Читать книгу Fünf Dinge, die wir nicht ändern können und das Glück, das daraus entsteht - David Richo, David Richo, Дэвид Ричо - Страница 16

Warum wir unbedingt die Kontrolle haben möchten

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Das Gegenteil von Ja ist Nein, ist Kontrolle. Hinter dem Drang zur Kontrolle steht Furcht, die Furcht, etwas Schmerzliches erfahren zu müssen. Jede unserer Gegebenheiten beleidigt das Ego, das glauben möchte, es besäße die volle Kontrolle. Ja ist Annahme; Kontrolle ist Ablehnung. Wir können lernen, die Tatsache anzunehmen, dass wir manchmal einfach nicht fähig sind, einen unangenehmen Wandel in unserem Leben aufzuhalten. Dieses Annehmen führt zu Gelassenheit. Zu versuchen, die volle Kontrolle über das, was uns geschieht, zu behalten, macht uns zu Gegnern der Tatsachen des Lebens und hält den Stress aufrecht. Solange uns das Wort Ja nur schwer über die Lippen kommt, gleicht unser Leben einer Wippe, auf der wir zwischen Furcht und Kontrolle hin und her schaukeln.

Die Kontrolle loslassen bedeutet, dass wir uns nicht mehr von den Gegebenheiten abschotten. Kontrolle ist eine unserer liebsten Weisen, vor dem Leben, wie es ist, davonzulaufen. Kontrolle ist eine so tief verwurzelte Illusion, dass wir sogar glauben, wie könnten sie loslassen, indem wir es einfach nur wollen. Doch wir lassen nicht die Kontrolle los – wir lassen von dem Glauben ab, wir hätten die Kontrolle. Der Rest ist Gnade. Die Gegebenheiten des Lebens sind Werkzeuge, die uns das Universum für die Bewältigung dieser Lektion zur Verfügung stellt.

Sich Sorgen zu machen ist direkt mit Kontrolle verbunden. Wir machen uns offenbar Sorgen über die Zukunft, Geld, Beziehungen, Jobs und alle anderen unvorhersehbaren Dinge in unserem Leben. Doch dem liegt eigentlich nur eine Sorge zugrunde: nicht die volle Kontrolle über das zu haben, was geschehen wird. Wir machen uns Sorgen, weil wir uns nicht zutrauen, mit dem, was uns zustößt, umgehen zu können. Wir machen uns Sorgen, weil wir nicht darauf vertrauen, dass es so, wie die Würfel fallen, für uns am besten ist. Wir machen uns Sorgen, weil wir nicht Ja gesagt haben. Ich stelle fest, dass ich jetzt, da ich das bedingungslose Ja übe, mir weniger Sorgen mache.

Wenn wir beginnen, zu den Tatsachen des Lebens Ja zu sagen, ist es wichtig, sich daran zu erinnern, unser spezielles Ja anderen nicht aufzuzwingen, da wir alle eine andere Realität haben, zu der wir Ja sagen müssen. Ich weiß noch, wie ich damals, als ich meine Ernährung auf gesunde Kost umstellte, meinem damals zwanzigjährigen Sohn Josh nahe legte, sich von Junk Food fernzuhalten. Seine Antwort ist mir im Gedächtnis geblieben: „Ich habe alle Zeit der Welt. Ich kann Junk Food essen, ohne dass es mir schadet. Wenn die Zeit gekommen ist, auf gesunde Kost umzusteigen, dann werde ich es merken und mich dann umstellen.“ Nicht völlig richtig, aber auch nicht ganz daneben. Ich wollte mein neues Ja seinem jungen Körper aufzwingen, und er wollte es mir nicht abkaufen.

