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Hagel

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„Ja, sehr gerne sogar, Hagelchen“, sagte Marion mit vor Aufregung bebender Stimme. „Ich möchte Euch gerne auf eurem Hof besuchen kommen!“.

„Dann mach dich so hübsch wie du es vermagst und zieh dir etwas Anständiges an, damit man nicht sofort erkennt, was du bist!“, befahl der Freiherr von Hagel sogleich und erhob sich.

„Viel unanständiger als wir beide kann man sich wohl kaum kleiden, oder?“, stichelte Marion und musterte ungeniert den entblößten Körper ihres Gegenübers.

Er war einer ihrer häufigsten und zahlungsfreudigsten Kunden. Und dazu noch ausgesprochen attraktiv.

Der Freiherr von Hagel erwiderte nichts auf ihre Bemerkung, während er sich umständlich in seine enge Lederkleidung zwängte. Marion verstand nicht, weshalb reiche Männer so etwas trugen. Sie konnte nur Nachteile darin erkennen. Bei jeder noch so kleinen Bewegung knarrte das Leder und bequem sah es auch nicht aus. Ganz zu schweigen von der langen Prozedur beim Ankleiden. Obwohl … Einen Vorzug hatte der hautenge Anzug doch: Die Oberarmmuskeln des Freiherren traten deutlich hervor und auch sein breiter Brustkorb und die starken Waden kamen wunderbar zur Geltung.

„Ich nehme an, du hast heute noch einiges zu tun?“

„Oh ja, Hagelchen. Es werden noch andere kommen, es ist noch nicht spät. Ihr könnt ruhig noch bleiben und uns Gesellschaft leisten. Ihr wisst ja, ich mag es schmutzig.“

Mit einem breiten Grinsen ergänzte sie: „Ich rufe meine Freundin dazu – etwas Apfelliquid und sie wird beinahe so unanständig wie ich. Natürlich, sie ist noch sehr jung und es mangelt ihr an meiner Erfahrung. Aber vertraut mir, Ihr werdet es nicht bereuen. Habt Ihr schon einmal ihre Rundungen betrachtet?“ Zur Untermalung ihrer Beschreibung begann Marion aufreizend ihre Hüfte zu bewegen und fuhr sich mit den Fingern langsam und gespielt genießerisch durch das lange, dunkle Haar. „Wie sie sich bewegt und ihr Haar schüttelt ist einmalig“, schwärmte sie.

„Ach, sei still, Dirne!“, fuhr er sie an. „Es reicht! Du plapperst zu viel, das habe ich dir schon immer gesagt.“

Marion lächelte zufrieden. Wenn er zornig war, gefiel er ihr noch besser. Dann loderte in seinen schwarzen Augen etwas Manisches und Düsteres. Sein Herz war zerfressen von Hass und Wut. Das spürte sie jedes Mal aufs Neue, wenn er sie in ihrem Zelt besuchte, um vor der Wirklichkeit zu fliehen, die so wenig Fröhliches für ihn bereithielt.

„Dann also heute Abend.“

„Gut, Hagelchen. Ich bin immer auf der Suche nach neuen Herausforderungen.“

Ohne ein weiteres Wort verließ der Freiherr das Zelt und Marion verspürte unwillkürlich einen Stich dabei, ihn gehen zu lassen. Die Eingangsplane flatterte und das Windspiel draußen läutete unaufhörlich. Es stürmte jetzt seit vier Tagen ununterbrochen. Marion erspähte bereits den nächsten Kunden vor dem Zelt. Der Nachmittag war noch jung, aber die Männer waren unersättlich.

Ob Tag oder Nacht – es gab immer einen, der sich nach der warmen Umarmung einer Frau sehnte.

Eine braungebrannte Hand schlug den Vorhang zurück, der die beiden Zeltkammern der Dirnen voneinander trennte. Die jüngere der beiden Dirnen, namens Tia, lugte vorsichtig hinter dem Stoff hervor. In ihren kleinen, braunen Augen brannte blanker Hass und die Gier nach Vergeltung.

