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2.2.2. Gracián und der bon goût

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Der Rationalismus war die philosophische Grundlage für Barock und Klassizismus gleichermaßen. Aus dieser Spannung speiste er eine gängige Vokabel des 18. Jh.s, den bon goût. »Der Begriff und das Problem des Geschmacks sind in der Ästhetik und Kunstphilosophie des 18. Jahrhunderts allgegenwärtig.« Neben dem üblichen Harmonievokabular machte dieser Ausdruck eine Karriere innerhalb des klassizistischen Paradigmas. Die Besonderheit dabei ist, dass sich in diesem Begriff, der philosophisch in erster Linie von der sensualistischen Seite des Rationalismus gespeist wurde, auch der Empirismus finden konnte. Rationalismus und Empirismus trafen sich in diesem bon goût im gemeinsamen Anliegen der Aufklärung.

Baumeister 2012, 188

Sein großer Auftritt im 18. Jh. hatte – abseits philosophischer Erörterungen – auch zu tun mit einem verbreiteten neuen Bedürfnis nach guten Manieren, nach Höflichkeit und gepflegter Konversation. Er wurde auf alle kulturellen Tätigkeiten, von der Literatur über Malerei, Bildhauerei und Architektur bis zum Produktdesign, angewandt, war also ein Ausdruck von gesellschaftlichen und öffentlichen Konventionen. Es lag an der normierenden Etikette des Hofes in Versailles, dass der Begriff in Frankreich eine große Resonanz fand. Die umfangreiche Geschmacksdebatte war damit Teil der Herrschaftsdiskurse, aber es dürfte dennoch eine Engführung sein, diese Debatte ausschließlich unter politischem Vorzeichen zu sehen und sie auf Herrschaftstechniken zurückzuführen. Immerhin spiegelte sich darin auch die Emanzipation des Individuums, nämlich sein eingefordertes »Recht, selbst zu urteilen und Erfahrungen zu machen, wie es auf beispielhafte Weise in der Kunstkritik Diderots zum Ausdruck kommt.«

Reschke Renate in ÄGB 5, 412

Baumeister 2005, 190

Der Ausdruck, der wesentlich vom Jesuiten Baltasar Gracián y Morales geprägt worden war, ist ein kunstphilosophischer und ästhetischer Fachterminus. Gracián war ein großer Moralist. Er stellte den Helden seines unter dem Namen seines Bruders Lorenzo erschienenen politischen und moralistischen Traktates El Héroe (1639) als tugendhaften Mann mit gutem Geschmack dar. Gracián legte weder eine Systematik der Schönheit noch eine der Kunst vor, vielmehr kultivierte er den Geschmack als Fähigkeit, »immer die rechte Wahl zu treffen.« Ganz im Rationalismus beheimatet, stellte er den Menschen als ein Kunstwerk in einem von Gott geschaffenen vollkommenen Kosmos vor, ausgezeichnet mit dem Streben nach Heiligkeit. Ein platonisierendes Mikro- und Makrokosmos-Verständnis bestimmt die Aufgabe der Kunst, durch die Veredelung der Natur den guten Geschmack zu bilden. Letztlich sei es die Kunst, die den sittlich wertvollen (daher auch schönen) Menschen vom gewöhnlichen Pöbel scheidet. Was den Anschein klerikaler Arroganz auslöst, muss als Ausweis einer höfischen Geisteskultur gesehen werden, zu der gutes Auftreten und intellektuelle Attraktivität gehörte. In diesem bon goût versammeln sich Schönheit und Sittlichkeit. Voltaire, dieser »Libertin mit Stil«, und Montesquieu beteiligten sich prominent in der Encyclopédie d’Alemberts bei einem von mehreren Autoren verfassten größeren Kapitel über den goût an der Diskussion. Die Anforderungen an den Geschmack sind ehrgeizig. Immer wieder wird betont, dass nur eine Minderheit ihm gerecht werden kann.

Gracián y Morales

Kunstphilosophie und Ästhetik

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