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SCHMERZHAFTER ADERLASS

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Zwingli wird schon als Kind auch in seinem Tal die Beobachtung und die Erfahrung gemacht haben, dass junge Männer auf die Kriegsschauplätze zogen. Er wuchs damit auf, dass manche nie mehr nach Hause kamen. In seiner Familie wurde dieser für das Tal oft schlimme Aderlass wahrscheinlich besprochen. Seine Familie machte in diesem Geschäft mit eigenem Blut vorerst nicht mit. Aber die Landwirte unter seinen Brüdern liebäugelten immer wieder mit dieser Möglichkeit. Ulrich wuchs aber auch mit der sittlichen Verluderung in der Gesellschaft auf, er sah, wie die Mönche und Priester ganz selbstverständlich gegen alle sittlichen Regeln lebten, sich Mätressen hielten, in eheähnlichen Verhältnissen durch den Alltag gingen. Man kann natürlich sagen, dass dieser junge Mann von den gesellschaftlichen Zuständen geformt wurde. Und dieser Vorgang hielt an, radikalisierte sich, verfeinerte sich wiederum, aber blieb bei Zwingli eine Basis, die ihn nicht mehr losliess.

Es gibt von Ulrich Zwingli später eine Äusserung, dass seine Brüder nicht immer gefeit waren gegen die Verlockungen des fremden Solddienstes. Der Vater Zwingli wird in Wildhaus und im Thurtal den Kampf gegen den Solddienst geführt haben. Die Profiteure dieser Blutsverkäufe an die ausländischen Mächte argumentierten heuchlerisch mit dem europäischen Ruf nach den begehrten Schweizer Kämpfern durch die berühmten erfolgreichen Freiheitskriege des Bauernvolkes, übrigens auch jener des Toggenburgs gegen die Ansprüche des Abtes von St. Gallen. Aber diese Herleitung und Begründung eines miesen Geschäftes konnte man nicht gelten lassen. Der Solddienst war ja nicht allein moralisch verwerflich, er war auch wirtschaftlich schädlich, denn die jungen Männer verkauften sich an die fremden Herren und schlugen deren Schlachten, während sie zu Hause auf dem Arbeitsmarkt fehlten. Natürlich gab es auch Söldner, über deren Abwesenheit im Land viele froh waren. Denn nicht für alle gab es einen Platz und vor allem für viele keine Arbeit. Der Solddienst war also auch eine wirtschaftliche Notwendigkeit.

Der kleine Junge Ueli wuchs in einer Gemeinschaft auf, in welcher die politische Aktivität fast naturgegeben war, in der Bischof, Kaiser, König weit weg waren, wo man keinem direkten Oberhaupt zu gehorchen hatte, in der es kaum ein Reichsbewusstsein gab, obwohl die eidgenössischen Orte nominell zum Heiligen Römischen Reich gehörten. Ueli hat als Jugendlicher aus der Entfernung den Schwabenkrieg erlebt. Aber vordergründig und bewusstseinsgestaltend war für ihn die Zugehörigkeit zur freien Eidgenossenschaft und zu einer freien Talschaft. Das war prägend für den jungen Zwingli, und das wurde tragend und bestimmend im republikanischen Politiker Zwingli. Politische Betätigung wurde quasi mit der Muttermilch aufgesogen. Wer sich an den alltagspolitischen Prozessen nicht beteiligte, der wurde überfahren, die ehrenamtliche Verantwortung und Betätigung für das Gemeinwesen wurde früh geübt und führte ganz natürlich zu einem republikanischen Geist.

Der allererste Biograf, der Zeitgenosse und enge Mitarbeiter Zwinglis, der Humanist Myconius, der ihn überlebte, erwähnt übrigens den Einfluss der Bergwelt auf den späteren Reformator, ihre Schönheit und Gewalt und Kraft und «Erhabenheit». Dies habe ihn dem Himmel nähergebracht, vermutet Myconius idealisierend. Von Zwingli selbst gibt es nirgends eine Äusserung zur Bergnatur in seiner Jugend, wohl aber mehrere stolze Erwähnungen der Tatsache, dass er aus dem Bauernstand gewachsen ist. Noch ist im 16. Jahrhundert die freundlich-romantische Anschauung des Gebirges fremd, wohl wurde der Säntis weniger als Freund, schon gar nicht als zu eroberndes, zu besteigendes Massiv, sondern eher als Bedrohung und Gefahr erlebt. Die Äusserung von Myconius ist also erstaunlich erfinderisch.

Einige Male erwähnt Zwingli allerdings Naturkatastrophen, Verheerungen, meist als Metapher für politische Äusserungen und Verhaltensweisen in der Auseinandersetzung mit Gegnern. Er hat Wildwasserstürze erlebt, Berg- und Bachstürze, die auf den Alpweiden Verwüstungen anrichteten, Steine und Schutt mitführten und Weiden zerstörten. Oder er schilderte die gefürchtete Schneeblende oder Schneeblindheit, um die Verführung zu falschen Lehren symbolisch zu benennen und bildlich darzustellen. Der Junge hat grosses Getöse gehört, Steinklötze gesehen, wie sie mit den Bergrüfen mitgeschleppt wurden und Verwüstungen angerichtet haben, er hat mit angesehen, wie der sich stauende Strom die künstlichen Dämme durchbrach.

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