„Freu dich nur, Hagel!“, wisperte sie, den Blick auf den Zelteingang gerichtet, „Dieser Abend wird ganz sicher der unvergesslichste deines Lebens werden.“

* * *

Der Wald verschluckte die beiden Frauen augenblicklich. Es dämmerte gerade erst, doch sobald Marion und Tia zwischen die eng zusammenstehenden Bäume traten, breitete sich Dunkelheit um sie aus. Die holprige Straße zum Hof des Freiherren, gerade breit genug, um zwei entgegenkommenden Kutschen Platz zu bieten, führte durch den dichten Wald – immer dem Flusslauf der Unser folgend. Lautlos schlängelte sich der Fluss zur Rechten der Straße durch den dunklen Wald.

Sie waren nur wenige Minuten gegangen, da lichteten sich die Bäume wieder für den großen, für alle zugänglichen Hafen zu Markt Ruder, wo sich auch an diesem Abend Menschenmassen tummelten. Fast ein Dutzend Schiffe befand sich in der Bucht, darunter auch eines der schwarzen Hexenschiffe. Kalt und bedrohlich lag es zwischen den auffällig bemalten und bunt beflaggten Schiffen und Booten. An Bord regte sich nichts, die Bullaugen im Rumpf waren mit schwarzen Tüchern verhangen. Marion betrachtete das unheimliche Schiff neugierig, doch als sie merkte, mit welcher Abscheu und Furcht Tia es anblickte, legte sie der jungen Frau einen Arm um die Schultern und zog sie fort.

Schon bald hatten sie den Hafen zu Ruder hinter sich gelassen und folgten der Straße weiter durch den Wald. Nach kurzer Zeit sahen sie in der Ferne flackerndes, eisblaues Licht zwischen den Bäumen hervorblitzen. Sogleich waren die ersten Ställe und Koppeln zwischen den Bäumen zu sehen, die die Panzernashörner des Freiherren von Hagel und des Grafen von Ruder beherbergten. Leises Schnauben und Scharren drang aus den Ställen. Auf den Koppeln rührte sich nichts. Gleich dahinter befanden sich die zwielichtigen Holzbaracken, in denen die Garde des Freiherren lebte. Gegen diese wenig einladenden Baracken bevorzugte Marion doch lieber ihr kleines, aber eigenes Dirnenzelt.

Dann schließlich lichtete sich der Wald und gab den Blick frei auf das Hagelhaus. Es war ein einstöckiges Gebäude, dessen Fassade völlig von Flammenblatt überwuchert war. Unscheinbar – zumindest nach außen hin. Doch Marion wusste, dass die wahre Pracht des Hagelhauses unter der Erdoberfläche lag.

Bevor sie aus dem Wald heraus und in Sichtweite der Garde vor den Eingang traten, hielt Marion Tia mit einem sanften Griff zurück. Forschend sah sie der Jüngeren in die Augen und erblickte neben dem Hass und der Entschlossenheit auch einen Anteil Furcht.

Marion drückte ihre Hand. „Wir schaffen das.“

Die Jüngere nickte ausdruckslos. Marion konnte sehen, wie sich Tias Kiefermuskeln anspannten. Ihr Blick wurde kalt, als sie die Augen zukniff und hinüber zum Hagelhaus starrte.

„Hör zu, Tia“, zischte Marion und packte sie an den Schultern. „Ich weiß, du würdest Hagel am liebsten auf der Stelle auslöschen, aber ich bitte dich – Sieh mich an!“

Offenbar überrascht, der plötzlichen Schärfe in Marions Stimme wegen, sah sie auf.

„Tia. Bitte, du musst dich an den Plan halten, sonst ist alles verloren! Versprich mir, dass du ihm nicht an die Gurgel springst, sobald du ihn siehst.“

Wieder nickte sie nur.

„Gut. Hast du alles, was du brauchst?“

Tia deutete auf den Ausschnitt ihres hellblauen, mit weißen Bändern durchzogenen Kleides. „Ja.“

„Die tragbare Waffenkammer einer Frau“, scherzte Marion, woraufhin sie ein flüchtiges Lächeln von Tia erntete.

