Читать книгу Kunstphilosophie und Ästhetik - Bernhard Braun - Страница 22

2.2. Der Rationalismus

Оглавление

Der Satz cogito ergo sum kennzeichnet ganz generell das an einer subjektgetragenen Wissenschaft orientierte Klima der Neuzeit. Es ist ein Satz des Rationalismus. Dieser setzte die Vernunft an die erste Stelle der Erkenntnisgewinnung, postulierte in der radikalsten Fassung sogar eingeborene Ideen, stand ideengeschichtlich also im Kontext des Platonismus. Faszinierend am Rationalismus ist die große Bandbreite der Systemphilosophie, die vom Dualismus des Descartes über den Monismus Spinozas bis zum Pluralismus von Leibniz reichte. Die Balance von göttlicher Legitimierung und menschlicher Selbstbehauptung wird im Rationalismus mehr und mehr zugunsten dieser verändert. Man könnte bei Leibniz eine Radikalisierung des Gedankens vom freien Subjekt und bei Spinoza eine solche der Einbindung des Subjekts in die (pantheistisch verstandene) Welt sehen.

Die moderne Zeit begann mit der drängenden Suche nach Gewissheit und nach klarer, ungeschnörkelter und rationalitätsgeleiteter Methode. Das ist eine Haltung, die wir in der Ablehnung der geschwungenen ornamentierten Form des Barock durch den Klassizismus wiederfinden. Die Klarheit und Rationalität der Form ist eine Forderung, die sich einerseits durch das antike Vorbild ergab, aber in der Neuzeit zudem theoretisch (rationalistisch) reflektiert wurde. Die kulturelle Erzählung einer strengen wissenschaftlichen Methode, die auf Klarheit und Gewissheit eingeschworen wurde, löste die schöngeistige, an der Rhetorik ausgerichtete und vom Skeptizismus durchfurchte Gedankenwelt des Humanismus ab. Zugleich ersetzte eine vom Menschen mit Hilfe der Autorität seiner Vernunft gestiftete überzeitliche Gewissheit (im Empirismus gibt es nur mehr eine zeitbedingte Wahrscheinlichkeit) eine ontologische Wahrheit (letztlich göttlicher Abkunft).

Rationalität und Klarheit waren die Prinzipien, auf denen der Erfolg der französischen Kultur im 18. Jh. aufbaute. Harald Keller beantwortet die Frage nach dem Zauber, den die französische Kunst und Kultur dieses Jahrhunderts auf Europa ausübte, so: »Aus jeder Fabel von Lafontaine, aus einem Gartenentwurf von Le Nostre, aus dem Grundriß einer Maison de plaisance von Boffrand und aus jedem Stilleben von Chardin sprechen Raison und Clarté.« Es gab keine komplizierten Lösungen, sondern jedes Kunstwerk erschien als Variation eines Schemas. »Solche Schemata wurden von den im 17. Jahrhundert gegründeten Akademien festgelegt […].« Keller beschreibt den Rationalismus, insbesondere jenen des Descartes, als Leiterzählung für den Klassizismus. Dem ist freilich anzufügen, dass sich derselbe Rationalismus, insbesondere in der Form, die ihm Leibniz gegeben hat, auch für das Verständnis des Barock fruchtbar machen ließ.

Keller 1971, 68

Richtig ist jedenfalls, dass im Umfeld des Rationalismus Äußerungen zu den Streitpunkten der Akademieästhetik auftauchen, wie sie im vierten Kapitel näher beleuchtet werden sollen. Der Mitbegründer der Académie français, Jean Chapelain, forderte für Literatur und Dichtung ein vernunftmäßig begründetes Regelwerk und beeinflusste mit dieser klassizistischen Ästhetik die Diskussion. Auch bei Blaise Pascal, Pierre Nicole oder Nicolas Malebranche gibt es spärliche Äußerungen zur Ästhetik, teilweise spiritualistisch angehaucht oder von einem relativistischen Pessimismus, die Begründungsmöglichkeit betreffend, getragen.

Damit wird eine schwierige und umstrittene Frage traktiert. Sie könnte lauten: Wie hielt es der Barock mit rationaler Logik und Mathematik? Die Antwort auf diese Frage hängt davon ab, ob man den Barock primär als Ausdruck spontaner und jeder Regel abgeneigter Künstlersubjektivität sieht oder als ein rationales/rationalistisches Systemkonzept, in dem letztlich alle Dynamik einer Gesamtordnung unterworfen bleibt. Erich Hubala wird manchmal als Zeuge für die erste Auffassung angeführt. Das ließe sich relativieren durch den Hinweis, dass Hubala einen großen Teil des Barock als Klassik rekonstruiert. Was übrig bleibt, erscheint ihm dann wirklich als regellos. Trotzdem ist eine Annäherung an den Barock als schlicht regellose und intuitive Kunstrichtung wenig zutreffend. Dazu war der Einfluss des Cartesianismus zu dominant. Und jedenfalls für Frankreich gilt, dass der Schaffensprozess der dortigen Architekten »nicht unbelasteter Intuition« entspringt, sondern »reflektorischen Charakter« hat.

Müller W. 2002, 10

Kunstphilosophie und Ästhetik

Подняться наверх