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Der Nachzehrer

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Der Nachzehrer und der Vampir sind enge Verwandte. Beide saugen ihren Opfern gierig das Leben aus. Doch während der Vampir dazu aktiv das Grab verlässt, bleibt der Nachzehrer in seiner Ruhestätte und wirkt von dort mit seinem Schadzauber. Er saugt dazu an seinem Leichentuch, seinem Leichenhemd oder gelegentlich auch an seinem eigenen Fleisch und zieht damit die Lebenskraft aus seinen Angehörigen oder seiner Bekanntschaft. Wir begegnen ihm bereits 1486 im Malleus Maleficarum – dem Hexenhammer des Dominikaners Heinrich Kramer: „Einer von uns Inquisitoren fand einen Ort, der infolge der Sterblichkeit unter den Menschen fast verödet war. Dort ging das Gerücht, daß ein begrabenes Weib das Leichentuch, in welchem sie begraben war, nach und nach verschlänge, und die Pest nicht aufhören könnte, wenn jene nicht das Leichentuch ganz verschlänge und in den Bauch aufnähme. Nachdem ein Rat darüber abgehalten war, gruben der Schulze und der Vorsteher der Gemeinde das Grab auf und fanden fast die Hälfte des Leichentuches durch Mund und Hals hindurch bis in den Bauch gezogen und verzehrt. Als der Schulze das sah, zog er in der Erregung das Schwert, schlug der Leiche das Haupt ab und warf es aus der Grube, worauf die Pest plötzlich aufhörte.“

Mit seinem Werk versuchte Kramer, die brutale Vorgehensweise der Hexenverfolgung zu rechtfertigen. Entsprechend mischte er der Geschichte des Nachzehrers das Treiben einer Hexe bei: „So also waren mit göttlicher Zulassung die Sünden jenes Weibes an den Unschuldigen wegen der Verheimlichung seitens der Oberen gestraft worden. Denn bei der angestellten Inquisition fand man, daß jenes Weib lange Zeit ihres Lebens eine Wahrsagerin und Zauberin gewesen sei.“

Typisch für den Nachzehrerglauben ist im Bericht Kramers die Verbindung des Nachzehrers mit der Pest. Das Ausbreitungsmuster der Seuche legte nahe, dass die ersten Toten eines Ausbruchs weitere Opfer nachholten. Dies ist nicht verwunderlich, waren doch die Bakterien und Viren als Seuchenerreger und mit ihnen die Infektionswege der tödlichen Krankheiten noch vollkommen unbekannt. So kam es dazu, dass häufig das zuerst verstorbene Opfer, welches bereits Personen in Familie und Umfeld angesteckt hatte, als Nachzehrer verdächtigt wurde. Der Volkskundler Thomas Schürmann, der sich intensiv mit dem Nachzehrerglauben in Mitteleuropa beschäftigt hat, konnte zahlreiche Belege aus den Schriftquellen auswerten, bei denen die starke Korrelation mit den Seuchenzügen der frühen Neuzeit augenscheinlich ist. Auch wenn er von einer hohen Dunkelziffer ausgeht, konnte Schürmann ferner feststellen, dass die Furcht vor dem Nachzehrer im ganzen ehemaligen Deutschen Reich verbreitet war, wobei es in Schlesien einen Schwerpunkt gegeben haben muss.

Der Glaube an die Nachzehrer jedoch war stärker als die Hexenhysterie der Inquisition. Noch bis in das 20. Jahrhundert, lange nachdem die letzte Hexe auf dem Scheiterhaufen verbrannt war, treiben sie ihr Unwesen. Die Kirche indes beschäftigte sich immer wieder mit dieser Art von Untoten. Sogar Martin Luther wurde von dem Pfarrer Georg Rörer gebeten, seine Ansichten zu diesem Phänomen zu offenbaren. In einer seiner Tischreden, die 1566 von Johannes Aurifaber veröffentlicht wurde, geht er auf die Frage näher ein: „Es schreib ein Pfarherr M. Georgen Rörer gen Wittenberg/Wie ein Weib auff einen Dorff gestorben were/und nu weil sie begraben/fresse sie sich selbs im Grabe/darum weren schier alle Menschen im selben Dorff gestorben/Und bat/er wollte D. Mart. fragen/was er dazu riete/Der sprach/das ist des Teufels betriegerey und bosheit/wenn sie es nicht gleubeten/so schadete es jnen nicht/und hielten es gewiss für nichts anders/denn für des Teufels Gespenst. Aber weil sie so abergleubisch weren/so stürben sie nur jmerdar je mehr dahin. Und wenn man solchs wüste/solt man die Leute nicht so freventlich ins Grab werffen/sondern sagen/Da friss Teufel/da hastu gesaltzens/du betreugest uns nicht.“

Der Nachzehrer hat verschiedene Unterarten. Eine davon ist der Neuntöter. Als Neuntöter endet, wer als Kind bereits mit Zähnen geboren wird. Nach dem Tod holt er innerhalb kurzer Zeit neun weitere Verwandte mit ins Grab – ohne dies verlassen zu müssen. Die Grenzen zum klassischen Nachzehrer sind allerdings verschwommen, in manchen Gegenden scheint der Begriff auch synonym verwendet worden zu sein.

Deutlicher setzt sich der norddeutsche Dubbelsügger, der Doppelsauger, vom Nachzehrer ab. Wie auch der Neuntöter wird sein Schicksal bereits zu Beginn des Lebens besiegelt: Zum Dubbelsügger wird, wer nach dem Abstillen nochmals an die Brust gelegt wird. Im Jahr 1622 berichtet der Leipziger Literat Johannes Praetorius über derartige ihm zu Ohren gekommene Fälle: „wenn ein Kind propriè zweymahl gewehnet werde/es hernach im Grabe nicht faulen könne; sondern unverweßlich in der Erden etliche Jahre lege/sein volliges gutes Geblüte habe/und das nechste von seinen Kleidern oder Sterbekittel verzehre; Ja also die ganze Freundschafft auß- und absterben/oder mortalitatem inferire; Es sey denn/daß solchem Sarcophago der Hals mit dem Spaden oder Schauffel abgestossen werde; […] Sonderlich aber weiß ich mich zu erinnern/daß ichs zu Halle in Sachsen gehöret habe; da es sich also etliche mal soll zugetragen haben: Dannenhero sie heutiges Tags alle mortuis in sepulchrô Erdkränze oder runde Törffe umb den Hals/wie ein Kragen oder Hälsgen legen/welche dergleichen Fressigkeit verhüten.“ Der Sagenforscher Johann Georg Theodor Grässe erzählt in seinem Sagenbuch des Preußischen Staates von den Dubbelsüggern des Wendlandes. Die Mütter dort seien sehr vorsichtig, „keinen jungen Vampyr an ihrer Brust für ihre Familie aufzuziehen.“ Wie auch Luthers Nachzehrer saugt der wendländische Dubbelsügger nach dem Tod im Grab an seinem eigenen Fleisch. „Dann“, führt Grässe aus, „wirkt dies durch Sympathie auf seine Angehörigen ein, es wird ihnen alle Lebenskraft ausgesogen, sie werden blaß, mager, kraftlos und müssen noch, ehe ein Jahr vergeht, dem Doppelsauger ins Grab folgen.“

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