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3.1. Kontexte

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Sucht man nach einer genaueren Definition dessen, was barock ist, stößt man in der einschlägigen kunsthistorischen und philologischen Literatur auf viel Unsicherheit. Nicht nur über die Herleitung des Begriffs wird diskutiert, auch in der Sache selbst gilt es zu beachten, dass zum Barock genauso wie das Überladene auch die Fortschreibung der Renaissance-Klassizität gehört. Erich Hubala beschrieb im 9. Band der Propyläen Kunstgeschichte, der den Barock behandelt, eigentlich seine klassisch-klassizistische Variante. Auch Yves Bottineau ringt in der Darstellung des Barock im einschlägigen Band der Großen Epochen der Weltkunst. Am Beispiel der Skulptur Raub der Proserpina von François Girardon stellt Bottineau fest: Die Skulptur sei »vom Thema und der inneren Kraft her antik, in diesem Sinne also klassisch; und doch ist die Dynamik unbestreitbar. Muß man nun diese Gruppe als barock bezeichnen?«

Hubala 1970

Bottineau 1986, 211

Diese Schwierigkeit der Kunsthistoriker in der Stilanalyse steigert sich noch bei einer kunstphilosophischen Bewertung, denn es gibt nur wenige nennenswerte theoretische Reflexionen dazu. Die Barockkünstler und Barockarchitekten haben sich zwar zu Farbe und Emotion, zur Multiplikation von Fluchtpunkten und zum rhetorischen Ausdruck bekannt, aber nur wenige systematische Abhandlungen dazu formuliert. »Es muß hier auf die eigentümliche Tatsache hingewiesen werden, daß die italienische Architektur des Früh- und Hochbarock keinen theoretischen Ausdruck fand. Die formulierte Kunsttheorie der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts befand sich weitgehend im Gegensatz zur realen Entwicklung der bildenden Künste und Architektur. Als Zentrum der Diskussionen darf man wiederum die Accademia di San Luca in Rom ansehen.«/»Es ist außerordentlich bedauerlich, daß sich weder Bernini noch Borromini oder Pietro da Cortona zusammenhängend über Architektur geäußert haben.« Ganz anders ist dies bei den reichlich reflektierten klassizistischen Positionen. Aus diesem Grund bleibt wenig anderes übrig, als auf den Phänotyp des Barock zu verweisen, seine Üppigkeit und Dynamik, seine theatralische Kulissenhaftigkeit, seine verschwenderische Ornamentik, seine Emotionalität bis hin zur Ekstase.


487 François Girardon, Raub der Proserpina; Versailles

Kruft 1985, 113/116

Auflösung ontologischer Verbindlichkeit

Der Barock entwickelte sich aus der Renaissance, zunächst über den Manierismus, also dem ganz bewussten Bruch mit den klassischen Vorgaben der Harmonie, denen sich die Renaissance verpflichtet fühlte. Die Motive für den Barock entsprechen daher den Motiven für die Verabschiedung der Renaissance im Manierismus, wie sie im Kapitel VI.8. dargestellt wurden. Andererseits kann der Barock auch als konsequente Fortsetzung der Eigenart der Renaissance gelesen werden, die antiken Motive zu einer neuen Synthese zu führen. Barock bezeichnete dann den graduell freieren Umgang mit den Architekturelementen. Das ist reichlich vage. Vielleicht kann in dieser Frage der Blick auf die leitenden philosophischen Erzählungen weiterhelfen. Die Synthese der Renaissance geschah im Kontext einer platonischen Leiterzählung. Diese bildete den ontologischen Rahmen einer auf strenge Harmonie ausgerichteten Ästhetik. Es ist nicht unplausibel, davon auszugehen, dass erst der Verlust der Verbindlichkeit dieser kunstphilosophischen Rahmenerzählung einen freieren Umgang mit den Elementen zuließ. Die Querelle des Antiques et des Modernes wäre dann nichts anderes als ein Test der Verbindlichkeit solcher philosophischer Leiterzählungen.

