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1.2. Die neuen Völker

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Roeck 2017, 100

Angenendt 1990, 114f

Im 4. Jh. begann die sogenannte Völkerwanderung, die zu epochalen Umwälzungen im europäischen und mediterranen Raum führte, bis hin zur Besiegelung des Endes des mächtigen Weltreichs der Römer. Der Ausdruck stammt offenbar vom Wiener Humanisten, Mediziner und Geografen des 16. Jh.s Wolfgang Lazius. Er sprach von einer migratio gentium. Es ging freilich weniger um homogene Völker, sondern um lose germanische Clans, die größere, nicht selten auch ethnisch gemischte Verbände schufen. An der oberen Donau die Alemannen (alle Männer), am Niederrhein die Franken (die Kühnen). Es bildete sich ein dynastisches oder ein wechselndes Heerkönigtum heraus. In ihrer Ethnie legitimierten sich die einzelnen Kleinstämme durch einen Stammvater göttlicher Herkunft. Der Antagonismus Römisches Reich gegen Germanen ist nicht zuletzt wegen der Tatsache so kompliziert, dass Teile der Germanen schließlich in römischen Dienst traten und das Reich gegen andere Germanen mit blutigem Einsatz verteidigten.

Vandalen

Pfeilschifter 2014, 170

In der Silvesternacht 406 überrannten Vandalen, Sweben und Alanen über den zugefrorenen Rhein die kaum besetzten römischen Grenzbefestigungen und brachen in Gallien ein – auch sie bedrängt von den nachstoßenden Hunnen. Die Vandalen unter ihrem König Geiserich setzten 429 mit 80.000 Menschen nach Afrika über und übernahmen die ressourcenreichste Provinz Roms. Sie gründeten dort das erste von Rom (zwangsläufig) anerkannte germanische Reich auf römischem Boden mit der Hauptstadt Hippo Regius, der Bischofsstadt des Augustinus. 439 zogen die Vandalen ohne Gewaltanwendung in Karthago ein, das im 4. Jh. einen von mehreren städtischen Höhepunkten erlebte. Dass dabei ein Großteil der römischen Flotte in ihre Hände fiel, trug erheblich zum Ende der römischen Weltherrschaft bei. Das Echo war so nachdrücklich, dass man sogar in Konstantinopel das Abwehrdispositiv zur Seeseite verstärkte. Die Vandalen verfolgten eine selbstbewusste Politik und auch religionspolitisch eine klare Linie, indem sie als Arianer hart gegen die Nizäaner vorgingen. Im Übrigen schätzten sie das Leben in der eroberten intakt gebliebenen Metropole, weshalb sie archäologisch nur schwer fassbar sind. Der in Ravenna residierende mächtige Heermeister Flavius Aëtius (unter Kaiser Valentinian III.) musste ansehen, wie große Teile der Bürger des Römischen Reiches sich mit den neuen Siegern arrangierten, weil sie sich vom schwachen Rom alleingelassen fühlten. Ein Dilemma, das die Verteidigungsfähigkeit des Reichs erst recht schwächte. Schließlich vermochten nur mehr Barbaren »dem Reich noch gegen Barbaren zu helfen«, bis es – auf jene Halbinsel geschrumpft, mit der alles begonnen hatte – endgültig kollabierte.

Hunnen

Roth 1979, 31

Vom Osten drängten die Hunnen, ein nomadisches zentralasiatisches Reitervolk ungeklärter ethnischer Zusammensetzung, aus ebenso ungeklärten Gründen gegen Westen. Die oströmische Bevölkerung nannte sie »Tartaren« (die aus dem Tartaros, der Unterwelt). Um sie rankten sich viele Legenden. Ihr König mit dem germanischen Namen Attila ging als König Etzel in die deutsche Heldendichtung (Nibelungenlied) ein. Zeitgenössische Berichte schildern ihn als bescheiden – er hatte ein kleineres Zelt als die Gesandten, die ihn aus Konstantinopel aufsuchten, weshalb diese ihre Zelte nicht aufbauen durften –, seine Umgebung jedoch lebte nach diesen Berichten in antikem Prunk. Die Hunnen waren ein auf Plünderungszüge spezialisiertes Volk ohne jede Ambition auf Territorialherrschaft, weshalb sie sich auch nicht – wie die Goten – durch Landzuteilungen beruhigen ließen. Attila machte sowohl Ost- als auch Westrom das Leben schwer. In der Schlacht auf den Katalaunischen Feldern 451 verteidigten Römer und Westgoten gemeinsam erfolgreich das Reich. Diese erste Niederlage der Hunnen brach den Mythos ihrer Unbesiegbarkeit und leitete ihr Ende ein. Allerdings markierte die Schlacht auch das Ende der römischen Herrschaft am Rhein. Die kunsthandwerkliche Hinterlassenschaft der einer schamanistischen Naturreligion zuneigenden Hunnen umfasst vor allem Kleinkunst, Schmuck (aus Frauengräbern), Bronzegefäße und Bronzespiegel neben Kriegsgerät und kostbarer Pferdeausstattung.

