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Für mich soll’s rote Rosen regnen

Hildegard Knef

Müssten Sie sich anpreisen, verehrte Leserinnen und Leser, was fiele Ihnen zuallererst zu sich ein?

Okay, ich mache den Anfang. Also:

Ich bin groß und blond. Ich bin viel mehr gut als schlecht gelaunt. Man kann mich überall mit hinnehmen, mich interessiert alles – sogar Kakteen und Zierfische. Ich treffe nicht nur gern Menschen, ich suche regelrecht ihre Gesellschaft. Alleinsein gehört definitiv nicht zu meinen Stärken. Ich liebe gern. Ich bin süchtig nach Anfängen und Musik und Theater und Filmen und Sport. Ich reise gern, tendiere aber zum Heimwehhaben, bin neugierig, kann beinahe alle Geheimnisse für mich behalten, gebe gern ab, nur Teilen liegt mir nicht, schon gar nicht den Liebsten. Ich brauche weder Statussymbole noch Besitztümer, ich liebe Fußballspiele unter Flutlicht und weine bei Siegerehrungen.

Wenn ich das alles so aufschreibe und lese, komme ich nicht umhin festzustellen, dass ich gern mit mir befreundet wäre. Ehrlich. Ich bin eine gute Freundin. War ich schon immer. Was ich nicht immer konnte, war, mit mir zufrieden zu sein. Es fällt mir schwer, mir einzugestehen, dass an mir viel mehr richtig als falsch ist. Stets trage ich diese Angst in mir, entweder zu viel oder nicht genug zu sein. Es ist, als hätte ich Angst vor mir selbst. Aber es wird besser. Das hat mit meinem Umfeld zu tun, in dem es emanzipierte Frauen und kluge Männer gibt, es hat damit zu tun, dass ich mir den Luxus leiste, viel Zeit mit mir selbst zu verbringen und dadurch komplett auf andere Gedanken zu kommen. Es ist wirklich wahr: Wer es eilig hat, muss sich Zeit lassen. Wie oft habe ich schon geklagt, dass ich die fürs Kochen und Backen erforderliche Gelassenheit erst lernen musste? Aber ich lade gern an opulent gedeckte Tische. Nicht des Essens wegen. An diesen Tischen sitzen Menschen. Wer sind sie? Was treibt sie an? Was erfreut sie, was macht sie traurig? Das interessiert mich.

Ich lebe in einer Stadt. Ja, lebe, nicht wohne. Ich fühle mich lebendig inmitten von Licht, Gerüchen, Stimmen. Der Klang einer Stadt bei Tag und bei Nacht ist Musik in meinen Ohren. Jazz und Mozart liebe ich gleichermaßen. Müsste ich mich zwischen beiden entscheiden, wäre ich verloren.

Ich bin die meiste Zeit meines Lebens nicht gut in Beziehungen. Aber es gibt diese eine große Liebe in meinem Leben. Sie heißt Inspiration. Ich bin süchtig nach ihr. Sie ist die Frage auf alle Antworten. Ich habe eine Liaison mit Fragen. Als Kind sagte man mir: »Sei nicht so neugierig!« Wie macht man das, nicht neugierig zu sein? Mein Kind sagt mir übrigens dasselbe: »Mama, sei nicht so neugierig!«

Ist das Leben ein Kreisverkehr, und wenn man sich für keine Ausfahrt entscheiden kann, stellt man nach der dritten Runde fest: »Hier war ich schon.«?

Ich bin viele Runden und Umwege gefahren. Ich habe als Braut getanzt und auf Friedhöfen geweint. Aber irgendwann traf ich eine Entscheidung: Ich fahre Kurven. Mit Absicht. Meine Kurven heißen Berlin, Mainz, Frankfurt, Tel Aviv. Am Straßenrand dieser, meiner Kurven standen und stehen die wichtigsten Menschen in meinem Leben. Sie alle verbindet eines: Sie inspirieren mich. Sie machen mich klüger, geduldiger, weniger egoistisch. Sie sind gütig und erlauben mir meine Fragen.

Seit ich mir gestatte, die Kurven in meinem Leben zu akzeptieren, erfahre ich mehr über mich. Anderen gefallen zu wollen oder so sein zu müssen, wie man es von mir erwartet, strengt mich viel mehr an als falsch abzubiegen. Jedenfalls an guten Tagen. Nein, ich stehe nicht vor dem Spiegel und finde mich unwiderstehlich. Aber ich finde Kinder toll. Große und kleine, laute und leise, schüchterne und vorlaute.

Womit wir bei der nächsten Frage wären – was für ein Kind war ich? Wie wollte ich als Erwachsene sein? Und bin ich es geworden?

Sie sind dran!

Meist sonnig

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