„Bereit?“

„Bereit.“

Gemächlich traten sie zwischen den Bäumen hervor und folgten dem von Apfelbäumen gesäumten Weg über die Wiese zum Hagelhaus. Marion ließ die Hand der Jüngeren erst los, als sie auf dem lockeren Kies vor dem Eingang ankamen. Sieben blaue Fackeln verströmten dort ihr kaltes Licht. Ebenso viele Gardisten flankierten den Eingang.

Der Hauptmann, ein glattrasierter Kerl mit stechend grünen Augen, näherte sich den beiden Frauen und wies sie an, sich vorzustellen.

Marion spürte Tias Unsicherheit und ergriff lieber selbst das Wort: „Tia und Marion. Türmerinnen, bestellt aus dem Lager bei Ruder.“

Der Gardist musterte die beiden abschätzend. Marion fühlte sich immer unwohler in dem langen schwarzen Kleid, durchzogen von Bändern in dem gleichen hellblauen Ton, den auch Tias Kleid hatte. Die langen weiten Ärmel waren schrecklich hinderlich und beim Laufen musste sie ständig darauf achten, nicht über den Saum zu stolpern. Am Nachmittag war sie beinahe verzweifelt bei dem Versuch, ihr Dekolleté etwas zu erweitern, um sich nicht ganz so eingesperrt zu fühlen. Warum hatte Hagelchen auch verlangen müssen, sie solle sich anständig anziehen?!

„Tragt ihr irgendwelche Waffen bei euch?“, fragte der Hauptmann gelangweilt.

Aus dem Augenwinkel konnte Marion sehen, wie Tia den Atem anhielt. Doch sie selbst blieb gelassen. Sie wusste mit dem Militär umzugehen.

Sie machte einen Schritt auf den Gardisten zu und schmiegte sich an seine Seite. Die Augen niederschlagend, flüsterte sie in aufreizendem Ton: „Ihr könnt mich gerne danach absuchen, Hauptmann …“

Nach einem skeptischen Blick sprang er zu ihrer eigenen Überraschung tatsächlich darauf an. „Nein, schon gut. Aber später gerne – wir stehen noch den ganzen Abend Wache …“, erwiderte er, während er forsch ihre Taille umfasste.

„Ich werde vorbeischauen“, versprach sie und entwand sich mit einer geübten Bewegung seinem Griff.

Der Hauptmann wies zwei seiner Gardisten an, die beiden Frauen nach drinnen zu begleiten.

„Danke, meine Herren“, sagte Marion mit einem zuckersüßen Lächeln und mahnte die vor Panik starre Tia mit einem Blick, es ihr gleichzutun. Glücklicherweise schöpfte niemand Verdacht, als Tias Lächeln kläglich erstarb und Marion sie rasch nach drinnen zog.

Marion und Tia fanden sich in einem winzig kleinen Empfangsraum wieder, beleuchtet von einer einzigen blauen Fackel. Rechts und links gähnten schwarze Türöffnungen, die Wände waren kahl und schmucklos.

Der Gardist führte sie geradeaus eine Treppe hinunter. Der Weg zog sich schier unendlich lang. Die beiden folgten dem Mann über zahllose Treppenfluchten hinunter in den Schlund des Hauses. Ab und zu passierten sie einen Wachmann oder begegneten einem Diener, doch es war schrecklich still in dem düsteren Gemäuer. Auf beiden Seiten zweigten immer wieder weitere Treppen und Flure ab, an denen ihr Führer meist unbeirrt vorbeieilte. Manchmal erhaschte Marion sogar einen Blick in eines der unzähligen Zimmer des Hagelhauses. Diese waren sehr wohl geschmückt mit Wandteppichen und Wappen an den Wänden, beinhalteten schwere Stühle mit prunkvollen, samtenen Bezügen, große Himmelbetten sowie massive Schränke und allerlei wuchtige Möbelstücke aus dunklem, edlem Holz. Doch all die Mühen, diesen Ort wohnlich und warm zu gestalten, konnten nicht verbergen, was dieses Haus einst gewesen war: Ein Mausoleum.

