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Deutschland | Österreich | Italien Eine Familie geht an ihre Grenzen

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Idyllisch sieht er aus, der Fernwanderweg E 5 – doch die Strecke hat es ganz schön in sich!

Geschafft! Auf dem Fernwanderweg E 5 in sechs Tagen über die Alpen nach Meran. Mit acht Kilo Gepäck und viel Ausdauer unterwegs

Von Rudi Wais

Hirschtalg, Blasenpflaster, dünne Handtücher aus Mikrofaser und nur ja keine Unterhose zu viel: Das etwas andere Urlaubsgepäck soll nicht mehr als acht Kilo wiegen und in einen Rucksack mittlerer Größe passen. Sonst wird es, buchstäblich, zur Last. Von Oberstdorf nach Meran, eine der populärsten Wanderrouten Europas, schaffen es zwar angeblich auch zehnjährige Kinder und rüstige Mittsiebziger. Unser Selbstversuch aber zeigt: Familien sind auf dem Fernwanderweg E 5 so selten wie ein Enzian in der Eifel und auch nicht die Zielgruppe der einschlägigen Ratgeber. Ambitionierte Bergfexe und die geführten Touren der Bergschulen haben mit den Zeitvorgaben der diversen Wanderführer kein Problem - andere schon. Am Ende aber werden auch wir in Meran ankommen, ganz auf eigene Faust: Vater, Mutter und drei Kinder im Alter von 17, 15 und zwölf Jahren.

Der erste Tag

Katja, unsere Große, ist richtig euphorisch: "Nur der Berg, mein Rucksack und ich, das nenne ich eine Grenzerfahrung." Der Weg von Spielmannsau im Trettachtal zur Kemptener Hütte sieht auf den ersten Metern noch verführerisch flach aus. Eine halbe Stunde später allerdings kämpfen wir uns bereits durch ein schweißtreibendes Steilstück. In der Mittagshitze wiegen die paar Kilo auf dem Rücken einen gefühlten Zentner. Oliver jedoch, der als Kleinster auch den kleinsten Rucksack trägt, hüpft den Berg scheinbar mühelos hinauf.


Forschen Schrittes bergwärts: die Familie Wais.

850 Höhenmeter sind es bis nach oben und die drei Stunden Gehzeit aus dem kleinen Führer, den wir dabeihaben, schon überschritten. "Kurz vor dem Gipfel sterben die meisten", sagt Benjamin, unser Zweiter, irgendwann zu seiner erschöpften Mutter - was deren Laune nicht wirklich hebt. Auf der Hütte, nach gut vier Stunden, bestraft das Leben wie einst bei Gorbatschow den, der zu spät kommt: Die Duschen im zweitgrößten Schutzhaus der Allgäuer Alpen arbeiten mit Solarenergie. Als wir ankommen, erschöpft, aber zufrieden, ist der Vorrat an Warmwasser aufgebraucht. Wer duschen will, duscht kalt. Eisig kalt.

Der zweite Tag

Wanderer sind Frühaufsteher. Wir nicht. Als wir kurz nach acht die Kemptener Hütte verlassen, gehören wir zu den letzten Gästen dort. Bis zur deutsch-österreichischen Grenze am Mädelejoch auf knapp 2000 Metern kommen wir noch zügig voran. Der anschließende Abstieg durch das Höhenbachtal aber hat es in sich: Steil geht es auf Schotter und Geröll nach unten, fast jeder Tritt will wohlüberlegt und sauber gesetzt sein. Für die 900 Höhenmeter brauchen wir deshalb mehr als drei Stunden.

Nun rächt es sich, dass wir morgens getrödelt haben. Nach einer längeren Mittagspause in Holzgau hat der Familienrat so seine Zweifel, ob der mehrstündige Aufstieg zur Memminger Hütte in den Lechtaler Alpen noch zu schaffen ist - und entscheidet sich für den Postbus nach Zams. Es ist ein kleiner Triumph der Bequemlichkeit über den Ehrgeiz. Außerdem haben die Gasthöfe unten, im Inntal, garantiert warmes Wasser. In einem von ihnen sitzen zwei Wanderer, die wir tags zuvor schon getroffen haben. Auch sie haben den Postbus genommen.

