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Feigling

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Der raue Wind fing sich zwischen den Gebäuden, heulte lautstark durch die Gassen und riss gewaltsam an den Kleidern der Männer. Der Himmel wurde immer dunkler, schwarze Gewitterwolken türmten sich auf, einzelne Regentropfen wehten bereits durch die Luft. Doch nicht nur am Himmel braute sich ein Sturm zusammen.

„Wir haben dich gewarnt, Junge. Es hieß: Komm nie hierher! Komm nie in unser Revier! Wir wollen deine Visage hier nicht sehen. Schnapp dir deinen Anhang und verschwinde, sonst setzt es was.“

Die schwarz gekleideten, jungen Soldaten waren zu siebt. Ihr Hauptmann hatte das grellrote Wappen von Ruder auf der gepanzerten Brust. Der Großteil von ihnen war zwar unbewaffnet, aber ihre kräftigen Körper und ihre schiere Überzahl machten ihre Überlegenheit eindeutig. In ihren Augen leuchtete das Feuer des Zorns. Ihre Worte waren deutlich – mit ihnen war nicht zu spaßen. Der Himmel wurde schwärzer und die Regentropfen, die auf die Straßen von Markt Ruder peitschten, immer größer und zahlreicher. Donner grollte in der Ferne.

Keine Schlägerei, keine Schlägerei! dachte Mäuserich und wandte sich besorgt an seinen Freund. Der schlanke, junge Mann mit den schwarzen Zottelhaaren und dem Stoppelbart starrte seine Gegner an und rührte sich nicht. Er schien zu erwägen, wie seine Chancen standen.

„Lass uns gehen, wir sollten uns nicht mit denen anlegen“, beschwichtigte Mäuserich.

Sein Freund schüttelte langsam den Kopf.

„Schnitzer, ich will kein Blutvergießen! Sei nicht so arrogant, du Idiot!“, drängte Mäuserich und trat einen Schritt auf Schnitzer zu.

„Das war mir schon klar, dass du ein Feigling bist“, zischte Schnitzer leise und kniff die Augen zusammen.

„Wenn du ein harter Bursche sein willst, dann bitte. Mach doch. Aber ohne mich.“

Schnitzer schnaubte. „Du lässt mich im Stich? Du bist so berechenbar, Mäuserich.“

„Ich will keine Schlägerei, das ist alles. Wir sind doch besser als das! Du willst unbedingt zu den bösen Jungs gehören, was?“ Als Schnitzer nicht antwortete, fuhr Mäuserich fort: „Du hast es drauf angelegt. Du wusstest, dass sie dich hier nicht haben wollen und trotzdem kommst du her und provozierst sie. Und mich ziehst du auch noch mit rein!“

„Oh, heul doch!“, rief einer der Soldaten in gespielt mitleidigem Ton.

„Hast wohl dein Eheweib mitgebracht, was?“, fragte ein Anderer. Er erntete schallendes Gelächter.

Der Hauptmann wandte sich an Mäuserich. „He, Junge! Was gibst du dich überhaupt mit diesem Abschaum ab? Du bist ein Ruderbursche – einer von uns. Stell dich auf unsere Seite. Lass diesen Dreckhund stehen.“ Die anderen schwiegen auf einmal und sahen ihn herausfordernd an. „Ich weiß, niemand verprügelt gerne einen Kumpel. Aber he, der hat keine Ehre! Der ist ein Nichts, gehört zu keinem. Er wäre dir ebenso wenig treu.“

„Hört auf damit!“ Schnitzer stellte sich vor Mäuserich. „Das ist nicht wahr“, flüsterte er ihm zu. Dann bellte er die Männer an: „Wir würden es mit euch aufnehmen!“

„Nein!“, zischte Mäuserich.

„Aha. Ihr würdet uns also fertigmachen. Natürlich. Dann macht doch“, stichelte der Hauptmann mit kalter Stimme.

Er war nur ein klein wenig älter als Mäuserich, mit kupferfarbenem Haar, einem breiten Mund und herrischen, schwarzen Augen. Langsam zog er eine Waffe von seinem Rücken, wo sie festgeschnallt war. Es war ein Streitflegel – eine fast zwei Meter lange, gemeine Schlagwaffe aus Stahl, ähnlich wie ein Dreschflegel, allerdings mit kleinen Stacheln besetzt. Mäuserichs Herz zog sich zusammen, als er sich vorstellte, wie sich die winzigen Metallspitzen in seine Haut gruben. Der Mann hatte Kraft – er konnte den Flegel bestimmt auf eine tödliche Geschwindigkeit beschleunigen, wenn er ihn schwang.

„Kommt, zeigt uns, wie stark ihr seid. Wie gut könnt ihr kämpfen? Vielleicht werdet ihr auch mal Soldaten? Zeigt uns, was ihr könnt.“ Auch die anderen zogen allmählich ihre Waffen.

