Читать книгу Traumafolge(störung) DISsoziation - Zora Kauz - Страница 7

1 Trauma 1.1 Begriffs(er)klärung

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Das Wort „Trauma“ wird oft sehr ungenau und sowohl umgangssprachlich als auch in den Medien seiner Definition entfremdet und leider ziemlich inflationär benutzt. Ich habe ewig gebraucht, bis ich akzeptieren konnte, traumatisiert zu sein, was auch nur der Verleugnung diente, aber die großzügige Verwendung dieses Wortes macht es nicht leichter. Denn wenn jemand von der wiederholten Tatsache, im Regen draußen ohne Regenschirm zu sein, „traumatisiert“ ist, warum leide ich dann so sehr, wenn es das ist, was mir zugeschrieben wird? (Es gibt ernsthaftere Beispiele, dieses kommt aus einem Sachbeitrag, in dem sich drei Fachleute zum Thema posttraumatische Belastungsstörung äußern und über psychische Krankheiten aufklären … Ja, genau. Wir können den Kopf darüber schütteln, dass diese Menschen wohl etwas nicht verstanden haben – schade. Aber es ist nicht einfach „nur“ schade. Es ist viel schlimmer, weil ein riesiger Schaden angerichtet wird, den Traumatisierte, mit wesentlich eingeschränkterer oder gar keiner Stimm-Reichweite aushalten müssen. Wir müssen aushalten, wenn Menschen mit geradlinigerem Lebenslauf und bester Bildung darüber bestimmen, wie uns begegnet wird, wie wir behandelt werden, welche Vorurteile über uns verbreitet werden. Ebenso schlimm, dass sie es vielleicht gar nicht böse meinen und mit ihrem verfälschten Bericht darum sehr seriös und glaubhaft wirken/auftreten. Es wäre zwar immer noch wenig aufgeklärt, aber wohl menschlich, wenn sie im Dienstzimmer so reden oder privat sich unbedacht äußern, und mir dann auch egal, weil es dann keine so direkte Auswirkung hätte. Aber wenn Menschen mit angeblicher Fachkenntnis öffentlich behaupten, dissoziative Amnesien seien „praktisch, um sich vor Gericht zu ent-schuldigen“, dann ist das ein gewaltiger Schlag ins Gesicht, und ich weiß, wovon ich spreche. Mit dieser Aussage klingt die Dissoziative Identitätsstörung wie eine vorteilhafte Einbildung/Erfindung. Damit wird die Traumatisierung geleugnet, all das Leid, welches weiterhin durch die Folgen entsteht, so klingt es nach bewussten, manipulativen Entscheidungen. Dabei geht es um chronische Kontrolllosigkeit und Ohnmacht jeglicher Entscheidung gegenüber. Es lähmt, so etwas hören zu müssen. Und wenn ich neben dieser verletzenden emotionalen Falschheit die Fakten mit einbeziehe, ist es eben nicht so, dass eine Diagnose vor Gericht schützt und Freiheit sicherstellen würde. Denn wenn ein Mensch eine Straftat begeht, der bspw. unter schweren akuten psychotischen Symptomen leidet und/oder eine Intoxikation vorliegt, er somit vermindert oder gar nicht schuldfähig ist, geht er_sie statt ins Gefängnis, in die Forensik – den Maßregelvollzug zur Besserung und Sicherung – was ja bei tatsächlicher Gefährdung auch richtig so ist.)

Aber auch in ernsthaften Beispielen finde ich es schade, dass alles krankhaft gemacht werden muss, damit es eine Berechtigung hat, schwer zu sein. Trauer wird als Störung diagnostiziert, wenn sie einen bestimmten Zeitraum anhält bzw. diese Zeit den Grenzwert für die Diagnose überschreitet. Es ist aber so, dass Trauer keine Zeitangaben kennt. Trauer wird immer da sein, auch wenn sie sich verändern kann und vielleicht weniger überflutend wird. Es ist schlimm, dass gesunde Menschen Krankheitsmodelle auf das Leben, mit seinen Krisen, Schicksalsschlägen, Triumphen und Höhen, überschreiben und mehr Leid entstehen lassen als eigentlich da ist. Denn wie der Tod, gehören auch Schmerz, Leid und Trauer zum Leben dazu. Auch für traumatische Ereignisse sind wir evolutionsbedingt ausgelegt, um sie zu überstehen. Wenn wir diese Mechanismen chronisch nutzen müssen, um zu überleben, dann wird es destruktiv oder „krankhaft“. Zudem, dass sich Zustände verschlimmern können, weil sie ja als krankhaft bezeichnet sind und dadurch die Kompetenz abgesprochen wird, sie zu überstehen, werden tatsächliche psychische Erkrankungen weniger ernst genommen. Wenn jede Verstimmung eine Depression ist, eine schützende Angstreaktion, nach einem Unfall beispielsweise, eine Angststörung, die Trauer um ein verlorenes Kind eine Trauerstörung, dann bedeutet das, dass es ein gesundes Leben gar nicht gibt, dass jede Art der Bewältigung irgendwie krankhaft ist. Gleichzeitig sind psychische Erkrankungen gar nicht ernst zu nehmen, weil ja jede Krise eine solche ist.