Goten

Bedeutsam sind die Hunnen in der Geschichte vor allem deswegen, weil sie die nördlich des Schwarzen Meeres siedelnden germanischen Stämme, in erster Linie die Goten, in Bewegung brachten. Auch über deren Herkunft und Ethnie ist wenig bekannt. Ihre Ursprünge dürften auf der Insel Jütland liegen, von der aus sie an das Schwarze Meer gezogen waren. Bei ihrem Zug nach Westen spalteten sie sich in West-(vesigoti, von uesu/gute Goten; es gibt keinen Zusammenhang mit dem Westen) und Ostgoten (Ostrogothi/östliche Goten). 378 schlugen sie in der Schlacht von Adrianopel (Edirne) das römische Heer vernichtend, ein Großteil der Generäle und selbst der Kaiser (Valens) fielen. Der Gotensturm führte zusammen mit anderen Problemen zur größten Krise des Römischen Reichs. Allerdings sieht die neuere Forschung in Adrianopel trotz der gewaltigen psychologischen Wirkung dieser größten Niederlage seit Cannae nicht mehr zwingend den Anfang vom Ende Roms, sondern zunächst bloß eine Änderung der Barbarenpolitik. Jetzt waren die Römer Getriebene in der Aufnahme der Immigranten geworden. Das Reich war trotz der wuchtigen Niederlage nicht unmittelbar in Gefahr, weil die Goten die gut befestigten Städte nicht erobern konnten. Und mit langen Belagerungsprozeduren waren sie nicht vertraut.

Angenendt 1990, 112f

Roth 1979, 28

III.3.1.3.

Nicht zuletzt angesichts der prekären finanziellen und militärischen Lage versuchte man, die Germanen durch Föderierung an sich zu binden, was im Unterschied zu den Hunnen bei den Goten auch gelang und seit 238 belegt ist. Sie wurden zu treuen Fortsetzern des Römischen. Die zwischenzeitliche Aufkündigung des foederati-Status, den Theodosius I. 382 den Goten eingeräumt hatte, durch seinen Sohn Honorius führte zur denkwürdigen Eroberung und Plünderung Roms am 24. August 410 unter dem westgotischen Heerführer Alarich, der ersten Eroberung Roms seit dem Einfall der Gallier 387a. Als Kaiserstadt war Rom freilich längst auf dem absteigenden Ast. Bereits 401 hatte Honorius die Residenz von Mailand (seit Mitte des 4. Jh.s) fluchtartig verlassen, als Alarich auftauchte, und verlegte sie nach Ravenna (402–476), den alten Stützpunkt der römischen Adriaflotte. Es war durch die Lagunenlage besser zu verteidigen. Unter Galla Placidia, der in Konstantinopel geborenen Tochter des oströmischen Kaisers Theodosius I. und Halbschwester von Honorius, begann in Ravenna eine kulturelle und architektonische Blüte. Galla Placidia führte für ihren minderjährigen Sohn Valentinian III. die Herrschaft im Westen.

Pfeilschifter 2014, 134

Die Eroberung Roms durch die Barbaren wurde als ein furchtbarer Einbruch der Geschichte wahrgenommen und brachte sogar das Christentum kurz ins Wanken: Wie konnte Rom mit seinen Apostel- und Märtyrergräbern und den Heiligenreliquien so getroffen werden? Die Heiden gaben dem neuen Christengott die Schuld. In höchster Not waren in der Stadt sogar (längst verbotene) heidnische Opfer durchgeführt worden – mit Einverständnis des Bischofs.