Die philosophischen Schulen der Neuzeit bereiteten nicht zuletzt durch die forcierte Subjektivierung einer Auflösung der ontologischen Verbindlichkeit und der damit verbundenen Ästhetisierung den Boden. Hinzu kam die sowohl im Empirismus als auch im Rationalismus (mit unterschiedlichem Nachdruck) formulierte Würdigung einer sinnlichen Erkenntnis. Bei Letzterem mag überraschen, dass auch der Rationalismus dafür herangezogen wird. Aber dies ist – ideengeschichtlich betrachtet – nicht inkonsequent. Die Behandlung des Sinnlichen und Materiellen in Platons Demiurgen-Gleichnis erfuhr in der Renaissance mit aristotelischen Hintergründen eine Verstärkung. Das Muster, nach dem die demiurgische Bewegung die sinnliche Welt nobilitiert, entspricht der Form (und der Regel) im neuzeitlichen Geniekonzept. Der Streit um Regel und Regelverletzung spielt aus diesen Gründen auch in der Diskussion um die Nachahmung der Natur eine führende Rolle. Dass dieser Streit so lange währte, lag daran, dass die Auflösung der ontologischen Verbindlichkeit durch das Streben nach einer rationalen Verbindlichkeit verzögert wurde, die letztlich in den Regelkanon des Klassizismus mündete. Denn auch der – ich nenne es an dieser Stelle: »geschwungene Barock« – blieb einer systemphilosophischen Rationalität untergeordnet. Gehorchte der Klassizismus schließlich nur mehr einer Regel um der Regel willen, begannen die barocken Formen ein Eigenleben zu beanspruchen. Wenn diese Überlegungen richtig wären, ließe sich die (freiere) klassische Fortsetzung der Renaissance nochmals vom regelgetragenen Klassizismus abheben.

sinnliche Erkenntnis

VIII.3.2.1.ff.

Der Klassizismus steht als epigonale Rückkehrbewegung zur antiken Klassik der Romantik näher als der aus der Renaissance gewachsenen Klassik. Wie alle epigonalen Erscheinungen hielt er formale Kriterien hoch, einen Regelkanon, der seine inhaltliche Überzeugungskraft längst eingebüßt hatte. Der Klassizismus setzte sozusagen die Wende in eine Ästhetik voraus, die eine richtungsgebende ontologische Verbindlichkeit verloren hatte.

Der Vorschlag der Berücksichtigung philosophischer Leiterzählungen macht die ideengeschichtliche Bewegung verständlicher, er hilft allerdings kaum dabei, den Barock einer genaueren Definition zuzuführen. Fragt man nach dem »Barocken« im Klassischen (in Kunst und Literatur), erhält man meist unscharfe Antworten wie den Verweis auf einen Ornamentüberschuss. Es schien daher geboten, eine Beschreibung der »Struktur des Barock« zu unternehmen, die zunächst Eigenschaften zu begreifen versucht, die man landläufig mit dem Barock verbindet – mit ausdrücklicher Berücksichtigung philosophischer Kontexte. Denn der Barock strahlt nicht nur eine kunsthistorische Faszination aus – manche Kunsthistorikerinnen und Künstler sehen gut nachvollziehbar in der barocken Bildkunst den Höhepunkt der Malerei überhaupt –, sondern er ist auch eine reizvolle Umsetzung philosophischer Systeme, insbesondere des Rationalismus. Dieser philosophische Hintergrund kann auch helfen, weitere Problemkreise zu entschlüsseln, die dem Barock nachhängen, jene des Verhältnisses von Barock und Katholizismus und jene von Barock und Absolutismus.

Auf die Beziehung zwischen Barock und Katholizismus wurde bereits hingewiesen. Die Deutung des Barock als Stil der Gegenreformation ist zweifellos nicht mehr zeitgemäß. Werner Weisbach sprach in den Zwanzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts von »gegenreformatorischer Kunst«. Allerdings meinte er damit die Rückwendung der Kirche ins Mittelalter angesichts der in Renaissance und beginnender Neuzeit anbrechenden neuen Zeiten und er konstatierte, dass sich der Barockstil diesem »Reformkatholizismus« »in einem besonderen Maß und Umfang angeschmiegt hat […].« Das wäre eine auch heute noch passable Sicht der Dinge. Den aktuellen Stand dieser Diskussion fasst Meinrad von Engelberg zusammen: »Es ist ein geläufiges Missverständnis, den Barock als einen genuin katholischen Stil zu verstehen. Es war ein Zeitstil, der von beiden Konfessionen als gleichermaßen angemessener Ausdruck der eigenen Glaubenswahrheiten und Raumideale entwickelt wurde. Vielleicht ist der Protestantismus nie selbstbewusster und innovativer mit raumgestalterischen Aufgaben umgegangen als in jenen anderthalb Jahrhunderten: […].«

1.3.f.

