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1.5.6. Deutschland und Österreich

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Deutlich zum Erliegen kam die Kunst – wie schon gesagt – im Deutschland des 17. Jh.s. Das Land war verwüstet, ein kulturelles Leben konnte sich kaum entwickeln. Anders als die anderen Länder kannte Deutschland auch kein kulturelles Zentrum mit überragender Strahlkraft.

Deutschland

Die wenigen bedeutend gewordenen Barockkünstler machten ihre Karriere außerhalb des Kernlandes. Der weitgereiste Joachim von Sandrart, selbst Maler und Grafiker, hinterließ in seinem zwischen 1675 und 1679 in Nürnberg erschienenen Werk Teutsche Academie der Edlen Bau-, Bild- und Mahlerey-Künste Biographien von deutschen Künstlern des Barock, die in anderen Ländern künstlerisch groß geworden waren. Es enthält auch Übersetzungen älterer kunstphilosophischer Texte, von denen der Autor stark inspiriert war. »Die Teutsche Academie ist zugleich kunsttheoretisches Lehrbuch, mythologisches Lexikon, topografischer Bilderatlas der Stadt Rom, eine Geschichte der Kunst in Biografien und ein Manual der antiken Malerei und Skulptur.« Das Werk ersetzte geradezu eine deutsche Kunstakademie, bis mit Sandrarts Beteiligung erste Akademien in Nürnberg (1662) und Augsburg (1670) gegründet wurden. Berlin und Wien folgten 1696 bzw. 1692/1725.

Thimann 2008, 520

Im 18. Jh. gewann die architektonische und künstlerische Entwicklung in Deutschland wieder erheblich an Substanz. Dresden mit seinem in ganz unterschiedlichen Traditionen wurzelnden Ensemble (unter August dem Starken), Berlin (unter Friedrich I. von Preußen) und Potsdam (unter Friedrich II. von Preußen), aber auch Eichstätt wurden Zentren barocker Baukunst. Berlin fungierte als kühl-protestantisches Gegenmodell zum üppigen barock-katholischen Hof in Wien und zog alles, was in Gegnerschaft zum Katholischen stand, an sich. Berlin sollte das »Athen des Nordens« werden, hörten die Zeitgenossen vom schöngeistigen Friedrich I., ein Echo der fernen Absichten der Medici mit Florenz. Unter dem Nachfolger, dem Soldatenkaiser Friedrich Wilhelm I., trafen Sparmaßnahmen die Künstler und Architekten hart. Friedrich II. sah unter seinem Vater ein »Sparta des Nordens« entstehen, eine alte, nicht mehr zeitgemäße Stadtfestung. Dem stellte Friedrich ein neues Athen gegenüber, freilich eines à la français. Proben der Freigeistigkeit und Frivolität einer solchen Mischung (zu der dann noch das spätrömische Ingrediens des Stoizismus Marc Aurels kam) hat er selbst in zahlreichen auf französisch verfassten Gedichten der Nachwelt hinterlassen. Und das von ihm geplante Forum Fridericianum in Berlin, in dessen Mitte die dem Pantheon nachempfundene St.-Hedwigs-Kathedrale (Grundsteinlegung 1747) stehen sollte, erweiterte Athen nach Rom. Er verbat sich ausdrücklich ein Denkmal zu seinen Ehren und das Neue Palais (1769) in Potsdam diente nur dazu, nach dem Siebenjährigen Krieg die Augenhöhe Preußens mit den Mächten der Umgebung zu demonstrieren. Er selbst hielt sich in seinem bescheidenen Sanssouci auf, inmitten seiner französischen Bibliothek.