200 Hafen von Ravenna; Mosaik S. Apollinare Nuovo; Ravenna

Badewien 1980

Bei den Christen löste es eine Art früher Theodizee-Überlegung aus. Gott bestrafte mit dieser Katastrophe die Römer für ihren schändlichen Lebenswandel, verkündete der sozialkritische Salvian von Marseille, und Augustinus entwarf unter dem Eindruck dieser Erschütterung seine Vision eines Gottesstaates. Dabei ging es Alarich nur um den Status seiner Männer im römischen Heer, der die Versorgung der Veteranen sichern sollte. Denn auch »die Barbaren wurden von der Rom-Idee infiziert […] Deshalb waren die meisten von ihnen bereit, sich in das Imperium zu integrieren. […] sie waren willig, von den Römern zu lernen und ihre Gemeinwesen im Rahmen der jahrhundertealten griechisch-römischen Zivilisation auszugestalten. […] Die Barbaren hatten dem schlicht nichts Vergleichbares entgegenzusetzen.«

Pfeilschifter 2014, 138

Muth 2006

Rom erholte sich zunächst rasch, man versuchte, durch verzweifelte Restaurierungs- und Wiederaufbaumaßnahmen – vor allem das Forum Romanum betreffend – den Schein des alten Glanzes zu bewahren. Honorius konnte durch glückliche Umstände die vielen Usurpatoren ausschalten. Doch die Kontrolle über Gallien war geschwächt. Vor allem aber gab es keine Ressourcen mehr, um Britannien wieder zu besetzen. Es war verloren.

Derweil wurde den Westgoten 418 im Südwesten Galliens Land zugeteilt, wo sie das nach der Hauptstadt Tolosa (Toulouse) genannte Tolosanische Reich verwalteten, das um 480 das größte Nachfolgereich des Weströmischen Reichs war. Nach der Niederlage gegen die Franken 507 zogen die Westgoten auf die Iberische Halbinsel, wo sie bis zur Niederlage gegen die Muslime 711 um die neue Hauptstadt Toledo siedelten (Toledanisches Reich). Es gab viele Kontakte zu Byzanz und in den Orient, von wo Impulse für die Mönchsbewegung, aber auch für Kunst und Architektur nach Spanien kamen. Das Hof-Zeremoniell wurde nach den byzantinischen Vorbildern ausgerichtet. Trotz dieser Politik und einer weitgehenden Inkulturation gab es immer wieder Kämpfe mit den Römern, vor allem, um die Föderationsverträge zu verbessern.

Barrucand/Bednorz o.J., 26

de Palol/Ripoll 1999, 133

Die westgotischen Herrscher betätigten sich als Bauherren. Ihre Kirchen bauten sie mit Hausteinen in römischer Steinsetzung, was Isidor von Sevilla zur Charakterisierung more gothico veranlasste, zum Unterschied von der Bauweise mit Ziegelverband und Holz, more gallicano. Kunsthistorikerinnen versuchen, frühchristliche und hispanisch-westgotische Kirchenbauten zu unterscheiden, ein Unterfangen, das allerdings sehr schwierig ist. Als typische Bauform wurde der später von den islamischen Architekten übernommene Hufeisenbogen entwickelt. Er stammt vermutlich aus der armenischen und syrischen Baukunst des Orients. In der bildlichen Ausschmückung gab es eine ausgeprägte, wenngleich nicht flächendeckende Bilderfeindschaft. Insbesondere beim Kunsthandwerk sind angesichts der Dominanz byzantinischer und spätrömischer Formen die germanischen Einflüsse schwer feststellbar. Es gab herausragende Goldschmiedearbeiten liturgischer Gefäße. Zu den berühmtesten künstlerischen Hinterlassenschaften gehören die »Schätze« von Guarrazar bei Guadamur (Toledo), 1858 gefunden, und jener von Torredonjimeno (Jaén), der 1926 entdeckt wurde. Weihekronen, Hängekreuze, ein Passionskreuz (als Zeichen der corona iustitiae der Märtyrer oder des Gottesgnadentums des Königs), Zierbuchstaben, alles Arbeiten mit byzantinischem Einschlag aus dem 6. und 7. Jh., die heute als Beweis einer höfischen Kunst mit königlichen Werkstätten gelten.

