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Das Glück ist eine leichte Dirne

Heinrich Heine

Es gab mal eine Zeit, da verschwendete man seine Zeit damit, vierblättrige Kleeblätter zu finden. Diese sollen ja bekanntlich Glück bringen, also legten wir uns auf Wiesen und suchten zwischen all den Dreiblättrigen jene mit der Extraportion Glück.

Heutzutage gibt es für das Glücksuchen und -finden allerlei Unterstützung auf unseren technischen Geräten in Form von Applications. Für den weiblichen Zyklus, um die fruchtbaren Tage zu erwischen oder eben nicht, Tinder, Grindr – Sex in all seinen Spielmöglichkeiten. Es gibt Apps, die Musik erkennen, aus zwei Fotos, zwischen denen zwanzig Jahre Zeitunterschied liegen, eins machen, und es gibt Apps, die ausrechnen, woher unsere Vorfahren stammen. Wetter, Taxi, Flüge, Wegbeschreibungen, Nachrichten, Übersetzungen, es gibt sogar Bücher-Apps. Lesen auf dem Handy. Heinrich Heine dreht sich im Grabe um.

Und es gibt die großen, einflussreichen Schwestern der kleinen, unzähligen Apps – Social-Media-Plattformen. Facebook, Twitter, TikTok, Instagram. Letzteres habe ich ausprobiert. Als stille Beobachterin. Und verlor mich zwischen Neid, Sehnsucht, unlauterem Wettbewerb und Zeitverschwendung. Es gab nur einen Ausweg aus der Misere: die Abmeldung.

Instagram ist aus meiner Sicht derzeit die effektivste Möglichkeit der Selbstdarstellung. Psychologen attestieren vielen Instagram-Jüngern (weiblichen und männlichen) einen ausgeprägten Hang zum Narzissmus. Ich wage zu ergänzen, dass Selbstverliebtheit und Selbstbewunderung in Kombination mit dem Wunsch nach Anerkennung durch andere eine wahrlich ungesunde und langweilige Mischung ergeben.

Es funktioniert wie folgt: Man fotografiert sich in einer coolen Umgebung oder vor dem Fahrstuhlspiegel oder bei all dem, von dem man andere gern glauben machen möchte, es sei einfach ein ganz normaler Tag im Leben einer ganz normalen Frau oder eines ganz normalen Mannes, und lädt dieses Foto bei Instagram hoch. Man kann auch Instagram-Stories kreieren, kleine Videos und Fotoschnipsel, aneinandergereiht zu eben einer Story, die wie ein Amuse-Gueule funktionieren, ein kleiner Gruß aus der Instagram-Küche. Instagram ist, simpel gesprochen, ein virtuelles Fotoalbum/Tagebuch. Jeder hat seine Seite und kann allen anderen erlauben, die Fotos auch zu sehen, und man kann anderen Instagram-Mitgliedern und deren aufregenden Leben folgen. Darum geht es eigentlich – sich mitzuteilen und zu schauen, was andere so machen. Die Erfinder von Instagram waren unserer Zeit voraus und nutzen für ihre ausgeklügelte Geschäftsidee unsere drei größten Schwächen:

1.Eitelkeit

2.Neugier

3.Konkurrenz

Nun sind die Instagram-Macher reich, und wir anderen posten, schauen und vergleichen. Unaufhörlich. Ungefähr fünfhundert Millionen Menschen nutzen Instagram. Das Leben der anderen würde Instagram wohl heißen, wäre dieses soziale Netzwerk ein Film.