472/473 Neues Palais (1796), Detail; Potsdam

Mazohl-Wallnig 2005, 194

Rudé 1983, 111f, 167f

Friedrich II., diese Symbolfigur des neuen europäischen Mitspielers Preußen, der mit allen führenden Köpfen seiner Zeit im Briefwechsel stand und den durch seine antiklerikale Polemik berühmten Voltaire, der seinerseits mit 20.000 Briefen eine umfangreiche Korrespondenz mit Intellektuellen Europas unterhielt, in Potsdam aufgenommen hatte, wurde ein ebenso häufig wie widersprüchlich beschriebener Herrscher. Die Bandbreite reicht von den harten Qualifizierungen von Thomas Mann, Lessing und Winckelmann bis zur Verherrlichung des Zeitalters der Aufklärung als das »Jahrhundert Friedrichs« durch Immanuel Kant. Im Gegensatz zur pietistischen Frömmigkeit seines Vaters öffnete er sich in der Tat den neuen Ideen der Aufklärung. Er wurde zum Vorbild des Übergangs von einem höfischen zu einem aufgeklärten Absolutismus. Mit der Frage allerdings, wie sich philosophische Freigeisterei und liberale Aufklärung mit seinem brutalen Feldherreninstinkt vertrugen, tun sich auch neuere Biographen schwer. Bereits Jacob Burckhardt hatte sich in öffentlichen Vorträgen 1852/53 in Basel, die vor einigen Jahren zugänglich gemacht wurden, sehr kritisch zu Friedrichs Missachtung der Menschen geäußert. Sympathischer ist da schon, dass sich Friedrich künstlerische Apotheosen, wie sie etwa bei Ludwig XIV. noch selbstverständlich waren, verbat. Preußen war mit seinem aufgeklärten Selbstverständnis Vorreiter von Reformen, in deren Sog schließlich ganz Europa geriet. Neben der Rationalisierung und Straffung der Verwaltung wurde die Wirtschaft liberalisiert, ebenso das Strafrecht. Folter und Todesstrafe wurden abgeschafft. Berlin wuchs zu einer kulturellen Metropole heran. 1789 baute Carl Gotthard Langhans im Auftrag von Friedrich Wilhelm II. das Brandenburger Tor. Er orientierte sich dabei am Vorbild der in Rotunden- und Propyläen-Form von Claude-Nicolas Ledoux gebauten Zollhäuser in der unter Ludwig XVI. hochgezogenen Zollmauer von Paris. So wie die Akropolis durch die Propyläen sollte man das Athen an der Spree durch ein würdiges Tor betreten.

Kant 1783, A 491

Kunisch 2004

Burckhardt 2012


474 Brandenburger Tor mit Quadriga (1789); Berlin

Wilhelms Kunstverständnis – man spricht vom »Wilhelminismus« – orientierte sich an der alten Harmonievorstellung der Antike und beförderte einen krausen Kult um die antike Klassik. Der führende Architekt und Bildhauer am Hof in Berlin war Andreas Schlüter, der aus den historischen italienischen und französischen Anregungen ein zeitgemäßes Konzept zu destillieren wusste. Schlüters Geburtsort und sein frühes Leben sind schlecht rekonstruierbar. Er dürfte seine Tätigkeit in Polen begonnen haben, war vielleicht in Rom (zumindest eine Italienreise von Berlin aus ist belegbar) und Frankreich. 1694 kam er jedenfalls als Hofbildhauer nach Berlin. Zum Schlossbaudirektor ernannt, modernisierte er das alte Stadtschloss für Friedrich I. und baute es zu einer Königsresidenz aus (vollendet vom Schweden Friedrich Eosander). Seine Arbeiten atmen den Geist des italienischen Barock.

Eine besonders reichhaltige barocke Architektur brachten das katholische Süddeutschland und Österreich hervor. Mit Cosmas Damian, dem Maler, und seinem Bruder Egid Quirin Asam, dem Stukkateur, beide mit Romaufenthalten, die mit dem Neubau der Benediktinerkirche in Weltenburg auf sich aufmerksam machten, sowie Balthasar Neumann und dem vermutlich bedeutendsten bayrischen Kirchenbaumeister des 18. Jh.s, Michael Fischer, brach sich bereits das Rokoko Raum.

