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»Heavy-Metal-Star statt Fußballer? Einen großen Vorteil hätte das: Ich hätte nie mehr Auswärtsspiele. Du spielst immer für vierzigtausend Zuschauer, nie gegen vierzigtausend.«

MARKUS BABBEL

Meine Karriere als Musiker begann, als ich in jungen Jahren einmal die Flöte meiner Schwester in die Hand nahm. Und damit endete die Karriere auch. Die Töne, die da rauskamen, machten mir klar, wie viel musikalisches Talent ich habe: gar keines. Aber je weniger man etwas kann, desto mehr träumt man davon. So unmusikalisch ich bin, so sehr liebe ich Musik. Heavy Metal ist mein Ding. Metallica, AC/DC, die harten Sachen; ich habe sie alle im Konzert gesehen. Und wenn dann die E-Gitarre aufheult, der Sänger mit seiner rauen, tiefen Stimme loslegt, wenn der Beat des Schlagzeugs schneller und lauter wird und mich mit in eine andere Welt reißt, dann kommt unweigerlich der Gedanke: Das wäre was – du ein Musikstar.

Ich sehe die Rocker neben mir im Publikum, ihre dicken Bierbäuche, ihre Kutten, wie wir Metaller sagen: die mit Nieten bestickten Lederjacken. Ich sehe die harten Jungs unten im Parkett, direkt vor der Bühne, wie sie headbangen, wie sie ihre langen Haare wild durch die Luft fliegen lassen. Ich selbst greife zur Luftgitarre, weil die Hände irgendwohin müssen, so sehr steckt die Musik mich an. In solchen Momenten träume ich, ich hätte eine echte Gitarre in der Hand, ich wäre es, der da oben auf der Bühne der Manchester Arena oder der Münchner Olympiahalle steht. Es spielt: Metallica, die beste Heavy-Metal-Band der Welt. Am Schlagzeug: Lars Ulrich. Leadguitar: Kirk Hammett. Gesang und E-Gitarre: Markus Babbel. Ich brülle: »Manchester, how are you tonight?« Achttausend Leute antworten, und ihr Geschrei kann nur eins bedeuten: Sie sind bereit. Dann die ersten Gitarrentöne, jeder im Publikum erkennt das Lied: I can’t remember anything / Can’t tell if this is true or dream / Deep down inside I feel to scream; es ist »One«, Metallicas großer Hit. Was muss das für ein Gefühl sein, wenn du die Menge zum Toben bringst?

Wann immer mich Leute auf einem Konzert sehen, sind sie überrascht. Fußballprofis erwartet man doch eher auf einer Popveranstaltung, bei Robbie Williams oder so. Und ich sehe ja auch nicht gerade wie der klassische Metaller aus: keine langen Haare, keine Tätowierungen, kein Leder. Was die Leute aber vor allem verblüfft, ist, dass einer, der selber Star ist und angehimmelt wird, gleichzeitig auch Fan ist. Ich halte das für normal. Jeder hat seine Idole. Nur weil ich Fußballprofi bin, also den Traum von so vielen Menschen lebe, höre ich doch nicht auf, selbst zu träumen. Einmal habe ich Fernando von Arb getroffen, den Sänger von Krokus, wir haben zufällig den gleichen Anwalt. Ich habe Krokus schließlich sogar ein klein wenig bei der Promotion ihrer neuen Scheibe geholfen, und als dann auf ihrer Platte Almost 13 die Widmung stand: »Thanks to Markus Babbel«, da war ich so stolz wie ein Fußballfan, der ein Originaltrikot von Michael Owen ergattert.

Was meinst du? Dass ich als Rockstar ein leichteres Leben hätte als ein Fußballprofi? Party statt Training, meinst du, was?! Nun, wenn ich die Geschichten der Metaller von früher höre, da schien ja zu gelten: Je mehr Drogen die nahmen, desto besser. Aber ob das nicht hauptsächlich Mythen sind? So eine Tournee ist ein riesiger Akt, jeden Abend zweieinhalb Stunden volle Pulle, über Monate; ich kann mir nicht vorstellen, dass die dann noch Kraft haben, Nacht für Nacht Orgien zu feiern und Hotels zu zerlegen. Einen großen Vorteil hätte es allerdings, Heavy-Metal-Star statt Fußballheld zu sein: Ich hätte nie mehr Auswärtsspiele. Du spielst immer für vierzigtausend Zuschauer, nie gegen vierzigtausend.

Musik an – das ist morgens das Erste, was ich mache. Muss auch nicht gleich Heavy Metal sein, so früh am Morgen. Ich höre mir schon auch Pop an, Prince finde ich okay, Rock wie von U2 sogar sehr gut. Aber spätestens im Auto auf dem Weg zum Training dann die harten Sachen, zumindest wenn ich alleine im Wagen bin. Es passiert schon mal, dass ein Freund und Kollege wie Didi Hamann bei mir mitfährt, ich mache die Stereoanlage an, zuletzt hatte ich eine CD von Stained drinnen – da fällt der Didi vom Glauben ab. Für viele ist Heavy Metal nur ein aggressiver Krach, aber mich – und jetzt werden sicher einige sagen, der Babbel spinnt –, mich beruhigt Heavy Metal. Mir gibt das eine innere Zufriedenheit. Wenn ich allein mit meiner Musik im Auto bin, da rase ich nicht mit zweihundert durch den Ort, nein, da gleite ich dahin, ruhig, ausgeglichen, glücklich. Und die Boxen brummen, dass der Wagen wackelt. Du musst Heavy Metal laut hören, da muss richtig Druck dahinter sein, damit du es genießen kannst. Wobei, letztens war ich auf dem AC/DC-Konzert in Manchester, ich hatte einen sensationellen Platz, zehn Meter von der Bühne weg, allerdings auch nur zehn Meter von den Boxen. Das war so laut, nach dreißig Minuten musste ich rausgehen. Vielleicht werde ich alt?