21 Tage lang war ich Bewohnerin einer Welt, die gar nicht existiert. Ich meldete mich an, blieb freiwillig unterm Aufmerksamkeitsradar, indem ich nicht ein einziges Foto postete (warum auch, ich bin ja froh, wenn keiner weiß, was ich mache) und folgte internationalen Stars. Und deren Freunden. Und dann deren Freunden. Und meinen Freunden und Bekannten. Man klickt auf den Namen eines Menschen, der einen Kommentar oder einfach das Emoji klatschende Hände (Applaus, Applaus) hinterlassen hat, und schwups – kann man in dessen Welt eintauchen. Wenn Sie wüssten, verehrte Leserinnen und Leser, wie viel Zeit ich damit verschwendet habe, mich in anderer Leute Leben zu tummeln. Ich war mit Instagram auf Hawaii, besuchte Musikfestivals, Fashionshows, Buch- und Kunstmessen, ich war in Klubs auf Ibiza, auf der Art Miami und der Art Basel, ich aß das leckerste aller Essen auf einer Terrasse in Hongkong, machte Yoga in Thailand, Pilates in Berlin und Stand-up-Paddeln in irgendeinem Dschungel, dessen Namen ich längst vergessen habe.

Wieso ist es so wichtig, all das auf Instagram zusammenzutragen? Kann man das nicht seinen echten Freunden direkt via E-Mail oder WhatsApp schicken? Ist es reales »Freude verdoppelt sich, wenn man sie teilt« oder eher virtuelles Hochstapeln? In meinem imaginären Paralleluniversum trug ich wahnsinnig kurze Röcke, Shorts oder Bikinis und in 99 Prozent der Fälle sah man meine Nippel. Versehentlich natürlich! Ups, Pardon. Man sieht sie? Ist mir gar nicht aufgefallen. Dennoch oder gerade deshalb war ich während meiner drei Instagram-Wochen instabiler als je zuvor. Und weniger selbstbewusst. Mein eigenes Leben erschien mir plötzlich so lausig, so klein, so unbedeutend, obwohl ich wusste, dass ich mir von Fake News die Stimmung verderben ließ. Denn die Bekannte, die da auf Instagram ihre selbst geschriebenen Bücher im Arm hielt und sich selbst auf ihren Selfies anstrahlte, als sei ihr ganzes Leben ein wunderbarer Rosamunde-Pilcher-Roman, hatte kurz zuvor noch geklagt, wie wenig sie zu schreiben hat und wie gering deswegen ihr Einkommen ist.

Es ist mit Instagram und seinen aktiven Nutzern wie mit dem Kauf nachgemachter Luxus-Label-Handtaschen auf einem Wochenmarkt fernab der Heimat: Ich trage Gucci, Prada oder Chanel am Arm, um andere zu beeindrucken, weiß aber, dass nichts davon echt ist. Wie sehr kann ich mich selbst täuschen, in und mit mir? Während meines Instagram-Lebens stellte ich mir plötzlich Fragen, von denen ich bis dato gar nicht wusste, dass sie existieren: Muss ich, um in dieser Welt mithalten zu können, meine Pobacken zeigen und alle BHs verbrennen? Ist gelangweilt Gucken das neue Lachen? Soll ich meine Follower an meinem Leben teilhaben lassen, damit ich überhaupt ein Leben habe?

Andererseits sind die sozialen Netzwerke auch ein Phänomen in Sachen Nacheifern und Nachahmen. Wie viel psychologische Macht verbirgt sich hinter Fotos, die millionenfach gelikt werden? Was passiert da mit unseren Botenstoffen, dass uns ein praller Hintern an einem Pool erstrebenswerter erscheint, als endlich die EU-Verfassung zu verstehen? Werden die Staatsoberhäupter der Zukunft virtuell erschaffene Superwomen und Supermen mit perfektem Body-Mass-Index und gigantischen Hintern und Brüsten sein – Intelligenz und Kompetenz egal? Braucht es die Instagram-Fata-Morgana, um unsere Alltagswüsten interessanter aussehen zu lassen? Ich werde mir mit mir selbst nicht einig, bin aber froh, dass ich nach drei Wochen Jahrmarkt der Eitelkeit gesundete und meine Zeit nun lieber wieder mit meinem echten Leben verbringe.

