Читать книгу Fünf Dinge, die wir nicht ändern können und das Glück, das daraus entsteht - David Richo, David Richo, Дэвид Ричо - Страница 10

Gegebenheiten als Gnade

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Um wirklich Glück im Leben zu finden, müssen wir uns emotional und spirituell entwickeln. Spirituelles Bewusstsein überwindet den Dualismus, unsere allzu simplen Vorstellungen von Gut und Böse. Ein bedingungsloses Ja ist ein Ja zu den Paradoxa des Lebens. Ein Paradox verbindet offensichtliche Widersprüche miteinander. So sagen wir zum Beispiel bedingungslos Ja zu einer von Veränderungen und Endlichkeit konditionierten Existenz. Wir können Verpflichtungen eingehen, auch wenn wir wissen, dass manche Pläne fehlschlagen. Wir können unser Mitgefühl aufrechterhalten, ganz gleich, wie ungerecht die Welt uns behandeln mag. Wir können uns liebevoll anderen gegenüber verhalten, ohne Rücksicht darauf, wie grausam sie sich uns gegenüber verhalten. Nichts, was uns geschieht, muss uns von dem Pferd namens Ja abwerfen. Wir können die dunkle Seite von Menschen erkennen und diese Menschen dennoch nicht verloren geben; das ist eine weitere Eigenschaft der spirituellen Reife.

Hier einige andere Beispiele für die Paradoxa, die wir fröhlich annehmen können, wenn wir erkennen, wie wertvoll die Gegebenheiten sind:

Obgleich alles sich ändert und irgendwann endet, erneuern die Dinge sich und gehen durch Zyklen, die die Evolution fördern.

Obgleich die Dinge nicht immer nach Plan gehen, spüren wir manchmal, dass ein größerer Plan, der erstaunliche Möglichkeiten eröffnet, durch Synchronizität am Werk ist.

Obgleich das Leben nicht immer gerecht ist, bleibt etwas in uns der Gerechtigkeit verpflichtet und weigert sich, ungerecht oder rachsüchtig zu sein.

Obgleich Leiden zum Leben gehört, kennen wir Wege, damit umzugehen, und dadurch vergrößern wir unser Vermögen, mit zukünftigem Schmerz umzugehen und anderen in ihrem Schmerz zu helfen.

Obgleich die Menschen nicht immer liebevoll und loyal sind, braucht uns nichts daran zu hindern, mit Liebender Güte zu agieren und andere nicht verloren zu geben. Keine menschliche Tat kann einen anderen Menschen der Fähigkeit zu lieben berauben.

Die Gegebenheiten sind auf eine Weise formuliert, die negativ erscheinen mag, aber jede hat ihre positive Seite. Die oben aufgeführten Paradoxa zeigen die positive Dimension in jeder der Bedingungen der Existenz auf. Jedes Mal, wenn wir auf eine Gegebenheit mit einem Ja reagieren, entwickeln wir uns emotional und spirituell weiter: Wir gewinnen an Geduld, Ausdauer, Vergebung, Großzügigkeit, Weisheit, Wertschätzung, Beharrlichkeit und bedingungsloser Liebe.

Doch letztlich bedeutet die Tatsache, dass es Vieles im Leben gibt, was wir nicht kontrollieren können, dass wir vielleicht einen besondern Auftrieb brauchen, etwas, das uns unser Ego nicht liefern, das unser begrenzter Verstand nicht erfassen, das unser zerbrechlicher Wille nicht herbeiführen kann. Dies ist die unterstützende Kraft der Gnade, dem spirituellen Komplementär zum Bemühen. Etwas kommt ins Spiel, das größer ist als wir, und macht unseren Weg leichter begehbar.

Die Upanischaden, heilige Texte des Hinduismus, sagen über die Gnade: „Das Selbst [die Wahrheit] kann nicht durch die Vedas [die Schriften] noch durch Verstehen, noch durch Gelehrtheit gewonnen werden. Derjenige, den das Selbst erwählt, der gewinnt das Selbst.“ Gnade ist das Geschenk des Höheren Selbst an das Ego. Eine Quelle jenseits des Egos gewährt uns das Geschenk, unsere gewöhnlichen Begrenzungen zu transzendieren. Gnade bedeutet, dass wir nicht allein sind; wir haben immer Begleitung:

Wenn wir überzeugt sind, wir halten keine Minute länger durch, und es dennoch tun, ist das die Gnade eines Schöpfers, der in uns lebt.

Wenn wir überzeugt sind, wir können das Licht nicht finden, und es dennoch tun, ist das die Gnade des Lichtes der Welt in uns.

Wenn wir überzeugt sind, wir können keinen einzigen Atemzug mehr machen und es dennoch tun, ist das die Gnade des Geistes, der durch uns atmet.