Im ursprünglichen Sinne bedeutet Trauma (griechisch traũma) Wunde, Verletzung und wird erst seit Ende des 19. Jahrhunderts auch in der Psychologie für Schock oder seelische Erschütterung verwendet. In verschiedenen medizinischen Bereichen beschreibt das Wort den Schweregrad einer Verletzung oder genauer deren Folgen. Wir hatten ein Frontzahntrauma infolge eines der psychologischen Traumata, was einfach nur heißt, dass ein Schneidezahn zerbrochen und die Wurzel verletzt war. So ist auch ein Geschehen an sich kein Trauma. Vielleicht gibt es Menschen mit stabileren Zähnen, die vorher noch nie angebrochen waren, oder die ohnehin eine Zahnlücke haben, diese hätten in derselben Situation kein Frontzahntrauma erlitten. Genauso kann es auch mit den seelischen Verwundungen sein.

Verschiedene Ereignisse können potentiell traumatisch sein. Die Intensität und Unberechenbarkeit des Geschehens spielen eine Rolle sowie die Unkontrollierbarkeit durch unmittelbare Gewalt eines anderen Menschen, einer Naturkatastrophe oder eines Verkehrsunfalls. Für mich die Quelle des Leides ist, von den Flutwellen immer wieder eingeholt und erneut von den tödlichen Wassermassen verspult zu werden, was definitionsgemäß einem Trauma zugrunde liegt, das Ausgeliefertsein in Momenten der Todesangst.

Traumata können vor und mit der Geburt entstehen, und je jünger wir sind, umso wahrscheinlicher ist es, dass uns für bestimmte Situationen die Fähigkeiten fehlen, um auf schlaue Säugetier-Art damit umgehen und somit das Erleben integrieren zu können. Die Auswirkungen von vorgeburtlichen Traumata und frühkindlichen Belastungen, die auch durch problematische oder kontroverse Bindungserfahrungen entstehen, sind schon länger bekannt, allerdings nur selten offensichtlich, da zu solch frühen Erlebnissen schließlich auch ohne dissoziative Amnesie oft die bewussten Erinnerungen fehlen. Solche Erfahrungen manifestieren sich im Erwachsenenalter aber nicht unbedingt in Traumafolgestörungen, sondern sind oft auch Ursache von anderen psychischen oder körperlichen Krankheiten wie allgemeine Immunschwächen. Somit können auch Vernachlässigung oder Beziehungsabbrüche, besonders von wichtigen Bindungspersonen im Kindesalter, welche nicht direkt lebensbedrohlich sind, durch die entstehende Todesangst traumatisch werden. Als deutliches Beispiel das Bild eines Säuglings, welcher vor Angst/Unruhe oder Hunger schreit und nicht erhört wird, wodurch eine lebensgefährliche Situation für das Wesen entsteht, denn ein Säugling hat keine andere Möglichkeit, sich Hilfe zu holen, Nahrung zu erlangen, und auch keine Fähigkeiten, um sich selbst zu beruhigen, Zustände allein zu regulieren. Wenn in dieser Stresssituation keine Beruhigung oder Befriedigung des Bedürfnisses erfolgt, ist der Säugling der Situation ausgeliefert und kann sie lediglich überstehen (oder auch nicht, s. unten), denn er hat keine andere Chance, um den Stress zu bewältigen. Genauso kann Vernachlässigung durch Menschen, die eigentlich die Verantwortung für ein Kind tragen und in anderen Momenten doch Zuneigung zeigen, das Verständnis und die Bewältigungsmöglichkeiten überschreiten.

