner wäre. Es ist mein Traum, einfach morgens aus dem Haus zu treten, egal wo man lebt, und dort eine gefällige, liebenswürdige Umgebung vorzufinden. Es gibt Plätze auf der Welt, wo man das haben kann. In Sydney zum Beispiel eher als in Shanghai. Aber warum muss man in ein Flugzeug steigen und um die halbe Weil fliegen, um an einen angenehmen Ort zu kommen? Wie wäre es, wenn man stattdessen einfach nur vor die Tür gehen müsste?

28. FEBRUAR 2008 FOTO VON DOMINIK GIGLER

AUFGEZEICHNET VON RALPH GEISENHANSLÜKE

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