Die fensterlosen Korridore verbreiteten Kälte und Kummer. In den großen Räumen, an denen sie vorbeiliefen, standen teilweise noch steinerne Särge, zum Gedenken an die Verstorbenen aus längst vergangenen Zeiten. Je tiefer sie gelangten, desto mehr schienen Decke und Wände Marion zu erdrücken. So tief unter der Erde, ohne Vogelgezwitscher, ohne Fenster, das Rauschen der geisterhaften Flammen und die eigenen widerhallendenden Schritte als einzige Geräusche. Unwillkürlich bekam Marion das klaustrophobische Gefühl, als würde sie zum Grund eines tiefen Brunnens hinabsteigen. Marion erkannte, wie das tapfere Leuchten Stück für Stück aus Tias Gesicht wich. Sie hätte ihr gerne Mut zugesprochen, doch der Gardist lief dicht vor ihnen und würde aufgrund der immerwährenden Stille wohl jedes noch so kleine Flüstern verstehen. Abgesehen davon war sie sich gar nicht sicher, ob ihr angesichts der trostlosen Umgebung überhaupt ermutigende Worte in den Sinn gekommen wären.

In Tias Augen konnte sie die Fragen lesen, die sich auch in ihren Kopf geschlichen hatten: Selbst wenn sie heute Abend Erfolg hatten, wie sollten sie je wieder aus diesem Irrgarten herausfinden? Hatten sie überhaupt eine Chance, zu entkommen, sobald der Freiherr tot war?

* * *

Das Hagelhaus besaß einen beeindruckenden Festsaal, tief unter der Erde. Warmes orange-goldfarbenes Feuer knisterte in gleich zwei Kaminen, blaue Kerzenflammen flackerten in zahlreichen Wandnischen und machten Fenster unnötig. Der kalte Steinboden war über und über mit Fellen und weichen Kissen bedeckt, auch ein paar bequeme Liegen fanden sich in dem hohen Saal. An der Decke hing ein gewaltiger Kronleuchter, dessen Kerzenhalter jedoch leer waren – er diente lediglich der Dekoration. Am anderen Ende des Raumes führte eine Wendeltreppe hinauf zu einer Galerie, die – mit einem Geländer gesichert – einmal rund um den Festsaal verlief. Zwei Gardisten des Freiherren patrouillierten dort oben, doch die Galerie war nicht gut genug einsehbar, um zu erkennen, wie viele Männer sich dahinter in der Dunkelheit verbargen.

Seit etwa einer Stunde hielten sich Marion und Tia bereits im Festsaal auf. Die ganze Zeit über waren weitere Dirnen zu ihnen gestoßen, inzwischen war etwa ein Dutzend von ihnen anwesend.

Trotz der Aufgabe, die ihr noch bevorstand, begann Marion langsam, Gefallen an dem Abend zu finden. Der Freiherr kümmerte sich vorzüglich um seine weiblichen Gäste und war bisher noch nicht aufdringlich geworden. Letzteres überraschte Marion und enttäuschte sie sogar ein wenig. Den Großteil der letzten Stunde hatte sie damit zugebracht, es sich auf einer Liege bequem zu machen und sich den Hals zu verrenken, um Hagel im Auge zu behalten. Einerseits tat sie dies selbstverständlich, um sicherzugehen, dass sie den passenden Augenblick nicht versäumte, ihren Plan in die Tat umzusetzen – andererseits fiel es ihr ohnehin nicht schwer, ihn andauernd anzusehen. Er war ein Bild von einem Mann – gutaussehend, stolz, mutig, selbstbewusst und dazu noch reich.

Marion achtete sehr darauf, ihn ununterbrochen zu beobachten und gleichzeitig nicht seine Aufmerksamkeit zu erregen. Es fiel ihr schwer, sich von ihm fernzuhalten, doch sie durfte sich nicht von ihm einwickeln lassen, wenn der Plan funktionieren sollte. Vorsorglich trank sie keinen Alkohol, um ihre Sinne nicht abzustumpfen.

