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Aufbruch

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Beschämt senkte Linnea den Kopf und starrte ins Gras, als Mäuserich davonging. Einen Augenblick lang dachte sie darüber nach, ihm hinterherzugehen, doch wozu? Er tat ihr leid, doch das war auch schon alles. Liebe war es nicht, die sie für ihn empfand – jedenfalls nicht auf die Weise, die er begehrte. Es war das Beste für ihn, dass sie ihn fortschickte. Sie hatte andere Sorgen und wahrlich genug um die Ohren. Außerdem gab es da noch Siegfried, den Sohn des Freiherrn vom Eichenwald. Ihn würde sie wohl für immer lieben … Auch wenn es keine Chance für eine Zukunft mit ihm gab.

Als Lannie ihr eine Hand auf die Schulter legte, blickte Linnea auf. „Du hast das Richtige getan.“

„Ja, ich weiß.“ Sie holte tief Luft und sah ihrer Mutter ins Gesicht. „Mutter, hör zu. Ich muss mit dir reden.“

Und dann erzählte sie ihr alles: von Balthasar, dem unsichtbaren Wesen; von der Okarina und dem Klappmesser, das gerade in ihrer Rocktasche ruhte; von Frisurien und dem Weg durch das Elfen-Gebirge. Nur die Vision der Eisernen Witwe verschwieg sie.

Als sie geendet hatte, blinzelte Lannie nachdenklich und runzelte die Stirn. Linnea gab ihr etwas Zeit zum Antworten. Nun, da sie Balthasars Worte selbst noch einmal laut wiederholt hatte, wurde ihr klar, wie schwer es sein musste, dem Unsichtbaren Glauben zu schenken. Auch an ihr nagten jetzt Zweifel.

„Nein“, sagte Lannie bestimmt. Sonst nichts.

Mehr brauchte sie nicht zu sagen, Linnea verstand es auch so. Sie kannte die Gedanken ihrer Mutter nur zu gut. Es geschah sehr häufig, dass beide dasselbe dachten. Das hier alles aufzugeben und solch eine gefährliche Reise auf sich zu nehmen, auf die Worte eines Unbekannten hin, den sie nicht einmal sehen konnten … Wenn er gelogen hatte, stünden sie dann an einem fremden Ort in einem fremden Land ohne Orientierung. Und Steinspalter würde nach Markt Ruder zurückkehren und ihren Lagerplatz verlassen vorfinden. Nein, sie konnten nicht fort. Es war einfach in jeder Hinsicht zu riskant.

Also widersprach Linnea nicht, sondern nickte nur.

„Wir bleiben hier.“, stellte sie überflüssigerweise fest. Auch Lannie nickte zur Bestätigung.

* * *

Es vergingen drei Tage, bis Linnea es schließlich nicht mehr aushielt.

Am Morgen jenes dritten Tages saßen Mutter und Tochter vor dem Zelt an einem Holztisch und beugten sich über ein eng beschriebenes Blatt Papier. Sie hatten die Zeltplanen geöffnet und mit Stangen und Schnüren befestigt, damit sie wie ein Sonnenschutz fungierten. Es war ein herrlicher Tag, die Sonne schien am hellblauen Himmel und wurde nur ganz selten von kleinen, weißen Schleierwölkchen verdeckt. Es wehte ein angenehmes Lüftchen, es war nicht zu heiß. Brazikaden zirpten im Gras, im Lager war es ruhig.

Ein paar Männer standen vorne am Flussufer und beobachteten eine große Kolonne hölzerner Kanus, von denen schon seit Sonnenaufgang große Gruppen Flussabwärts fuhren. Schmutzige und lumpig gekleidete Männer, Frauen und Kinder waren gleichermaßen an Bord, ebenso Decken, Zeltmaterial und jede Menge Vorräte an Lebensmitteln. Weder ihr Ziel noch ihre Herkunft konnte sich jemand erklären. Paul, ein hochgewachsener, weißhaariger Händler, sprach von Flüchtlingen aus dem Norden. Dort lag das Verfluchte Land, wo schon seit Jahrzehnten Krieg zwischen den einheimischen Völkern herrschte. Es war kein Wunder, dass die Menschen hier auf Zuflucht hofften. Denn es lebte sich leicht im Pfauenreich.

