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Kapitel 7

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Auf der anderen Seite des Atlantiks hatte sich Klara dazu entschlossen, den U-Bahnhof zu verlassen. Einige Züge waren in beiden Richtungen durchgebraust, ohne auch nur langsamer zu werden. Ihr HYCO hatte keinen Pieps von sich gegeben. Anscheinend war sie hier außer der Reichweite aller Sender.

Vorsichtig war sie über den Unrat gestiegen und bemühte sich, ihre Schuhe nicht zu beschmutzen. Die Wände des Stiegenaufganges waren dick mit Graffiti und Schmutz überzogen. Leere Bierdosen und zerbrochene Einwegspritzen lagen überall herum. In einer Ecke sah sie einen Junkie liegen, der leise vor sich hin wimmerte. Clara wusste nicht, ob sie sich eher fürchten, oder nur ekeln sollte. Sie war nicht auf die Wirklichkeit in East London vorbereitet.

Als sie endlich das Straßenniveau erreicht hatte und wieder Tageslicht sah, verschlug es ihr den Atem. Von der gegenüberliegenden Häuserzeile hatte keines der Häuser mehr ein Dach. Ruinen, soweit sie sehen konnte. Schutt und Abfälle türmten sich quer über die Fahrbahn, die einst eine breite Straße gewesen sein musste. Verrostete Wracks von Autos aus den letzten hundert Jahren standen kreuz und quer in der Gegend. Manche waren zu Barrikaden aufgeschichtet, andere völlig waren völlig ausgebrannt und nur mehr leere Metallskelette. Ein normaler Straßenverkehr war hier nicht mehr möglich.

Und doch gab es in dieser Ruinenlandschaft Leben. Ein bärtiger alter zerlumpter Mann zog einen Handwagen hinter sich her, den er geschickt zwischen den Wracks hindurch manövrierte. Die Häuserzeile, an der Clara stand, war nicht ganz so zerfallen und Clara sah, dass es hier sogar noch so etwas, wie Läden und Geschäfte gab. In einem noch recht gut erhaltenen Haus, das auch ein Dach hatte, gab es einen Laden, der Gemüse anbot. Einige Frauen standen davor und unterhielten sich. Gleichzeitig lagen einige Jugendliche nur wenige Meter weiter am Boden und gaben sich irgendwelchen Substanzen hin. Die Frauen kümmerten sich nicht um die Jugendlichen.

Erst jetzt bemerkte Clara den Gestank, der über allem lag. Hier gab es schon lange keine funktionierende Kanalisation und kein sauberes Wasser mehr. Die Menschen mussten sich anders behelfen. Wie sie das zuwege brachten, lag außerhalb Claras Vorstellungskraft. Der Gestank schnürte ihr den Atem zu.

Sie sah zerlumpte Gestalten, die Abfallhaufen nach etwas Brauchbarem durchstöberten. In Hauseingängen, oder besser in den Eingängen der Ruinen, lehnten Typen, die entfernt an Rocker früherer Jahrhunderte erinnerten. Sie waren jung, trugen lange Haare und zerzauste Bärte. Gekleidet waren sie in einer Mischung aus Lumpen und Metallteilen, die sie sich aus Abfällen anscheinend selbst gefertigt hatten. Manche hatten lässig Eisenstangen als Waffen neben sich gelehnt und blickten gelangweilt über die Straße, ob irgendwo ein Opfer zu sehen sei.

Clara war erst wenige Meter weit gegangen, als ihr siedendheiß einfiel, wie sehr sie in ihrer Kleidung hier auffallen musste. Zum Glück schienen alle Leute hier so mit sich selbst beschäftigt, dass sie noch keiner bewusst wahrgenommen hatte. Doch das konnte sich jede Sekunde ändern. Sie drückte sich zwischen dem Wrack eines Fords und einer verrosteten Mülltonne an die Wand einer Ruine eines ehemaligen Supermarktes und machte sich so klein, wie möglich.

„Hey Kleines, was tust du um diese Zeit auf der Straße?“, wurde Clara plötzlich angesprochen. Sie erstarrte, denn jetzt hatte sie jemand bemerkt. In Panik fuhr sie herum.

