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Österreich Und jetzt ich!

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Der Chef am Berg: Mit großem Gerät wird im Skigebiet Silvretta Montafon die Piste in Schuss gehalten.

Im Montafon können Technik-Freaks mit einem 490 PS starken Pistenbully über die Skihänge pflügen

Von Josef Reitmayer

Um gleich von vorneherein ein Vorurteil auszuräumen, sei gesagt: Pistenbullyfahren ist kein reiner Männertraum. Trotz der beeindruckenden Fahrzeugdaten. Trotz 490 PS aus sechs Zylindern mit insgesamt sechs Litern Hubraum. „Den Traum, damit einmal fahren zu dürfen, erfüllen sich Männer und Frauen gleichermaßen“, sagt Mario. Er muss es wissen. Er ist schließlich Pistenbullyfahrer.

Für mich war es jedenfalls seit Jugendtagen eine prickelnde Vorstellung, einmal am Steuer dieses Fahrzeugs zu sitzen. Ob das Tempo so richtig ist, will ich von Mario wissen. „Nein, du bist eigentlich zu schnell!“ Ich bin also ein Raser. Kein Wunder bei dieser Motor-Leistung. „Bei zu hohem Tempo können Fräse und Walze nicht mehr richtig arbeiten“, erklärt Mario.

Mario Tschofen ist der Chef der Pistenpflege in Vorarlbergs größtem Skigebiet, Silvretta Montafon. Jeden Tag ab 16.15 Uhr präparieren er und seine Kollegen mit insgesamt 24 Pistenbullys die 155 Kilometer Pisten. Heute begann sein Arbeitstag eine Viertelstunde früher, als er mich am Stammtisch des Valisera-Hüsli abgeholt hat. Die Atmosphäre hatte sich, seitdem ich die große Blockhütte betreten hatte, innerhalb von wenigen Minuten gewaltig gewandelt: Wo sich vor kurzem noch tausende von Ski- und Snowboardfahrern sowie Sonnenhungrige getummelt hatten, herrscht jetzt außergewöhnliche Leere.

„Ich habe das Gefühl, ins Nichts wegzukippen“

Vor der Hütte stehen mit laufenden Motoren die Objekte der Begierde: Schneeweiß und monströs. „Ich bin schon mit großen Traktoren gefahren“, versuche ich Mario zu beruhigen, wohl aber eher, um meine eigene Anspannung etwas herunterzufahren. „Das ist damit überhaupt nicht zu vergleichen“, erwidert Mario mit breitem Grinsen und nimmt mir dennoch mit seiner offenen Art meine Nervosität. Er ist nicht nur Routinier in seiner Arbeit, sondern auch im mittlerweile alltäglichen Umgang mit seinen Kunden. Heute, wie auch an sonst fast allen Tagen auch, ist das Angebot der Liftgesellschaft mit insgesamt drei Pistenbullys ausgebucht. Mit mir teilen noch zwei Schweizer, Männer, mit ihren Söhnen dieses Vergnügen. Die Kosten finde ich mit 170 Euro nicht ganz billig, aber wann kann man schon so etwas Besonderes erleben.

„Wir waren anfangs etwas skeptisch, ob die Bullyfahrer bei diesem Angebot überhaupt mitziehen wollen“, sagt Daniela Vonbun von Montafon-Tourismusverband. Und sie schiebt die Begründung gleich hinterher: „Weil sie ja so etwas wie die einsamen Wölfe der Nacht sind.“ Aber die Touristiker wurden eines Besseren belehrt, die „einsamen Wölfe“ erzählen sehr gerne von ihrer Arbeit.

Dann geht es los: Beim Einsteigen sehe ich schon die Pedale: Kupplung, Bremse, Gas. „Das linke Pedal ist für die Verstellung des Lenkrads, wenn du aufs Gas gehst, fährt er, wenn du vom Gas gehst, bleibt er stehen“, sagt Mario. Nach dem Sinn des mittleren Pedals frage ich nach dieser Einweisung gar nicht mehr.