Dass so viele Frauen anwesend waren, konnte sich sowohl zum Nachteil als auch zum Vorteil entwickeln. Zudem schlich sich immer wieder Sorge in ihre Gedanken, als sie überlegte, wie sie es wohl ertragen würde, Hagel etwas anzutun. Doch die entscheidende Frage war: Wie weit würde Tia gehen?

Als zwei Dirnen Hagel auf eine Liege drückten und sich an der Verschnürung seiner Lederkleidung zu schaffen machten, versperrten sie ihm die Sicht auf Marion. Das war ihre Gelegenheit. Sofort sprang sie auf und eilte raschen Schrittes zur Wendeltreppe. Sie würde die Gardisten auf der Galerie ablenken, damit Tia ihre Chance bekam.

Sie drängte sich zwischen den anderen Frauen hindurch – und erstarrte, als sie ihren Namen hörte. Hagels schneidende Stimme donnerte durch den Saal und löste ein nicht gerade unangenehmes Schaudern in Marions Körper aus. Mit wild klopfendem Herzen wandte sie sich um und sah den Freiherren langsam und bedrohlich auf sich zukommen. In seinen Augen flammte Zorn.

Marion setzte ihre aufreizende Dirnen-Miene auf.

„Hagelchen – “

„Wer hat dich heute alles in deinem Zelt besucht?“, dröhnte er laut, obwohl er inzwischen direkt vor ihr stand.

„Ich? Wer? Wieso?“

„Nun sag schon!“ Er packte sie grob am Arm, was ein wohliges Kribbeln in jede ihrer Körperregionen sandte. „Den ganzen Abend bin ich schon auf der Suche nach dir. Wen hast du heute alles empfangen, Dirne?!“

Marion hatte sich inzwischen von ihrem Schrecken erholt, konnte ihn aber dennoch nur anstarren. Eine ganze Weile schaute sie ihm tief in seine dunklen Augen und wünschte sich, sie könne in seine Seele hineinblicken. Wie gerne würde sie ihm durch das tiefschwarze Haar streichen, ihm warme Worte zuflüstern, um die Bitterkeit und den Schmerz zu vertreiben. Zwei Dinge, die ihm stets ins Gesicht geschrieben standen.

Als er anfing, sie unsanft zu schütteln, schreckte sie hoch. Fieberhaft überlegte sie, wovon der Freiherr sprach.

„Zum letzten Mal: Wer?“

Marion ignorierte die Frauen, die bereits neugierig die Köpfe wandten und zu tuscheln begannen. Sie lächelte und hob das Kinn. „Nun weiß ich, was Ihr von mir wollt, Hagelchen. Ja, der Hauptmann Eurer Garde war bei mir. Er hatte etwa ein halbes Dutzend Eurer Gardisten dabei.“

Sein hübsches Gesicht rötete sich vor Wut – war das eine kleine Narbe, da auf seiner Wange?

Rasch fügte sie hinzu: „Ich habe ihn abgewiesen.“

„Du – hast was?“

„Beruhigt Euch. Es war, nebenbei bemerkt, nicht das erste Mal, dass er bei mir aufgetaucht ist … Wie auch immer, eine einzige Frau kann schlecht sieben Mann gleichzeitig bedienen. Nicht einmal ich schaffe so etwas.“

Der Freiherr runzelte die Stirn, Marion konnte sein Misstrauen spüren – er war klug. Nun galt es, schwerere Geschütze aufzufahren. Sie musste ihn so weit beschwichtigen, dass er sie wieder gehen ließ. Sie setzte eine zuckersüße, verführerische Miene auf und fasste ihn an seinem glattrasierten Kinn.