Das Lied, das Linnea vor ein paar Tagen zu dichten begonnen hatte, war nun fertig. Gerade las Lannie es durch und sang ein paar Zeilen leise vor sich hin, während ihre Tochter sie mit einer viersaitigen Vorholz-Laute begleitete.

„Im bleichen, fahlen Mondeslicht,

Im Sommer, in der Nacht,

Da sehe ich ein zart‘ Gesicht,

Das mir entgegenlacht.


Die Zähne dieses Wesens sind

So weiß und wunderschön.

Und dennoch scheint was Düsteres

Von ihnen auszugeh‘n.


Der blasse Schein des Mondes lässt

Mich zweifeln, ob ich nicht

Zu weit gegangen bin, als ich

Erblickte dies‘ Gesicht.


Ich hatte es gewagt, ein wenig

Näher hinzutreten.

Doch nun, da bin es wieder ich,

Die rasch beginnt zu beten.


Ich bitte darum, möge ich

Vergessen dies‘ Gesicht.

Es scheint jedoch, als möchte‘ es mich,

Denn es verschwindet nicht.


Da tritt es auf mich zu, so sacht,

Ich kann es kaum erwarten.

Ich fürchte mich nicht länger, ich

Begehre seine Taten.“


„Dir gehen wohl niemals die Ideen aus oder?“, meinte Lannie, als das Lied verklungen war.

Linnea nickte stumm. Sie war in Gedanken versunken.

Doch auch Lannie schien zu grübeln. Nach einem Augenblick des Schweigens sprach Lannie ihre Gedanken aus: „Sieh dir diese Männer an. Sie sind mindestens 30 Jahre älter als ich.“ Dabei wies sie auf die am Ufer stehenden Türmer. „Und die Eiserne Witwe erst.“

„Worauf willst du hinaus?“

„Ob es mir in ihrem Alter auch noch so gut gehen wird? Ob ich auch noch so gesund sein werde? Ob ich in 30 Jahren überhaupt noch lebe?“

Linnea horchte erschrocken auf. „Mutter!“, rief sie sogleich. „Sag nicht so etwas! 30 Jahre sind eine lange Zeit. Bis dahin fließt noch viel Wasser die Unser hinunter. Warum denkst du über so etwas nach?“

„Ich weiß nicht. Wenn ich sie so sehe … Mein Leben hat erst mit dir begonnen, Kind. Ich bin im Geiste so alt wie du. Diese dort haben so viel Erfahrung, schon so viel erlebt. Egal, vergiss es. Ich sollte wirklich nicht so denken.“

„Mutter.“ Linnea fasste Lannie an der Schulter, um ihr etwas Kraft zu verleihen. „Uns geht es gut. Wir haben ein schönes Leben. Wir können gehen, wohin wir wollen, wir haben gute Freunde auf dieser Welt und wir können gut leben von dem, was wir durch die Vorstellungen verdienen.“

Das stimmte nicht ganz, denn offensichtlich verdiente Steinspalter noch auf andere Art und Weise sein Geld als nur durch Vorführungen. Und selbst Linnea rang sich ab und an auf den Märkten zum Stehlen durch, wenn ihre Vorräte knapp wurden. Aber Lannie wusste nichts davon und es war besser, wenn das so blieb.

Lannie schwieg. Gedankenverloren strich sie Räubertochter durch das dicke, weiße Nackenfell. „Ich geh‘ spazieren.“ Sie stand auf.