Lenkrad, dieser Begriff würde etwas in die Irre leiten. Steuer trifft es eher. Denn ein Rad ist es beileibe nicht mehr, sondern nur noch ein Rest davon.

Es sieht eher wie das aus, womit eine Spielekonsole gesteuert wird, oder womit Schumi seinen Formel-1-Renner bedient, mit einer Vielzahl von Rädchen und Knöpfen. Dieser Vergleich passt auch zum Preis des Pistenpflegegeräts, das mit 430 000 Euro rennwagenverdächtig teuer ist. Rechts auf der Mittelkonsole befindet sich dazu noch ein Joystick mit noch mehr Knöpfen sowie Monitore und Anzeige-Instrumente. Damit werden das Schild an der Front des Bullys und die Fräse am Heck mit ihren vielzähligen Verstellmöglichkeiten via Computertechnik eingestellt.


Knöpfe, Displays, Schalthebel: An Bord des Pistenbullys fühlt man sich wie in einem Düsenjet.

Ich bin froh, dass mir Mario die Bedienung des Bordcomputers abnimmt und ich mich allein aufs Fahren konzentrieren kann. Das ist schon schwierig genug, denn im schwindenden Tageslicht verliert der Schnee seine Konturen. Buckel und Eisplatten müssen beseitigt werden, aber ich erkenne sie kaum. Mario schaltet die Scheinwerfer ein und behält den Überblick.

Auch im Tal sind die ersten Lichter zu sehen, die blaue Stunde ist vorbei, die Nacht nicht mehr weit. Für eine gute Sicht sorgt außerdem eine Rundum-Scheibenheizung, die etliche PS kostet. Riesige Scheibenwischer streifen den von der Fräse aufgewirbelten Schnee weg. Heilfroh bin ich, dass Mario die Heizung hochgedreht hat, nach einem sonnigen Skitag kriecht allmählich die Kälte unter den Skianzug. „Normalerweise würden wir jetzt den Bully schon oben am Berg anhängen“, sagt Mario eher beiläufig und jagt mir ein wenig Schrecken ein. Wenn es besonders steil ist oder viel Schnee nach oben geschoben werden muss, verankern die Piloten die auf ihren Fahrzeugen montierten Seilwinden an einer im Fels einzementierten Öse. 1500 Meter lang ist das Stahlseil, über das dem 18 Tonnen schweren Bully mit vier Tonnen Zugkraft geholfen werden kann, nach oben zu fahren.

So steil war es mir jetzt aber gar nicht vorgekommen, ohnehin war das Gefühl bergauf weniger kribbelnd, als ich vorher vermutet hatte. Ich bin allerdings auch gut damit beschäftigt, das Gefährt auf Kurs zu halten. Das Steuern ist wirklich eine hochsensible Maßarbeit, das sieht man den äußerlich schwerfällig anmutenden Maschinen nicht an: Gelenkt werden darf nur mit einem Einschlag von wenigen Millimetern, falls es Zentimeter werden, rotiert der Bully auf der Stelle. Aber bergab wird es mir schon ganz schön mulmig: Ich habe das Gefühl, ins Nichts abzukippen, als ich über die Kante fahre. Ich befürchte nach unten wegzurutschen – nichts dergleichen passiert natürlich, die breiten Ketten mit den Aluminiumlamellen halten bombenfest.

Bis ein Uhr nachts im Dienst

Die Bullys brauchen für ihre Schwerarbeit ordentlich Futter. 30 Liter Diesel verbrauchen sie pro Stunde. „Natürlich vom guten, besonders teuren Hochalpindiesel, der bis 30 Grad minus nicht versulzt“, erklärt mir Mario. Einerseits meldet sich mein schlechtes Öko-Gewissen, dass so viel Treibstoff just for fun mitten in der Bergwelt verbrannt wird. Andererseits wird mir klar, dass die Kosten für die Pflege der Pisten einen nicht allzu kleinen Teil an den Preisen für die Liftkarten haben.

