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Deutschland | Österreich Auf den Spuren des weißen Goldes

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Auf dem Königssee wurden einst die Baumstämme transportiert, die für Befeuerung der Sudpfannen bei der Salzgewinnung notwendig waren.

Der Salzalpensteig führt vom Chiemsee nach Obertraun. „Genusswanderern“ will er die Kulturgeschichte des Salzes erschließen – auf alten Saumwegen und entlang von Soleleitungen

Von Ute Krogull

Vielleicht streuen Sie ja gerade ein bisschen Salz über Ihr Frühstücksei, während Sie dies lesen. Ganz achtlos, nebenbei. Salz ist schließlich ein Alltagsprodukt, 19 Cent kosten 500 Gramm im Supermarkt. Früher aber ließen Menschen für Salz ihr Leben – auf gefährlichen Handelsrouten, in Kriegen, oder weil sie es gestohlen hatten. Salz war heiß begehrt, als Gewürz und Konservierungsstoff. Doch es war mühsam abzubauen. Deshalb wurde es in Gold aufgewogen, Städte wie Salzburg und München verdankten ihm ihren Reichtum.

Handelswege entstanden, etwa die Via Salaria über Rom, die zu den ältesten Straßen Italiens zählt, oder die bayerische Salzstraße von Reichenhall über München und Landsberg zum Bodensee. Salzsteuern, Wegezölle und Handelsrechte machten erhebliche Einnahmequellen der Landesfürsten aus. Mit der Industrialisierung wurde aus dem „weißen Gold“ ein Alltagsgut. Über 300.000 Tonnen im Jahr produzieren allein die Bad Reichenhaller Markensalze.

Die Kulturgeschichte des Salzes, seine Bedeutung für eine ganze Region – früher und auch heute noch – sollen nun sichtbar werden auf einem neuen Weitwanderweg, dem Salzalpensteig. In 18 Tagesetappen von Prien am Chiemsee bis ins österreichische Obertraun führt er 230 Kilometer weit durch historisches Gebiet teilweise jahrtausendealter Salzgewinnungsstätten. Konzipiert ist die Strecke als moderater Mittelgebirgswanderweg für „Genuss-Wanderer“, der von Mai bis in den Spätherbst hinein gangbar ist. Ziel ist es, möglichst viele und möglichst unterschiedliche Naturschönheiten zu inszenieren: Berge natürlich (höchster Punkt des Salzalpensteigs ist der 1 674 Meter hohe Hochfelln), aber auch Moorgebiete wie im Chiemgau, Schluchten wie die Salzachklamm oder die Weißbachschlucht, bizarre Felsformationen wie die „Steinerne Agnes“ – und immer wieder Wasser.

Einen solchen Wanderweg denkt sich heutzutage kein Salz- oder Naturbegeisterter im stillen Kämmerlein aus. Sechs Jahre vergingen von der ersten Idee 2008 bis zur endgültigen Eröffnung im Herbst 2014 – Machbarkeitsstudie, Zertifizierung und EU-Förderung inbegriffen. Nach dieser Vorarbeit geht es zum Beispiel an den Königssee, in den einst die Baumstämme für die Feuer der Sudpfannen aus hunderten Metern Höhe krachend ins Wasser gestürzt wurden – schon damals kamen die Menschen in Scharen, um das Schauspiel aus sicherer Entfernung in Booten zu verfolgen. Den fjordartigen See – übrigens einer der saubersten Deutschlands – kann man auch heute mit dem Boot überqueren. Jeder hat den Blick auf die Kirche St. Bartholomä vor der herrlichen Bergkulisse vor Augen, den Klang des berühmten Echos im Ohr.

