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Tod und Erneuerung

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Die Wichtigkeit, die das Darbringen von Opfern im Laufe der Geschichte gehabt hat, zeigt, dass der Schmerz von Verlust und Wandel bedeutsam sein kann. Wenn wir dem Vorbild der Natur folgen, eröffnet das unserer Entwicklung neue Möglichkeiten. Alles in der Natur durchläuft die Prozesse, die auch wir durchlaufen müssen, und so zeigt uns die Natur, wie es geht.

Im japanischen Zen wird Natur zweifellos in das Wesen der Erleuchtung einbezogen. Die Dinge der Natur sind in Buddhas ökologischer Sichtweise nicht getrennt, sondern miteinander verknüpft. Hakuin, ein japanischer Zen-Meister des achtzehnten Jahrhunderts, sagt: „Von Anfang an gibt es kein einzelnes (getrenntes) Ding.“2 Die Wahrheit der Vergänglichkeit wird in der Natur sichtbar, da die Dinge sich verändern. Die Wahrheit der Bedeutung des Nichtanhaftens wird uns klar, wenn uns bewusst wird, dass Dinge nur so existieren, wie sie sind, und nicht unbedingt so, wie wir sie gern hätten. Dies ist nicht nur Buddhas Wahrheit. Sie taucht in vielen Traditionen auf. Die katholische Mystikerin Hildegard von Bingen sagte, dass alles, was im Himmel, auf Erden und unter der Erde ist, von Verbundenheit, von Beziehungen durchdrungen sei.

Die meisten von uns fürchten den Gedanken an den Tod, und wir umgeben uns mit Dingen und Menschen, die die Illusion der Dauerhaftigkeit aufrechterhalten. Wir fürchten Verluste und häufen daher Dinge an und klammern uns daran fest. Sich der Wirklichkeit der Endlichkeit zu stellen, unserer eigenen und der anderer, ist noch eine weitere Art und Weise, eine spirituelle Sichtweise zu fördern. Unser Ende ist eine Rückkehr zur QUELLE: Die menschliche Natur kehrt in ihren Ursprung zurück. Das, wovon wir glauben, es sei „bloß sterblich“, entpuppt sich als etwas, dem ein „Sehnen nach Unsterblichkeit“ eingebaut ist – wie Shakespeares Cleopatra es nennt.

Die Natur geht mit dem Tod durch Erneuerung in Zyklen und durch Fortpflanzung um. Uns unserer eigenen Kreatürlichkeit bewusst zu sein, hilft uns, uns dem natürlichen Prozess bereitwilliger zu überlassen. Ja zum Leben und zum Tod zu sagen heißt, sie zu transzendieren. „Unsterblichkeit“ ist eine Weise, diese nicht zeitgebundene Dimension unseres Seins, die Jung das Selbst nannte, zu beschreiben. Wir können diese erkennen, wenn wir vom egozentrischen zum kosmozentrischen Leben übergehen – zu unserem größeren Leben in Liebender Güte. Unsterblichkeit könnte sich in der Tat dann einstellen, wenn wir uns dem Evolutionsprozess anschließen und seine Ziele zu den unseren machen. Ginge es in der biologischen Evolution nur ums Überleben, hätte die Natur nicht über die Ratte hinausgehen müssen. Wir sind hier, weil es in Evolution um Liebe geht.

Die frühen Menschen zeigten in ihren Begräbnisritualen ein intuitives Bewusstsein von Erneuerung und Wiederkehr. Dies ist der Archetyp der Wiederauferstehung, der die Menschheit von Anbeginn an fasziniert hat. Die Natur spielt in den Ritualen der Wiederauferstehung eine herausragende Rolle. So fand man beispielsweise eine libanesische Grabstätte, in der der Verstorbene zusammen mit einem Reh bestattet worden war, damit er in seinem Leben nach dem Tode etwas zu Essen hätte. Außerdem war eine künstlerische Anordnung von bemalten Steinen um den Leichnam gelegt worden. In anderen Grabstätten deuten Pollen von Hyazinthen, die man zwischen den Knochen gefunden hat, darauf hin, dass in prähistorischen Begräbnisriten dem Körper Blumen beigegeben wurden. Die Hyazinthe, die jeden Frühling wiederkehrt, ist in der Tat ein universelles Symbol der Wiederauferstehung. Diese Dinge in der Natur sind also Arrangements der Natur für den Menschen, die ihm einen Passierschein in die Welt der Archetypen gewähren.