Österreich war Peripherie im Dreißigjährigen Krieg. Das verhalf Salzburg zu einem einmaligen im Barock gewachsenen Stadtensemble mit bedeutender italienisch geprägter Architektur. Das Land war aber auch Frontstaat gegen die Türken und den Islam und dies stimulierte im Osten eine eigene Identitätsbildung. Die rege Bautätigkeit strahlte nach Böhmen, Mähren, Sachsen und nach Süddeutschland aus. Viele italienische Architekten, darunter Andrea Pozzo, kamen nach Wien und Salzburg. Im 18. Jh. fehlten in Italien Aufträge, im restlichen Europa waren italienische Architekten jedoch sehr gefragt. Der gebildete Leopold I. legte die Wurzeln für den österreichischen Barockkatholizismus, der unter seinem Sohn, dem »komponierenden Kaiser« Karl VI., zu voller Blüte gelangte. Schloss Schönbrunn (das heute mit dem ursprünglichen Zustand nur mehr wenig gemein hat) von Fischer von Erlach und der Leopoldinische Trakt der Hofburg von Filiberto Lucchese sind das Werk Leopolds. Österreich erreichte unter Karl VI. die größte territoriale Ausbreitung seiner Geschichte. Daniel Gran verherrlichte den Kaiser in der von Fischer von Erlach im Auftrag Karls grandios gestalteten Hofbibliothek. Der Ehrgeiz Österreichs lag darin, aus dem von Sizilien bis Oostende, von Serbien bis Schlesien verstreuten Besitz ein totum zu machen, allerdings zugunsten des Hauses Habsburg und nicht mehr im Sinne des Sacrum Imperium. Sich der Weltmachtrolle bewusst, kursierte auch in Wien die Idee von einem zweiten oder dritten Rom mit der Karlskirche als spirituellem Zentrum. Johann Bernhard Fischer von Erlach begann die Kirche 1713. Ihre Vollendung dauerte bis 1737. Die Symbolik der Architektur macht den Anspruch unübersehbar: zwei riesige Säulen, die man zugleich mit den Säulen des Salomonischen Tempels (Jachin, Boas/er stellt fest, in ihm ist Stärke) wie auch mit jenen des Herkules assoziieren konnte. Die Säulen, die den westlichen Abschluss der bewohnten Welt am Felsen von Gibraltar symbolisierten, waren eine glänzende Idee der Programmierer am Wiener Hof. Der Philosoph Leibniz riet Carl Gustav Heraeus, dem schwedischen Hofantiquar Karls VI. und Freund Fischer von Erlachs, die Säulen, die er mit constantia (Beharrlichkeit) und fortitudo (Tapferkeit, Stärke) bezeichnete, mit Standbildern von Karl dem Großen und Karl von Flandern (einer von Karls Vorläufern in Spanien) zu krönen.

Österreich


475/476 Bernhard Fischer von Erlach, Karlskirche (1739), Säule mit Reliefs aus dem Leben des Hl. Karl Borromäus; Wien

Knab 1977, 50–73

II.3.2.2.

Rykwert 1980, 74 Naredi-Rainer 1993,

276ff

Der in Graz geborene Johann Bernhard Fischer von Erlach, der 17 Jahre in Italien verbrachte, ein großartiger Baumeister ebenso wie Johann Lucas von Hildebrandt, in Genua geboren und in Rom bei Carlo Fontana ausgebildet, und der Tiroler Jakob Prandtauer, der bedeutende Klosterbaumeister, hauchten dem österreichischen Barock einen eigenen Geist ein, einen kaiserlichen, mehr pathetischen als libertären wie andernorts zur gleichen Zeit. Allerdings verschwanden die italienischen Vorbilder nie aus dem Blick. Das von Prandtauer ab 1702 im Wesentlichen im heutigen Bestand geschaffene Benediktinerkloster Melk war in seiner riesigen Anlage, die wie ein Schiff über der Donau thront, »weniger aus den konkreten Bedürfnissen der Mönchsgemeinschaft heraus motiviert als aus dem Interesse des Klostervorstehers, dem Kaiserhof und anderen hochrangigen Besuchern eine Architektur vorführen zu können, die mit dem seit der siegreich überstandenen Türkenbelagerung 1683 in Wien anhebenden Bauboom mithalten konnte.« In Klosterneuburg sollte durch Donato Felice d’Allio gar ein österreichischer Escorial realisiert werden.