Stil der Gegenreformation

Weisbach 1921, 6

Engelberg 2008b, 231

Dem ist kaum zu widersprechen, was die Stiloption selbst betrifft. Allenfalls sollte der Hinweis nicht fehlen, dass es zumindest in der Art des Gebrauchs barocker Stillagen Unterschiede gab. Von Engelberg weist auf die beiden Aufgaben im Sakralbau (im Sinne der beiden Konfessionen) mit »Predigtsaal und Klosterkirche« hin. Wenngleich sich die Bauten im äußeren barocken Erscheinungsbild kaum oder gar nicht voneinander unterschieden, taten sie das meist sehr wohl in der Innenausstattung. Es gab durchaus eine unterschiedliche Sicht des Kirchenraums. Der katholischen Kirche dienten Bau wie Liturgie als Symbol des mystischen Leibes Christi. In der Kirche vollzog sich ein Mysterium der realen Darstellung des Körpers eines Gottes. Kirchen im katholischen Bereich wurden propagandistisch in Kontexte, in jenen der Haptik des »Körpers« der Kirche oder in jenen des Wallfahrtswesens, eingegliedert. In einer theatralischen Liturgie wurden Christusfiguren unter dem Klang von Musik und Glocken in der Kirche feierlich nach oben gezogen und verschwanden in einem eigens dafür vorgesehenen Loch in der Decke, zu Pfingsten schwebte umgekehrt eine Taubenfigur nach unten, am Palmsonntag zog man Palmesel aus Holz durch die Straßen und baute den Altarraum am Karfreitag in eine großes heiliges Grab um. Es ist eine katholische Eigenheit, an Stellen obskurer Wunderberichte durch tiefgläubige Menschen, welche die aufgeklärte Kirchenobrigkeit nicht selten widerstrebend übernehmen musste, üppige Bauwerke zu errichten. Die prächtige Umbauung solch nickender Madonnen, blutender Hostien, magischer, aus dem Himmel wie Feuerwerkskörper niederfahrender Lichtkaskaden trieb manch einen Klosterverband in den finanziellen Ruin. Umgekehrt förderten eine Wunderkammer von Tischtuchteilen des Letzten Abendmahls, Splitter des Kreuzes Jesu und ein Gürtel des Täufers Johannes die Wallfahrtsaktivitäten und brachten Klöstern gleichermaßen Aura und Reichtum.


488/489 Basilika Mariae Empfängnis (18. Jh.); Innsbruck

Ignatius von Loyola, dieser Ritter Jesu, gab Anweisungen zu geistlichen Übungen, wo man mit allen Sinnen selbst die Erfahrung der Hölle machen konnte: »[…] mit der Sicht der Vorstellungskraft die Länge, Breite und Tiefe der Hölle zu sehen. […] Um inneres Verspüren der Qual bitten, die die Verdammten erleiden […] Mit den Ohren Gejammer, Geheul, Schreie Lästerungen gegen Christus, unseren Herrn und gegen alle seine Heiligen hören. […] Mit dem Geruch Rauch, Schwefel, Unrat und Faulendes riechen. […] Mit dem Geschmack Bitteres schmecken, wie Tränen, Traurigkeit und den Wurm des Gewissens. […] Mit dem Tastsinn berühren, nämlich auf welche Weise die Gluten die Seelen berühren und verbrennen.« Das ist die Befehlsausgabe zur kontrollierten mystischen Erfahrung. »Es war der Zweck der Geistlichen Übungen, durch ein allgemein anwendbares psychotechnisches Verfahren ein breites Publikum für eine bestimmte Glaubensform zu präparieren und die religiöse Phantasie in geregelte Bahnen zu lenken.«

Ignatius v. Loyola 1978, 44

Weisbach 1921, 13

Ich sprach bereits im Mittelalter-Teil über die prägnante Ausbildung der Mystik als Materialisierung des Körpers der Kirche. Das findet in Barock und Rokoko eine Fortsetzung. Matthäus Günther malte im Chor der Kirche im oberbayrischen Indersdorf 1757 ein Fresko mit folgender ungustiöser Szene: In das brennende Herz des hl. Augustinus fließen aus der Seitenwunde Christi dessen Blut und aus der Brust Marias Milch. Vor allem in der spanischen Kunst huldigte man solch mystischen und die materielle Seite betonenden Themen. Francisco de Zurbarán malte im Zyklus von Guadalupe eine blutende Hostie, die in den Himmel schwebt.