Der Natur wurde von jeher sakramentale Kraft zugesprochen. Ein Sakrament ist ein Ritual, das auf der spirituellen Ebene bewirkt, was es auf der materiellen Ebene darstellt – wie zum Beispiel die Taufe, die Sünden „wegwäscht“. Alle Sakramente benutzen die Dinge der Natur, um spirituelle Kraft zu evozieren. Alle religiösen Traditionen enthalten Rituale und Sakramente, die die Kraft der Natur, Übergänge herbeizuführen, würdigen. Dies ist die Anerkennung der spirituellen Dimension der Natur. Alles, was nichts als Ja sagt, ist gewiss spirituell. Die Gegebenheiten werden zu Sakramenten – Quellen der Gnade –, wenn auch wir Ja sagen.

Ist unser Glaube an ein Leben nach dem Tod oder an Wiedergeburt ein Faktum der archetypischen Welt oder ein Puffer gegen den dumpfen Schlag der ersten Gegebenheit des Lebens, nämlich dass das Leben endet? Ewiges Leben muss nicht dasselbe sein wie ein Leben nach dem Tod. Es könnte ein sehr viel umfassenderes Leben bedeuten, als das Ego es sich jemals vorstellen kann. Es könnte bedeuten, in die Verknüpftheit mit allem anderen einzutreten und schließlich von der Illusion der Getrenntheit befreit zu sein. Es könnte auch bedeuten, durch Wiedergeburt immer wieder zu kommen. Erinnern wir uns an Einsteins Behauptung, Energie könne weder geschaffen noch zerstört werden.

Vielleicht brauchen wir ja auch gar keinen Beweis für ein ewiges Leben oder gar ein Wissen darum, wie es aussieht. Vielleicht brauchen wir einfach nur das Vertrauen auf die Kraft der Hingabe an die Gegebenheiten der Existenz. Denn diese Hingabe besteht darin, Teil von etwas Größerem, als es das Ego ist, zu werden, das heißt, jenseits des Egos mit allem anderen verknüpft zu sein. Hingabe bedeutet nicht etwa Selbstaufgabe oder irgendeine Art der Selbstverleugnung. Im spirituellen Bewusstsein geben wir niemals jemanden auf, nicht einmal uns selbst.

Ein bedingungsloses Ja hat Macht über Leben und Tod. Das ist das Vertrauen, das paradoxerweise stärker wird, wenn wir den Tod akzeptieren und das Übrige dem weiten Universum überlassen, aus dem wir irgendwie stammen und in das wir irgendwie wieder zurückkehren. Unsere Resorption in die Weite des Seins mag vielleicht ein Äquivalent ewigen Lebens sein. Die Milchstrasse wird dann gleichzeitig zur Ehefrau, zum Kind und zur Mutter.

Wir wissen nicht, wie wir weiterleben werden oder wie das Versprechen der Unsterblichkeit eingehalten wird. Aber wenn wir der unentrinnbaren Tatsache, dass wir sterben werden, freundlicher zustimmen, dann finden wir vielleicht in eben dieser Hingabe, einen Funken von einer anderen Lebensweise, einer Weise, die dem, was ist und was auch immer kommen mag, tapfer mit einem Ja zujubelt. Das kann sich wie Unsterblichkeit anfühlen. Tod könnte die Überantwortung des Königreichs des Egos und des Körpers, seines Palastes, an die Legion von Sternen und Milchstraßen sein. Der mystische Körper des Universums resorbiert unsere Energie und verteilt sie erneut in Übereinstimmung mit dem jeweiligen Niveau der Evolution, das wir in dieser kurzen, unangenehmen und ekstatischen Regentschaft erlangt haben.

Wir müssen Zutrauen zum Paradox der Natur haben: Jeden Augenblick loszulassen und doch ganz und gar im Hier und Jetzt zu sein. Dann, wie es in dem Gedicht „Was sind Jahre?“ von Marianne Moore heißt, „ist derjenige glücklich, der in die Sterblichkeit einwilligt … wie das Meer, das in seiner Hingabe … seine Fortsetzung findet“.

Möge ich, indem ich zu den Gegebenheiten des Lebens Ja sage, den Frühlingen und Wintern meines Lebens gleichermaßen danken, und möge ich immer in der Lage sein, jene zu führen und zu beruhigen, die sich zu sehr ans Leben klammern und die zu wild vor dem Tod davon laufen.

1Am Goldenen See ist ein Film mit Henry Fonda und Katharine Hepburn, der die stille Weisheit des Alters feiert. (Anm. d. Übers.)

2Das ist eine ungewöhnliche Interpretation der Aussage von Hakuin, der eigentlich gesagt hat „Von Anbeginn gibt es kein einziges Ding“, also nicht ein einziges, da nämlich „alles Leere ist von Anbeginn“. (Anm. d. Übers.)

Fünf Dinge, die wir nicht ändern können und das Glück, das daraus entsteht

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