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Alles vorbei?

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Nur ein paar Minuten später stapfte ein junger Mann von 21 Jahren durch das Türmerlager, den alle den Mäuserich nannten. Er war weder groß, noch sonderlich kräftig, sein Aussehen eher unscheinbar. Aber er lächelte stets. Es war ein warmes Lächeln, das jeden, der ihm begegnete, selbst zum Schmunzeln brachte.

Er trug die Kleidung der Ruderburschen – einen mausgrauen Überzieher aus grobem Stoff, bestickt mit dem Wappen von Markt Ruder, eine ebenso graue Pluderhose und dazu schwarze Stiefel aus Blasenleder, einem wasserundurchlässigen Material. Jeder Mann ab 16 Jahren – vorausgesetzt er war in Markt Ruder geboren – gehörte den Ruderburschen an. Sie organisierten Feste und Märkte, die in Ruder abgehalten wurden und sorgten, gemeinsam mit den Soldaten des Grafen von Ruder, für Recht und Ordnung im Ort. Ihre Hauptaufgabe bestand jedoch darin, das Fährboot über den Fluss zu steuern, was stets zwei von ihnen übernahmen.

Mäuserich hatte gerade seine Schicht beendet und auf dem Weg nach Hause einen Abstecher durch das Lager gemacht, um seine Angebetete aufzusuchen. Hier herrschte reges Treiben. Es erstaunte ihn jedes Mal aufs Neue, wie viele Kinder es hier gab. Helles Lachen klang von überall her, die Kleinen spielten in Wasserbottichen, jagten einander, sausten zwischen den Zelten hindurch und auf den Wegen entlang … Gerade rannte eine ganze Schar an Mäuserich vorbei – das Mädchen, das allen voran lief, hielt stolz einen stattlichen Eulenkrebs in die Höhe, den sie wohl im Fluss gefangen hatte.

Hier und da musste Mäuserich einem Pferde- oder Ochsenkarren ausweichen, bevor er fröhlich pfeifend seinen Weg fortsetzen konnte. Bald kam ihm ein Spielmann entgegen, an dessen Seite ein Wolf trottete, gleich wurde er von einem wohlbeleibten Händler eingeholt, dessen Waren er dankend ablehnte, ein Geschichtenerzähler-Ehepaar drängte ihm Erzählungen auf und schließlich umgarnte ihn sogar eine Dirne. All deren Angebote schlug er höflich aus, was ebenso freundlich angenommen wurde. Die Türmer wussten, dass Aufdringlichkeit sie nur selten weiterbrachte.

Bald erreichte der junge Mann sein Ziel und beendete seine leise gepfiffene Melodie. Die Muskelfurchen stand auf der Plane eines der hintersten Zelte geschrieben, gleich neben dem gestickten Wappen der Spielleute. Es überraschte ihn, dass alle Planen heruntergelassen waren, obwohl die Sonne schien und es so herrlich warm war.

Nervös fuhr er sich durch das schon schüttere, tiefschwarze Haar und zupfte noch ein wenig an seiner Kleidung herum. Dann räusperte er sich und trat vor den Zelteingang – doch da schwang die Tür bereits auf. Die Hand noch zum Klopfen erhoben, trat er rasch einen Schritt zurück, um die in den Stoff eingenähten Bretter der Eingangstür nicht auf die Nase zu bekommen. Sein Atem setzte kurz aus, als Linnea heraustrat.

Er hatte sie lange nicht gesehen und konnte nicht anders als sie anzustarren. Sie war erwachsen geworden, wirkte erfahrener und reifer. Der bunte Überwurf, den sie trug, verbarg so viel von ihrer Schönheit, doch der enge, dunkelblaue Rock umspielte sanft ihre Hüften und betonte die vornehme Blässe ihrer zarten, langen Beine. Ihr langes, dunkelbraunes Haar fiel in sanften Wellen über ihre Schultern und ihre goldbraunen Augen hatten einen wahrhaft magischen Glanz, so als sei das Licht der Sonne darin gefangen. Sie war so schön …

„Mein Mäuschen“, flüsterte er und lächelte.

Überrascht, fast entsetzt, prallte sie zurück. „Mäuserich?! Was machst du denn hier?“

Mäuserich erhaschte gerade noch einen Blick auf ein langes Klappmesser in ihren Händen, bevor sie es hinter dem Rücken verbarg. Verwunderte runzelte er die Stirn, beschloss aber, sie jetzt nicht danach zu fragen.

„Ich wohne hier in Ruder, falls du das nicht mehr weißt, mein Paradies.“

Sie wirkte noch immer äußerst irritiert.

