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Felsner 2010, 48

Der Begriff des bon goût drückt seine Nähe zur Sinnesaffektion aus, umfasst aber implizit auch ein Verstandesurteil. Er ist damit ein passendes Produkt des Rationalismus. Von den vielen Bezügen, die ihm zukommen, sollen zumindest drei erwähnt werden: (1) Er vermittelte in der Architekturtheorie zwischen den Aspekten des Klassischen und Barocken. (2) Er schwankte in der Rezeption zwischen der ursprünglichen Bedeutung in der »Akademiediskussion unter Blondel, Abspracheergebnis einer privilegierten sozialen Schicht« zu sein, und dem Anspruch eines subjektiven Geschmacksurteils bei Sébastien Le Clerc. Und schließlich (3) entwickelte sich daraus die Ambition nach einem universellen Geschmacksurteil, wie das Kant dann in Angriff nahm.

Kruft 1985, 160

Für das Kriterium der Schönheit in Form des Genusses bietet die Position von Charles Perrault Anschauungsmaterial. Perrault ging es nicht um Aufhebung des Symmetriebegriffs (certaine proportion), sondern um eine Relativierung desselben durch die Berücksichtigung der Grazie (le grace de la forme) bei einem Bauwerk! Diese Rücksicht auf den Geschmack erlaubte Perrault eine selbstbewusste Freiheit gegenüber der Antike, weniger bei den Proportionsregeln, wohl aber bei den darüber hinausgehenden Formfragen. Perraults Position ermöglicht geradezu eine resümierende Sicht auf den bon goût, der einerseits die klassizistische Regel des Schönen ausdrückte und andererseits, darauf aufbauend, das subjektive Geschmacksurteil beschrieb, das man letztlich als gegenkulturellen Impuls gegen die Regel ansehen kann.

Charles Perrault

X.1.3.2.3.

Mit den Regeln des Schönen im Sinne des Klassizismus war die regelgeleitete Harmonie im Sinne Vitruvs gemeint, die nun normiert und, von den Akademien als bon goût institutionalisiert, die Vernunft- und Systemorientierung dominierte. Der französische Architekt Jean Courtonne sprach in seinem Traktat Traîté de la Perspective pratique (1725) von »une certaine proportion qui a été d’abord établie par ces grands Architectes de l’Antiquité, […].« Den Gedanken, dass die Proportionen letztlich von den großen Architekten der Antike gefunden wurden, übernahmen zahlreiche weitere Schriften. Beinahe wörtlich findet sich die Passage später bei Jean-François Blondel. Der Aufklärung zuneigende Intellektuelle – etwa der Architekt Germain Boffrand in seinem Livre d’architecture – formulierten die Geschichte von an der Vernunft orientierten Völkern und Personen, wobei diese Vernunftorientierung einer Ausrichtung an der alten Harmonielehre entsprach. Damit war auch für das Genie die enge »Freiheit« innerhalb des Regelkanons abgesteckt.

Courtonne, zit. nach Keller 1971, 70

Auch in der Literatur dachte man nicht anders. Jean-Baptiste Racine, Mitglied der Académie français, schrieb im Vorwort seiner Iphigénie über die Übereinstimmung im Geschmacksanspruch von Paris mit jenem von Athen: »Le goût de Paris s’est trouvé conforme à celui d’Athènes […].«

Racine 1674, 48

In den ersten Jahrzehnten des 18. Jh.s gab es eine Neuadjustierung des Begriffs in der Akademie, der dann weniger Schärfe enthielt und, wie am Beispiel Perraults bereits erwähnt, den Standpunkt der Rezeption einbezog. Die Nachfolger Blondels reicherten den Begriff mit einer Prise Funktionsabhängigkeit des Geschmacks an. Dem bon goût als höchstem Begriff folgten in der Akademiedefinition der Architektur ordonnance, proportion, convenance, die sich allesamt an der usage, also an der Funktion orientieren. Das bedeutete das Praktische, Bequeme, Modische. »Die ästhetischen Kernbegriffe geraten in Abhängigkeit vom Gebrauchswert der Architektur. Die Idee einer normativen Architekturlehre wird von der Akademie in ihren eigenen Definitionen aufgehoben.«

Kruft 1985, 161

Damit wurde der bon goût in die Nähe des subjektiven Geschmacksurteils gerückt, das sich nur zögernd aus der Klammer der akademischen Institution löste. In dieser Bedeutung geschah sozusagen innerhalb des Geschmacksbegriffs selbst ein Umbruch. Kunst befreite sich von politischen, moralischen, religiösen Aspekten hin auf einen rein ästhetischen Gesichtspunkt, der noch dazu im Subjekt sein Kriterium fand. »Der (individuelle) Geschmack wird so zu einem ästhetischen Gewissen, das in Fragen des ästhetischen Wertes die letzte Entscheidung hat.«

Lüthe Rudolf/Fontius Martin in ÄGB 2, 793

Jean-Baptiste du Bos stellte Gefühl und Empfindung (sentiment) gegen die Regelästhetik der Akademie. Die Empfindung sei ein Instrument, mit Hilfe dessen man zu einem objektiven ästhetischen Urteil gelangen könne. Die Bedeutung kippte von einer institutionalisierten Regel (Rationalismus) zur Sensibilität gegenüber der Kunst (Empirismus), die man in der Praxis ausbilden konnte. In einer solchen Bedeutung ist der Begriff bis heute aktuell. Zugang zur Kunst und in weiterer Folge zu ästhetischen Erfahrungen verschafft man sich nicht zuletzt durch Beschäftigung mit ihr, durch Ausbildung eines Beurteilungswissens bis hin zur Kennerschaft. Dieser Optimismus, der durch die Erfahrung wohl einige Nahrung erhält, bildet die Grundlage für einen weiteren Optimismus, nämlich den Glauben an die Möglichkeit eines allgemeinverbindlichen Geschmacksurteils. Der bon goût wurde auf diese Weise – z.B. beim Literaturkritiker und Freigeist Charles de Saint-Évremond – dem Wandel der Geschichte unterworfen.

5.2.1.

Jean-Baptiste du Bos

David Hume fragte in seinem Standard of Taste (1757), ob der Geschmack zur Natur des Menschen gehöre oder ob er eine willkürliche subjektive Eigenschaft sei, und entschied sich für die erste Variante. Geschmack als Ausstattung der menschlichen Natur wurde jetzt zu einer im Menschen angelegten Fähigkeit zu ästhetischen Urteilen. Auch bei Hume blieb für eine anzustrebende Universalität die Bildung eine notwendige Voraussetzung. »[…] der bloß naturwüchsige Geschmack [musste] zu einem kultivierten Geschmack« werden. Humes Th eorie war letztlich eine Th eorie des Klassizismus, bei der die Aspekte des bon goût zu verbinden versucht wurden. Damit war die Debatte um das Geschmacksurteil eröffnet, das einerseits eine subjektiv-empirische Komponente haben, andererseits aber einer bloß subjektiven Relativität entkommen sollte.

David Hume

5.1.

Lüthe Rudolf/Fontius Martin in ÄGB 2, 800f

Im 19. und 20. Jh. verlor der bon goût seine Bedeutung. Angesichts der Pluralisierung der Stiloptionen kann das nicht überraschen. Zudem trat das Genie in eine neue Rolle. Es emanzipierte sich aus seiner Demiurgenrolle und wurde zum kreativen Gestalter, der sich von der jetzt als antiquiert geltenden Geschmacksvorgabe zu befreien suchte.


486 Giebelschmuck am Louvre; Paris

Kunstphilosophie und Ästhetik

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