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3.5. »Autoren« barocker Universalsprache

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Im Barock verschmolzen die verschiedenen Künste zu dem, was man – auch unter Berücksichtigung kritischer Einwände – durchaus passend als Gesamtkunstwerk bezeichnen kann. Anders als in der Renaissance war die Architektur ausdrücklich auf Ergänzung durch die anderen Künste angelegt. Aus kunstgeschichtlicher Sicht wären hier die Namen zu rekapitulieren, die bereits im Renaissanceteil Erwähnung fanden. Von Bramante zu Antonio da Sangallo, »ein Hauptträger der Barockentwicklung«, dessen Stil »massig und ernst« gewesen ist, bis zu Michelangelo, den man auch schon als »Vater des Barockstiles« wegen »seiner gewaltigen Art, die Körper zu behandeln« bezeichnet hat, oder Giacomo Barozzi da Vignola. Grundsätzlich gab es im Cinquecento zahlreiche Künstler, die »sich an der Grenze der verschiedenen Kunstrichtungen […]« bewegten. Die kunstgeschichtliche Bewertung der als Renaissancekünstler abgestempelten Personen ist naturgemäß Thema der Kunsthistorikerinnen.

Wölfflin 1888, 15

Gurlitt 1887, VIII; Riegl 1908, 31

Wölfflin 1888, 89

VI.7.1.

Hauser 1964, 162

Sowohl die bildenden Künstler als auch die Architekten hatten sich im Barock von der handwerklichen Tätigkeit emanzipiert. Sie waren in ihrer eigenständigen Rolle etabliert. Eine definierte Berufsbeschreibung des Architekten gab es freilich nicht. »Baumeister«, »Werkmeister« und »Architekt« wurden als gleichwertige Begriffe gebraucht. Die Ausbildung war denkbar unterschiedlich. Bernini war wie Fischer von Erlach und Andreas Schlüter Bildhauer, Borromini Steinmetz, Balthasar Neumann Glocken- und Geschützgießer, Claude Perrault Mediziner, Christopher Wren Mathematiker. Viele große Barockkünstler waren demnach vielseitige Begabungen. Negativ könnte man (und dies war eine verbreitete zeitgenössische Polemikfigur) von Nebenberuflern und Laien sprechen, zumal die meisten Architekten – ähnlich wie die vielen Künstler – Autodidakten waren, die sich ihre Kenntnisse durch Lektüre und Reisen aneigneten. Nur in den großen Städten setzte sich allmählich ein akademischer Ausbildungsweg durch. Dort gab es bald Architektur-Büros, wie jenes von Carlo Fontana in Rom oder jenes von Jules Hardouin-Mansart in Paris. Nur beispielhaft sollen hier vier Namen von Künstlern herausgegriffen werden, die als vorbildliche Autoren einer barocken Universalsprache gelten dürfen: (1) Bernini, (2) Fontana, (3) Borromini und (4) Piranesi.

Erben 2012, 106ff

(ad 1) Gian Lorenzo Bernini, 1598 in Neapel geboren, war – wie Rubens für die Malerei – geradezu die Verkörperung der barocken Architektur und Bildhauerei. Er gab dem »römischen und italienischen Barock seine majestätischste und vollkommenste Form.« Seine Apoll und Daphne-Skulptur (1625) gilt als Inauguralwerk des reifen Barock. Die Rekonstruktion der Anliegen muss dabei vor allem aus dem Werk selbst versucht werden, denn anders als in der Renaissance schufen diese Meister zwar die Zeit prägende Werke, schrieben aber darüber keine theoretisch reflektierenden Traktate.