Mäuserich trat hinter Schnitzers Rücken hervor. Er wagte es nicht, die Soldaten direkt anzusehen, also blickte er zwischen ihnen und seinem Freund hin und her. „Bitte. Lasst uns einfach ziehen. Wir sollten uns alle einen Unterschlupf vor dem Gewitter suchen. Wir haben verstanden, dass ihr am längeren Hebel sitzt.“

Schnitzer schüttelte den Kopf. „Es geht ihnen aber nicht darum, etwas zu beweisen. Es geht nur darum – “

„Darum, dir aufs Maul zu hauen, du Wichtigtuer. Du hast es genau erfasst“, beendete einer der Soldaten den Satz. Wieder lachte der ganze Trupp.

„Ihr wollt ihm einfach nur eine reinwürgen.“ Mäuserich schnaubte. „Und du auch, ja?“, wandte er sich ungläubig an Schnitzer. „Ihnen geht es nur darum, dich zu schikanieren. Sie wollen dir wehtun, nur dir – genau deswegen sind sie hier. Lass uns gehen, solange wir noch können. Siehst du das denn nicht?“

„Vergiss es, Mann“, unterbrach ihn einer der Soldaten. „Dein Freund ist nicht so eine Flasche wie du. Er ist ein Mann von Würde.“ Die anderen lachten.

„Das muss er uns erst einmal beweisen!“, rief ein anderer und machte eine rüde Geste.

„Die werden uns töten. Möchtest du heute sterben, ja? Ich flehe dich an, Schnitzer. Tu einfach, was sie sagen und lass uns gehen!“

„Nein!“, zischte Schnitzer. „Ich will nicht sterben. Aber wir können jetzt nicht mehr zurück. Das wäre feige. Zeige keine Angst, Mäuserich. Das nimmt ihnen die Macht.“

„Du bist verrückt! Du spielst hier mit deinem Leben – mit unser beider Leben! Aber das ist kein Spiel! Ihr Zorn ist real! Ihre Waffen sind real! Und deine ungeschützte Haut ist auch real! Die schlagen dich tot und treten dann noch auf dich ein. Und halten das noch für gerechtfertigt.“

„Habt ihr es bald ausdiskutiert, ihr zwei Waschweiber?! Ihr solltet euch nicht allzu viel Zeit lassen, sonst verschmilzt eure Kleidung noch mit eurer Haut.“

Bedauerlicherweise hatte der Hauptmann Recht. Mäuserichs graues Hemd haftete regelrecht an seiner Brust wie eine zweite Haut und seine durchweichte Hose schien eingelaufen und begann allmählich, unangenehm zu zwicken. Klatschnasse Strähnen seines schwarzen Haars klebten an seiner Stirn, Wasser lief ihm in die Augen. Nicht ein Flecken seines Körpers war auch nur ansatzweise trocken.

Die Soldaten hatten es da besser getroffen. An ihren schwarzen Brustharnischen perlte das Wasser ab und darunter trugen sie – zusätzlich zu den Kettenhemden – so viele Schichten an Polsterung, dass die Nässe unmöglich an ihre Haut gelangen konnte. Sie hatten zwar keine Helme, dafür aber unter den Kettenhauben noch Lederkappen. Es würde dauern, bis das Wasser da durchsickerte.

Hätte Mäuserich nur einen Funken Mut besessen, hätte er ihnen etwas entgegengeschleudert, wie: „Passt auf, dass ihr nicht anfangt, zu rosten ihr Blechmänner!“

Aber er besaß keinen, also blieb er stumm und schalt sich im Stillen für seine Feigheit.

„Was ist jetzt?“, stichelte der Hauptmann erneut und schwang drohend den stachelbesetzten Flegel.

Schnitzer sah Mäuserich mit hochgezogenen Augenbrauen an. Er wollte nicht einlenken. Er war wild entschlossen, sich diesen Männern entgegenzustellen.

Mäuserich schüttelte den Kopf.

„Nein“, sagte er, während er langsam rückwärtsging.

„Wie?“, fragte Schnitzer ungläubig.

„Nein. Du kannst jetzt mit mir kommen oder du kannst hierbleiben und dir den Hintern versohlen lassen. Ich tue, was sie verlangen. Das ist deine Entscheidung.“

Unter die Fassungslosigkeit in Schnitzers Augen mischte sich Zorn. „Du gehst jetzt? Allen Ernstes?“

Mäuserich nickte nur und ging weiter rückwärts.

„He, vergiss es!“ Einer der Soldaten trat aus der Reihe, zog einen kurzen Dolch und kam auf Mäuserich zu, dem das Herz in die Hose rutschte.

Der Hauptmann legte ihm eine Hand auf die Schulter.

