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2.1.2 Studie

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Um die Base Rate Fallacy nachweisen zu können, wurden verschiedene Experimentalaufgaben entwickelt (BAR-HILLEL 1980; BAR-HILLEL/NETER 2002). Viel diskutiert und in unterschiedlichen Varianten eingesetzt wurde das Taxi-Problem (KAHNEMAN/TVERSKY 1972):

In der Stadt gibt es zwei Taxiunternehmen, die Blauen und die Grünen (benannt nach der Farbe ihrer Taxis). 85 % der Taxis sind blau, 15 % grün. Eines Nachts kommt es zu einem Fahrerflucht-Unfall. Ein Zeuge behauptet, an dem Unfall sei ein grünes Taxi beteiligt gewesen. Um die Fähigkeit des Zeugen zu prüfen, zwischen blau und grün bei nächtlichen Lichtverhältnissen unterscheiden zu können, wird ein Test durchgeführt. Es stellt sich heraus, dass der Zeuge in 80 % der Fälle die beiden Farben richtig auseinanderhalten kann, in 20 % gelingt ihm dies nicht. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass das fahrerflüchtige Taxi tatsächlich grün war?

Wie man sieht, gleicht die Grundstruktur dieses Falles dem Fall in der oben angeführten Ärztestudie von Casscells, Schoenberger und Graboys. Auch beim Taxiproblem geht es um die Abschätzung der Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses angesichts unsicherer Beobachtungen und einer gegebenen Verteilung der Beobachtungsmerkmale. Die Ergebnisse sind ähnlich: die Base Rates, also die relativen Häufigkeiten der beiden Farben, werden sehr oft ignoriert.

Eine etwas andere Struktur hat das Experiment zum „Linda-Problem“, das es ebenfalls in verschiedenen Abwandlungen gibt. Im ursprünglichen Experiment von TVERSKY/KAHNEMAN (1982) geht es um die folgende Aufgabe:

Linda ist 31 Jahre alt, Single, geradeheraus und sehr gescheit. Sie machte ihren Examensabschluss in Philosophie. Als Studentin beschäftigte sie sich intensiv mit Fragen der Diskriminierung und der sozialen Gerechtigkeit und sie nahm an Anti-Atomkraft-Demonstrationen teil. Bilden Sie eine Rangfolge der folgenden Beschreibungen entsprechend der Wahrscheinlichkeit, dass die jeweilige Beschreibung auf Linda zutrifft:

___ (a) Linda ist Grundschullehrerin

___ (b) Linda arbeitet in einem Buchladen und macht Yoga-Kurse

___ (c) Linda ist in der Feminismus-Bewegung aktiv

___ (d) Linda ist Sozialarbeiterin

___ (e) Linda ist Mitglied in der „League of Women Voters“

___ (f) Linda ist Bankangestellte

___ (g) Linda ist Versicherungsagentin

___ (h) Linda ist Bankangestellte und aktiv in der Frauenbewegung

Die interessanten Antworten sind (f) und (h), alle anderen Antwortvorgaben sind nur Lückenfüller. Welche der beiden Antworten ist mit größerer Wahrscheinlichkeit richtig? Logisch gesehen ist die Lösung eindeutig: Personen, die mit dieser Aufgabe konfrontiert werden, sollten (f) einen höheren Rangplatz einräumen als (h). Tatsächlich ergibt sich aber ein genau umgekehrtes Ergebnis: etwa neun von zehn Personen finden es wahrscheinlicher, dass Linda eine Bankangestellte ist, die gleichzeitig in der Frauenbewegung aktiv ist (h), als dass sie „nur“ eine Bankangestellte ist (f). Dass diese Schlussfolgerung nicht richtig sein kann, folgt aus der Konjunktionsregel der Wahrscheinlichkeitstheorie: die Wahrscheinlichkeit dafür, dass ein Objekt nur eines von zwei Merkmalen besitzt [p (A)]) ist aus rein logischen Gründen kleiner als die Wahrscheinlichkeit dafür, dass das Objekt dieses Merkmal und dazu auch noch das zweite Merkmal besitzt [(p (A & B)] – von dem trivialen Fall abgesehen, in dem die beiden Merkmale immer gemeinsam auftreten, dann sind die beiden Wahrscheinlichkeiten natürlich identisch. Dafür, dass Linda eine Bankangestellte ist, spricht eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass sie eine Bankangestellte und dazu noch eine feministische sein soll, dafür ist die Wahrscheinlichkeit naturgemäß geringer. Oder nochmals allgemein und etwas anders ausgedrückt: die „Base Rate“ des einfachen Falls (Bankangestellte) ist höher als die des kombinierten Falles (Bankangestellte und Feministin), die erste Base Rate schließt die zweite mit ein.

Nun sollte man meinen, dass Personen, die Erfahrung mit statistischen Argumenten haben, mit dem Linda-Problem besser zurechtkommen als Personen ohne Statistikkenntnisse. Diese Vermutung teilten auch Tversky und Kahneman. Sie präsentierten die Linda-Aufgabe drei Studentengruppen. Die erste Gruppe bestand aus Studierenden des Grundstudiums, die bislang keine Statistikkurse besucht hatten, die zweite Gruppe hatte bereits einige Kurse in Statistik und Wahrscheinlichkeitstheorie belegt und die dritte Gruppe bestand aus Graduierten der Entscheidungstheorie, die Fortgeschrittenenkurse in Statistik und Wahrscheinlichkeit absolviert hatten. Erstaunlicherweise erzielten alle drei Gruppen sehr ähnliche Ergebnisse. Wenn man so will, kann man bei den „naiven“ Studierenden einfach Unwissen unterstellen, bei den Studierenden mit (z.T. erheblichen) Statistikkenntnissen zeigten sich dagegen eher Schwächen in der Anwendung ihres Wissens. Tatsächlich erwiesen sich die letzteren bei der Diskussion der Ergebnisse als aufgeschlossen und sahen ihren Fehler ein.

Das Experiment wurde in der Folge vielfach variiert. In einem der Experimente wurde z.B. auf die Auflistung der acht Berufe verzichtet und die beiden in Frage stehenden Alternativen (Bankangestellte versus Bankangestellte und gleichzeitig feministisch tätig) wurden direkt gegenübergestellt. Im Wesentlichen ergaben sich dadurch keine anderen Ergebnisse. In einem strukturgleichen Experiment, in dem es um die Abschätzung geht, welches Fach „Tom W.“ wohl studieren dürfte, wenn man sein Persönlichkeitsprofil betrachtet, ließen Tversky und Kahneman die Versuchsteilnehmer auch die „Base Rates“, also die relativen Häufigkeiten der Studierenden in den angegebenen Studienfächern, schätzen, auch dadurch ergab sich kein grundsätzlich anderes Ergebnis (zu Studien über den Effekt der direkten „Erfahrung“ mit den zugrunde liegenden Base Rates vgl. GOODIE 1996; zur Kritik an dem Experiment und dem damit verbundenen Forschungsprogramm vgl. KOEHLER 1996 und die Kommentare zu seinem Artikel in der Zeitschrift „Behavioral and Brain Science“, sowie KAHNEMAN/FREDERICK 2002 und KAHNEMAN 2002).

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