Gian Lorenzo Bernini

Bottineau 1986, 47


500 Fontana del Moro von della Porta und Bernini (um 1575/1654); Rom

Bernini war ein frühreifer Senkrechtstarter, von Hause aus Bildhauer, der das Geschäft der Architektur erst mühsam und mit einigen Misserfolgen erlernen musste. Er begann seine große Karriere in Rom, wohin seine Familie bereits 1605 übersiedelt war – der Vater Pietro Bernini, ebenfalls Bildhauer, hatte einen Auftrag von Papst Paul V. erhalten. Zunächst arbeitete Giovanni Lorenzo zumeist für kirchliche Auftraggeber, darunter mehrere Päpste. Unter Urban VIII., seinem lebenslangen Förderer und Freund, erhielt er freie Hand als künstlerischer Leiter in Rom. Das Ziborium über dem Petrusgrab (1624–1633), die Grabmäler für Urban VIII. und Alexander VII. sind außergewöhnliche Schöpfungen. Urbans künstlerische und architektonische Ambition förderte zwar den Barock, sie fügte freilich gleichzeitig den antiken Bauten Roms großen Schaden zu. Was man in der Renaissance noch mit Verehrung quittierte, war jetzt zu Steinbrüchen und Ersatzteillagern für die damaligen zeitgenössischen Projekte verkommen, bevor sie für den Klassizismus neuerlich einen nostalgischen Status erhielten. Unter Anspielung auf den zivilen Namen Urbans, Maffeo Barberini, entstand das noch heute kursierende geflügelten Wort: quod non fecerunt Barbari, fecerunt Barberini (was die Barbaren nicht zusammenbrachten/zerstörten, schafften die Barberini). Urban konnte am 18. November 1626 den Petersdom einweihen, an dem über einhundert Jahre gebaut worden war. Bernini, der 1629 nach dem Tod Madernos die Bauleiterstelle in St. Peter übernahm, baute den genialen kolonnadengesäumten, zum Dom hin ansteigenden und auf Kirche und Benediktionsloggia ausgerichteten Doppelplatz allerdings erst dreißig Jahre später. Eine eindrucksvollere Kulisse für die Inszenierungen der Weltkirche (urbi et orbi) hätte kaum erdacht werden können.

Morello 2014

Bernini war ein in ganz Europa höchst angesehener Mann, der auf seiner wichtigsten Reise nach Paris mit großem Gefolge unterwegs war und in allen Städten, die er durchquerte, gefeiert wurde. In Paris beriet er Ludwig XIV. bei der Gestaltung der Ostfassade des Louvre, wo sein Entwurf freilich nicht zum Zug kam. Er wurde dort wie ein Aristokrat empfangen. Ein Großteil der Verehrung wurde ihm schlicht deshalb entgegengebracht, weil er aus jenem Land stammte, von dem alle große Kunst ausging. Dass unter der virtuellen Weihrauchwolke die Uhren in Paris bereits anders, nämlich klassizistisch tickten, ist freilich auch wahr.

Burbaum 2003, 16

4.2.4.3.1.

Mit Rubens und Bernini hatte die Anerkennung von Künstlern und Architekten einen Höhepunkt erreicht. Bernini selbst legte Wert darauf, dass er nur für die künstlerische Erfindung zuständig sei und nicht etwa für die technische Ausführung. Dafür gab es die Handwerker.

Werner Hager beschreibt am Beispiel Berninis die zugrundeliegende Ambition des Barock: »Wäre es nach Bernini gegangen, er hätte ganz Rom in ein Theatrum sacrum et profanum verwandelt, in einen Schauplatz bildhafter Begegnungen zwischen Himmel und Erde, voller Naturgötter und Allegorien.« Dieses Theater der Künste – Bernini entwarf auch Bühnenbilder und trat sogar selbst als Schauspieler auf – schafft ungeheuer suggestive Kräfte durch ein reiches Feld der Illusionen. Die malerische Fortsetzung von architektonischen und skulpturalen Formen öffnet imaginäre Räume, Durchbrüche, Perspektiven und eine enorme Dynamik.

Hager 1969, 8

(ad 2) Zu Berninis Schülern und Mitarbeitern – er war technischer Leiter in Berninis Atelier – gehörte der 1638 im Tessin geborene Carlo Fontana, der bereits als Kind nach Rom kam und später dort nachhaltige architektonische Spuren hinterließ. Seine Bauten pflegte er mit begleitenden Schriften in der Öffentlichkeit bekannt zu machen. 1694 brachte er in diesem Zusammenhang eine Baugeschichte von St. Peter heraus (Templum Vaticanum et ipsius origo).