„Nichts für ungut, aber die meisten in Eurer Garde besitzen einfach nicht die nötige Reife für jemanden wie mich.“ Sie näherte sich ihm kaum merklich und hauchte: „Ganz anders als Ihr, mein Hagelchen …“

Langsam lockerte er seinen Griff und erlaubte Marion, zurückzutreten. Ihr Arm pochte an der Stelle, wo sich seine Finger in ihre Haut gegraben hatten. Im nächsten Moment beachtete er sie auf einmal nicht mehr, sondern blickte über ihre Schulter. Bevor Marion noch etwas sagen konnte, stieß er sie aus dem Weg und rauschte an ihr vorbei. Völlig perplex, aber erleichtert, weil sie scheinbar eine zweite Chance bekam, wandte sie sich um.

Ihr Herz rutschte ihr bis in den Magen, als sie in der Frau, auf die der Freiherr so forsch zuschritt, Tia erkannte. Augenblicklich setzte sie sich in Bewegung und folgte ihm auf dem Fuß, während sie innerlich betete, Tia möge ihre Selbstbeherrschung nicht verlieren. Von weitem konnte Marion sehen, wie Tia die Hände zu Fäusten ballte und den Blick senkte, damit der Freiherr ihre Mordlust nicht darin brennen sah. Neben ihr stand eine der anderen Dirnen. Offenbar waren Tia Marions Schwierigkeiten nicht entgangen, da sie bereits die Initiative ergriffen hatte und zusammen mit der anderen Frau auf dem Weg zur Wendeltreppe war. Wusste die Andere von Tias Plan?

„Hallo, meine Schönen. Ihr wollt doch nicht etwa schon gehen? Die Nacht ist noch lang“, sprach der Freiherr mit barscher Stimme und verstellte ihnen den Weg.

Tia schwieg, ihr Atem ging flach. Die Andere errötete angesichts des plötzlichen Erscheinens ihres Gastgebers.

Doch Marion war bereits zur Stelle. Sie las die Dankbarkeit in Tias Augen, als sie einwarf:

„Die beiden werden sich nur etwas frisch machen wollen, nicht wahr?“

Der Freiherr wandte sich irritiert zu ihr um, richtete dann seinen Blick jedoch wieder auf die beiden Frauen.

Er vertraut mir nicht, wurde Marion schmerzlich bewusst.

Glücklicherweise hatte die andere Dirne ihre Zunge wohl doch nicht verschluckt: „Ja, Herr. Wir brauchen eine kleine Pause von dem Trubel hier drin. Nur ein wenig Luft … Das belebt die Sinne…“ Ein wenig übertrieben klimperte sie mit den Wimpern. „Wenn wir zurück sind, zeigen wir euch, wie lebendig wir sein können…“

Die lederne Kleidung des Freiherren knarzte, als er sich vorbeugte und die Dirne an sich zog. Mit einem rätselhaften Lächeln griff er ihr ins Haar, versenkte sein Gesicht darin und sog ihren Duft genussvoll ein. „Lass mich nicht zu lange warten, Kleine.“

„Aber nicht doch“, gab sie zurück, küsste ihn auf die Wange und zog sich dann rasch mit Tia zurück.

„Manchmal wird mir das Ganze einfach zu viel …“, hörte Marion sie noch zu Tia sagen, als die beiden die Treppe hinaufstiegen. Nein, sie hatte keinen Schimmer von Tias Plan. Das einzige, was Marion jetzt noch tun konnte, war den Freiherren abzulenken. Sie konnte nur hoffen, dass Tia allein mit den Wachen fertig wurde.

„Ich merke schon, meine Gäste sehnen sich nach mehr Unterhaltung. Und überhaupt … Dich habe ich heute sträflich vernachlässigt, Marion.“

Marion lächelte. Wohlige Wärme stieg in ihr auf, als er ihre Hüften umfasste. Sie würde diesen Abend für ihn so schön gestalten, wie sie es vermochte.

Die Zeit verflog so schnell wie Rauch im Wind. Sie lag gerade auf einer weich gepolsterten Liege, während der halbnackte Freiherr sich daran machte, die Verschnürung ihres Kleides zu lockern, um ihren Oberkörper freizulegen, als sie Tia erblickte. Marion starrte regungslos über die Schulter des Freiherren nach oben. Die Gardisten auf der Galerie waren verschwunden. Stattdessen stand dort Tia gegen die Brüstung gelehnt, ein Blasrohr aus dem hellen Holz des Knallbuschgewächses im Anschlag.

