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2.2.1 Begriff

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Unter versunkenen Kosten versteht man Kosten, auf die man keinen Einfluss mehr hat, sei es, dass sie zu Ausgaben geführt haben, die man nicht mehr zurückholen kann oder sei es, dass sie zu Ausgaben führen werden (z.B. aufgrund von Verpflichtungen), die man nicht mehr verhindern kann. Versunkene Kosten sind zu tragen, ganz gleichgültig, was man in Zukunft zu tun gedenkt, ob man also ein Projekt, zu dessen Förderung die Kosten gedacht waren oder sind, nun weiter führt oder nicht (STEELE 1996). Versunkene Kosten werden daher manchmal auch irreversible Kosten genannt. Sie sollten für die anstehende Entscheidung keine Rolle spielen, sie sind sozusagen „Geschichte“ und als solche zu betrachten. Dabei kann man durchaus unterstellen, dass sie einmal ganz bewusst aufgebracht wurden, um einen bestimmten Zweck zu erreichen. Anhand von Beispielen lässt sich das Wesen von versunkenen Kosten am besten verstehen. „Wenn ich eine Fahrkarte von London nach Glasgow kaufe und während meiner Reise ein Telegramm erhalte, dass das Treffen in Manchester stattfinden muss, ist es nicht vernünftig meine Reise nach Glasgow fortzusetzen, nur weil in der Fahrkarte ‚versunkenes Kapital‘ steckt, das verloren ist“ (ROBBINS 1948, S. 51). Die gleiche Grundstruktur weist der folgende Fall auf: Ich habe vor einem halben Jahr den Arbeitgeber gewechselt und bin deswegen umgezogen. Die Suchkosten für die neue Wohnung in der fremden Stadt und die Umzugskosten erreichten ein beträchtliches Ausmaß. Nun erhalte ich erneut ein Angebot von einem weiteren Unternehmen, das wiederum in einer anderen Stadt angesiedelt ist. Nehme ich dieses Angebot an, werden erneut Umzugskosten entstehen. Aber das Angebot ist sehr attraktiv. Bei den Überlegungen, ob man die angebotene Stelle annehmen will, sollte man nun ausschließlich in die Zukunft schauen, also abwägen, ob die besseren Vertragsbedingungen die neu entstehenden Kosten aufwiegen. Die Such- und Umzugskosten, die man vor einem halben Jahr zu tragen hatte, sollten hierbei keinerlei Rolle mehr spielen, sie sind – wie gesagt – Geschichte, sie sind versunken und haben mit der Zukunft nichts zu tun. Nun gibt es aber viele Personen, die dies nicht einsehen wollen und die versunkenen Kosten weiterhin in ihre Berechnung einbeziehen. Als Grund wird häufig angeführt, die erst kürzlich entstandenen Such- und Umzugskosten hätten sich noch nicht amortisiert, deswegen sei es zu früh, schon wieder den Arbeitgeber zu wechseln und umzuziehen. Dieses Argument ist schon allein deswegen fehlerhaft, weil die Rede von der Amortisierung der Umzugskosten keinerlei Sinn macht. Woraus sollte sich eine solche Amortisierung denn speisen? Aus dem Einkommen in der bisherigen Stelle? In der neu angebotenen Stellung erzielt man doch – so das Beispiel – ein erheblich höheres Einkommen, warum sollte man es ausschlagen? Wenn Kosten versunken sind, sollte man sie nicht mehr zur Grundlage von Entscheidungen machen. Diese Einsicht ergibt sich jedenfalls aus einer ökonomischen Perspektive und diese Perspektive wiederum aus einer Psychologie der Zukunft. Was zählt ist, welche Handlungsalternative, ausgehend vom gegebenen Status, den größten Erfolg verspricht (vgl. z.B. JOHNSTONE 2003, S. 209).

