Читать книгу 2117 - Andreas Loos Hermann - Страница 13

Kapitel 11

Оглавление

Wieder brach ein Abend über Köln herein und Dr. Reisinger saß in einem Innenstadtlokal beim Abendessen. Als Single hatte er kein Interesse, den Abend alleine zu Hause zu verbringen. Er bevorzugte die Italienische Küche und ließ sich gerade ein Glas besten Baudolino vom Kellner einschenken, als die Tür des Lokals aufging und ein guter Bekannter den Raum betrat. „Zufälle gibt es, die können keine Zufälle sein“, dachte sich Reisinger.

Der Bekannte kam an seinen Tisch und benahm sich wie ein Fremder. Sicher ist sicher, dachte er. Er fragte ganz belanglos, ob es recht sei, wenn er bei ihm Platz nehme, da alle anderen Tische reserviert waren. Reisinger nickte und meinte beiläufig: „Aber natürlich, setzen Sie sich nur, das Lokal wird noch sehr voll werden.“

Der Bekannte nahm Platz und beide taten so, wie wenn sie sich nicht kennen würden, und hier nur ein wenig auf Konversation machten, aber der Bekannte war in Wahrheit der Antiquariar von der Goethestraße, den Reisinger wegen Professor Fowey hatte aufsuchen wollen.

Die beiden sprachen vorerst kaum miteinander. Erst als sich das Lokal gefüllt hatte und ein kräftiges Stimmengewirr den Raum erfüllte, begann ihre leise Unterhaltung. Reisinger erzählte von seinen heutigen Erlebnissen mit der Behörde und wie er nach der verbotenen Abfrage ausgehorcht worden war.

Thomas Brunner, der sein Antiquariat seit vielen Jahren führte, war um die Fünfzig und lebte ebenfalls allein. Seine Frau war vor vielen Jahren gestorben. Sie hatte den Lehrstuhl für Germanistik an der UNI Köln innegehabt. In Brunners Antiquariat gab es daher Dinge, die es wo anders nicht oder nicht mehr gab. Brunner hatte einen Keller in der Kölner Innenstadt unter falschem Namen gemietet, wo sich Dinge befanden, die es längst nicht mehr geben durfte, wäre alles nach dem Willen der EU Behörden gegangen. Aber Brunner hatte geheime Quellen und kannte Leute, die man offiziell besser nicht kannte.

Reisinger sprach Brunner auf Professor Fowey an. Bei ihm konnte er sich darauf verlassen, dass nichts verraten wurde. Er hatte Angelika, Brunners Frau, gut gekannt. Sie war immer unabhängig gewesen und das Amt für Datenschutz, die allwissende Kontrollbehörde, hatte ihr nie etwas nachweisen können.

Brunners Stimmer wurde noch leiser, als er zu erzählen anfing. Reisinger hatte Mühe, ihn überhaupt zu verstehen.

„Fowey, den Namen kenne ich, das war so ein Spinner aus dem zwanzigsten Jahrhundert, der in England gelebt hat und der behauptet hat, dass Energie aus dem Vakuum geschöpft werden könne und dass daher die Energievorräte der Menschheit unendlich wären. Er wollte immer eine Maschine bauen, mit der er das beweisen könne. Es gelang ihm aber nie. Sein Labor mit allen Forschungsergebnissen brannte ab und er musste außer Landes flüchten. Es gab hunderte Artikel und freie Internetseiten über ihn, als das Internet noch frei war. Das ist jetzt alles längst verschwunden. Aber ich denke, im unteren Keller habe ich sicher noch ein paar Datenträger über ihn. Man müsste sie nur suchen, da die Ordnung dort unten nicht die beste ist.“

„Könnte dieser Professor Fowey eigentlich nicht auch Recht gehabt haben?“, fragte Reisinger leise.