Unser Herz wurde aus Licht gemeißelt. Das bedingungslose Ja hilft unserem Herzen, sein Licht nach außen scheinen zu lassen. Gnade, das sind jene besonderen Geschenke, die die Begrenzungen unseres Verstandes, Willens und Herzens durchbrechen. Gnade erweitert unseren Intellekt, indem sie uns mit intuitiver Weisheit ausstattet. Wir werden plötzlich von etwas inspiriert, das wir nicht mittels Logik entdeckt haben. Gnade erweitert unseren Willen, indem sie uns Stärke oder Mut schenkt, die wir zuvor nicht besaßen. Gnade erweitert unser Herz, indem sie es ermöglicht, eher zu lieben als zu hassen, eher sich zu versöhnen als Vergeltung zu üben, eher Demut als Hybris zu zeigen. Wir könnten all das nicht aus uns heraus tun; unser selbstbezogenes Ego fände keinerlei Motivation für solche Tugenden. Gnade ist der innere Verbündete und Führer, die motivierende Kraft unserer spirituellen Praxis.

Wenn die Gegebenheiten zu einer Gnade werden, steht ein bedingungsloses Danke an der Seite unseres bedingungslosen Ja. Wenn wir das Schlechte mit dem Guten akzeptieren, das Schwierige mit dem Leichten, dann entsteht automatisch Dankbarkeit. Hamlet sagt zu Horatio:

Hat sie dich auserkoren …

Ein Mann, der Stöß und Gaben vom Geschick

Mit gleichem Dank genommen;

Jede Gegebenheit des Lebens zieht viele Gnaden nach sich. Die Tatsache, dass die Dinge sich ändern und irgendwann enden, bedeutet, dass wir in der Vergänglichkeit die Gnade, mit dem Leben zu fließen, finden mögen. Gesundheit, sowohl im psychologischen als auch im spirituellen Sinne, bedeutet, mit dem Strom der Ereignisse zu fließen, statt von ihnen aufgehalten oder niedergemacht zu werden. Die Tatsache, dass die Dinge nicht immer nach Plan gehen, bedeutet, dass viele Kräfte, die das Ego übersteigen, in unserem Leben am Werke sind – Mächte, die uns auf einen Pfad zu unserer Bestimmung führen, den wir sonst vielleicht vernachlässigt hätten. Haben wir erst einmal verstanden, dass wir von Kräften jenseits des Egos unterstützt werden, erkennen wir, dass es nicht unbedingt in unserem Interesse sein muss, die Kontrolle zu haben: Wir könnten mächtige Pläne umstürzen, die in unserem Interesse am Werk sind.

Die Tatsache, dass das Leben manchmal nicht gerecht ist, obwohl wir instinktiv wissen, was gerecht wäre, bedeutet, dass wir alle aufgerufen sind, die Bedingungen für Gerechtigkeit in der Welt zu schaffen. Wenn wir zu einem solchen Aufruf Ja sagen, finden wir unseren Mut. Dann entdecken wir Möglichkeiten, uns selbst ins Gleichgewicht zu bringen und der Welt beizustehen, ins Gleichgewicht zu kommen.

Die Tatsache, dass Leiden zum Leben gehört, bringt die Gnade von Ausdauer, Geduld und Mitgefühl hervor. Wir werden vom Schmerz der anderen berührt und neigen weniger dazu, zur Quelle des Leidens anderer zu werden.

Die Tatsache, dass die Menschen nicht immer liebevoll und loyal sind, schlägt uns jene Wunden, die uns zu Menschen mit Tiefgang und Charakter macht. Vielleicht sind solche Wunden eine Gnade, da die so entstehenden Breschen Öffnungen zur Ganzheit sein können. Und allem voran werden wir hierdurch herausgefordert, bedingungslose Liebe an den Tag zu legen.

Gnade hat nichts Einschläferndes, sie tritt mit Pauken und Trompeten auf. Jede Gnade ist ein Weckruf, unsere Bemühungen zu verstärken. Ich hoffe, in diesem Buch zeigen zu können, dass uns in Form von Gegebenheiten Gnade zuteil wird. Außerdem werden wir, wenn wir den Mut haben, den unausweichlichen Wahrheiten des Lebens zu begegnen, die Gnade finden zu lieben, ganz gleich, was uns passieren mag. Liebe ist in dem Sinne immer bedingungslos, dass sie nicht durch irgendwelche Bedingungen der Existenz behindert oder unterdrückt wird. Und auch Veränderungen, Zuendegehen, Planänderungen, Ungerechtigkeit, Schmerz, Unloyalität oder Mangel an Liebe können uns nicht daran hindern, zu lieben. Unser Ja zu solch einer atemberaubenden Gnade ist das, was unser Ego schon immer sagen wollte, das es das Ende von Angst und den Beginn von Freiheit bedeutet.

Fünf Dinge, die wir nicht ändern können und das Glück, das daraus entsteht

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