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Barkeeper weisen den Weg durch die Nacht: JOHANNES BÖHME macht es sich gezellig und tankt Wärme

Wer in Amsterdam trinken gehen will, muss sich als Allererstes diese Frage stellen: Mit wem möchte ich nicht trinken? Mit englischen Junggesellenabschiedsrunden etwa, die mittags schon so besoffen sind, dass sie bei all den gleich aussehenden Kanälen nicht mehr wissen, wo jetzt das bloody Ibis-Hotel ist. Ebenfalls zu vermeiden sind: Fans deutscher Fußballclubs, die in selbst bedruckten T-Shirts im Licht der Bordellfenster Schlachtgesänge anstimmen; oder belgische Kiffer, die nach dem ersten Space-Cake meinen, dass sie „noch gar nichts merken“, und nach dem zweiten nur noch eine ungefähre Vorstellung davon haben, wer sie sind.

Gepflegt trinken gehen in Amsterdam heißt immer auch: gezielte Touristenvermeidung. So gut das eben geht in einer 800 000-Einwohner-Stadt, die jedes Jahr fast 16 Millionen Besucher hat. Die erste Bar des Abends ist mir von Freunden empfohlen worden, danach will ich mich von den Tipps der Barkeeper leiten lassen. Schon mal gut: Meine erste Adresse liegt nicht an einem malerischen Kanal, sondern an einer Tram-Haltestelle.

De Nieuwe Anita wirkt von außen klein und etwas schäbig. Aber ich merke bald, dass sie ein umso größeres Herz hat. Als ich mit meiner Begleiterin um neun Uhr ankomme, ist noch nicht viel los. Die Bar steckt voller exzentrischer Möbelstücke: die Sitzbank einer alten niederländischen Bahn, riesige Lampenschirme, die mal zu einem Filmset gehörten. Und es gibt eine Überraschung: Über eine Hintertür gelangt man, treppab, in einen Minisaal mit Bühne. Dort steht gerade, in blauem Scheinwerferlicht, ganz alleine, eine Frau in Rot, Gitarre im Arm.

Ich habe mir inzwischen einen Cocktail besorgt, der Old Passionate heißt, mit Cognac, Orangensaft und frischer Maracuja. Ein saurer, aber auch etwas vanilliger Drink mit einem Finish, das trocken wie eine Wüste ist. Meine Begleiterin meint, nicht ganz zu Unrecht, das Ganze sei doch eher ein Schnaps in extragroß. Die Cocktails sind in der Nieuwe Anita so mutig gemixt wie die Einrichtung. Man übertreibt im Zweifel zugunsten des Alkohols.

Im Publikum vor der Frau in Rot stehen ein Dutzend Gestalten, eine mit einer Piratenklappe überm Auge. Irgendwie wirkt alles so wunderschön verloren wie die Songs, die die Frau in Rot singt: „Everything you say makes me blue, I don’t know why I am tangled up in you.“ Souverän-zarter Post-Bob-Dylan-Folk. Die Frau, stellt sich heraus, heißt Judy Blank und hat gerade ein Album in Nashville aufgenommen. Die Besitzerin der Bar erzählt, sie kriege jeden Tag 60 Anfragen von Musikern, die hier spielen wollen.

Wohin nun als Nächstes? Der Barkeeper empfiehlt das Checkpoint Charlie: Gute Stimmung, und ja, vor Junggesellenabschieden sei man da sicher. Also geht es – nach dem doch ziemlich fiesen Cognac-Mix mit leichter Schlagseite – raus in die kalte Nacht.