„Kaum, denn wozu wären dann die Ölkriege nötig gewesen. Dann hätten wir doch alle Energie in Fülle und müssten uns nicht mit dem bisschen Wasserstoff zufriedengeben, den wir jetzt hier in Europa produzieren können.“

„Dann bräuchten wir aber auch nicht so strenge Sicherheitsvorkehrungen, wie wir sie jetzt haben. Wir könnten uns ganz normal am Institut treffen und darüber eine Veröffentlichung schreiben, statt in geheimen Kellern nach alten CDs zu suchen.“

„Sei bloß leise“, raunte Brunner, die Leute der Sicherheit sind überall. Dieser Tisch zum Beispiel, der könnte ein Mikrophon eingebaut haben. Und wenn dies der Fall ist, sind wir jetzt fällig.“

Reisinger stieß zum Test die kleine Blumenvase, die am Tisch stand, scheinbar versehentlich um. Wasser floss heraus und tränkte das Tischtuch. Er nahm die Vase und untersuchte sie. Er fand nichts. Brunner hatte die Tischplatte auf der Unterseite mit raschen geübten Griffen abgetastet und hatte ebenfalls nichts gefunden.

„Verzeih´, manchmal spielen einem die Nerven einen Streich und man sieht schon überall den Feind.“

„Sei´ froh, dass wir in einer A Zone leben können“, entgegnete Reisinger.

„Ist wahr, drüben in England sind die A Zonen schon stark geschrumpft. Nur mehr die City of London und einige Vororte fallen darunter. Fast der ganze Rest von Südengland ist auf Sicherheitsstufe E gefallen, mit einigen C Einsprengseln, seit diese Ignoranten aus der EU ausgetreten sind. Dort herrschen jetzt nur mehr Anarchie und Verbrechen. Nur die Schotten waren schlauer, die haben sich vom UK getrennt und sind in der EU geblieben, denen geht es noch besser als den Engländern, wenn auch nicht so gut wie uns, da sie doch etwas isoliert sind, auf dem Inselstückchen dort im Norden.

Wir können dafür noch das ganze Rheinland bereisen und ein kurzer Sprung mit dem Shuttle und du bist in der nächsten A Zone bei München.“

Über das Konzept der Sicherheitsstufen hatten sie schon vor Jahren miteinander diskutiert. Damals hatte Reisinger das Konzept noch verteidigt. Brunner war immer dagegen gewesen, er war eben doch ein heimlicher Revolutionär, auch wenn ihm das niemand ansah und er noch an keiner Revolution teilgenommen hatte, wie er immer wieder beteuerte.

Das Konzept der Sicherheitsstufen umfasste zehn Stufen. In Europa gab es nur die ersten fünf Stufen. Jedes Gebiet wurde einer Sicherheitsstufe zugeteilt. In Gebieten der Stufen A und B hatten alle Bürger einen Mikrochip zur Identifikation und zur Ortung implantiert. Dafür sollte es maximale Sicherheit geben. Die gab es in der Regel auch, aber die Sicherheitskräfte hatten dafür alle Rechte und die Überwachung der Gebiete war sehr kostspielig. Es gab überall Lesestationen und mobile Lesegeräte der Einsatzkräfte, welche die Daten der implantierten Chips lesen und verarbeiten konnten. Dadurch sollte wirksam verhindert werden, dass unbefugte Personen sich an geschützten Orten aufhielten und für jede Person konnte im Bedarfsfall ein lückenloses Bewegungsprofil erstellt werden.

Doch auch mit modernsten technischen Methoden konnten die A und B Zonen nur kleine Teile des Staatsgebietes der EU umfassen. Der Unterschied zwischen A und B selbst war minimal. In B durften auch Bürger aus C einreisen, die keine Chips implantiert hatten, aber bei Betreten von B ein fixes Chiparmband in der Form einer einzelnen Handschelle angelegt bekamen. Das machte sie vorübergehend zu Bürgern von B. In die Zone A konnten solche Leute nicht gelangen. Das war der ganze Unterschied zwischen A und B.

Weite Landstriche der EU waren Zone C. Das war die freie Zone, in der die Landwirtschaft stattfand und wo sich die restlichen Waldgebiete befanden. Die meisten Alpengebiete waren Zone C, während B die Ballungsräume umfasste und A alle wichtigen Zentren. Ausnahmen gab es dabei genug, wo die Zone A ausgeweitet worden war, weil niemand Leute aus C drinnen haben wollte. So war das ganze Rheinland zur Zone A geworden. Im Osten ging das nahtlos in einen schmalen Streifen B über, wo die Lebensmittel aus C, noch weiter im Osten gelegen, umgeladen wurden. Weite Teile des Ostens Deutschlands und fast ganz Polens waren dann nur mehr Zone D zugeordnet.