Die Blicke der beiden Frauen trafen sich – Marions voller Bedauern und Tias voller Hass. Die Jüngere stützte ihre Ellenbogen auf die Brüstung und beugte sich vor. Als sie Luft holte und das Blasrohr an ihre Lippen setzte, schloss Marion die Augen. Einen Herzschlag lang spürte sie nur den Atem des Freiherren auf der Haut. Das Unausweichliche erwartend, grub sie unwillkürlich ihre Fingernägel in seinen nackten, muskulösen Rücken.

Dann hörte sie bereits den Pfeil durch die Luft zischen. Gleich darauf bohrte sich die Metallspitze in Hagels Fleisch. Der Freiherr gab nur einen winzigen Schmerzenslaut von sich. Reflexartig hob er die Hand in den Nacken und richtete sich halb auf. Doch seine Kraft verließ ihn wahnsinnig schnell. Schon gab er ein ersticktes Stöhnen von sich und musste sich mit beiden Armen an der Liege abstützen. Seine schwarzen Augen flackerten. Dann brach er über ihr zusammen. Marion seufzte. Sie hatte gehofft, Tia ließe ihr etwas mehr Zeit mit ihm.

Mit einiger Mühe und einem grauenvollen Gefühl in der Magengrube schob sie Hagel von sich, als um sie herum Schreie laut wurden. Einige der Frauen rannten Hals über Kopf davon, als sie den winzigen Pfeil mit der Befiederung aus ebenso kleinen, weißen Federn aus seinem Nacken ragen sahen. Zwei Dirnen fielen neben ihm auf die Knie und prüften seine Atmung und den Herzschlag.

„Mein Herr? Mein Herr, könnt ihr mich hören? Bitte!“

Seine Lippen bebten und er stammelte etwas Unverständliches. Seine Augen rollten nach hinten und er begann haltlos zu zittern. Mit zusammengebissenen Zähnen erhob sich Marion, die Tränen mühsam zurückhaltend. Sie hatte sich darauf verlassen, dass er einen schnellen Tod haben würde. Wie lange würde es noch dauern, bis das Gift in dem Pfeil sein Herz zum Stillstand brachte?

Plötzlich wurde die schwere Tür aufgestoßen und eine große Gruppe Männer stürzte herein. Es waren mindestens fünfzehn Gardisten, begleitet von einem alten Mann in einer grauen Robe.

Der Hofarzt. Marion vergaß kurz, wie man atmete und ehe sie es sich versah, zerrte man sie weg von dem schwitzenden, schlotternden Freiherren. Das konnte nicht sein. Wieso war der Arzt so früh hier?

Der Hofarzt hockte sich auf den Rand der Liege, auf welcher der Freiherr zusammengebrochen war und beugte sich besorgt über ihn, während er einem Gardisten bereits Anweisung gab, ihm zu helfen. Sofort eilte dieser mit einer blauen Kerze an seine Seite, um ihm Licht zu spenden. Stille breitete sich in kalten Wellen in dem großen Saal aus. Alle standen wie gebannt im Kreis um die Liege herum und starrten den Freiherren an, als erwarteten sie, dass jeder seiner Atemzüge der letzte sein könnte.

Der alte Mann zog ein Tuch aus den Falten seiner Robe hervor, wickelte es um seine Hand und ergriff mit den so geschützten Fingerspitzen den kleinen Pfeil. Mit einem Ruck zog er ihn aus dem Nacken des schweratmenden Opfers und legte ihn behutsam in ein kleines graues Kästchen, das ihm der Gardist hinhielt. Kein Blut sickerte aus der Wunde – das Gift versiegelte sie von Innen.