„Ein Trauma ist ein vitales Diskrepanzerlebnis zwischen bedrohlichen Situationsfaktoren und individuellen Bewältigungsmöglichkeiten, welches mit dem Gefühl von Hilflosigkeit und schutzloser Preisgabe einhergeht und so eine dauerhafte Erschütterung von Selbst- und Weltverständnis bewirkt.“ (Fischer und Riedesser)

Das ist nun ein bisschen verrückt von unserer Alltagssprache, beschreibt aber den grundlegenden Faktor des schutzlosen Ausgeliefertseins und die Todesangst, um die es beim Trauma geht, da unser Verstand und Rationalität einfach nichts mehr zu melden haben. Das „Diskrepanzerlebnis“ besagt, dass wir keine Möglichkeiten mehr haben, die Gefahr im Säugetier-Modus bewältigen zu können.

Was mich immer wieder verunsichert hat, ist diese „Erschütterung von Selbst- und Weltverständnis“. Fast überall, wo Traumata besprochen oder beschrieben werden, wird diese „Erschütterung“ genannt. Das verunsicherte mich, weil ich nicht erschüttert war. Ich kann mich an kein Ereignis erinnern, dass zu einer Erschütterung von meinem Selbst- oder Weltbild geführt hat, und ich glaube, dass das nicht nur an den Amnesien liegt. Es ist vielmehr so, dass, wenn wir chronisch (und früh) traumatische Erfahrungen machen müssen, sich unser Selbst- und Weltverständnis an diese Erschütterungen anpasst, damit wir die wiederkehrende Gefahr überstehen können und nicht jedes Mal wieder erschüttert werden. Das bedeutet, dass das, was andere erschüttert, unsere Richtigkeit, unsere Realität wird, die in sich dann wieder logisch ist. Auch die Frage von therapeutischer Seite, ob „ich“ noch wüsste, wie es vorher war (damals wusste noch niemand, dass sehr viel mehr Lücken in unserer Biografie sind), konnte ich nicht beantworten. Es gibt kein Vorher und kein Nachher, wenn da für manche nichts war und dieses Selbst- und Weltverständnis schon immer so besteht, denn da, wo ich angefangen habe, haben wir schon so funktioniert. Das, was mein Selbst- und Weltbild erschüttert, ist die Therapie. Denn sie greift genau dieses Schema an, in dem all die Gewalt richtig ist.

Ähnlich verunsichernd wie die „Erschütterung“ war es mit der Fachbeschreibung von Flashbacks. Dies sei „ein filmhaftes Wiedererleben traumatischer Situationen“ oder ähnliches. Hatte ich aber nie. Das war für mich auch der Beweis, nicht traumatisiert sein zu können, weil Flashbacks anfangs für mich lediglich körperlich auftraten; es waren nur Schmerzen und Übelkeit, später auch Gerüche und Geräusche, aber das war ja alles echt für mich. Ich konnte all das nicht als Flashback einordnen (noch heute sind bestimmte Empfindungen eine große Herausforderung oder es ist mir in manchen Situationen auch gar nicht möglich zu differenzieren, ob etwas tatsächlich Hier-und-Jetzt einen Reizauslöser hat oder „alt“ ist), weil ich dachte, „echte“ Flashbacks sind so hundertprozentig mit Allem zurück, und Bildern und Szenen und all so was. Ist halt nicht unbedingt so. Und es ist auch kein Wieder, wenn es doch für uns neu ist. Inzwischen gibt es Bilder, aber das sind mehr Schnipsel, keine Szenen. Mal sind bestimmte Schmerzen da, ein anderes Mal ein Geruch, ob oder was und wie das zusammengehört, müssen wir noch herausfinden. Aber das scheinbare Fehlen von so „richtig echten“ Flaschbacks war eine von mehreren Theorien, die ich ordentlich ausarbeitete, um zu „beweisen“, dass das mit dem Trauma eigentlich nicht sein kann. Unsere Therapeutin hat meist einige Belege widerlegt. Aber ja, Vermeidung und Verleugnung können sehr zeit- und energieaufwändige Beschäftigungen sein. In der Therapie wird unsere Schuld, ebenso wie die Selbstzerstörung, infrage gestellt, jedoch nicht, ohne ihre Wichtigkeit zu Zeiten der Gewalt anzuerkennen. Die Scham wird eingeladen, ausgehalten und ihre Überzeugungen hinterfragt, unsere Daseinsberechtigung und unser Wert als Mensch wird einfach so als Fakt dargestellt. Das ist Erschütterung! Immer wieder. Denn was über lange Zeit und Wiederholung ausgebildet, gelernt oder auch antrainiert wurde, braucht auch Zeit und Wiederholung, um umgelernt zu werden.

Traumafolge(störung) DISsoziation

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