V.5.3.2.

Ähnlich wie bei den Prunksälen im Bereich der weltlichen Residenzen bot der barocke Kirchenraum einen durch die Versammlung der Künste probaten Rahmen für dieses mystisch-institutionelle Spektakel der Sinne. »Kostbare Materialien und eine delikate Farb- und Lichtregie spielen dabei eine wesentliche Rolle.« Demgegenüber blieb die evangelische Kirche eher (wenngleich nicht immer) ein schlichter Festsaal der Predigt und einer symbolischen Erinnerung. Der katholische Raum musste eine sakrale Würde aus sich selbst haben, während der evangelische Kirchenbau vor dem Wort zurücktrat und sogar den Auftraggeber transportieren durfte.

Borngässer Barbara in Toman 2010, 648

1791 setzten sich die Autoren der in Augsburg erschienenen Schutzschrift für die Pracht beym katholischen Gottesdienste für die Bewahrung barocker Prachtentfaltung ein. Die »Pracht«, also die alte der Rhetorik entstammende Stillage des ornatus, tauchte in vielen zeitgenössischen Beschreibungen und Briefen als eine Tugend der Herrschenden auf und wurde dementsprechend auch für die Kirche gefordert. Die Spannweite der prachtvollen Verkörperung des Glaubens reichte von der noch von der Renaissance geprägten Jesuitenkirche St. Michael in München (1597), das ein Nabel der katholischen Gegenreformation war, bis zu den verschiedenen Wallfahrtskirchen und schlossartigen Klosterkomplexen.

Büttner 2008, 352

Eine bewusste Gegenposition zu einer konfessionellen Barockauffassung formulierte Geoffrey Scott bereits 1914, also in etwa zur gleichen Zeit, wie Weisbach genau diese Verbindung beschrieb. Sosehr er die Funktionalisierung des Barock erkannte (»Never, perhaps, has architecture been more successfully or more deliberately made the tool of policy […]«), beharrte er darauf, dass der Barock, den er als humanistischen Stil bezeichnete, nur den Gesetzen der Ästhetik folgte: »The style had an orbit, and an impetus, of its own.« Scott setzte mit seinem Buch einen Meilenstein auf dem Weg einer Revitalisierung des Barock im postmodernen Kontext.

Scott 1914, 25/26

Bleibt das Verhältnis von Barock und Konfessionalismus also mehrschichtig, gibt es zwischen Barock und Absolutismus einen eindeutigeren Bezug. Die Tatsache, dass die absolutistisch regierenden europäischen Fürsten barock gebaut haben, hat dem Barock manchmal eine politische Schlagseite und eine negative Bewertung eingebracht. Verächter der alten Periodisierung, damit auch des Barockbegriffs, haben den Vorschlag in die Debatte eingebracht, statt Barock die Ausdrücke Gegenreformation und Absolutismus zu verwenden.

Barock und Absolutismus

IX.3.2.4.

Hubatsch 1958, 136f

Der Stil kannte bei seiner Entstehung in Rom keine politischen Motive. Auch hatten weder der Absolutismus in Europa noch die regierten Gesellschaften ein einheitliches Gesicht. Der Barock als einheitlicher Stil (mit deutlichen lokalen Prägungen) deckte sehr verschiedene gesellschaftliche Gruppierungen ab. Insofern sind einzelne Deutungen im 20. Jh., die den Barock ausschließlich als politisches (reaktionäres) Repressionswerkzeug instrumentalisieren, wie die Theorie José Antonio Maravalls, eine sehr eingeschränkte Zugangsweise zum (in diesem Fall spanischen) Barock. Solche Deutungen sehen von der ästhetischen Dimension weitgehend ab, erfahren aber besonders in Lateinamerika, das den Barock mit den spanischen und portugiesischen Eroberern mitgeliefert bekam und wo der Barock eine koloniale Kultur begründete, viel Zuspruch. Konterkariert werden sie durch die gegenläufige Beobachtung anderer, wie Octavio Paz. Demnach habe die barocke Kultur letztlich einen Modernisierungsprozess in Gang gesetzt, einen kulturellen Synkretismus ermöglicht und damit dem Barock eine bis heute wirksame verbreitete Akzeptanz und Präsenz gesichert. In dieser Ambivalenz zwischen Kolonialismus, Moderne und Kulturvermischung läuft noch in unseren Tagen eine angeregte Barock-Debatte in Lateinamerika. Barock sei nach einem der Wortführer in dieser Debatte, dem in Frankreich geborenen kubanischen Schriftsteller Alejo Carpentier, nicht nur der prägende Geist Amerikas mit seiner Rassenmischung, sondern barock sei auch der kreolische Geist.

