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Slowakei Ein Ufo in der Stadt

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Umstrittenes Wahrzeichen: die Brücke des slowakischen Widerstands mit dem Restaurant Ufo.

Erst kaiserlicher Prunk, dann sozialistischer Protz. Wer begreifen will, warum man die Stadt Bratislava in der Slowakei „Das Tor zum Westen“ nennt, der muss sie von Osten her besuchen

Von Sarah Schierack

Architektur kann so grausam sein und hier, am Donauufer in Bratislava, ist sie es ganz besonders. Mitten durch die historische Altstadt frisst sich eine vierspurige Autobahn, ein Ungetüm aus Stein und Teer, das Anfang der siebziger Jahre als Zubringer für eine neue Donaubrücke gebaut wurde. Ein ganzes Stadtviertel samt Synagoge hat man damals niedergewalzt, um die Brücke des slowakischen Nationalaufstands mit der Stadt zu verbinden. Jetzt liegt die Straße wie ein gigantischer schwarzer Graben zwischen Burg und Altstadt. Und drängt sich so nah an den gotischen Martinsdom, dass man während des Gottesdienstes manchmal das Donnern der Autos hören kann.

Bratislava ist eine Stadt der Gegensätze. Scheußliche Bausünden neben prächtigen Bauwerken, Plattenbauten neben Gründerzeithäusern, sozialistisches Grau neben barockem Rosa, Grün und Beige. Es ist auch eine Stadt im Umbruch. Wer begreifen will, warum man die Stadt in der Slowakei "Das Tor zum Westen" nennt, der muss sie von Osten her besuchen. Nur wer über die holprigen Landstraßen der Ostslowakei gefahren ist, vorbei an verfallenen Dörfern und trostlosen Industriestädten, sieht, wie westlich, wie modern die Hauptstadt eigentlich ist.

Endlich raus aus dem Schattendasein

Bratislava also. Bratislava, das eintausend Jahre lang Pressburg hieß. Das 250 Jahre lang die zweite Heimat der österreichischen Habsburger war, eine der Lieblingsstädte von Kaiserin Maria Theresia. Das seit 1993 einen beispiellosen wirtschaftlichen Aufschwung erlebt hat. Und Bratislava, das mitten in Europa liegt und zu dem sich am Münchner Flughafen dennoch kein einziger Reiseführer findet.


Der Tag beginnt in Bratislava. Sanft küsst das Morgenrot die historische Altstadt mit dem Martinsdom.

Das ist wahrscheinlich das größte Problem dieser Stadt, die ansonsten gar nicht so viele Probleme hat: Dass sie kaum einer kennt. Lange Zeit stand sie im Schatten von Wien, dem großen, einzigartigen Wien, das nur 80 Kilometer entfernt liegt. Später dann von Prag, wo sich in den 47 Jahren der Tschechoslowakei das politische, wissenschaftliche und kulturelle Leben bündelte. Jetzt, gut 20 Jahre nach der Unabhängigkeit, arbeitet man in Bratislava hart daran, das Schattendasein zu beenden.

"Little Big City", kleine große Stadt, steht auf den Straßenbahnen, die aus den Vorstädten mit ihren grauen Plattenbauten kommen und in die sorgfältig renovierte Altstadt fahren. 415.000 Menschen wohnen in Bratislava, etwa so viele wie in Nürnberg. Die Stadt hat nicht die Größe, aber das Lebensgefühl einer Metropole. Little Big City. Es ist das Motto einer Stadt, die kein Provinznest mehr sein will. Die endlich in einem Atemzug mit Wien, Prag oder Budapest genannt werden möchte.

Vor dem Traditionscafé sitzen Touristen und essen Sacher-Torte

In den vergangenen Jahren hat die Stadt das historische Zentrum herausgeputzt und die lange vernachlässigte Habsburger-Vergangenheit wieder in den Mittelpunkt gerückt. Die barocken Stadtpaläste sind restauriert und leuchten wieder in Pastellfarben. Vor dem traditionellen Café Mayer mit seiner blütenweißen Fassade sitzen Touristen vor Sacher-Torte und Einspänner. Auf dem Hlavné námestie, dem Hauptplatz, hängen an jedem Laternenpfahl Kübel mit Geranien, dahinter ragt das imposante Nationaltheater in die Höhe. Rechts parken die roten Oldtimer-Busse, die die Besucher zu den Sehenswürdigkeiten der Stadt bringen, zum Primitial-Palais, zum Palais Grassalkovich, zum Martinsdom oder zur Burg. Links umschwirren Touristen die kleinen Souvenirstände, sie kaufen Magnete, Schlüsselanhänger und Tassen. Man hört Englisch, Russisch und viel Deutsch.

Die Altstadt ist voll und ganz in der Hand der Touristen. Sie sind hier, um das alte Bratislava zu sehen, das Bratislava der Habsburger. 250 Jahre lang war Pressburg Hauptstadt Ungarns. Zehn ungarische Könige und eine Königin wurden im Dom gekrönt, Maria Theresia verlegte ihren Sommersitz in die Stadt. Künstler, Musiker und Adlige folgten ihr, unter der Kaiserin erlebte das alte Pressburg seine Blütezeit.

