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Sterben als Teil des Lebens – Der Tod als Quelle der Angst und der Hoffnung

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Die Ursache für diese mittelalterliche Distanzlosigkeit zum Tod liegt darin, dass er damals allgegenwärtig war. Kriege, allen voran die Kreuzzüge, wurden mit menschenverachtender Brutalität geführt. Selbst kleinere territoriale Streitigkeiten hinterließen blutige Schneisen in der einheimischen Bevölkerung – das Menschenleben zählte nicht viel, wenn es dem Feind gehörte. Aber nicht nur menschengemachte Kriege, auch Seuchen dezimierten die Bevölkerung. Manchmal konnten dabei die Grenzen zwischen den Lebenden und den Toten verwischen, wie es der britische Schriftsteller Daniel Defoe in seinem Bericht von den Pestgruben in London beschreibt: „Menschen die sich angesteckt hatten, das Ende nahen sahen und sich schon im Delirium befanden rannten in Laken oder Teppiche gewickelt zu diesen Gruben und warfen sich hinein und, wie sie sagten, begruben sich selbst. […] Ich habe gehört, dass bei der großen Grube von Finsbury in der Gemeinde Cripplegate, die offen in den Feldern liegt, weil sie damals noch nicht ummauert war, dass sie zu dieser Grube kamen und sich hineinwarfen, und dort verstarben, bevor noch irgendjemand Erde auf sie werfen konnte; und dass als [die Totengräber] kamen, um die anderen zu begraben, und diese dort fanden, da waren sie tot, wenn auch noch nicht kalt.“

Inmitten all dieses Elends lag die durchschnittliche Lebenserwartung bei nur 40 Jahren. Das galt allerdings nur für jene, die nicht schon im Kindesalter dahingerafft worden waren. Über die Hälfte aller Kinder erlebte das 14. Lebensjahr nicht. Auch Frauen trugen durch die häufigen Geburten ein sehr viel höheres Risiko, das fünfte Lebensjahrzehnt nicht zu erreichen. Rechnet man die Kindersterblichkeit und die Todesfälle bei Geburten mit ein, so lag die durchschnittliche Lebenserwartung für Frauen nur noch bei 24 bis 25 Jahren, für Männer bei 28 bis 32 Jahren.

Vor diesem Hintergrund bekommt der Tod eine andere Bedeutung. Wer weiß schon, was auf der anderen Seite liegt? Wenn das eigene, von Krieg und Seuchen geprägte Elend unerträglich ist, liegt es nahe, sich den Tod als Erlösung geradezu herbeizusehnen. Genährt wurde diese Vorstellungvon der Kirche, die nichtmüde wurde, mit dem Versprechen vom ewigen Leben im Himmel zu locken. Leben und Tod werden so zu unterschiedlichen Aggregatzuständen der Existenz an sich. Doch so wie es gute und böse Menschen gibt, gibt es eben auch gute und böse Tote. Und jene, die diese Schwelle zwischen Leben und Tod ohne Eintrittskarte für das Paradies in der Hand überschritten hatten, galt es unter allen Umständen an der Rückkehr ins Reich der Lebenden zu hindern.

Geköpft und gepfählt

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