Hoppe 2003, 30

Das Reich Karls musste durch unglückliche Kriege und ungeschickte Diplomatie Federn lassen und verlor Territorien. Nach dem Tod Karls 1740 konnte die älteste seiner drei Töchter, die dreiundzwanzigjährige Maria Theresia, deren Regentschaft als Erzherzogin von Österreich und Königin von Ungarn und Böhmen vierzig Jahre (1740–1780) dauerte, das gewaltige Erbe gegen eine europäische Koalition mit dem ehrgeizigen Preußenkönig Friedrich an der Spitze nur mühsam und mit Abstrichen verteidigen. Maria Theresia wurde die kaiserliche Reichskrone verweigert und Preußen setzte im Siebenjährigen Krieg (1756–1763) seine alten Ansprüche auf das reiche Schlesien durch. Trotz der politischen und militärischen Rivalität genoss Preußen auch in Österreich hohes Ansehen. Auch Maria Theresia orientierte sich an diesem Vorbild, als sie ein eindrucksvolles aufklärerisches Reformwerk umsetzte: Einführung des allgemeinen Strafrechts, Gründung der Höchstgerichte, allgemeine Schulpflicht (1774), Abschaffung von Folter (1776) und Aussetzung der Todesstrafe (1778).

Wien wurde auch für die gelehrte Welt attraktiv. Schon Leibniz hatte sich – vergeblich – um die Gründung einer Österreichischen Akademie der Wissenschaften bemüht, erst 1847 kam es dazu. Der Ausbau des Schul- und Universitätswesens, seine Säkularisierung gegenüber dem Bildungsmonopol der Jesuiten in den katholischen Ländern, war ein wichtiges Anliegen. Maria Theresia sorgte auch für Bauaufträge wie die Neugestaltung von Schloss Schönbrunn. Das von Fischer von Erlach 1693 geplante, unvollendet gebliebene Jagdschloss Leopolds I. und Josephs I. wurde nun von Nikolaus von Pacassi 1743–1749 (und danach noch einige Male) umgebaut. Diese Aktivitäten sicherten Maria Theresia eine bis heute andauernde Verehrung, die so manche dunkle Seite, wie ihren Umgang mit Protestanten und Juden oder die skurrile Erfindung einer Keuschheitspolizei, überstrahlt.


477 Schloss Schönbrunn, Gartenseite; Wien

Nach einem Intermezzo des Wittelsbachers Karl Albert als Karl VII. wurde Maria Theresias Gemahl Franz Stephan als Franz I. zum Kaiser des Reichs gewählt, bis schließlich der Sohn und jahrelange Mitregent Maria Theresias, Joseph II., den Thron bestieg. Er trieb den Staatswerdungsprozess Österreichs mit großer Energie voran. Einerseits regierte Joseph mit absolutistischer Autorität, andererseits förderte der aufgeklärte Herrscher, der sich den Wahlspruch virtute et exemplo (mit Tugend und Beispiel) gegeben und den Geist der Gegenreformation endgültig abgelegt hatte, die modernen Freiheiten gleicher und freier Untertanen. Er drängte den Einfluss von Adel und Klerus zurück, tolerierte die Einwanderung von Protestanten, führte die Zivilehe ein, hob die Leibeigenschaft der Bauern auf, zentralisierte die Verwaltung. Letztes führte vice versa zur Unterdrückung von regionalen Sprachen und Behörden. Die Beschneidung der Macht des Klerus umfasste die Aufhebung von rein kontemplativen Klöstern und kirchlichen Lehranstalten, was zum »umgekehrten Canossagang« führte. Pius’ VI. reiste 1782 als Bittsteller nach Wien. Obwohl der Kaiser – anders als Friedrich II. – gläubig war, blieb Joseph II. unbeeindruckt.


478 Michaelertor nach Fischer von Erlach (um 1890); Wien

Für Kunst und Kultur hatte der aufgeklärte Herrscher ein offenes Ohr. Während seiner Regentschaft wandelte sich unter seinem Hofarchitekten, dem im französischen Vincennes geborenen Isidor Canevale, der barocke Stil zum Klassizismus und zur Romantik.


479 Figur am Brunnen beim Michaelertrakt der Hofburg (1897); Wien

Kunstphilosophie und Ästhetik

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