„In einer Nacht verbrauchen wir bis zu etwa 7000 Liter Diesel, im gesamten Skigebiet ist rund eine halbe Million Liter Diesel gebunkert“, sagt Mario. Jetzt steuern wir auch schon die Tankstelle im Untergeschoss der Liftstation an. Die Stunde mit Mario verging fast wie im (Tief-)Flug. Dann gibt es zum Abschluss doch noch etwas für das Kind im Manne (Frauen haben so etwas ja nicht): Mario händigt mir einen Pistenbully-Führerschein aus und ein T-Shirt mit dem Aufdruck „Pistenbully-Pilot“.


Mario und seine Kollegen sind bis Nachts um ein Uhr im Einsatz. Wenn es schneit, geht es um vier Uhr schon wieder los.

Voller Stolz und Genugtuung warte ich nun gemeinsam mit den beiden Schweizern am Steig der Seilbahn. Meine Achtung vor der Arbeit der Berufspiloten ist gewaltig gestiegen. Bevor wir in eine der letzten Gondeln talwärts einsteigen dürfen, verlädt das sichtlich geschaffte Gastronomiepersonal des Valisera Hüsli etliche Säcke voller Müll aus dem Tagesbetrieb. Endlich dürfen wir einsteigen, sofort ergibt sich ein lebhaftes Gespräch mit den Eidgenossen, Michael Göldi mit Philipp und Bernhard Neuhold mit Noah: Drei Männer haben sich heute hier ihren Traum erfüllt. Meter für Meter tauchen wir hinab in die Dämmerung des geschäftigen Tals.

Oben in der Parallelwelt der Berge geht es für Mario und seine Kollegen jetzt noch bis 1 Uhr weiter. Nur acht seiner Mannen stehen ganzjährig in Diensten der Pistenpflege, die restlichen fahren im Sommer Bagger, Betonmischer und Langholzlaster. „Wenn es stark schneit, schlafen wir hier oben in kleinen Kämmerchen ein wenig und fahren ab 4 Uhr weiter.“ So einsam, wie der Eindruck entstehen könnte, sind die Wölfe der Nacht übrigens nicht, wenn sie ihre Bahnen ziehen: Über Funk stehen die Männer ständig in Verbindung. In den Gesprächen geht es nicht nur um Dienstliches, sondern auch darum, was es zum Abendessen geben wird – und es wird geflachst, was das Zeug hält. Die einsamen Wölfe haben halt Spaß miteinander.

Kurz informiert:

 Information: www.silvretta-montafon.at, www.montafon.at

 Einreise : Gültiger Personalausweis oder Reisepass

 Währung: Euro

 Einwohner: ca. 8,4 Mio.

 Hauptstadt: Wien

 Geodaten: 47°01'19.7"N 9°57'52.7"E (Silvretta Montafon), Google Maps

 Reisezeit: Dezember bis April.

 Nicht verpassen: Für Frühaufsteher mit einer Vorliebe für den absoluten Genuss bietet Silvretta Montafon "Hochjoch-Totale": Von Schruns aus fahren die Teilnehmer noch vor Beginn des Tagesbetriebs mit mehreren Bahnen bis zum höchsten Punkt des Skigebiets, dem Alpilagrat (2430 m). Dort bietet sich in der Morgensonne ein atemberaubendes Panorama - die Gipfel in der Sonne, das Tal noch im Schatten. Nach einem Becher Tee geht es mit Guides Nonstop ins Tal nach Schruns zurück.

 Besonderheiten: Das Montafon ist ein 39 km langes Tal in Vorarlberg (Österreich). Der höchste Berg der Gegend ist der 3312 m hohe Piz Buin in der Silvretta-Gruppe.

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