Aber beim nächsten Metallica-Konzert werde ich trotzdem wieder dabei sein, und zwar diesmal unten auf dem Parkett, ganz nah an der Bühne, mitten drin im Auge des Orkans. Das habe ich noch nie gemacht – das ist einer der kleinen Träume, den ich mir auf jeden Fall erfüllen will. Oder einmal Metallica persönlich kennenlernen. Vor zwei, drei Jahren bin ich mit meinen Kumpeln nach einem ihrer Konzerte in München ins Fantasy nach Neuaubing gefahren, weil wir dachten, wir würden die Band dort treffen. Es gibt doch immer diese After-Concert-Partys, und wir waren uns sicher, Metallica würden ihre im Fantasy feiern. Das war die einzige Heavy-Metal-Disco in München. Jetzt gibt es sie leider nicht mehr, vor einem Jahr wurde sie abgerissen, ein Trauertag für uns Metaller. Aber damals waren wir uns sicher: Metallica gehen nach ihrem Konzert ins Fantasy – wohin sonst? Tja, dort standen wir dann – und am nächsten Tag erfuhr ich von Tina, der Frau von Didi Hamann, sie habe Metallica im P1 getroffen. Im P1! Das ist Münchens Schicki-Disco; der letzte Ort, wo du Metallica erwarten würdest. Tina wusste von meiner Leidenschaft und hat versucht, wenigstens Autogramme für mich zu kriegen. Erst wollten die Bodyguards sie gar nicht durchlassen: »Geh weg, du Groupie!« Doch Tina war hartnäckig. Beim Autogrammschreiben müssen sich die Jungs allerdings einen Spaß erlaubt haben. Das war ein Gekritzel! Da konnte ich beim besten Willen kein Ulrich, kein Hammett herauslesen.

Jens Jeremies, mit dem ich bei Bayern München und in der Nationalelf gespielt habe, hat immer gesagt: »Bei mir auf der Hochzeit wird Udo Jürgens spielen.« Was sagst du? Ob das ein Gag war? Nein, nein, der Jens ist ein echter Schlager-Fan. Und auf seiner Hochzeit hat tatsächlich Udo Jürgens gespielt, da war eine Stimmung – sensationell. Das wäre es natürlich: Metallica auf meiner Geburtstagsparty. Aber ich befürchte, das wird weder zu organisieren, geschweige denn zu bezahlen sein. Aber wie heißt es immer: Träumen darf man ja.

This terrible silence stops me / Now that the war is through with me / I’m waking up, I can not see … Wenn sie »One« spielen auf dem Metallica-Konzert, und ich sehe all die dicken, starken Rocker um mich herum, träume ich auch schon mal: Ach, wenn ich so wäre. Wenn ich solche Oberarme hätte, solche Muskeln. Mit den langen Haaren habe ich es ja einmal versucht. Als ich vierzehn war. Sah leider nach gar nichts aus bei mir, und außerdem hat der Kopf wie verrückt gejuckt, wenn ich beim Fußball ins Schwitzen kam. Heute denke ich manchmal noch: Komm, jetzt machst du dir wenigstens irgend so ein Tattoo auf den Oberarm, wie es die harten Metaller haben. Ich war schon öfters wirklich kurz davor. Aber das ist ja die Crux von uns Träumern: Irgendwann wachen wir auf, irgendwann kommt immer der Punkt, an dem wir zu uns selbst sagen: Mensch, Markus, hör auf zu träumen, und sei vernünftig!

27. DEZEMBER 2001

AUFGEZEICHNET VON ROLAND RENG

FOTO VON RONALD DICK

MARKUS BABBEL, geboren 1972, Europameister von 1996, von 1991 bis 2000 beim FC Bayern München (zwischenzeitlich an den HSV ausgeliehen), von 2000 bis 2004 beim englischen Erstligisten FC Liverpool, träumte für die ZEIT davon, als Heavy-Metal-Star zu rocken. Dann lähmte eine Nervenkrankheit mit dem Namen Guillain-Barré-Syndrom seine Beine, seine Arme, Teile des Gesichts. Nach seiner Genesung wurde er an die Blackburn Rovers ausgeliehen und ging 2004 zum VfB Stuttgart, mit dem er 2007 in seiner letzten Saison als Spieler Deutscher Meister wurde. Im Anschluss arbeitete er als Trainer in Stuttgart und Hertha BSC, seit Februar 2012 trainiert er die TSG 1899 Hoffenheim.

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