An einer Ecke zwischen zwei Kanälen scheinen uns schon von Weitem orangefarbenes Licht und das Glitzern einer kleinen Discokugel entgegen. Die Niederländer haben ein ganz wunderbares Wort für Orte wie das Checkpoint Charlie: gezellig, was viel mehr bedeutet als das deutsche „gesellig“. Sie benutzen es ständig und überall, für alles, was schön und richtig ist im Leben. Das Gefühl des Zusammenseins mit anderen, das Gefühl der Geborgenheit in warmen Räumen im Winter, Gemütlichkeit, Zufriedenheit – alles in einem Wort. Und hier findet man es: Überall stehen sie, fassen sich an die Schultern, halten sich im Arm, auf der Tanzfläche knutscht ein Paar neben einer Gruppe älterer Frauen, die mit ihren extravaganten Brillen ein bisschen aussehen wie ein freundlicher Eulenschwarm. Und hinten in der Ecke sitzt doch tatsächlich, um elf Uhr abends, ein Mann alleine und liest ganz weltvergessen ein Buch. Ich frage, was er liest. Er hält es hoch: Edgar Joseph Feuchtwanger: Preußen – Mythos und Realität. Das habe er drüben im Regal gefunden. Hier ist also wirklich für jeden Platz.

Die Drinks sind nichts Besonderes, aber es gibt Hendrick’s Gin, und mit einem Gin Tonic macht man eben auch nichts verkehrt. Wir spielen Billard, und ich verliere, wie immer, gegen meine Begleiterin, die einfach die besseren Nerven hat und die ruhigere Hand.

Zum Abschluss muss noch ein Ort her, wo das Trinken ernst genommen wird. Einen Tempel des gepflegten Cocktails brauchen wir. Die Barkeeperin versteht und weist uns in Richtung der Bar Oldenhof. Die Drinks dort seien ganz fabelhaft.

Was sie nicht erwähnt, ist, dass die drei Frauen, die die Drinks dort mixen, eine etwas sadistische Ader haben. Als wir ankommen, vor Fenstern mit schweren Gardinen, die keinen Blick hineinlassen, und an der Tür klingeln, herrschen Minusgrade. Eine freundliche Frau öffnet. Ja klar, sie hätten Platz, aber man müsse mit „20 Minuten Wartezeit“ rechnen, um „alles vorzubereiten“. Sie schlägt uns vor, einen Spaziergang zu machen. Wir bleiben stoisch stehen und hoffen, dass es schneller geht. Nach 20 Minuten spürt meine Begleiterin ihre Füße langsam nicht mehr. Als wir nach 25 Minuten endlich eingelassen werden, ist die Bar halb leer. Der Grund für die Wartezeit bleibt das Geheimnis der drei ganz in Schwarz gekleideten Hohepriesterinnen des Alkohols.

Drinnen ist es schummrig und warm, dunkle Ledersessel, Holzvertäfelung und auf dem Fensterbrett eine Lampe, wie sie in der British Library in London den Lesenden leuchtet. Die Frauen machen sich an die Arbeit mit der Ernsthaftigkeit eines religiösen Rituals. Es wird mit Gin hantiert, mit Kirschbrandy, Thymianlikör und 20 Jahre altem Portwein, im Hintergrund läuft englischer Jazz von Chris Barber. Der Drink heißt Peninsula und schmeckt wie ein schwermütiger portugiesischer Sommertag. Was sind schon 25 Minuten Kälte gegen so einen Moment der Wärme? Nur schade, dass man wieder rausmuss.

Auf dem Rückweg kommen wir an einem kahl rasierten Schotten vorbei, der im T-Shirt am Kanal steht und in sein Handy schreit: „Mate, where are you? Where the fuck are you?“


De Nieuwe Anita Frederik Hendrikstraat 111 Mo./Do. 18–1 Uhr, Di./Mi. 20–1 Uhr, Fr./Sa. 20–2 Uhr, So. geschlossen

Checkpoint Charlie Nassaukade 48 So.–Do. 13–1 Uhr, Fr./Sa. 13–3 Uhr

Bar Oldenhof Elandsgracht 84 Mo.–Do. 18–1 Uhr, Fr./Sa. 17–3 Uhr, So. 17–1 Uhr

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