Das neue Bratislava, das Bratislava der Einheimischen, liegt rund einen Kilometer vom Hlavné námestie entfernt, am Ufer der Donau. Auf einem alten Industriegelände ist dort 2010 das Eurovea-Viertel entstanden: ein riesiger, futuristischer Komplex mit Büros, Wohnungen und Läden. Viel Glas, viel Beton, ein Gegenentwurf zu allem, was jemals zuvor in Bratislava gebaut wurde.

Unten am Fluss reiht sich eine Bar an die andere: helle Korbsessel, weiße Tücher, Palmen und Cocktails, kein Stuhl ist mehr frei. Es könnte genauso gut auch München oder Düsseldorf sein. Was auffällt: Hier sitzen junge Menschen, Studenten, Schüler, Männer und Frauen mit Kinderwagen. Der durchschnittliche Bewohner von Bratislava ist 33 Jahre alt. Die Stadt gehört zu den jüngsten Hauptstädten Europas. Es ist eine neue Generation von Slowaken: gut ausgebildet, reisefreudig, selbstbewusst.

Die Stadt verändert sich rasant

So wie Michaela Potocárová, blond, schwarze Pumps, silberner Mantel. Potocárová ist 32, sie spricht perfekt Englisch und arbeitet für die Stadt. "Bratislava ist modern", sagt sie, "es ist kosmopolitisch." Viele ihrer Freunde kommen aus dem Ausland, erzählt sie, sie bleiben ein paar Jahre, manche ziehen weiter, manche werden heimisch. "Es verändert sich alles im Moment rasant", sagt Potocárová. Überall wird gebaut, abgerissen, erneuert. Die Stadt durchlaufe auch immer wieder neue Phasen, erzählt sie. "Vor ein paar Jahren war Bratislava als Partyslava bekannt", Briten auf Junggesellenabschied hätten die Stadt auf der Suche nach billigem Bier fast überrannt. "Aber die sind jetzt weitergezogen", sagt sie, "ist wohl auch besser so."


Die Altstadt von Bratislava ist fest in der Hand von Touristen. Sie sind auf der Suche nach dem Bratislava der Habsburgerzeit.

Billig leben lässt es sich hier ohnehin schon lange nicht mehr. Im Gegenteil: Bratislava und sein Umland gehören zu den fünf teuersten Regionen Europas. Nur London, Luxemburg, Brüssel und Hamburg liegen dem Europäischen Statistikamt zufolge noch vor der slowakischen Hauptstadt. Weil die Mieten in der Stadt so teuer sind, drängen die Einwohner mittlerweile sogar schon weiter nach Westen - und kaufen sich Häuser in einem der österreichischen oder ungarischen Dörfer rund um Bratislava. Der Stadt geht es gut. Das merkt man vor allem auch an einem Ort: dem Restaurant Ufo, das wie eine fliegende Untertasse in 80 Meter Höhe am Pfeiler der Brücke des slowakischen Nationalaufstands hängt. Im Inneren des Restaurants: durchsichtige Designer-Stühle, rosa Licht und auf vielen Tellern ein Menü, für das ein Slowake im Durchschnitt zwei Tage arbeitet.

Eine Etage höher, auf dem Dach des Ufos, gibt es eine Aussichtsplattform mit Blick über die ganze Stadt. Man sieht die Burg im Norden, die österreichischen Windräder im Westen. Und man sieht die Hochhäuser von Petrzalka, einem Vorort, in dem Bratislava nicht anders aussieht als Moskau, Krakau oder Magdeburg. Knapp 100.000 Menschen wohnen hier, es ist die größte Trabantenstadt Europas. Architektur, denkt man sich, kann so grausam sein. Und dort drüben, in Petrzalka, ist sie es ganz besonders.

Kurz informiert:

 Information: www.visit.bratislava.sk

 Einreise : Gültiger Personalausweis oder Reisepass

 Währung: Euro

 Einwohner: ca. 5,4 Mio., Bratislava: ca. 0,4 Mio.

 Hauptstadt: Bratislava

 Geodaten: 48°07'17.8"N 17°05'54.9"E (Bratislava), Google Maps

 Reisezeit: ganzjährig

 Gesundheit: Pflichtimpfungen sind nicht erforderlich.

 Nicht verpassen: Der beeindruckendste Blick auf die Stadt bietet sich von der Aussichtsplattform auf der Brücke des Slowakischen Nationalaufstands. Wer sie am Abend besucht, kann außerdem einen spektakulären Sonnenuntergang über der Donau beobachten.

 Besonderheiten: Bratislava hat eine lange zurückreichende jüdische Geschichte. Heute muss man allerdings erst nach ihr suchen - zum Teil auch unter der Erde. Unterhalb der Burg wurde Anfang des Jahrtausends ein Teil des jüdischen Friedhofs wieder aufgebaut. Dort steht auch das Mausoleum des Rabbiners Chatam Sofer, zu dem Juden aus aller Welt pilgern. Bratislava liegt übrigens nur 55 Kilometer von Wien entfernt.

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