Heute bin ich mit Josh und allen anderen vorsichtiger, damit ich für sie nicht zum Klugscheißer werde. Wir können es zu einer spirituellen Praxis machen, das Verhalten anderer nicht zu kritisieren, ihr Tun nicht nach den Maßstäben unserer eigenen Weltsicht zu interpretieren und keine Ratschläge zu geben, solange wir nicht dazu aufgefordert werden. Diese drei Verhaltensweisen aus unserem Repertoire zu eliminieren, besonders bei Partnern und Familienmitgliedern, macht unsere Kommunikation liebe- und respektvoller. Die fünf essenziellen Qualitäten wahrer Liebe – Aufmerksamkeit, Akzeptanz, Wertschätzung, Zuneigung und Zulassen – werden vom Klugscheißer in uns nur zu leicht in die Ecke gedrängt.

Warum ist Kontrolle für die meisten von uns so ernorm wichtig? Vielleicht versuchen wir uns durch Kontrolle vor Verlusten zu schützen. Wenn alles nach unseren Vorstellungen läuft, werden wir nicht trauern müssen. Wir kontrollieren nicht, weil wir selbstsüchtig oder zu anspruchsvoll sind. Wir kontrollieren, weil wir uns vor dem Schmerz fürchten. Es macht keinen Spaß, traurig zu sein. Es tut weh, uns sagen zu müssen, wie und was wir verloren haben. Unser fadenscheiniges Ego ist beleidigt und fühlt sich machtlos, und das ist für uns unerträglich. Solange wir die Kontrolle behalten, können wir all diesen Einladungen zur Demut aus dem Weg gehen. Dies ist der Versuch einer mitfühlenden Erklärung dafür, warum wir so verdammt kontrollierend sind.

Unsere spirituelle Arbeit besteht darin, erfüllter in der Gegenwart zu leben. Die erste Gegebenheit des Lebens, die Tatsache der Vergänglichkeit, bedeutet, dass sich alles in unserem Leben ständig ändert. Joseph Campbell sagt: „Die Hölle ist, im Ego festzustecken“ – in dem Bemühen, die Dinge zu kontrollieren, damit sie dieselben bleiben, festzustecken. Durch Übung und durch Gnade können wir zu einem neuen Bewusstsein erwachen. Die allgegenwärtige und unausrottbare Gelegenheit zum Wandel ist ein Grund, uns selbst und andere niemals aufzugeben. Dann ist sogar die Hölle vergänglich.

Wenn wir das aufgeben, was im Hamlet „unser mürrischer Widerstand“ gegenüber den Gegebenheiten des Lebens genannt wird, lassen wir uns darauf ein, unser Schicksal mit dem Rest der Menschheit zu teilen. Dann sind wir nicht mehr allein und unser Gespräch mit der Welt reißt nicht mehr ab. Die Dinge rücken sich zurecht und wir tun das auch. Wir haben einen aufrechten Gang, wenn wir in die Richtung gehen, in die die Wirklichkeit geht. Das bedeutet, das Leben ohne Schnörkel, ohne Schnickschnack, ohne Dämpfer und ohne Gottvater, der den Kopf für uns hinhält, zu leben. Stattdessen lieben wir es, unser bloßes Herz zu entblößen und unsere Talmi-Rüstung abzulegen: Ich bin nicht mehr so darauf bedacht, die Kontrolle darüber zu behalten, was ich bin. Ich fange an, neugierig darauf zu sein, was ich sein werde.

Solange wir mit den Regeln des Lebens auf Kriegsfuß stehen, werden wir den direkten Kontakt mit der Realität fürchten, der die Essenz wahren Wachstums ist. Es wird uns schwer fallen, achtsam zu sein, da Achtsamkeit verlangt, dass wir im gegenwärtigen Augenblick völlig präsent sind. Wir mögen uns vieler Hintertüren bedienen, um uns zu schützen: Geld, Sex, Alkohol, Kaffee, Essen, Rauchen, Drogen und natürlich das unaufhörliche Geplapper unseres überdrehten Geistes selbst mit all seinen Hoffnungen und Ängsten. Wenn wir uns unsere Ängste genauer anschauen, sehen wir, dass im Grunde jede Angst die Angst vor Kontrollverlust ist.