Maravall 1975

Moser Walter in ÄGB 1, 604–617

Das Verhältnis von Barock und Absolutismus ist demnach ähnlich komplex wie der Barock selbst. Erich Hubala verweist auf mannigfache Konfrontationen zwischen Barock und Absolutismus. Man könnte darunter auch das Scheitern von Berninis Louvre-Entwurf subsumieren (für das die Kunsthistorikerinnen zahlreiche Gründe angeben). Bernini habe nach dieser Leseart eine Verherrlichung des Königs intendiert, doch in Paris wollte man mittlerweile den Staat verherrlicht sehen. Dem kann man zustimmen, unabhängig davon, dass im Detail hierzu Fragen offen bleiben. Etwa ob es dann gerechtfertigt sei, in diesem Fall überhaupt einen Unterschied zwischen König und Staat zu machen? Ist der Louvre als Regierungssitz zu vergleichen mit dem propagandistischen Anspruch, den Ludwig XIV. in Versailles verfolgte? Schon der Blick auf den Umgang mit Nicolas Fouquet, der es gewagt hatte, ein konkurrierendes Repräsentationsschloss zu errichten, macht in dieser Hinsicht nachdenklich.

Hubala 1970, 13ff

4.2.4.3.1.

Dass die Höfe im 17. und 18. Jh. meist größere Ausstrahlung hatten als die Städte und dass Individuen »auf einer bestimmten Entwicklungsstufe europäischer Gesellschaften in der Form von Höfen zusammengebunden« wurden und »dadurch ein spezifisches Gepräge« erhielten, zeigte Norbert Elias. Sein soziologischer Befund ließe sich auf die Institutionalisierung von kulturellen Erzählungen erweitern und auch die Form der gewählten Architektur berücksichtigen. Abgesehen davon, dass der Glanz des Barock nichts verliert, wenn man einräumt, dass er sich für einen Staatsabsolutismus (ebenso wie für die absolutistisch regierte Institution Kirche) gut gebrauchen ließ, ebensowenig wie antike Formen dafür verantwortlich sind, dass sie totalitäre Regime noch im 20. Jh. für ihre Propaganda missbrauchten, sprach der Barock zumindest zwei Sprachen: Die große Anlage, die – kunstphilosophisch betrachtet – die Systemphilosophie eines Leibniz widerspiegelt, deckte sich mit den Ansprüchen des Absolutismus, die klassische (und später klassizistische) Linie des Barock hingegen war aufklärerisch und entsprach allenfalls einer Rationalität der Erkenntnis clare et distincte im Sinne des Descartes.

Elias 1969, 66

Gerade Versailles gilt als ideales Beispiel für die Beziehung von Barock und Absolutismus, zumal eine solche Sicht durch zeitgenössische Berichte bestätigt wird. Der manchmal geäußerte Einwand, dass es die Selbstdarstellung des absoluten Staates auch ohne den Barockstil gegeben hat, sagt nur, dass der Absolutismus keine den Barock erklärende Ursache ist, dass sich aber umgekehrt der Stil hervorragend für die Idee des Absolutismus instrumentalisieren ließ. Zum Unterschied von großen Bauwerken, die den Herrscher oder Kirchenfürsten verherrlichten, wie die Hagia Sophia oder der Petersdom, ist Schloss Versailles die Umsetzung eines Systemgedankens. Die Anlage ist das sprichwörtliche Gesamtkunstwerk, in dem sich ein absolut regierender Fürst darstellt, »daß das System zum Kunstwerk und das Kunstwerk zum System wird.« Odo Marquard mag recht haben, wenn er die Idee des Gesamtkunstwerks im Deutschen Idealismus (genauer: mit Schellings Identitätssystem) beginnen sieht. Das Gesamtkunstwerk selbst beginnt aber wohl bereits im Rationalismus; um es pointierter zu sagen: mit Leibniz’ Monadenlehre. Die Frage nach Barock und Absolutismus ist demnach eine Anfrage an den Systemanspruch von philosophischen Erzählungen, hier des Rationalismus. Und es war ebenso eine philosophische Erzählung, die die Systemambition dieses Gesamtkunstwerks unterminierte: der Empirismus und, besonders im 18. Jh., die Aufklärung. Aus der Front gegen den Rationalismus und sein System ergaben sich so moderne Forderungen wie jene nach Teilung der Gewalten, wie sie 1749 Baron de Montesquieu in seinem Esprit des lois forderte, oder der Anspruch auf Souveränität und Freiheit des Menschen, was Jean Jacques Rousseau in seinem Contrat social vertrat. Ähnliche Anliegen verfolgten Voltaire und die Enzyklopädisten.