„Aber … Du bist hier! Vor meinem Zelt! Wieso?“

Mäuserich runzelte ein wenig verwirrt die Stirn.

„Du nahmst mein Herz mit auf deine lange Reise, aber jetzt bist du wieder da, mein Herz“, trällerte er vergnügt.

Linnea trat einen Schritt zurück. Sein Herz zog sich schmerzhaft zusammen, als sie abweisend sagte:

„Mäuserich. Wir sind nicht mehr zusammen.“

Forschend blickte er in ihre goldenen Augen, um die Wahrheit darin zu erkennen. „Ich verstehe nicht“, protestierte er. „Du sagtest, du hättest keine Zeit für eine Beziehung, weil du weiterziehen musst. Aber nun bist du doch wieder da!“

Mitleid flammte auf einmal in ihren Augen auf und Mäuserich spürte, wie Tränen in die seinen stiegen.

„Mäuserich. Es tut mir leid. Das funktioniert nicht mit uns. Außerdem ziehe ich schon bald weiter. Sehr weit weg sogar …“

„Nein! Ich liebe dich doch!“, wiedersprach er mit bebender Stimme. „Weißt du nicht mehr? Die Nächte, in denen die Sterne so kristallblau gefunkelt haben und wir uns unsere Liebe geschworen haben? Was ich für dich empfinde …“ Er ergriff ihre Hände. „Ich habe dir so viel zu erzählen. Du warst so lange fort!“

Als sie sich gegen seine Berührung sträubte, ließ er sie betroffen los. Etwas zerbrach in diesem Augenblick in seinem Innern. War das sein Herz?

Er spürte, wie seine Augen immer feuchter wurden. Er blinzelte ein paar Mal, um die Tränen zurückzuhalten, aber es gelang ihm nicht. Es war nicht verwunderlich, dass Linnea ihn abwies. Sie brauchte jemanden, der stark war. Männlich! Mäuserich schämte sich dafür, dass sie ihn so sehen musste. Aber er gab nicht auf. Er hatte ein Jahr lang auf sie gewartet und sich so gefreut, als er von ihrer Rückkehr erfahren hatte. Und nun wollte sie schon wieder fort? Vielleicht konnte er sie umstimmen.

„Liebe mich, Linnea“, flüsterte er und die Worte sprudelten überschwänglich aus seinem Mund hervor, obwohl er schier schmecken konnte, wie schmalzig süß sie waren. „Denke nicht an morgen. Vergiss all deine Sorgen, Liebste.“

„Mäuserich …“, begann sie.

„Ich liebe dich! Seit ich dich das erste Mal gesehen habe, damals, auf dem alten Baumstamm, am Ufer der Unser, neben dem kleinen Fischerboot! Mit dir ist für mich ein Traum wahr geworden …“

Mäuserich zuckte zusammen und verstummte, als etwas an seinen Beinen vorbeistrich. Unwillkürlich machte er einen großen Schritt zur Seite – und atmete erleichtert auf, als er erkannte, dass Räubertochter, die Lichtwölfin, an Linneas Seite stand. Sie hatte sich an ihm vorbeigeschlichen. Vor ihr fürchtete er sich nicht. Aber wenn sie hier war – dann konnte auch Lannie nicht weit sein. Mäuserich wandte sich um und erblickte tatsächlich Linneas Mutter, die einen Steinwurf entfernt zwischen den Bäumen hervortrat.

Sofort lief er auf sie zu. „Mama Lannie!“, rief er freudestrahlend. Lannie tauschte einen fragenden Blick mit ihrer Tochter, die Mäuserich im Laufschritt folgte.

„Mama Lannie, seid gegrüßt“, stieß er zwischen zwei Atemzügen hervor, als er sie erreichte und wie gewohnt umarmte. „Ich werde noch verrückt! Linnea verdreht mir völlig den Kopf.“

Er lächelte flüchtig und holte geräuschvoll Luft, bevor er seine große Bitte aussprach: „Mama Lannie, ich bitte Euch um die Hand Eurer Tochter. Denn eine wie sie finde ich nicht zweimal auf dieser Welt.“

„Was?!“, rief Linnea entgeistert hinter ihm.

Es war schwer, sie nicht zu beachten und vor allem den scharfen Tonfall ihrer Stimme zu überhören, der alles andere als erfreut klang. Doch er bemühte sich, nur in Lannies Augen zu blicken, die ebenfalls die Farbe der strahlenden Sonne hatten. Nervös leckte er sich über die Lippen, als Lannie ihrer Tochter einen vielsagenden Blick zuwarf.

