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1.3. Mystik und der »Körper« der Kirche

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Abseits der rational und empirisch betriebenen Wissenschaft setzte sich die Blüte der religiösen Mystik des 16. Jh.s im Gefolge der spirituellen Aufrüstung durch das Konzil von Trient auch im 17. Jh. fort. Es lief eine ungebrochene Linie von der disziplinierenden Mystik des Gründers des Jesuitenordens, Ignatius von Loyola, über Teresa von Ávila, Johannes vom Kreuz, zu Franz von Sales oder Angelus Silesius – mit sehr verschiedenen Spielarten des Mystischen. Neben abgehobener Spiritualisierung wurde der Kult des Fleisches und der Eucharistie des späteren Mittelalters, nach einer Unterbrechung in der platonisch geprägten Renaissance, im Barock wieder lebhaft zelebriert. Das übersteigerte Pathos passte zur alten rhetorischen Regel des delectare et movere, des (emotionalen) Erfreuens und Bewegens, der sich alle Kunst, von der Malerei bis zur Architektur, unterzuordnen hatte. Das Sujet des Schmerzensmanns verbreitete sich in der christlichen Kunst. »[…] in Rom ließ Bernini seine ›sangue di Cristo‹ stechen, einen Heiland am Kreuz, dessen Wundmalen Ströme von Blut entfließen, so daß ein Blutmeer steigt und steigt, das die Sünder reinigen wird.« Besonders in der Volksfrömmigkeit wurde diesem mystischen Körperkult mit allem verfügbaren Kitsch gefrönt. Dazu kam eine morbide Inflation einer ausufernden Vanitas- und memento-mori-Symbolik. Die schwärmerische Frömmigkeit wurde ebenso privatisiert wie in den theologischen Debatten die Profilierung des Individuums eine Rolle spielte. Das spiegelte sich in der schwierigen Frage wider, wie sich Willensfreiheit und göttliche Gnade miteinander vertragen. Die Jesuiten verfochten die Freiheit des Willens. Das aber stand quer zur Meinung vom Primat der göttlichen Gnade, den der überwältigende Teil der bisherigen Theologen, Kirchenväter und sogar Evangelisten, vertreten hatte. Seit Pelagius trieb die Theologie dieses Problem um. Pelagius war 418 auf der Synode von Karthago als Ketzer verurteilt worden, weil er (gegen Augustinus) die Willensfreiheit so stark ausgestattet hatte, dass sie zu einer Bedrohung der Allmacht Gottes wurde. Gegen den Pelagianismus versuchte der spanische Jesuitentheologe Luis de Molina die schwierige Paarung zu versöhnen, indem er lehrte, dass die Gnade nur wirksam sei, wenn der Wille mit ihr zusammenwirke. Der Streit schwelte trotz dem Eintreten des Konzils für die Position Molinas noch lange weiter und wirft ein Schlaglicht auf die Mühe, welche die Kirche mit der Freiheit des Individuums hatte.


461/462 Kalvarienberg (1550/1738); Pleyben, Bretagne

VI.2.0.

V.7.1.

Keller 1971, 12

V.5.3.2.

Mystische Bewegungen bedeuteten auch damals wie generell in der Geschichte zwar eine Kritik an der Institution, an der kirchlich geregelten Frömmigkeit mit der Betonung von Amt und Hierarchie, aber deshalb nicht etwa eine Aufweichung der dogmatischen Strenge der Theologie. Im Gegenteil, mystische Erfahrungen standen für eine direkte Legitimation von Glaubenswahrheiten. Wissenschaft und Theologie galten ebenso wie die Kunst eher als suspekt. Ein aufgeklärter Humanismus hatte gegen ein solches Kirchen- und Theologieverständnis einen schweren Stand. Derartige asketische Züge standen deshalb im Gegensatz zur Weltläufigkeit des humanistisch geprägten, Kunst und Kultur fördernden päpstlichen Hofes. Dies beschwor manchen Konflikt herauf.

Trotz der Distanz zur Kunst schuf die mystische Theologie erhebliche pastorale und liturgische Nachfrage nach Kunstwerken und Architektur: Figurengruppen, Behälter für Hostien, Kelche, Patenen, Reliquien und Devotionalien aller Art, Stationswege, Kalvarienberge, heilige Treppen und Brücken, Grabmäler oder Brunnen. All das diente der Sichtbarkeit des (mystischen) Leibes der Kirche. Der Drang nach Superlativen in diesem Bereich war letztlich ein Dienst an Kirche und Gott. »Da liturgische Gefäße aus dem als ärmlich verpönten Zinn oder Kupfer der gewünschten Solemnisierung der Liturgie nicht mehr entsprachen, nahm man nach 1670 zunehmend Geld in die Hand, um versilberte oder vergoldete Kelche, Ziborien und Monstranzen anzuschaffen. Ähnliches gilt für die Paramente […].«

Bärsch 2017, 70

Adam Kraft schuf 1493/94 für die Nürnberger Pfarrkirche St. Lorenz ein Sakramentshaus aus Sandstein, das mit einer Höhe von 20 Metern bis ins Gewölbe reichte. Besonders im katholischen Spanien war die Bildhauerkunst eine Manifestation solcher katholischer Propaganda, die keineswegs nur religiösen Absichten diente, sondern auch – in einer Allianz von Thron und Altar – politisch instrumentalisiert werden konnte. Eine in den Achtzigerjahren des 16. Jh.s vom spanischen Kunstschmid Juan de Arfe y Villafane angefertigte Monstranz aus südamerikanischem Silber war über vier Meter hoch und wog 300 Kilogramm. Diese Monstranz ist ein Beispiel dafür, wie man ein »neues Zentrum an der Peripherie« schuf. Arfe publizierte einen Traktat zur Bildhauerkunst und Architektur, in dem er die für die Renaissance typische Ableitung der Proportionen aus dem menschlichen Körper beschrieb.

Sprenger 2006, 174

Auch Architekten überboten sich in der Gestaltung des Körpers der Kirche mit Höhepunkten vielleicht im spätbarocken Wirken eines Francisco de Hurtado Izquierdo und seiner Gestaltung des Allerheiligsten (Sagrario) der Kartause von Granada (1702–1720) mit einem mehrgeschossigen, üppig dekorierten Tabernakel. Die Gestaltungen der Kanzeln in der barocken Architektur wiederum dienten der Verkörperung des Wortes. Diese Verkörperungen von Ideen und Erzählungen im Barock sind ein schönes Beispiel, wie Erzählungen einen Wirklichkeitsstatus erhalten und sogar zu Institutionen kristallisieren können.

Hansen 2011, 235f

Kunstphilosophie und Ästhetik

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