Linnea senkte den Kopf. Tagein, tagaus tat ihre Mutter das Gleiche. Sie aß kaum, sie versank in trübseligen Grübeleien und flüchtete sich für den Rest des Tages mit Räubertochter in den Wald. Sie kapselte sich völlig ab und verbarg sich vor ihren Mitmenschen. Linnea hatte gehofft, das gemeinsame Musizieren brächte Lannie auf andere Gedanken, aber vergeblich. Sie war nur noch ein Schatten ihrer selbst.

„Bereitest du schonmal das Essen vor?“

Linnea nickte nur. Sie wollte ihre Mutter gerne umarmen, ein letztes Mal für lange Zeit, doch dann würde sie sicher Verdacht schöpfen. Also sah sie ihr nur lange nach, bis sie zwischen den Bäumen am Flussufer verschwunden war.

„Es tut mir leid, Mutter“, flüsterte sie, bevor sie auf dem Absatz kehrtmachte und zu ihrer Truhe rannte, in der sie ihre persönlichen Sachen aufbewahrte.

Sie hatte in den letzten Tagen viel nachgedacht. Besonders die letzte Nacht hindurch hatte sie wachgelegen, Balthasars Worte von allen Seiten beleuchtet und schließlich ihre Entscheidung gefällt. Sie glaubte ihm. Dass Lannie das nicht tat, konnte Linnea voll und ganz verstehen. Aber jemand musste Steinspalters Anweisungen befolgen. Sollte Balthasar gelogen haben, so fände Steinspalter bei seiner Rückkehr wenigstens seine Frau vor. Hatte er aber die Wahrheit gesagt, so würde Steinspalter in Frisurien warten und Linnea würde ihn finden. Jemand musste dorthin gehen und nach ihm suchen. Und dieser Jemand war sie. Linnea hatte lange mit ihrem Gewissen gehadert und überlegt, ob es klug sei, Lannie in ihrem jetzigen Zustand allein zu lassen. Die Eiserne Witwe würde sich gut um sie kümmern, dessen war sich Linnea sicher.

Den Weg kannte sie nicht. Sie wusste nur, dass sie ein Stück nach Osten und dann weit nach Süden ziehen musste. Ihr erstes Ziel würde Heroldstadt sein. Gegen Ende des Tages sollte sie dort ankommen, wenn alles glatt lief. Dort würde ihr jemand sagen können, wohin sie gehen musste. Vielleicht konnte sie dort sogar eine Karte kaufen …

Mit einem verbissenen, doch gleichzeitig entschlossenen Gesichtsausdruck packte Linnea ihre schwarze Ledertasche. Einen Kamm nahm sie mit, ein Haarband, eine Feldflasche, gefüllt mit Würztrauersaft und einen Trinkschlauch voll Wasser, einen Laib gelbes Brot, etwas Hofkäse und eine mit Käse überbackene Gipfelstange. In das kleine Ledertäschchen an ihrem Gürtel steckte sie Steinspalters Messer und etwas Geld. Dann legte sie ein bereits schlampig bekritzeltes Blatt Papier auf den Tisch und beschwerte es mit einem Stein, damit es nicht fortgeweht wurde – ihre Abschiedsworte.

Zu guter Letzt schnappte sie sich Sattel und Zaumzeug und schlüpfte auf der anderen Seite des Zeltes ins Freie. Sie warf ihr Gepäck rasch auf einen Handkarren und zog diesen so zügig wie möglich in Richtung Pferdekoppel. Diese lag am anderen Ende des Lagers, noch hinter der großen Feuerstelle am Versammlungsplatz der Türmer.

„Was hast du denn vor?“

Linnea, die nicht einmal fünf Schritte weit gekommen war, fuhr zusammen, als die Eiserne Witwe sie ansprach. Die Alte machte sich vor ihrem Zelt an einer Feuerstelle zu schaffen, neben der bereits ein großer, bauchiger Topf bereitstand.

„Ähm. Ich, ähm. Ich mache einen Ausritt.“

Der Blick der Eisernen Witwe fiel auf den Karren und sie runzelte argwöhnisch die Stirn.