Der dritte Tag

Schnell noch Wasser und Müsliriegel gekauft - und ab auf den Krahberg. Um nicht zu viel Zeit zu verlieren, nehmen selbst routinierte Tourengeher für diese Strecke die Gondel. Oben angekommen machen wir uns an der Südflanke des Venetberges auf den Weg zur Goglesalm und weiter zur Galflunalm - eine kleine Hütte für zwei Dutzend Wanderer, deren Dusche zuverlässig warmes Wasser liefert, weil sie noch ganz altmodisch mit Holz befeuert wird. Die Strecke ist, von wenigen steileren Stücken abgesehen, nicht allzu strapaziös, das Panorama beeindruckend und das Binnenklima unserer Wanderfamilie entsprechend gut. Außerdem gibt es hier, auf fast 2000 Metern Höhe, ein Handynetz - zur Freude der Tochter und ihrer Facebook-Freunde. Nachts macht es sich die Hüttenkatze zwischen den Gästen bequem.

Der vierte Tag

Nach einem deftigen Frühstück geht es 1000 Höhenmeter hinab nach Wenns. Der Weg führt in sanft geschwungenen Kurven ins Pitztal, ist für unsere etwas malträtierten Gelenke aber schon wegen seiner schieren Länge belastender als mancher Aufstieg. Dennoch kommen wir gut voran und freuen uns auf die kleine Verschnaufpause in Wenns: Der Bus nach Mittelberg, wo der Aufstieg zur Braunschweiger Hütte beginnt, fährt eine knappe Stunde. Endlich sitzen! An der Endstation aber hängen dunkle Wolken im Berg, der Wetterbericht kündigt ein Gewitter an. Ein junges Paar aus dem Allgäu wagt den Aufstieg trotzdem. Eltern wie wir, die nichts riskieren wollen und schon gar keinen gebrochenen Knöchel auf glitschigem Terrain, drehen um und fahren mit dem Bus nach Vent im Ötztal. Diesmal ist es kein Sieg der Bequemlichkeit, sondern einer der Vernunft.

Der fünfte Tag

Es hat viel geregnet in der Nacht, auf dem neun Kilometer langen Aufstieg zur Martin-Busch-Hütte aber fallen nur noch ein paar Tropfen. Wir liegen gut in der Zeit und sehen hunderte von Schafen, die hier im österreichisch-italienischen Grenzgebiet weiden - mit Glocken um den Hals wie die Kühe auch. Von Höhenmeter zu Höhenmeter wird die Vegetation karger, bis wir endlich an der Busch-Hütte auf 2501 Metern ankommen.


Leuchtet grün aus dem Tal empor: der Vernagt-Stausee im Schnalstal.

Dass die ehemalige Hermann-Göring-Hütte heute vom Alpenverein Berlin betreut wird, spüren wir schon beim Betreten. Der Ton ist preußisch-nassforsch, Verbotsschilder drohen mit Geldstrafen für jeden, der mit seinen klobigen Bergschuhen die Treppe betritt - und Familien stören offenbar nur. Kaum dass wir gegessen haben, fordert die Wirtin uns schon auf, den Tisch für andere Wanderer freizumachen. Auf uns aber wartet jetzt nur noch eine unruhige Nacht in einem muffigen Massenlager, ehe wir an unserem Ziel sind: Italien.

Der sechste Tag

Noch ein überteuertes Frühstück und auf zum letzten Akt dieses kleinen Bergsteigerdramas. Am Abend zuvor ist auch bei uns die leise Saat des Zweifels aufgegangen: erst 500 Höhenmeter nach oben und dann satte 1300 nach unten. Packen wir das? Weil wegen des langen Winters viel mehr Schnee liegt als sonst, nehmen wir zunächst aus Versehen den Weg zur Fundstelle des Ötzi, der uns noch einmal eineinhalb Stunden nach oben führen würde. Mühsam nur finden wir zurück auf den richtigen Pfad, sinken auf dem Schneefeld vor der Similaun-Hütte immer wieder ein oder rutschen auf Passagen voller Geröll plötzlich ab.