Dann fühlte der Arzt die Stirn des Freiherren und prüfte anschließend dessen Herzschlag. Offenbar tief beunruhigt hielt er seinen Assistenten zur Eile an, woraufhin dieser ein weiteres Kästchen hervorholte. Marion stockte abermals der Atem, als er den Deckel abnahm. Darin lag ein identischer Pfeil, allerdings mit roter anstatt weißer Befiederung. Offensichtlich enthielt er ein Gegenmittel. Wie konnte es sein, dass der Gardist dies bereits bei sich hatte?

Während der Hofarzt sich anschickte, auch diesen Pfeil wieder mit dem Tuch zu ergreifen, streckte der Freiherr ihr eine Hand entgegen. Zögernd betrachtete Marion seine zitternden Finger, bevor sie sie schließlich ergriff. Hagels Lippen verzogen sich zu einem schwachen Lächeln.

„Du … du bist meine … Medizin“, stieß der Freiherr hervor, woraufhin sie ihm ohne nachzudenken einen Kuss in die Handfläche drückte.

Der Freiherr stöhnte auf und konnte ein schmerzerfülltes Keuchen nicht unterdrücken, als der Hofarzt seinen Kopf leicht anhob und ihm den rot befiederten Pfeil genau an der Stelle in den Nacken rammte, wo auch der giftige vorher gesteckt hatte. Für einen Moment schloss Hagel die Augen und es sah so aus als verließen ihn die letzten Kräfte. Jetzt, da der Augenblick seines vorherbestimmten Todes vorüber war, könnte Marion es auf keinen Fall ertragen, ihn doch sterben zu sehen, das wusste sie. Doch als sie seine Hand fest drückte und voller Zuneigung seinen Vornamen flüsterte, schlug er die Augen wieder auf und sein Lächeln glückte ihm diesmal schon besser.

Das Gegengift wirkte. Man konnte deutlich beobachten, wie sich seine Atmung beruhigte und sein Gesicht wieder an Farbe gewann. Sein Körper lag schlaff und reglos da, aber er hatte aufgehört, zu beben. In seinen Augen las Marion Erleichterung und wohl zum ersten Mal so etwas wie Dankbarkeit, während er sie unverwandt anblickte.

Nun, wo das Leben des Freiherren gerettet war, begann die Garde sich der Frauen zu erinnern, die noch immer um die Liege herumstanden. Eine nach der anderen wurde nach draußen geführt. Marion sträubte sich hartnäckig gegen den Mann, der ihren linken Arm ergriffen hatte, doch er war kräftig und hatte keine Probleme, sie zum Ausgang zu zerren.

„Was hat das zu bedeuten?“, rief sie.

Der Gardist antwortete barsch: „Offensichtlich hatte jemand ein Attentat auf den Freiherren geplant.“

„Erzählt mir etwas, auf das ich nicht von selbst gekommen wäre. Zum Beispiel, wer es gewesen ist.“

„Es war eine junge Frau. Sie hat zwei Männer getötet und einen weiteren niedergeschlagen. Und pass auf, wie du mit mir redest, du ungehobeltes Weibsbild!“

Obwohl der Gardist sie anstarrte, als ob er sie gleich schlagen würde, ließ Marion nicht locker. „Es war eine Frau? Was wollt Ihr damit sagen?! Wo ist sie jetzt?“ Doch der Mann antwortete ihr nicht, sondern schleifte sie einfach grob mit sich.

Ungeachtet des Tumults wurde Marion dennoch aus dem Augenwinkel Zeugin einer Handlung, die sie dermaßen entgeisterte, dass sie jeglichen Widerstand aufgab und sich bereitwillig zur Tür führen ließ. Der Hauptmann der Garde ließ unauffällig – jedoch nicht unauffällig genug – einen Beutel Münzen in die ausgestreckten Hände der Dirne fallen, die vorhin mit Tia den Raum verlassen hatte.

Marion konnte nur hoffen, dass Tia die Flucht gelungen war. Angesichts der vielen Gardisten waren ihre Chancen jedoch leider verschwindend gering. Sie wollte sich lieber gar nicht erst ausmalen, was mit Tia geschehen würde, sollte man sie erwischt haben.

Mythalia

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