V.3.2.

711 beendeten die Muslime das mit spätantiken römischen Elementen überzogene blühende Gotenreich von Toledo. Innere Spaltungen zwischen Königshof, Adel, Kirche, Schwäche und Korruption im Heer, wozu noch eine Wirtschaftskrise, Hunger und die Pest kamen, hatten den Erfolg für das arabische Heer erleichtert. Das dezimierte Gotenheer floh nach Norden und sammelte sich in Orviedo zur Reconquista, wodurch die Stadt zum blühenden Beginn des Mittelalters wurde.

Fried 2008a, 21

Wenn wir nochmals zurückblenden, ist wichtig festzuhalten, dass die Goten bereits früh in römischen Dienst getreten sind. 418 hatte sie Constantius III. als Verbündete in Süditalien angesiedelt. Sie nahmen den christlichen Glauben an – zunächst in arianischer Spielart. Das hatte auch Folgen für die Architektur, namentlich für den westgotischen Kirchenbau. 587 trat König Rekkared I. zum Katholizismus über. Der Arianismus war Geschichte. Barbaren sicherten die Kontinuität des Reichs, weil sich die eigenen Bürger von Rom verraten fühlten und Rom nun die Ressourcen fehlten, die Einschnürung durch die fremden Völker noch einmal aufzubrechen. Das Reich veränderte sich schließlich im 5. Jh. durch Gentilisierung und Provinzialisierung bis zur Unkenntlichkeit. Es waren Germanen, die nun weitgehend zu Trägern der lateinischen Bildung wurden. Eine frühe, noch als Sonderfall zu qualifizierende Leistung war die Übersetzung der Heiligen Schrift in die (germanische) Volkssprache durch den aus einer griechischen Familie stammenden gotischen Bischof Wulfila. Der dem Arianismus anhängende Wulfila entwickelte dazu eine Schrift für das Gotische und schuf eine Voraussetzung für die schleppende, aber nie ganz abreißende Transformation antiken Wissensgutes in das Mittelalter. Dies verlangte »Schriftlichkeit für eine bislang schriftunkundige Gesellschaft.« Die im Codex argenteus überlieferten (mit Gold- und Silbertinte auf purpurrotem Pergament geschriebenen) Fragmente der Wulfila-Bibel stellen den ältesten germanischen Text dar.

Ende des Weströmischen Reiches

476 endete das Weströmische Kaisertum mit der Entthronung des Romulus, der den auf seine Jugend anspielenden Spottnamen Augustulus (kleiner Augustus) trug, durch Odoaker. Bittere Ironie: Das Reich endete mit zwei großen Namen, die jetzt ein machtloses Kind trug. Der noch unmündige Romulus war – wie es üblich geworden war – durch seinen Vater, den römischen Heermeister Flavius Orestes, 475 eingesetzt worden, nachdem dieser den letzten legitimen Kaiser, Julius Nepos, ins Exil nach Dalmatien gezwungen hatte, wo er noch bis zu seinem Tod zu regieren versucht hatte. Odoaker, am Hof Attilas aufgewachsen, war ein weströmischer Offizier und ziemlich sicher selbst Germane. Er besetzte am 4. September 476 als König eines römisch-germanischen Heeres Ravenna und stellte Romulus in einer Villa in Kampanien unter Hausarrest. Odoaker ließ keinen Kaiser mehr ausrufen (auch nicht sich selbst), sondern bot dem oströmischen Kaiser Zenon die Kaiserwürde auch für den Westen an. Theatralisch ließ er die Insignien der römischen Kaiser, Diadem und Purpurmantel, nach Konstantinopel bringen. Sie würden im Westen nicht mehr gebraucht.

Der ganze Vorgang bedeutet aber auch, dass die Zeitgenossen kaum einen Untergang des Reichs empfunden haben dürften, sondern schlicht eine Verschiebung der Macht an den Kaiser in der neuen römischen Hauptstadt im Osten. Odoaker herrschte mit Duldung Zenos (aber ohne offizielle Anerkennung) als (germanischer) selbsternannter König von Italien (Rex Italiae) in Ravenna. Auf Kaiserwürden verzichtete er genauso wie Theoderich und später Chlodwig.