Carlo Fontana

Fontana setzte im Laufe seines Künstlerlebens dann allerdings andere Akzente, kehrte dem Hochbarock den Rücken zu und führte ein geradezu puritanisches Ideal ein: für den Palastbau den ursprünglichen Würfel, für den Kirchenbau das Schema des einfachen überkuppelten Raumzylinders über kreisförmigem Grundriss. Es waren die Ideale des Klassizismus, die jetzt Oberhand gewannen.

Keller 1971, 39

(ad 3) Ein ganz anderer Charakter als Bernini war der etwa gleichaltrige Francesco Castelli, der sich in Rom Borromini nannte. Der 1599 im schweizerischen Bissone am Luganersee geborene Bildhauer und Architekt war ein zurückgezogen lebender Künstler. Borromini verließ die klassischen Vorgaben und baute in einem gewagt barocken Stil, was dem immer in spanisch-schwarzer Kleidung (offenbar um aufzufallen, wie manche Zeitgenossen anmerkten) auftretenden Borromini viel Häme und Ablehnung einbrachte. Es gab kaum einen schlimmeren Vorwurf an einen Architekten als den eines regellosen Bauens. »Borrominis Hauptinteresse blieb immer die Modellierung des Raumes. […] In seinen Händen erhielten alle ererbten Formen eine neue Flexibilität. Nichts schien ihm endgültig, und schon fast von Beginn seines Werkes an wurde er angeklagt, das Bizarre zu kultivieren und sich zu große Freiheiten zu gestatten.« Die Kontroverse um Borromini zeigt, wie schwer sich die Architektur tat, aus dem Regelwerk der Antike – mit anderen Worten: der Rezeption Vitruvs – herauszutreten und einen Schritt zu setzen, den die anderen Kunstgenres bereits hinter sich hatten.

Francesco Borromini

Giedion 1965, 98

Einer der herausragenden Bauten wurde die Kirche San Carlo alle Quattro Fontane (1641; Fassade 1667), ein Fest der Dynamik. Bellori, der gestrenge Klassizist, reagierte geradezu wütend: »brutta e deforme […] infamia del nostro secolo«, blaffte er in einem Brief. Der Kunstsammler Lione Pascoli verteidigte den Meister in seinen Vite de pittori, scultori ed architetti moderni (1730). Er sei ein architetto spiritoso und seine Regelabweichungen genial (ingegnose). Dem Reiz des Geschaffenen konnte sich sogar ein Milizia nicht ganz entziehen (e’ pero mirabil), aber letztlich fand auch er, dass Borrominis Sucht nach der novità geradezu krankhaft sei. Selten brandete an einem Künstler der Richtungsstreit, hier jener von Barock und Klassizismus, so hart aufeinander. Werner Oechslin hat die engagierten gegenseitigen Zuschreibungen gesammelt und gegeneinander gestellt.

Oechslin 2000

In Rom war Borromini zunächst Mitarbeiter von Carlo Maderno, einem entfernten Verwandten, und wurde von kirchlichen Würdenträgern mit Aufträgen versorgt: Kirchen, Altäre, Paläste. Virgilio Spada, ein treuer Verehrer und Auftraggeber, schrieb unter dem Namen Borrominis eine (erste) Architekturmonographie über zwei Bauwerke des Meisters (Opus Architectonicum; 1725). Es sind keine theoretischen Reflexionen, sondern – typisch für die Schriften des Barock – Werkbeschreibungen. Trotz seines Ruhms stand Borromini im Schatten des immer heller leuchtenden Sterns Bernini, mit dem ihn nach einem längeren freundschaftlichen Verhältnis in der Jugendzeit schließlich eine heftige Rivalität verband, die sich zur Feindschaft steigerte. Nach dem Tod Urbans VIII. wurde zwar unter dem Nachfolger und Kunstfreund Innozenz X. vorübergehend Borromini bevorzugt, aber der Auftrag für den Vier-Ströme-Brunnen vor Borrominis Kirche auf der Piazza Navona wurde nach einigen Intrigen wieder Bernini zugeschanzt. Unter Alexander VII. war Bernini wieder der ausschließliche Favorit. Diese Rivalität zwischen dem freien Borromini und dem der Klassik enger folgenden Bernini ist als »Konflikt zwischen handwerklicher Kreativität und höfischer Invention« gelesen und als »Inbegriff der divergierenden Kunstströmungen im barocken Rom« gedeutet worden. Borromini nahm sich 1667 in einem Haus in Rom mit Blick auf den Tiber das Leben.