Das Gefühl, nach vier Stunden oben angekommen zu sein, auf gut 3000 Metern, entschädigt jedoch für alle Strapazen. Es ist, im wahrsten Sinne des Wortes, der Höhepunkt unserer Tour! Nach einer kräftigenden Minestrone geht es hinunter ins Schnalstal zum Vernagt-Stausee, der in der Mittagssonne in kühlem Türkis schimmert. Dass wir dafür noch einmal vier Stunden benötigen werden, ahnen wir nicht. Die Profis mit ihren Hightech-Ausrüstungen und dem siegessicheren Lächeln von Männern Mitte fünfzig auf den Lippen, die sich noch einmal beweisen müssen, sind in zwei Stunden unten. Uns aber ist das jetzt auch egal. Wir haben es geschafft!

Unser Fazit

"Courage ist gut, Ausdauer ist besser." Auf einem unserer kleinen Umwege, in einem Gasthaus in Vent, haben wir ein Schild mit dieser alten Wandererweisheit entdeckt. Familien, die über die Alpen wandern, brauchen allerdings nicht nur Courage und Ausdauer, sondern auch einen etwas anderen Takt. Also: Lieber einen Tag mehr einplanen als die Profis und ihre Wanderliteraten, lieber mal ein Steilstück auslassen und dafür in Ruhe Murmeltiere und Steinböcke beobachten. Am Ende, kurz vor dem Stausee, überholt uns eine Gruppe von Wanderern aus Niederbayern, die wir in dieser Woche immer wieder mal getroffen haben. "Gut habt‘s das gemacht", sagt einer von ihnen zu unseren Kindern. "Bis zum Ende durchgehalten. Respekt."

Die eine Woche auf Madeira anschließend haben wir uns jedenfalls verdient. Eigentlich ist die Atlantikinsel ja ein Wandererparadies. Wir aber lassen die Bergschuhe diesmal zu Hause - und schnüren sie erst im nächsten Jahr wieder. Dann geht es noch einmal auf den E 5. Mit Courage. Mit Ausdauer. Und mit etwas mehr Zeit.

Kurz informiert:

 Reisezeit: Als beste Wanderzeit gelten Mitte Juli bis Mitte September, wenn der Großteil der Schneereste aus dem vergangenen Winter geschmolzen und die Gefahr neuer Schneefälle noch gering ist

 Information: Wanderer, die nicht auf eigene Faust über die Alpen wollen, können sich auch einer geführten Tour anschließen, wie sie verschiedene Bergschulen im Allgäu und im Kleinwalsertal im Programm haben.

 Geodaten: 47°24'39.6"N 10°16'38.5"E (Oberstdorf), Google Maps

 Gesundheit: Nicht an der Ausrüstung sparen! Regenschutz, gutes Schuhwerk und ein gut sitzender, nicht zu großer Rucksack sind das A und O für das Gelingen einer solchen Tour. An einigen Stellen ist Schwindelfreiheit erforderlich.

 Nicht verpassen: Die Minestrone auf der Similaun-Hütte. Vor dem letzten schweißtreibenden Abstieg ein erster Eindruck von Italien - in mehr als 300 Metern Höhe. Die Fittesten der Fitten gehen vorher noch an der Fundstelle des Ötzi vorbei.

 Besonderheiten: Der europäische Fernwanderweg E5 führt von der französischen Bretagne über die Alpen nach Verona und ist insgesamt rund 3200 Kilometer lang. Als Herzstück gilt die sechstägige Alpenüberquerung – entweder von Oberstdorf nach Meran oder über das Passeiertal nach Bozen. Im Schnitt legen Wanderer dabei jeden Tag zwischen zehn und 20 Kilometer und 800 bis 1200 Höhenmeter zurück Höchster Punkt der Tour nach Meran ist die auf 3019 Metern gelegene Similaun-Hütte.

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