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2.1.5 Beispiele

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Die Base Rate Fallacy wurde vor allem in Experimenten und nicht in realen Handlungssituationen untersucht. Daraus ergibt sich allerdings keine grundsätzliche Kritik, im Gegenteil, die Experimentalmethode ist immer dann besonders gut geeignet, wenn es um sehr allgemeine und grundlegende Aspekte der Urteilsfindung geht. In Experimenten lassen sich, anders als in komplexen Anwendungssituationen, Bedingungen variieren, Wechselwirkungen mit anderen Variablen prüfen und die Grenzen der Wirksamkeit bestimmen. In konkreten Entscheidungen kommt der Base Rate Fallacy eigentlich immer eine große Bedeutung zu, jedenfalls immer dann, wenn es in besonderem Maße auf die Abschätzung von Wahrscheinlichkeiten ankommt, also zum Beispiel bei der Bewertung der Zuverlässigkeit von Beobachtungen und Zeugenaussagen, bei Voraussagen über den Erfolg kleinerer oder auch größerer Projekte, also beispielsweise bei der Gründung eines Unternehmens oder bei der Beurteilung des voraussichtlichen Schul-, Studien- oder Karriereerfolgs. Auf die mitunter bedenkliche Wirkung der Base Rate Fallacy in der medizinischen Diagnostik wurde ja bereits hingewiesen. Nicht selten wird kurzschlüssig aus dem Auftreten eines bestimmten Symptoms auf das Vorliegen einer damit verknüpften Krankheit geschlossen, wobei vergessen wird, dass das Symptom ja durch andere als krankheitsbedingte Ursachen entstehen kann und manchmal auch einfach spontan entsteht (und wieder verschwindet). Dass es unzulässig ist, von einem empirischen Sachverhalt, zum Beispiel von einem Messergebnis, ohne weiteres auf eine ganz bestimmte dahinterliegende Ursache zu schließen, wird häufig vergessen. Immer wieder für Diskussionen sorgen beispielsweise Dopingproben, auch hier kommt es nicht nur auf ein „positives“ Testergebnis an, sondern gleichermaßen auf die Sensitivität und die Prävalenz (s.o.). Die eingangs beschriebene Studie von Casscells u.a. über die Missachtung von Base Rates durch den Medizinernachwuchs steht im Übrigen nicht allein; eine ganze Reihe von Studien belegt, dass Ärzte erstaunlich häufig der Base Rate Fallacy unterliegen (GIGERENZER 2002; JUNGERMANN/PFISTER/FISCHER 2011). Da mit falschen Diagnosen häufig auch ungeeignete therapeutische Maßnahmen einhergehen, ist dies ein durchaus bedenklicher Tatbestand. Aber nicht nur bei der Beurteilung der Gesundheit, sondern auch beim Umgang mit Geld kommt die Base Rate Fallacy zum Zuge. CHALOS (1989) berichtet in einer Studie, dass Bankleute dazu neigen, Base Rate Informationen umso eher zu vernachlässigen, je mehr sich ein bestimmter Fall als typischer Risikofall beschreiben lässt.

Wie oben beschrieben wurde, resultiert die Neigung, Base Rates – und damit „blasse“ statistische Informationen – zu vernachlässigen, häufig aus der verführerischen Kraft, die die Anschaulichkeit und der Aufforderungscharakter von Einzelfällen entfalten. Dass dies auch in der psychologischen Diagnostik leicht dazu führen kann, statistische Überlegungen zu vernachlässigen und bei der Beurteilung der Fälle Ad-hoc-Überlegungen anzustellen und subjektive Lieblingstheorien ins Spiel zu bringen, wurde bereits vor über fünfzig Jahren eindrücklich von Paul Meehl beschrieben (MEEHL/ROSEN 1955; MEEHL 1957).

Schließlich sei noch darauf hingewiesen, dass es bei Base Rate Fehlern nicht nur um die Unterschätzung negativer Konsequenzen geht, sondern auch um die Überschätzung positiver Sachverhalte. Wer beispielsweise zum wiederholten Male mit seinem Wagen unversehrt durch eine vereiste Kurve gerutscht ist, mag sich für einen begnadeten Autofahrer halten: Ein Fehlschluss, der zwar das Selbstgefühl steigern, sich aber auch gefährlich rächen kann. Ähnliches gilt für Schüler, die es ungeachtet ihrer großen Faulheit schaffen, doch noch versetzt zu werden sowie für Schwarzfahrer, Ladendiebe, Lügner und Spieler, die ihre Erfolge oft deutlich überbewerten und die Wahrscheinlichkeit des Misserfolgs unterschätzen.

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