„Lass ihn feige sein. Wenn er seinen Freund im Stich lassen will, ist das seine Sache. Der ist keine Gefahr.“

Der Soldat mit dem Messer blitzte Mäuserich mit bösen Augen an, gehorchte aber seinem Hauptmann. Mäuserich warf einen letzten Blick auf den uneinsichtigen Schnitzer, machte auf dem Absatz kehrt und lief mit großen Schritten davon.

„Geh nur!“, rief ihm sein Freund hinterher. „Ich brauche dich nicht! Du hättest mich sowieso nur aufgehalten, du jämmerlicher Feigling!“

Die Furcht, die in seinen Worten mitschwang, bereitete Mäuserich ein noch schlechteres Gewissen. Langsam schlich es sich von hinten an, pochte in seinem Kopf und nagte an seiner Entschlossenheit. Aber da war keine Tapferkeit, die es finden, kein Edelmut, den es wecken konnte. Gegen Regen und Wind ankämpfend, stapfte Mäuserich fort vom Geschehen.

Nach etwa zwei Dutzend Schritten jedoch konnte er nicht umhin, innezuhalten und sich umzudrehen – und zwar gerade, als Schnitzer mit ausgebreiteten Armen nach vorn stürmte, den ersten Soldaten um die Mitte packte und zu Boden warf. Eine Weile rangen sie miteinander. Da trat ein zweiter nach Schnitzers ungeschütztem Rücken, aber der sah ihn kommen, wirbelte herum und wehrte den Angriff ab. Als sein Gegner ins Straucheln geriet, wand Schnitzer ihm blitzschnell den Dolch aus der Hand und stach damit nach zwei weiteren Soldaten.

Einem rammte er den Dolch knapp über dem Schlüsselbein in den Hals, genau zwischen Kettenhemd und Kettenhaube, sodass dieser röchelnd auf die Knie fiel – beide Hände um die Kehle geschlossen und verzweifelt nach Luft schnappend. Blut quoll zwischen seinen Fingern hervor, hellrot und unaufhaltsam. Der Soldat zuckte noch zwei Mal, dann hustete er sein Leben aus und blieb reglos wie eine Puppe liegen. Unterdessen hatte Schnitzer mit der Waffe nach dem nächsten Soldaten geschlagen, jedoch nur dessen Brustharnisch zerkratzt. Beim fünften oder sechsten Hieb packte der Soldat Schnitzers Hand und drehte ihn den Arm auf den Rücken. Klirrend fiel der Dolch auf die Straße.

Der Soldat hielt seinen rechten Arm mit eisernem Griff fest, während ein anderer seinen linken Arm umklammerte. Schnitzer warf sich hin und her, trat auf gepanzerte Füße, versuchte in die Luft zu springen – und erntete einen Faustschlag mitten ins Gesicht. Schlaff hing er in den Armen der beiden Soldaten. Lächelnd schritt der Hauptmann auf ihn zu, während sich die anderen aufrappelten.

„Du hättest auf deinen Freund hören sollen“, sagte er, hob den Streitflegel hoch über den Kopf und holte zum Schlag aus.

Mäuserich drehte sich weg und bog in die nächste Straße ein. Durch das Tosen des Sturms konnte er nicht hören, wie der Flegel herab sauste, Fleisch durchbohrte und Knochen zertrümmerte. Schnitzers manisches Brüllen, das beim zweiten Schlag zu einem gellenden Schrei und beim Dritten zu einem kraftlosen Stöhnen wurde, war jedoch nicht zu überhören.

Mäuserich wurde übel. Bilder, die er sich nicht vorstellen wollte, entstanden in seinem Kopf: Schnitzer, mit eingeschlagenem Gesicht und gebrochenen Knochen auf der Straße im Dreck liegend, während sich sein Blut langsam in den Pfützen ausbreitete. Nur ganz kurz gelang es ihm, den Brechreiz zu überwinden. Mäuserich brach zusammen und sank in die Knie – mit einer Hand stützte er sich am Boden ab, die andere hatte er gegen den Mund gepresst. Einen Moment lang kämpfte er gegen den Impuls an – dann übergab er sich auf das nasse Straßenpflaster. Eine lange Zeit, die sich wie Jahre anfühlte, kauerte er so auf dem Boden, versuchte, die Übelkeit zu bekämpfen und wartete darauf, dass die Umgebung aufhörte, sich zu drehen. Der Regen prasselte erbarmungslos auf ihn herab, als wolle er ihn ertränken.

Als er sich endlich wieder halbwegs zusammengenommen hatte und vorsichtig aufstand, war es still geworden. Schnitzers Schreie waren verhallt, das Lachen der Soldaten ebenfalls verklungen. Die Welt um ihn herum weinte und verschwamm vor seinen Augen. Der Regen auf seinem Gesicht schmeckte salzig.

Mythalia

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