Im Zauberwald am Hintersee lässt das Mittelalter grüßen

Auch entlang von Gebirgsbächen, auf denen die Stämme getriftet wurden, führt die Route. Bei Ausgrabungen, in Museen und in Schaubergwerken können die Wanderer sich die Geschichte des „weißen Goldes“ (ganz schnöde: Natriumchlorid) erzählen lassen. Informationstafeln sollen Wissenswertes vermitteln. Ganze Siedlungen entstanden des Salzes wegen, so die malerische Ramsau, an einer uralten Salzhandelsroute gelegen. Die Berchtesgader Fürstpröbste ließen das einstmals abgelegene Tal besiedeln, damit Säumer und ihre Transporttiere Rastplätze vorfanden und der Transport des kostbaren Gutes vor Räubern geschützt wurde. Wer dort heute gemütlich auf dem Salzalpensteig durch den märchenhaften Zauberwald zum Hintersee läuft, kann sich leicht in mittelalterliche Zeiten zurückversetzt fühlen: Der Pfad schlängelt sich durch einen malerischen Mischwald, streckenweise säumen große, bemooste Felsbrocken den Weg, wie von Riesen liegen gelassen. Von einem Brücklein geht der Blick tief in eine Klamm, von wo aus kühle Luft empor weht.


Aus der Vogelperspektive: Bad Reichenhall, die bekannte Salzstadt.

Für den Wanderweg wurden keine neuen Strecken erschlossen, er nutzt das vorhandene Netz. Viele Etappen führen über die alten Säumerwege oder über Pfade, die vor Jahrhunderten zur Wartung der Soleleitungen angelegt wurden. Das hat einen ähnlichen Reiz wie die Levadas auf Madeira zu erwandern oder die Waalwege in Südtirol: Allzu starke und somit beschwerliche Steigungen gibt es dort nicht, die Strecken führen allein schon aus physikalischen Gründen eher um den Berg herum, als darüber hinweg. An schönen Ausblicken mangelt es trotzdem nicht.

Mit der historischen Bahn geht es nach unten

Außerdem wurde darauf geachtet, dass auch ambitioniertere Wanderer auf ihre Kosten kommen; dazu dienen die zahlreichen Rundtouren oder „Abkürzungen“. So geht es von der Ramsau gemächlich auf breiten Wegen hinauf durch duftende Wiesen und Wälder zur idyllischen Mordau-Alm und weiter nach Bad Reichenhall. Wer mehr will und trittsicher ist, kann aber auch ab der Mordau auf steilen, gewundenen Waldpfaden über den Karkopf gehen. Oben auf dem höchsten Gipfel des Lattengebirges belohnt eine Weitsicht über das umgebende Bergmassiv. Abfahrt nach Reichenhall ist dann mit der historischen Predigtstuhlbahn, deren kürzlich stilvoll renovierte Bergstation bis hin zum originalen (!) Mobiliar das Flair der 30er-Jahre atmet.

Teilweise geht es auch an einer der wenigen Soleleitungen entlang, die noch in Betrieb sind, nämlich der von Berchtesgaden über Hallthurn nach Bad Reichenhall. Sie führt salzhaltiges Wasser, das beim Abbau des Steinsalzes in Berchtesgaden erzeugt wird, nach Reichenhall, wo dieser Sole durch Verdampfen des Wasseranteils das Salz wieder entzogen wird. Auf anderen Streckenabschnitten oder Zubringerwegen sind noch Überreste der Soleleitungen aus Gusseisen oder der Deicheln aus Fichten- oder Eichenholz zu entdecken. Auf dem früheren Soleleitungsweg am sonnigen „Balkon des lieben Gottes“ oberhalb von Ramsau ist außer Deicheln sogar noch ein Stück Soleleitungstunnel erhalten, den Wanderer auch begehen können.

Die Leitungen, gerne „älteste Pipelines der Welt“ genannt, wurden ab dem frühen 17. Jahrhundert gebaut. Sie führten von Reichenhall zum Beispiel nach Rosenheim oder Traunstein – dorthin, wo noch Bäume wuchsen, um das Feuer unter den Sudpfannen zu schüren. Denn da, wo das Salz abgebaut wurde, war der Wald bald abgeholzt. Maschinen, die einst die Sole hunderte Höhenmeter hochpumpten, galten als technische Wunderwerke ihrer Zeit und stehen noch heute in Museen.

Beim letzten Brunnwart Deutschlands

Ein Museum ist inzwischen auch die 1834 von König Ludwig erbaute Alte Saline von Bad Reichenhall, eine lohnende Zwischenstation auf dem Salzalpensteig. Dort arbeitet ein Unikum: Alfons Brümmer, der letzte Brunnwart Deutschlands. Schon als Kind spielte er in den Gängen der Saline, bis zu 120 Meter unter der Erdoberfläche. Sein Onkel arbeitete dort – und das 3,4 Kilometer lange Stollennetz war ein Abenteuerland für den kleinen Buben.