Vielleicht bemerken wir bei einigen Erfahrungen, die uns im täglichen Leben stören, gar nicht, dass wir ein Kontrollproblem haben. Kontrolle bleibt der Gegner eines gesunden und beherzten Ja zu Wirklichkeit, wie sie ist. Nicht, dass wir der Wirklichkeit Gram wären; wir nehmen es ihr nur übel, dass wir sie nicht unter Kontrolle haben. Wenn wir genauer hinschauen, entdecken wir vielleicht einen Kontrollaspekt in Unannehmlichkeiten wie den folgenden:

Wir wollen anders sein, als wir sind.

Wir wollen, dass andere anders sind.

Wir wollen, dass jemand zurückruft oder uns einen Besuch abstattet.

Wir mögen keine Prüfungen oder das Warten auf das Ergebnis.

Das Haus ist nicht so sauber und aufgeräumt, wie wir es gerne hätten.

Wir werden die Ameisen oder Kakerlaken nicht ein für alle Mal los.

Wir können unser Gewicht oder unseren Blutdruck nicht niedrig halten.

Wir machen uns ständig Gedanken über das, was geschehen ist oder geschehen könnte.

Wir haben Gefühle, Launen und Gewohnheiten, die wir nicht mögen.

Wir schlafen nicht so gut, wie wir es gerne hätten.

Unsere Eltern, Kinder, Partner oder Freunde verhalten sich nicht so, wie wir es von ihnen erwarten.

Wir wollen zwanghaft alles, was passieren könnte, voraussehen.

Wir schaffen es nicht, dass uns bestimmte Leute mögen, so sehr wir uns auch anstrengen.

Wir haben in einem Job, in einer Beziehung oder bei einer finanziellen Planung keinen Erfolg.

Uns ist erst nach einer heftigen Auseinandersetzung eingefallen, was wir hätten sagen sollen.

Es mangelt uns an Fertigkeiten in Mathematik, Fußball oder Gartenpflege.

Jeder dieser Aussagen liegt der Glaube zugrunde, wir müssten jederzeit über alles die Kontrolle haben. Diese blödsinnige Versklavung fördert Angst. Sie ist das Gegenteil jener Gelassenheit, die ihre Alternative uns verspricht – nämlich ein bedingungsloses Ja zu dem, was ist, zu uns selbst und zu anderen, wie sie gerade sind.

Inwiefern hilft oder behindert uns dieses Bedürfnis nach Kontrolle, wenn wir uns den Gegebenheiten des Lebens, den Lebensbedingungen hier auf Erden, gegenüber sehen? In einer Welt, in der die Dinge sich wandeln und ein Ende haben, ist eine Haltung von Akzeptanz und Vertrauen nur vernünftig. Doch dies ist ohne Loslassen der Kontrolle unmöglich. In einer Welt, in der wir uns nicht auf Kontrolle verlassen können, brauchen wir etwas anderes: Die Fähigkeit, mit unserem Bestmöglichen zufrieden zu sein und die Würfel so fallen zu lassen, wie sie wollen. Dann besteht die Arbeit darin, mit dem umzugehen, was geschieht, wie ungekämmt und unentzifferbar es auch sein mag. Sich auf das Kontrollieren zu versteifen, schränkt unsere Chancen ein, neue Optionen zu finden, die auftauchen, wenn sich auf unserem Weg neue Möglichkeiten auftun. Zufälligkeit wird weniger erschreckend und reizvoller, wenn wir neue Horizonte darin finden.

Ein Beispiel dafür, wie das Leben und das Schicksal manchmal überraschende Wege einschlagen, gibt das Leben der Autorin Margaret Mitchell. Sie arbeitete als Journalistin in ihrer Geburtstadt Atlanta, ohne besonders daran interessiert zu sein, einen Roman zu schreiben. Eines Tages wurde sie von ihrem Pferd abgeworfen und sah sich gezwungen, mehrere Monate zur Gesundung zu Hause zu verbringen. Um sich die Zeit zu vertreiben, begann sie einen Liebesroman über Atlanta zu Zeiten des Bürgerkriegs zu schreiben. Sie arbeitete schließlich zehn Jahre daran. Vom Winde verweht wurde 1936 veröffentlicht, gewann den Pulitzer Preis und wurde zu ihrem Vermächtnis an die Welt.

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