Borngässer Barbara in Toman 2002, 31

(ad 4) Der große Vedutenkünstler Giovanni Battista Piranesi, 1720 als Sohn eines venezianischen Steinmetzes in der Nähe von Treviso geboren, passte wie kaum ein zweiter in dieses Schema der barocken künstlerischen Universalsprache. Nach Ausbildungen in Wasserbau und Architektur perfektionierte er seine Grafiktechnik ab 1740 beim berühmten römischen Kupferstecher Giuseppe Vasi. Er war ein bedeutender Grafiker – Kupferstich und Radierung –, aber er gestaltete auch Theater- und Festdekorationen, vertrieb in ganz Europa Kamine und betätigte sich als Restaurator und Hobbyarchäologe in Herkulaneum und in Rom. Von seinem Selbstverständnis her war er Architekt und sah in diesem Beruf ein Potential »gesellschaftliche Lebensweisen und Lebensräume zu erneuern und verbessern.«

Giovanni Battista Piranesi

Ficacci 2011, 19

Seine idealisierten und überhöhten Darstellungen antiker Ruinen trugen zur Antikenverehrung, der Winckelmann eine wissenschaftliche Grundlage gegeben hatte, wesentlich bei. Die auf Papier gebannte Wucht der römischen Architektur war aber vor allem eine Empfehlung für Rom. Darüber schrieb der bildende Künstler in theoretischer Absicht Reflexionen: Prima Parte di Architetture e Prospettive (1743). Geradezu besessen von seiner Sendung, nahm Piranesi den Kampf gegen den zerstörerischen zeitgenössischen Umgang mit dem antiken Erbe der Ewigen Stadt auf. Das Vermächtnis dieses Kampfes legte er 1748 in einem vierbändigen Opus Magnum, Antichità Romane, vor.

Piranesi wehrte sich lange gegen die von Winckelmann und von französischen und englischen Architekten betriebene Aufwertung der griechischen Antike. Er witterte darin eine Konkurrenz zum römischen Erbe, dem er sich verpflichtet fühlte. Allerdings scheinen ihn die nach den Erfahrungen vieler Absolventen der Grand Tour heftig ausgebrochenen Diskussionen über den Primat der römischen oder griechischen Architektur nicht ungerührt gelassen zu haben. Selbst in seinem engsten Freundeskreis wurde eine Überprüfung der pro-römischen Haltung als notwendig angesehen. Darunter war auch Allan Ramsay, der in seinem Dialogue on Taste die Überlegenheit der gotischen Architektur propagierte. 1765 nahm Piranesi einen neuen Anlauf in Della introduzione e del progresso delle Belle Arti in Europa ne’ Tempi antichi, ein Werk, von dem nur die Einleitung fertiggestellt wurde. Darin kann man bei genauem Hinsehen einen Schwenk zur Anerkennung des Griechischen erkennen. Rudolf Wittkower vermutet die Ursache in den kritischen Stimmen, die angesichts der griechischen Architektur von einer belle et noble simplicité sprachen. »Piranesi could no longer ignore the fact of the simplicity of Greek and the ornate character of fully developed Roman architecture.« Allerdings begann Piranesi jetzt, eine ornamentierte Architektur gegenüber einer einfachen zu bevorzugen. In seinen letzten Lebensjahren näherte er sich der Idee seiner heftigsten Kritiker, dass die Etrusker griechische Kolonialisten gewesen seien.

4.2.4.2.

Ebd., 26

Wittkower 1938, 153

Kunstphilosophie und Ästhetik

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