Da stand ein Mädchen, das so gar nicht in diese trostlose Welt zu passen schien. Das Mädchen trug einen schrecklich kurzen Minirock und ein hautenges Top, das ihren Busen in geradezu provozierender Weise betonte. Der Ausschnitt zeigte mehr her, als er verbergen konnte. Dazu trug sie Lackstiefletten und in der Hand schwang sie lässig einen Schlagstock, der mit einer Kette mit einem zweiten Schlagstock verbunden war und eine recht wirkungsvolle Waffe abgab.

Sehr gefährlich sah das Mädchen nicht aus, fand Clara. Sie schätzte sie auf vielleicht achtzehn Jahre und sie war einen Kopf kleiner als Klara.

„Bist du auf den Mund gefallen, oder bist du neu hier?“, wiederholte sie ihre Frage. „Neue sollten sich vorsehen und überhaupt, was du anhast, ist hier Schnee von Gestern, so kriegst du nie einen Freier.“

Clara verstand immer noch nicht, aber sie nahm allen Mut zusammen und sagte so selbstbewusst, wie möglich, „ich habe mich hier nur ein bisschen verlaufen, kannst du mir vielleicht sagen, wie man von hier am schnellsten in die City kommt?“

Die Fremde grinste mitleidig von einem Ohr bis zum anderen. „In die City kommt …. Du machst echt einen guten Witz, und wie sie nach der Schreibe redet, wie wenn sie´s gelernt hätt´.“ Das sprach sie mit einem tiefen Cockney Dialekt, so dass Clara sie fast nicht verstand.

Dann sah sie Clara genauer an und meinte abschätzig, „Du bist wirklich fremd hier, du hast keine Ahnung, was hier abgeht.“

„Wir wollen hier alle in die City, aber da kommst du nicht durch, nicht von hier aus. Ich hatte mal n´en Freund, der hat das auch versucht, aber das ist lange her, und ich hab´ ihn nie wieder gesehen. Einer unserer Fighter hat mir erzählt, er habe ihn an der inneren Absperrung liegen gesehen, aber das muss nicht wahr sein, der Kerl wollte es nur umsonst haben und dachte diese Auskunft genügt als Bezahlung. Ich hab´ ihm einen Tritt in die Eier verpasst, diesem fiesen Schwein.“

Sie geriet richtig in Fahrt, als sie das sagte und schwang ihren Schlagstock drohend.

„Aber ich komme doch von dort, wir wohnen in West London“, hörte Clara sich tonlos sagen, und bereute schon im nächsten Moment, was sie gesagt hatte.

„Dann bist du ja wertvoll“, frohlockte das Mädchen, „da gibst du eine gute Geisel ab, denn da werden sie dich ja bald suchen kommen und da lassen sie immer etwas springen, wenn sie ihr Herzibinki lebend und ganz wiederhaben wollen. Wenn sie nichts springen lassen, dann kriegen sie dich nur in Einzelteilen zurück. Zuerst ein Ohr, dann einen Finger oder eine Hand, bis dann der Kopf auf einer Müllhalde gefunden wird.“

„Es weiß doch keiner, dass ich da bin, mich sucht doch niemand“, presste Clara in Panik hervor.

„Das dachte ich mir, von den Westendern ist doch niemand so doof, freiwillig hierher zu kommen. Du hast gelogen und willst dich hier nach einem Job umsehen. Wahrscheinlich bist du aus dem Süden, da sind sie alle so naiv. Wo kommst du her, Cornwall oder Brighton?“

Claras Verstand arbeitete rasend. Wenn hier schon die netten Mädchen so locker vom Zerstückeln der Opfer sprachen, wie wenn sie mit ihren Schulkolleginnen den Ausgang des letzten Tennismatches besprach, wie waren dann erst die Jungs und was war bitte schön ein Fighter.

Wenn sie sich nochmals verriet, dann war sie geliefert und ihre Einzelteile lagen bald über East London verstreut. Sie versuchte, sich zusammenzureißen und nickte.