„Wir brauchen ein paar Sachen aus dem Ort“, ergänzte Linnea, der soeben klar wurde, dass man für einen kurzen Ausritt keine prall gefüllten Taschen benötigte. „Deswegen geh‘ ich zum Markt. Vielleicht kann ich was eintauschen.“

Glücklicherweise schien ihre Erklärung die Eiserne Witwe zufrieden zu stellen. Sie bat Linnea lediglich darum, ihr etwas Elfenmehl mitzubringen und ließ das Mädchen ziehen.

Linnea hängte Sattel und Zaumzeug über den Zaun der Koppel und lehnte sich mit den Unterarmen darauf. Dann rief sie ihren Hengst Cupido zu sich. Das Wiesenpferd hatte kurzes, apfelgrünes Fell. Mähne und Schweif besaßen einen zarten Beigeton. Mit stolz erhobenem Kopf trabte Cupido über die Wiese heran.

„Na, Großer?“, sprach sie ihn an, während sie ihm mit der Hand über die weiche Haut an den Nüstern strich. Wie zur Begrüßung drückte er seine Nüstern in ihre Handfläche und schnaubte leise. Warm spürte sie seinen Atem auf der Haut und streichelte mit der anderen Hand seine Stirn, bevor sie das Gatter öffnete. Als Linnea ihn hinausführte, drängten ein paar der anderen Pferde heran und wollten Cupido folgen. Sanft aber bestimmt, mit gutem Zureden und Zungenschnalzen, schob sie die Pferde zurück.

Der treue Hengst hielt still, als sie ihm das Zaumzeug anlegte und ihn sattelte. „Wir haben einen weiten Ritt vor uns, mein Freund. Nur wir zwei. Wir müssen zusammenhalten, dann können wir es schaffen.“ Mit diesen Worten beruhigte sie nicht den Wiesenhengst, sondern mehr sich selbst …

Zum Schluss band sie ihr Gepäck hinten an den Sattel, so hatte sie eine gepolsterte Rückenlehne. Dann hielt sie sich am Sattelknauf fest, stellte den Fuß in den Steigbügel und schwang sich auf ihr Pferd. Sie liebte das Knarzen des Ledersattels und Cupidos Hufgetrappel auf dem groben Kies, wenn er voller Vorfreude ein paar tänzelnde Schritte machte. Das Reiten war neben dem Musizieren ihre liebste Beschäftigung. Sie nahm die Zügel zwischen Zeigefinger und Mittelfinger, formte eine Schlaufe und ließ das Ende der Zügel auf der rechten Seite des Pferdehalses herabbaumeln.

Cupido verfiel augenblicklich in Trab, als sie ihm sanft die Fersen in die Flanken drückte. Sie trieb ihn bergan, an dem großen Gutshof vorbei und durch die dazugehörigen Gärten. Dann folgten sie der schmalen Straße nach rechts. Zu ihrer Linken lag nun Markt Ruder, zu ihrer Rechten, unterhalb ihres Weges, breitete sich das Türmerlager aus – mit seinen vielen bunten Zelten, den Wimpeln und Fahnen, den Windspielen vor den Eingängen, den Rauchschwaden der Feuerstellen und den ebenso bunt gekleideten, braungebrannten Menschen. Allmählich erwachte das Lager zum Leben, die Türmer wuselten zwischen den Zelten umher, schürten ihre Feuer und öffneten die Zeltplanen. Dahinter floss ruhig und gleichmäßig die Unser dahin. Im Augenblick fuhren dort keine Kanus flussabwärts. Einzelne Menschen badeten im Fluss, wuschen ihre Kleidung oder holten Wasser.