201 Palast Theoderichs, Mosaik S. Apollinare Nuovo; Ravenna

Ebeling 2009, 101

de Palol/Ripoll 1999, 31

Doch diese Abmachung hielt nicht lange. Vielleicht war Odoaker dem Kaiser zu mächtig geworden. Jedenfalls vertrieb ihn im Auftrag Zenos der Ostgote Theoderich nach blutigen Kämpfen und ermordete ihn eigenhändig beim »Versöhnungsmahl« 493. Theoderich regierte als princeps Romanus – ließ sich von den Goten zum König ausrufen, ein Titel, den ihm der Kaiser verweigert hatte – mit Respekt vor dem römischen Erbe, aber faktisch unabhängig von Konstantinopel bis zu seinem Tod. Während seiner Regierungszeit kam es zu einer Nachblüte der Spätantike in Kunst, Architektur mit prachtvollen Repräsentations- und Nutzbauten im byzantinischen Stil, und in der Philosophie. Ein reichhaltiges OEuvre an Gold- und Silberschmiedekunst gibt davon Zeugnis (»Schätze« von Desena und Reggio Emilia), wobei die Zuordnung im einzelnen schwierig bleibt. Theoderich, der zehn Jahre am byzantinischen Hof gelebt hatte, brachte den byzantinischen Geist mit, holte seine Künstler jedoch aus dem weströmischen Raum. Unter anderem entstand um 500 die arianische Palastkirche Theoderichs Sant’ Apollinare Nuovo (Theoderich hatte sie dem Christus Salvator geweiht) mit den Mosaiken, die Susanne Ebeling als »antike snapshots« tituliert. Darauf war auch der Hofstaat Theoderichs abgebildet, eine Szene, die um 540 in einer damnatio memoriae entfernt und an die Stelle der Figuren Vorhänge gemalt wurden. Der Arianer Theoderich stand in spannungsgeladener Loyalität zum orthodoxen Kaiser, hatte eine römische Verwaltung, eine gotische Armee und versuchte, sein italisch-gotisches Reich zum Ebenbild des östlichen Kaiserreichs zu machen. Das Ostgotenreich in Italien war »wenngleich glanzvoll und gewaltig, nur von kurzer Dauer und hatte nie die Kontinuität, wie sie dem Westreich in Hispanien beschieden war.«

Ebd., 56

Coche de la Ferté 1982, 60

Th eoderich starb 526 wie Arius an der Ruhr, was die Katholiken als Höllenfahrt interpretierten. Sein monumentales Mausoleum in Ravenna, das er selbst von Grund auf (a fundamentis) geplant haben soll, erweckt den Eindruck der imitatio Konstantins und zeigt die Faszination des römischen Grabkults auch für Nicht-Römer. Das aus weißem istrischem Kalkstein errichtete Bauwerk mit dem eindrucksvollen Kuppel-Monolithen (ca. 230 Tonnen) symbolisierte die »Kontinuität der antiken Welt.« Th eoderich lebte in der Sagengestalt des Dietrich von Bern (mittelhochdeutsch: Berne/Verona), mit dem ihn einiges verbindet, aber vieles unterscheidet, weiter. Nach seinem Tod brach durch Th ronstreitigkeiten und das Bemühen Konstantinopels, Italien endgültig an sich zu binden, Chaos aus. Justinians Feldherren Belisar gelang es in diesen Wirren, nochmals (bis zur Eroberung Ravennas durch die Langobarden 741) den Großteil Italiens zu gewinnen. Justinians Ambitionen in Architektur und Kunst bescherten Ravenna außerordentliche Bauwerke. Es handelt sich nicht um eine feingliedrige griechische Kunst, vielmehr spiegelt »die Kunst von Ravenna in ihren wesentlichen Zügen die byzantinische Kunst« wider.


202 Mausoleum des Theoderich; Ravenna

546 gelang den Ostgoten unter Totila die Einnahme Roms, in dem angeblich nur mehr 500 Menschen lebten. Der Krieg mit den Ostgoten köchelte lange (535–554) vor sich hin. Erst als man den General Justinians, Narses, beherzt mit ausreichenden Mitteln ausstattete, gelang der Sieg in einem Gemetzel bei Gualdo Tadino in Umbrien. Die italische Halbinsel und damit die antike Kultur waren verwüstet, Rom entvölkert und zerstört. Den byzantinischen Kaiser interessierte das nicht. Nichts wurde wieder aufgebaut. Er blickte einzig auf sein Reich im Osten. Im Westen begann das Mittelalter mit dem letzten Kapitel der Völkerwanderung: der Eroberung Italiens durch die Langobarden 568.