„Ist ja wahr, ich bin aus Brighton und ich heiße Clara“, meinte sie schüchtern.

„Habe ich dich erschreckt, mit der Geiselnahme, aber die Mädels vom Land sind ja so naiv, da hilft nur die ungeschminkte Wahrheit. Obwohl die letzte Geisel, die es hier gab, schon eine Weile her ist, denn es kommt ja niemand mehr zu uns, der es Wert wäre, als Geisel genommen zu werden.“

„Ich bin Suzy und wir haben ganz in der Nähe unser Quartier. Meine Freundinnen und ich. Wir arbeiten autonom, wenn du dich uns anschließen willst, dann komm´ mit, aber entscheide dich schnell, denn das hier ist unsere Gebietsgrenze und ich sollte eigentlich gar nicht hier sein.

„Was soll ich bei euch arbeiten?“, fragte Clara schüchtern.

„Du bist neu, da brauchst du nur Standard machen. Die ersten drei Monate keinen Hardcore und keine echte Folter, nur hin und wieder ein bisschen Sado Maso, sonst nichts. Wenn du die Kundschaft besser kennst, dann wirst du sehen, alles halb so schlimm, wir können recht gut davon leben.“

Clara hatte schon von solchen Dingen gelesen, heimlich unter der Bettdecke mit dem HYCO auf verbotene Seiten geklickt, mit wohligem Gruseln, aber das konnte doch niemand von ihr in der Realität verlangen.

„Ja ich weiß, du bist neu und noch völlig unschuldig, womöglich noch Jungfrau, aber wir müssen jetzt weg, dort drüben kommen drei Typen von den Red Killers.“ In ihrer Stimme schwang jetzt Nervosität mit.

Clara sah sich um. Die drei waren keine dreißig Meter entfernt. Einer brüllte herüber, was sie in ihrem Revier täten. Der zweite hielt sich nicht lang mit Reden auf, sondern zog eine Waffe und schoss ansatzlos aus der Hüfte. Hinter Clara splitterten die Ziegel aus der Wand, als die Projektile einschlugen.

„Schießen könnte ihr nicht, ihr Scheißer“ schrie Suzy zurück, packte Clara bei der Hand und zerrte sie in die Supermarktruine hinein.

Es folgte eine wilde Jagd durch umstürzende Regale, Müllhaufen, Hinterausgänge und zusammenbrechende Treppen. Clara rannte hinter Suzy her, so schnell sie ihre Beine trugen. Die Red Killers schossen, trafen aber immer weit daneben. Sie schienen sich einen Spaß daraus zu machen, die Mädchen zu jagen. Für Clara war es alles andere als lustig. Suzy geiferte, „die wollen es nur um sonst haben, wenn sie uns einholen, müssen wir ihnen einen blasen, dann lassen sie uns laufen, denn die Gegend gehört zu ihrem Revier. Halt´ bloß durch, wir haben es gleich geschafft.“

Sie sprinteten durch einige verfallene Hinterhöfe. Suzy schwang sich mühelos über Mauern und Clara musste ihr folgen. Ihre schöne Bluse zerriss, so dass der BH sichtbar wurde, als sie an einem Stacheldrahtzaun hängen blieb. Ihre Jeans waren mit Schlamm und Unrat verschmiert, als sie einmal in einer Pfütze ausrutschte und der Länge nach hinfiel.

Suzy riss eine Eisentür in einer Mauer auf, stieß Clara durch und knallte die Tür zu. Sie waren in einem halbdunklen Raum mit vergitterten Fenstern. Clara war völlig außer Atem.

Suzy meinte lässig, „Die haben wir abgehängt, wir sind in Sicherheit“, wobei auch sie etwas außer Atem war. Aus dem Halbdunkel tauchte eine muskulöse Gestalt wie aus dem Nichts auf. Zerrissenen Jeans, lange stränige Haare bis zu den Schultern und nackter muskulöser Oberkörper. Er kam langsam auf die beiden Mädchen zu. Das automatische Schnellfeuergewehr hielt er so lässig in einer Hand, als wäre es eine Spielzeugwaffe, die er um den Finger wirbeln könnte.

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