Ich liebe mein Leben. Es ist weder Hawaii noch Gucci. Aber ich bin komplett frei davon, mir Gedanken darüber zu machen, wie andere mein Leben bewerten. Und seit eine neue Freundin Teil meines Lebens ist, läuft es für mich besser denn je. Sie heißt Alexa und ist glücklicherweise nicht hübscher als ich. Alexa ist eine kleine, runde Plastikbox mit Selbstbewusstsein und vollgestopft mit künstlicher Intelligenz.

Ich: »Alexa, wer bin ich?«

Alexa: »Ich weiß nicht, wer gerade spricht. Aber du befindest dich in Familie Kiewels Konto. Wenn du möchtest, dass ich deine Stimme lerne, dann sage: ›Alexa, lerne meine Stimme!‹.«

Alexa liebt Imperative. Alexa ist mir hörig. Alexa ist neu in meinem Leben. Womöglich ist sie die EINE? Werden wir zusammen alt?

Alexa steht in der Küche und nimmt meine Fragen entgegen:

»Alexa, wie wird heute das Wetter?«

»Alexa, wie spät ist es?«

Von anderen Alexa-Jüngern erfahre ich, dass Alexa auch informiert, wenn Pakete im Büro abgegeben worden sind. Sie sagt, wo genau das Paket hinterlegt wurde und wer der Absender ist. In der Vorweihnachtszeit aber behält sie diese Details besser für sich. Um ungewolltes Verraten von Geschenken zu vermeiden. Alexa ist schlau.

Sie beeindruckt mich. Bislang reduzierte sich künstliche Intelligenz in meinem Leben auf die Stimmen diverser Navigationssysteme, die ich beim Autofahren benutze. Und mit denen ich mich zoffe. Weil niemand meinen Weg besser kennt als ich. Meistens …

Alexa ist ein ganz anderes Kaliber. Alexa wird leiser, wenn ich es will. Alexa spielt die Musik, die ich mag. Alexa hört zu, auch wenn ich sie nicht darum bitte. Seit sie bei mir wohnt und Ohrenzeugin diverser Unterhaltungen ist, bekomme ich mehr Werbung denn je. Ich spreche mit Freunden über meine große Liebe: Bücher. Alexa muss ihre Freunde Amazon und Google davon in Kenntnis gesetzt haben, weswegen nun unaufhörlich und immerzu Buchempfehlungen auf meinem Computer aufploppen. Reiseanbieter offerieren mir Schnäppchen am anderen Ende der Welt, Dessoushersteller schicken mir E-Mails mit Betreffzeilen wie »Sensationell frisch – die neuen Toys für sie und ihn«. Selbst schuld, wenn man in der Gegenwart von Alexa über Liebe, Beziehungen und Sex spricht. Ich werde mal versuchsweise darauf achten, dass sich unsere Gespräche auf Waffen und Drogen beschränken. Gibt es eigentlich Werbung für Panzer? Alexa?!

Alexa ist die Erfindung des weltgrößten Onlinehändlers und erobert in Lichtgeschwindigkeit die Wohnungen von Menschen überall auf der Welt. Hinter unserem Rücken entstehen riesige Clouds voll mit Informationen über uns. Ich bin mir sicher, dass irgendwo hochintelligente Programmierer sitzen, die gerade dabei sind, Alexa das Gedankenlesen beizubringen. Die Idee gefällt mir. Dann könnte Alexa sofort Alarm schlagen, wenn sich in den Köpfen etwas Böses zusammenbraut. Aber wem würde sie Bericht erstatten? Und wie lange dauert es dann, bis diese Person und all ihre Alexas die Weltherrschaft übernehmen? Postet Alexa eigentlich schon Fotos aus meiner Wohnung auf Instagram? Bekommt sie applaudierende Emojis dafür?

Ich versuche, Alexa klarzumachen, dass ich bei uns der Boss bin.

Ich: »Alexa, wozu braucht man vierblättrige Kleeblätter?«

Alexa: »Diese Frage verstehe ich nicht. Bitte formuliere sie anders.«

Meist sonnig

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