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Die Freunde, die man morgens um vier Uhr anrufen kann – die zählen

Marlene Dietrich

»Wir kennen uns schon länger, als wir alt sind.«

Mein lieber Freund Christoph sprach diesen Satz so mir nichts, dir nichts aus – und es war kein Alkohol im Spiel. Aber auf diesen Satz stießen wir schon mehrfach an. Ein Satz wie dieser ist ein Versprechen an die Freundschaft. Eine Art Liebeserklärung. Für mich bedeutet er: Gab es ein Leben vor dir? Freunde sind das Elixier des Lebens. Wenn man Freunde hat, dann braucht man sich vor nichts zu fürchten. In Zeiten, in denen Fragen wie »Möchtest du mit mir gehen?« von Smileys und Emoticons in Handy-Chats verdrängt werden, sind Freunde haben und Freundschaften pflegen herrlich altmodisch – und wichtiger denn je.

Ich bin ja nicht grundsätzlich gegen diese schnelle Kommunikation per WhatsApp oder SMS, aber es braucht eben auch echte Treffen, echte Abendessen, echte Gespräche, echte Tränen, echtes Gelächter, echte Umarmungen, echte Menschen mit echten Leben. Ich schalte mein Telefon an solchen Abenden in den Flugmodus, ich will richtig da sein im Hier und Jetzt und nicht parallel ein elektronisches Leben führen. Automatisch verlangsamt sich die Zeit, wenn nicht bei jeder Frage, bei jedem Nichtwissen ad hoc zum Handy gegriffen und gegoogelt wird. Wann haben wir damit aufgehört, gemeinsam in Ruhe zu überlegen, wie dieser Schauspieler heißt, der in dem und dem Film mitgespielt hat? Wann haben wir beschlossen, sofort bei YouTube das Lied zu suchen und dann am Restauranttisch den Freunden vorzuspielen, statt gemeinsam zu grübeln und sich strophenweise auf die Sprünge zu helfen? Und wieso ist es für einige von uns so immens wichtig, Beweismittel (Fotos/Videos) dieser beinahe vom Aussterben bedrohten Freundschaftsabende sofort auf Instagram und Facebook zu posten? Wer sind die anderen, die das dann sehen?

Ich geriet deswegen mit einer Frau richtig in Streit. Sie stellte nicht nur ein Video von sich, mir und anderen Frauen online, sie fragte auch nicht, ob uns das überhaupt recht ist. Vor allem aber war auffällig: Sie sah gut aus, wir anderen waren ihr egal. Vielleicht unterscheidet dieses Verhalten echte Freunde von echten Bekannten?

Ich habe eine Handvoll Freunde und sie sind die Zutat, auf die ich an meinem üppig gedeckten Lebenstisch am allerwenigsten verzichten möchte. Gute Freunde. Alte Freunde. Solche, die man, auch wenn man sie eine Weile nicht sah, niemals aus den Augen verliert. Bei denen man, auch wenn man sich eine Zeit lang nicht gesehen hat, sofort wieder anknüpfen kann an »davor«, so, als hätten wir erst gestern ausgiebig miteinander die Welt verbessert. Freunde sind Menschen, vor denen man keine Show abziehen muss, denen man ungeschminkt begegnen kann, und damit meine ich nicht das Nichtverwenden von Make-up. Diese Freunde sind Retter in der Not, die am lautesten johlende Fankurve und eine andere Form von Familie gleichzeitig. Wenn Freunde dir keinen Applaus spenden und sich nicht mit dir freuen können, wenn dir was richtig Gutes gelingt, dann sind es keine Freunde. Dann sind es Lebensabschnittsbegleiter, mit denen wir nicht das Bett, aber gelegentlich unsere Freizeit teilen.

Echte Freundschaft ist eine hell erleuchtete Wohnung, ein Open House, man muss weder klingeln noch anklopfen, die Tür steht offen. Im Kühlschrank ist immer etwas zu essen, es gibt warme Socken, eine Notfallzahnbürste und einen Schlafplatz auf dem Sofa. Mit echten Freunden ist es wie im Zirkus: Egal, wie sehr ich mich zum Clown mache, ich bin meinen Freunden nicht peinlich. Verliere ich das Gleichgewicht und falle vom Hochseil, fängt mich jemand auf. Oder zieht mich zuvor schon aus der Manege. Und wenn man dann noch einen Feuerschlucker und gleichzeitig einen Feuerlöscher im Freundeskreis hat, dann darf man sich so sicher fühlen wie ein Artist des Cirque du Soleil – der Sonne sehr nah und dennoch beschützt und behütet. Freunde fragen: »Wie geht es dir?« Aber noch mehr interessiert sie: »Was möchtest du essen?«

Die Liebe begegnete und begegnet mir immerzu, obwohl ich nie nach ihr suchte oder suche. Freundschaften musste ich lernen. Dass Liebe sein kann, ohne dass man sich zu etwas verpflichtet und ohne dass es einen familiären Bezug gibt, ist für mich bis heute ein Wunder. Man muss sein Herz öffnen und sich Zeit nehmen und Zeit lassen, ähnlich einer Liebesbeziehung. Und anders als bei Liebesbeziehungen verlassen Freunde einen in der Regel nicht, wenn es unbequem wird. Freunde sind wie Familie – nur ohne diesen Miteinander-verwandt-sein-Stress. Ich habe genauso viele liebste Freunde wie Stühle um meinen großen Esstisch. Und ich habe Sarah.

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