Linnea wippte im Takt von Cupidos Hufschlägen im Trab auf und ab und sah hinunter auf ihr Zuhause. Es war ungewiss, ob und wann sie wieder nach Markt Ruder zurückkehren würde. Ihre Heimat war natürlich das Zelt, das Türmerlager an sich und die Gesellschaft ihrer Familie – aber hier in Ruder an der Unser hatte sie den Großteil ihres Lebens verbracht. Steinspalter, Lannie und Linnea hatten sich hier mit Abstand am häufigsten aufgehalten. Es war zu einem Zuhause geworden, zu einem Ort, an den sie immer wieder zurückkehrten, wie weit sie auch gereist und wie lange sie auch unterwegs waren. Sie prägte sich alles genau ein, sah sich alles noch einmal gut an und nahm es in sich auf, um es nie mehr zu vergessen. Ein Stückchen Heimat, das sie mit sich trug, im Gedächtnis.

Bald musste sie sich im Sattel umdrehen und den Hals recken für einen letzten Blick auf das Lager und ihr Zelt. Lannie sah sie nicht mehr … Schließlich mussten sie einer Biegung der schmalen Straße folgen und die Häuser von Markt Ruder versperrten ihr die Sicht.

Sie lehnte sie sich im Sattel vor, flüsterte Cupido „Lauf, mein Junge“ ins Ohr und trieb ihn mit den Fersen zum Beschleunigen an. Nach vorn über den Pferdehals gebeugt, ritt sie im Galopp an den letzten, schäbigen Holzhäusern vorbei und verließ Markt Ruder.

Weit kam sie nicht. Zwischen Ortsende und Waldrand hörte sie ein schnelles Trommeln von Pfoten, das nicht zu Cupidos Hufgeklapper passte. Als sie sich suchend umsah, schoss ein weißer Blitz an ihr vorbei – von oben erkannte sie nur bebende Muskeln, spitze Ohren, wehendes schneeweißes Fell und einen langen, buschigen Schwanz. Ein Lichtwolf. Räubertochter.

Cupido bremste im vollen Galopp ab, was Linnea zwang, sich an seiner Mähne festzukrallen und die Füße in die Steigbügel zu stemmen, damit er sie nicht abwarf. Nach etwa einem Dutzend holpriger Schritte kam der Wiesenhengst zum Stehen. Räubertochter setzte sich mit einem zufriedenen Gesichtsausdruck ins Gras neben der Straße und ließ die lange Zunge hechelnd aus dem Maul hängen. Linnea löste schwer atmend ihre verkrampften Finger aus der beigefarbenen Mähne Cupidos und strich ihm beruhigend über den Hals. Dann ergriff sie wieder die Zügel und wendete ihr Pferd.

Gemischte Gefühle stiegen in ihr auf, als sie Lannie erkannte, die auf ihrer dunkelgrünen Wiesenstute Venus aus dem Ort geritten kam. Freude war ihre erste Reaktion, aber da war auch Sorge, dass ihre Mutter gekommen war, um sie aufzuhalten.

„Du hast wohl den Brief gefunden“, stellte Linnea fest, als Lannie ihr Pferd zügelte und vor ihr anhielt.

Ihre Mutter nickte.

„Es tut mir leid. Aber du wolltest nicht gehen … Und eine muss doch nach ihm suchen! Es war nicht beabsichtigt, dass – “

„Dass ich so schnell bin?“

Linnea wusste darauf nichts zu erwidern.

„Wolltest du etwa ohne mich gehen?“

„Es tut mir leid, ich habe lange überlegt, aber dann – “ Linnea blickte verdutzt auf. „Wie bitte?“

Lannie lächelte. „Ich dachte, wir könnten hierbleiben“, sagte sie. „Aber wenn du unbedingt gehen willst … Wenn du es für richtig hältst, diesem Balthasar zu vertrauen …“

„Heißt das, du kommst mit?“, fragte Linnea verblüfft.

„Ich werde meine Tochter nicht allein in der Weltgeschichte herumlaufen lassen! Du bist noch so jung. Was sagst du dazu?“ Sie klopfte auf eine von zwei große Taschen, die an ihrem Sattel hingen.