Und das Schlimme am System waren die Zonen D und E. Dorthin reichte der Arm der Ordnungshüter nicht mehr. Wer keinen gültigen elektronischen Ausweis für zumindest C hatte, blieb Zeit seines Lebens in D oder E verbannt. Der Unterschied zwischen D und E bestand nur auf dem Papier. In D hatte sich die Regierung verpflichtet, zumindest noch eine rudimentäre Infrastruktur aufrechtzuerhalten. Es sollte Wasserleitungen und Stromleitungen geben. In E gab es gar nichts mehr. Leider gab es in D zwar oft Wasserleitungen, doch durch diese floss längst kein Wasser mehr. Die Wirtschaftskraft aller Staaten war nach dem dritten Ölkrieg einfach zu erschöpft, als dass es dafür noch gereicht hätte. Denn jetzt gab es endgültig kein Öl mehr, und wer hätte da in D und E Gebieten noch investieren können.

So waren die E Gebiete von starker Abwanderung betroffen, doch die Menschen konnten nur in die D Gebiete, da C nur offenes Land war und B und A die schweren Grenzüberwachungseinrichtungen hatten. Durch diese mörderischen Einrichtungen waren schon viele tausend Menschen ums Leben gekommen, beim Versuch, in eine A-Zone zu kommen.

Die Zonen F bis J kannten Reisinger und Brunner nicht einmal vom Hörensagen, da es einfach keine Nachrichten von dort gab. Sie wussten nur aus alten Protokollen, die schon lange nicht öffentlich zugänglich waren, dass vor Ende des dritten Ölkrieges zehn Zonen eingerichtet worden waren. Schlimmeres als E konnten sie sich nicht vorstellen. Dass zwei Drittel der Landfläche der Erde unterhalb der Entwicklungsstufe E lagen, dass ahnten nicht einmal diese beiden. Ganz Afrika, weite Teile von Asien, Russland und Südamerika lagen unter E-Level. Aber diese Gebiete waren aus dem Gedächtnis der Menschen verschwunden, denn in den A Zonen sprach niemand gerne darüber. Für die A Bewohner hörte die Welt jenseits von B auf zu existieren. Es war auch nicht gern gesehen, wenn ein A Bürger in eine C Zone wollte. Da wachten die Geheimdienste genau darüber und jeder, der das wollte, musste eine ausführliche Begründung vorlegen. Kam das mehrmals vor, so wurde er als verdächtiges Terrorsubjekt eingestuft und erhielt permanente Überwachung, die sehr leicht in seiner Beseitigung enden konnte.

So waren die anderen Gebiete langsam aus dem Bewusstsein der Öffentlichkeit verschwunden und wurden kaum mehr wahrgenommen. Der einzelne Bürger machte sich keine Gedanken darüber, da er mit belanglosen Informationen zugeschüttet wurde. Alles was außerhalb seiner Zone lag, war gefährlich. Mehr zu wissen, war lebensgefährlich.

Und das, was sie hier taten, war noch gefährlicher, da sie nach nicht zugänglichen Informationen suchten.

Trotzdem musste Reisinger lächeln, wenn er ans GUK dachte, das Greater United Kingdom, wie es sich selbst nannte. Australien und Kanada sollten dabei sein, aber in Wahrheit bestand es nur aus einzelnen Wohlstandsinseln der A und B Zonen in England und einigen Karibischen Inseln, die sich die Engländer noch gesichert hatten. Kanada und Australien waren in Wahrheit von der USA annektiert worden, die Bevölkerung von Canada hatte darum gebeten, das gäbe ein Mehr an Sicherheit. Aber das wussten in England die wenigsten Leute, soweit war es mit der Informationsfreiheit gekommen, das GUK war nur mehr eine Illusion der Engländer.

2117

Подняться наверх