Noch heute hat es besonderen Reiz: So tief unter der Erde ist es zwölf Grad kühl. Die Luft ist feucht und salzhaltig – das spüren Besucher bei jedem Atemzug. Kurgäste kommen hier ab und an sogar zu Heilzwecken her. Niedrige, düstere Tunnelgänge verzweigen sich wie ein Labyrinth unter der Stadt, der Boden aus Carrara-Marmor leuchtet hell zu den Füßen der Besucher. Ein bisschen fühlt man wie in den Minen der Zwerge in Tolkiens „Herr der Ringe“... Seit 31 Jahren tut Brümmer nun dort Dienst – allerdings einen ungewöhnlichen: 20 Prozent seiner Arbeit verbringt er damit, die Anlage zu warten, darunter die 15 Tonnen schweren Räder, die seit 1836 die Sole aus der Tiefe schöpfen. Die restlichen 80 Prozent ist er mit Touristenführungen beschäftigt. Vor 4000 Jahren, erzählt Brümmer tief unter der Erde, sprudelte die Sole noch aus Quellen. Schon damals siedeten die Menschen sie zur Salzgewinnung.


Die imposanten Wasserräder im Pumpenhaus der alten Saline in Bad Reichenhall machen Eindruck.

„Hall“ ist das keltische Wort für Salz. Reichenhall bedeute daher eigentlich „reich an Salz“. Im 12. Jahrhundert wurden die ersten Brunnen gegraben. Reichenhall hatte damals ein Monopol für weite Teile Europas. Noch heute werden täglich 700.000 Liter Sole mit einem Salzgehalt von 26 Prozent emporgepumpt. Diese werde jedoch nicht mehr – wie bis ins 20. Jahrhundert – in großen Siedepfannen verdampft (daher der Begriff Kochsalz). Heute werden geschlossene Verdampferanlagen eingesetzt.

Trotz derart hochtechnisierter Verfahren ist den Menschen etwas von der alten, fast mystischen Verbindung zum Salz geblieben. So glaubten unsere Vorfahren, Brot und Salz banne die Kräfte von Teufel und Hexen – immer noch schenkt man diese Lebensmittel zum Wohnungseinzug. Auch die Gier der Menschen nach dem Mineral ist inzwischen entschlüsselt: Weil es früher so schwer war, den lebenswichtigen Stoff zu bekommen, wird beim Verzehr immer noch das Glückshormon Dopamin im Körper ausgeschüttet. Deshalb nehmen Menschen wohl auch ein Vielfaches der medizinisch empfohlenen Menge zu sich. Doch keine Sorge: Wer den Salzalpensteig entlangwandert, gerät immerhin so ins Schwitzen, dass er das wieder ausdünstet.

Kurz informiert:

 Information: www.salzalpensteig.com

 Geodaten: 47°51'18.1"N 12°20'48.2"E (Prien am Chiemsee), Google Maps

 Nicht verpassen: Das Haus der Berge in Berchtesgaden. Es ist mehr als ein herkömmliches Museum und das nicht nur wegen seiner spektakulären Architektur. Die Besucher wandern in dem Gebäude virtuell durch die verschiedenen Naturräume des Nationalparks. www.haus-der-berge.bayern.de/

 (Nicht nur) für Nostalgiker: Eine Fahrt mit der Predigtstuhlbahn: (Nicht nur) für Nostalgiker: Seit 1928 bringt die Kabinenbahn Wanderer auf den 1583 Meter hohen Predigtstuhl. Sie ist die älteste ihrer Art weltweit. Das 2014 originalgetreu sanierte Bergrestaurant wartet mit dem Charme und dem Mobiliar der 30er Jahre sowie einem wundervollen Blick auf.

 Besonderheit: Der Salzalpensteig führt auf einer Länge von 230 Kilometern von Prien am Chiemsee über Berchtesgaden nach Obertraun in Österreich. Die 18 Tagesetappen sind moderat bis anspruchsvoll. Es gibt 25 zusätzliche Rundtouren.

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