Hoppe 2003, 36f

Marquard 1989, 101

2.2.1./3.3.

7.0.

Der Klassizismus war nur ein Gesicht, in das sich der Barock verwandelte. Das andere war die reiche Ornamentvielfalt des Rokoko, das besonders in Frankreich, den Niederlanden, Deutschland, dort wiederum vor allem in Bayern, und in Österreich Fuß fasste, während es in Spanien kaum und in England und Italien in zurückhaltender Weise auftrat. Inwieweit die frivolité des Rokoko ebenfalls eine bewusste Ästhetisierung der Kunst und Verabschiedung des Systems war, soll uns weiter unten beschäftigen. Der Gedanke, dass im Rokoko die eigentliche Modernität des Barock zutage trat, baut jedenfalls eine Brücke für die Eigenart des Barock, auch in der Gegenwart eine lebhafte Rezeption in modern-postmodernem Kontext erfahren zu haben. Die kurz vorgestellte Leibniz-Interpretation von Gilles Deleuze kann als postmoderne Barock-Interpretation auch aus dieser Warte betrachtet werden. Diese Rezeption reicht von neobarocken Formen in der Literatur über die Neuentdeckung barocker Musik einschließlich der Bemühung um entsprechende Aufführungspraxis bis zum Film, wo barocke Themen eine besondere Rolle spielen. Daneben bedienten sich Designer und Modeschöpfer dieser Vorlagen.

Ornamentvielfalt

3.6.

2.2.1.

Moser Walter in ÄGB 1, 580–585

Bei dieser Rezeption kann man zwei Aspekte unterscheiden: Einmal die Bemühungen um wissenschaftliche und historische Rezeptionsforschung, also um das Verstehen des Barock als historische Epoche in seiner Zeit. Zum anderen diverse Anregungen des Barock, die in modernen und postmodernen Diskursen faszinieren. Dazu gehören etwa die Hinwendung zum Sinnlichen und Körperhaften sowie die eindrucksvolle mediale Kompetenz des Barock. Nicht selten wird das kulturelle Crossover der Postmoderne als barocke Form angesprochen. Besser könnte allerdings ein anderes Stichwort das Gemeinte ausdrücken, Lyotards Heterogenität. Dahinter verbirgt sich freilich eine eklektizistische Ambition. Man rettet Motive in das 20. Jh., klammert jedoch das fundamentale Systeminteresse des Barock, das aus einer scheinbaren Vielfalt ein orchestriertes Gesamtkunstwerk macht, völlig aus. Treffender erscheint die Passgenauigkeit des Barock zum postmodernen Begriff des Simulacrums, wiederum eine medienphilosophische Volte, die eine so ungewöhnliche Künstlerreihe unter der Überschrift barock aufstellen lässt wie Gracián, Rubens, Picasso, Danilo Kiš, Luis Buñuel. Mehr als das System spielt bei der Rekonstruktion »barocker« virtueller Räume die Tendenz »zur Tilgung der Grenze zwischen ästhetischem Gebilde und Realität« eine Rolle. Das hat heute Konjunktur, weshalb »Vielfalt und Dichte des Barock in der Gegenwart [sind] beeindruckend« sind.«

Calabrese 1987

IX.4.5.2.

Marquard 1989, 100

Flemming Victoria in Flemming/Kittner 2017, 8; Kat. 2012d; Kat. 2004b Scarpetta 1988, 22–28

Mit solchen Anleihen lässt sich eine ausgeprägte Abkehr von jeder Art von Mimesis zelebrieren und man kann fugenlos die neuen Medientechniken involvieren. Verschiedentlich wird argumentiert, dass erst die multimedialen Techniken der Gegenwart die wirkliche Einlösung der Vision des Barock ermöglichten, sei es bei Bill Viola oder Peter Greenaway.

Murray 1997

Kunstphilosophie und Ästhetik

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