„Hör zu, Mäuserich. Meine Tochter ist kein interessanter Vogel und keine seltene Blume, die du mir abkaufen kannst.“

Mäuserich verzog das Gesicht zu einem traurigen Lächeln. Je mehr er versuchte, gegen die Tränen anzukämpfen, desto stärker schienen sich seine Augen mit ihnen zu füllen. Seine Sicht verschwamm. Er wollte nicht schwach sein, Männer weinten nicht! Trotzdem rann eine einzelne Träne aus seinem Augenwinkel. Er wischte sie mit dem Ärmel weg, bevor sie über seine Wange laufen konnte und sagte bestimmt:

„Ich liebe sie.“

Er drehte sich zu Linnea um und rang verzweifelt die Hände. „Ich … Ich kann nicht mit Worten ausdrücken, wie sehr ich dich liebe. Du möchtest fortgehen. Gut, lass uns zusammen gehen. Nur wir zwei, mein Schatz. Glaub mir, wir finden einen Weg.“

„Du verstehst das nicht“, entgegnete sie ausweichend. „Ich kann nicht.“

Mäuserich wandte sich wieder an Lannie. „Mama Lannie, ich werde wirklich wahnsinnig. Gebt mir eine Chance.“ Er sah hektisch zwischen den beiden Frauen hin und her, auf irgendeine Reaktion wartend.

„Mama Lannie, sie ist mein Schatz, meine Liebste.

Das mit uns wird ewig halten.“ Wieder sah er Linnea ins Gesicht. „Wenn du es nur zulässt.“

Lannie verschränkte die Arme vor der Brust und nickte Linnea auffordernd zu. „Das ist nicht meine Sache.“

„Aber ich – “, begann Linnea. Dann seufzte sie.

Einen Moment lang, der eine kleine Ewigkeit zu dauern schien, schaute sie in Mäuserichs braune Augen. Unsicher erwiderte er ihren Blick so liebevoll, wie er es vermochte. Konnte sie denn nicht sehen, wie sehr er sie brauchte? War die Liebe, die sie ihm geschworen hatte, nur eine Lüge gewesen?

„Mäuserich …“, flüsterte sie und berührte sanft mit ihrer blassen Hand seine Wange. „Es tut mir leid.“

Mäuserich schloss die Augen. Sie wies ihn ab. Endgültig. Nun gab es kein Halten mehr, warme Tränen rannen über seine Wangen und über Linneas Finger. Er spürte den salzigen Geschmack auf den Lippen, aber er besaß nicht mehr die nötige Willenskraft, um sie fortzuwischen. Was nutzte das schon? All seine Argumentation, alle Überzeugungsversuche waren umsonst gewesen. Jetzt stand er da, in der einsamen Dunkelheit hinter seinen geschlossenen Lidern und verweilte in dem kurzen Augenblick, in dem er Linneas Fingerspitzen auf der Haut spürte.

„Und was nun? Soll ich einfach verschwinden, oder was?“ Er hasste sich dafür, dass seine Stimme so weinerlich und ohne jeglichen Stolz war.

„Ich … Also, nein. Naja … Ich …“, stammelte Linnea, sorgsam den Augenkontakt zu Mäuserich meidend.

Dieser biss sich auf die Unterlippe und schniefte.

„Ich verstehe schon“, murmelte er leise.

„Komm her!“, forderte Linnea ihn auf und ehe er sich versah, hatte sie ihn in die Arme geschlossen.

Nun brach aller Kummer vollends aus ihm heraus. „Ich liebe dich doch!“ schluchzte er in ihr dichtes Haar hinein.

Es war feucht von seinen Tränen …

Mit steifen Fingern, vom Schluchzen geschüttelt, umklammerte er sie – wohl wissend, dass dies das letzte Mal sein würde, dass er sie umarmte. Schließlich löste sich Linnea von ihm. Mäuserich hob beide Hände vors Gesicht und rieb sich mit den Handballen die tränennassen Augen. Erneut schniefte er. Ein letztes Mal blickte er sie an. Dann drehte er sich abrupt um und stapfte davon.

„Leb‘ wohl.“

„Mäuserich!“ In diesem einen Wort lag das ganze Gewicht ihres schlechten Gewissens.

Aber Mäuserich hörte noch etwas Anderes darin. Sie liebte ihn tatsächlich nicht mehr. „Meinen richtigen Namen hast du wohl auch vergessen.“

Dann bog er um die Ecke. Schritt für Schritt entfernte er sich von der einzigen Frau, die er jemals wirklich geliebt hatte.

Mythalia

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