Menschliches Handeln folgt allerdings nicht selten einer Psychologie der Vergangenheit, Menschen würdigen versunkene Kosten und machen sie zur Grundlage ihrer Entscheidungen über die Zukunft. In der Literatur wird diese „falsche“ Orientierung auch als „Sunk-Cost-Bias“ bezeichnet und definiert die verstärkte Neigung, ein Vorhaben weiterzuführen, wenn man bereits Zeit, Anstrengungen und Geld investiert hat (ARKES/BLUMER 1985, S. 124), obwohl es mehr Nutzen brächte, das Projekt zu beenden (zur Abgrenzung des Sunk-Cost-Fehlers vom eskalierenden Commitment, siehe den diesbezüglichen Online-Beitrag www.wbg-wissenverbindet.de). Einen etwas anderen Akzent setzen die Entscheidungsforscher John Hammond, Ralph Keeney und Howard Raiffa, sie verstehen unter dem Sunk-Cost-Bias die Neigung, durch gegenwärtige Entscheidungen vergangene Entscheidungen zu rechtfertigen (HAMMOND/KEENEY/RAIFFA 2006, S. 122). Diese äußert sich zum Beispiel darin, dass man schlechtem Geld gutes Geld hinterherwirft (um wenig ergiebige Investitionen vielleicht doch noch ergiebig zu machen), statt sein gutes Geld für bessere Projekte zu verwenden. Wesentlich enger ist die Definition von THOMAS KELLEY (2004). Ein „Bias“ liegt danach nicht immer vor, wenn man versunkene Kosten berücksichtigt, es könnten nämlich gute Gründe dafür vorliegen. Falsch sei sicher eine Kostenbetrachtung, die keinen Unterschied zwischen versunkenen und produktiven Kosten kennt, allerdings müsse man auch das Bedauern berücksichtigen, das entstehen kann, wenn man versunkene Kosten ignoriert. Kelley führt das folgende Beispiel an: Vor einiger Zeit haben Sie sich eine recht teure Theaterkarte gekauft (z.B. zum Preis von $ 200). Dummerweise kann die Karte nicht zurückgegeben werden, auch ist es zu spät, sie zu verschenken oder zu verkaufen. Nun befällt Sie am Theaterabend die Lust, an einem Roman weiterzulesen. Es ist nicht so, dass Sie nicht auch gern ins Theater gingen, Sie würden nur (etwas) lieber den Roman lesen. Im strengen Sinne sind die Ausgaben, die Sie für den Kartenkauf getätigt haben, versunkene Kosten, Sie sollten also zu Hause bleiben. Wäre das vernünftig? Für Kelley nicht. In der geschilderten Situation stehen Sie vor zwei Alternativen:

 Sie bleiben zuhause und bedauern heftig, 200 Dollar verschwendet zu haben.

 Sie gehen ins Theater und spüren kein Bedauern.

Sie haben also einen guten Grund, versunkene Kosten nicht zu ignorieren: Das Bedauern, das Sie sich durch die Ignoranz dieser Kosten einhandeln, erzeugt nämlich erhebliche psychische Kosten, die Sie in Rechnung stellen sollten. Es wäre also klüger, ins Theater zu gehen. Leider ist die Sache begrifflich etwas vertrackt. Denn es stellt sich die Frage, ob man in diesem Fall tatsächlich die versunkenen Kosten ignoriert hat. Nach Kelley ist das nicht der Fall. Man stelle bei seiner Entscheidung nämlich gar nicht auf die versunkenen Kosten ab, das entscheidende Argument sei vielmehr die Vorwegnahme des Bedauerns nach der Entscheidung. Man gehe also nicht deswegen ins Theater, weil man das falsche mentale Kalkül anwende (also versunkene Kosten irrtümlich als solche behandle), sondern weil man ein gutes psychologisches Argument dafür habe, die Ausgaben nicht zu ignorieren. Die Argumentation von Kelley wird nicht jeden überzeugen, denn schließlich liegt der Grund für das Bedauern in dem „Gefühl“, etwas falsch zu machen, wenn man die Ausgabe, also die versunkenen Kosten, einfach vergisst. Doch unabhängig davon, wie man diesen Punkt beurteilen will, er verweist auf den wichtigen Aspekt, dass es nämlich einen Unterschied macht, ob man das Verhalten oder das Denken betrachtet. Man hat es dabei nämlich unter Umständen mit zwei verschiedenen Fragen zu tun. Die eine Frage richtet sich darauf, ob das konkrete Sunk-cost-sensitive-Verhalten tatsächlich durch ein falsches Sunk-Cost-Denken verursacht wird – oder ob es im konkreten Fall auf andere Gründe zurückgeführt werden kann, was ja grundsätzlich durchaus möglich ist. Bei der anderen Frage geht es darum, herauszufinden, wie es zu einem falschen „Sunk-Cost-Denken“ kommt.

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