203–205 Ratchis-Altar (um 740) und Details; MCC

Langobarden

Fillitz 1969, 16

Die Langobarden kamen aus der Gegend der mittleren Elbe und nützten das Vakuum nach Justinians Rückzug und seine Konzentration auf den Osten. Hauptstadt des arianischen, Nord-, Mittel- und Teile Süditaliens umfassenden Langobardenreichs war Pavia. Kulturell waren die Eroberer dem eroberten Land zwar unterlegen, förderten jedoch die Baumeister und Künstler der Region. Mit Hilfe von aus dem Orient stammenden Mönchen bauten die bald schon katholisch gewordenen Langobarden ein hochstehendes Kulturzentrum auf. Kunsthandwerklich verbreiteten sie das germanische Flechtbandornament. Am berühmtesten ist die in Cividale im Friaul erhaltene Ratchis-Ara, ein Kastenaltar mit figuralen Darstellungen und Flechtbandornamentik, den Ratchis bei seiner Wahl zum Langobardenkönig 744 gestiftet hatte. Byzantinische Ursprünge sind ebenso unübersehbar und nachgewiesen wie Bezüge zur westgotischen Kunst. Ähnliches gilt für das achteckige Taufbecken, das Patriarch Callixtus errichten ließ (Callixtus-Baptisterium). Neben den naiven künstlerischen Spuren der Kunst der Völkerwanderungszeit sind auch sasanidische und orientalische Motive erkennbar. Das aus dem Felsufer des Natisone gehauene Oratorium, der sogenannte Tempietto Langobardo, in Cividale gilt als eines der wenigen erhaltenen Bauwerke der Langobarden. Er zeigt einen starken orientalischen Einschlag.

lombardischer Stil

Die Langobarden fanden in den eroberten Gebieten den byzantinischen Baustil vor, den sie als Kaiserstil (in dessen Sukzession sie sich verstanden) hoch schätzten. Aus der Verschmelzung mit dem eigenen Stilwillen bildete sich der lombardische Stil heraus, der sich durch Verzierung der Außenwände mit Blendarkaden, Pilastern und Lisenen auszeichnete. Durch die Wanderbewegungen der Mönche aus der Lombardei verbreitete sich der Stil bis nach Frankreich und ins Rheinland und fand als Relief an Außenwänden Eingang in die romanische Architektur.

Heather 2007

Die Frage nach den inneren und äußeren Gründen für den Untergang des Imperiums, das rundum zu bröckeln begann, beschäftigt die Historiker seit Jahrhunderten. Peter Heather knüpfte mit klarer Kritik an einer bloßen (vor allem von angelsächsischen Forscherinnen vertretenen) Transformationstheorie an die naheliegendste und populärste These an, die in den Germaneneinfällen die Hauptursache sieht. Er vermutet im langwierigen Abnützungskrieg eine irreversible Auszehrung militärischer, wirtschaftlicher und politischer Ressourcen. Dies war eine Reaktion auf eine (wiederum der alten Dekadenzthese entgegengesetzte) Sichtweise, die dazu neigt, über die faszinierende Kulturleistung der Spätantike die zerstörerischen Aspekte zu übersehen. Eine ausgewogene Würdigung des gegenständlichen Zeitraums ist nicht einfach und wird noch viele Historikergenerationen beschäftigen, auch wenn die Ursachenforschung ausgeschöpft erscheint.

Fried 2008a

Seibt 2008

Das Dramatische an 476 ist, dass sich mit dem Ende Roms im Westen der Untergang einer zivilisierten Welt verband und ein mühsamer Neustart notwendig wurde. In diesem Neustart kann man sowohl die Goten und die germanischen Königreiche als legitime Erben der römischen Welt sehen als auch das Christentum, das mit der jüdischen Erfahrung stets wechselnder Reiche im Hintergrund über ein den Römern überlegenes Geschichtsdenken verfügte.

Kunstphilosophie und Ästhetik

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