Linnea war beeindruckt. Das ging schnell. „Wie hast du …?“

„Ich dachte mir, dass du so etwas vorhast. Auch wenn ich gehofft habe, mich zu täuschen. Aber ich hätte mir denken können, dass deine Neugier größer ist als deine Vernunft.“

„Mutter. Ich dachte, du würdest mich aufhalten“, erwiderte Linnea zu ihrer Verteidigung.

„Weil ich zu langsam bin, meinst du?“

„Nein! Ich meine: Ich dachte, du würdest mich davon abhalten.“

„Das wollte ich auch“, gab Lannie zu. „Doch war mir klar, dass es sinnlos wäre. Also werden Räubertochter, Venus und ich dich begleiten.“

Lannie gab ihrer Tochter einen stummen Wink und sie schnalzten beide mit den Zungen, um die Wiesenpferde anzutreiben. Im Schritttempo ritten sie in den Wald hinein.

Eine Zeit lang ritten sie schweigend nebeneinander her.

Dann fiel Linneas Blick auf die beiden Taschen, die Lannie an den Sattel von Venus gebunden hatte. „Was hast du alles dabei?“, fragte sie, darauf deutend.

„Alles, woran du nicht gedacht hast“, erwiderte Lannie ernst. „Ich bin sicher, du hast nicht bedacht, dass es regnen könnte oder, dass es nachts kälter wird.“

Linnea schüttelte den Kopf. Nein, das hatte sie nicht. Vermutlich hätte sie ohne Lannie nicht einmal drei Tage im Freien überstanden. Ihr Handeln war kopflos und verantwortungslos gewesen.

Lannie schlug mit der Hand auf die Taschen. „Gegen die Kälte habe ich warme Decken und dicke Kapuzenumhänge dabei. Außerdem habe ich eine wasserdichte Plane – falls es in der Nacht regnet, können wir sie aufspannen und einigermaßen trocken darunter schlafen. Für den Tag habe ich etwas dünnere Planen dabei, die wir beide zu Mänteln umgenäht haben. Weißt du noch?“ Lannie hatte an alles gedacht. Es war nicht viel, aber völlig ausreichend.

„Klar weiß ich das noch. Das war doch damals, im Lager, in der Nähe von Markt Grabenlauf, als es tagelang geregnet hat. Der Boden bestand nur noch aus Matsch und wir mussten barfuß gehen, weil die Schuhe im Morast stecken geblieben sind.“ Die beiden kicherten leise.

„Das war ein Erlebnis!“, rief Lannie aus.

Linnea nickte. „Im Nachhinein kann man doch darüber lachen, nicht wahr? Gut, dass wir darauf gekommen sind, die Planen umzunähen. Es war schrecklich, immer durchgeweichte Kleidung zu tragen. Schön, zu wissen, dass wir sie dabei haben.“

„Ja, die halten einiges aus.“

Ihr Weg führte sie nun am Hafen zu Ruder vorbei. Zahllose Schiffe und Boote aller Größen schaukelten auf dem glitzernden Wasser. Ein wahres Getümmel von Menschen jeden Alters wuselte auf den Stegen und am Kai umher. Schiffe wurden be- und entladen, liefen aus, fuhren ein. An der Kaimauer verhandelte und feilschte man kräftig, Tiere wurden am Ufer entlanggeführt. Die beiden Frauen ritten langsam vorüber, beobachteten das Treiben und fragten sich, wann sie den Hafen wohl wiedersehen würden.

Als sie die Menschenansammlung passiert hatten und wieder von Bäumen umgeben waren, trieben sie in stummer Übereinkunft die Pferde an und trabten davon. Räubertochter folgte den beiden – vorbei am Hagelhaus, dem Steinbruch des Freiherren und dem Hagelhafen in Richtung Untertan. Danach ging es weiter nach Tan und von dort aus bis nach Heroldstadt.

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