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Mk 6,1b-6: Die Ablehnung Jesu, des Sohnes der Maria, in seiner Vaterstadt

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(1b) Und er kommt in seine Vaterstadt, und seine Jünger folgen ihm nach. (2) Und als es Sabbat wurde, begann er in der Synagoge zu lehren, und die vielen, die (zu)hörten, staunten und sagten: »Woher hat dieser das? Und was ist das für eine Weisheit, die diesem gegeben wurde, und derartige Wunder, die durch seine Hände geschehen? (3) Ist dieser nicht der Handwerker, der Sohn der Maria und Bruder von Jakobus und Joses und Judas und Simon? Und sind das nicht hier seine Schwestern bei uns?« Und sie nahmen an ihm Anstoß.

(4) Und Jesus sagte ihnen: »Nirgends gilt der Prophet als ehrlos außer in seiner Vaterstadt und bei seinen Verwandten und in seinem Haus.«

(5) Und er konnte dort kein Wunder tun, außer daß er wenigen Schwachen die Hände auflegte und (sie) heilte.

(6) Und er wunderte sich wegen ihres Unglaubens.

Und er ging rings umher in die Dörfer und lehrte.

Redaktion

V. 1b: Die Erwähnung der Jünger, die im Folgenden keine Rolle spielen, geht auf Mk zurück.

V. 2a: Die Lehre Jesu – ein typisches Motiv der Jesusdarstellung des Mk (vgl. bereits 1,21-28) – versetzt die Synagogenbesucher in Erstaunen.

V. 2b: Die Frage nach Jesu Wundern dürfte wegen der Wundertaten im Kontext (der Abschnitt 4,35-5,43 enthält allein vier massive Wunder) ebenfalls redaktionell sein.

V. 3: Die Frage der Zuhörer streicht heraus, daß es mit Jesus nichts Außergewöhnliches auf sich hat: Er ist doch der Handwerker, den sie alle kennen. Und ebenso sind ja seine Brüder und Schwestern bekannt. Daher nimmt man Anstoß an dem besonderen Anspruch Jesu. Zur ungewöhnlichen Wendung »Sohn der Maria« statt »Sohn des Joseph« vgl. unter Tradition.

V. 4: Die zweite Hälfte geht auf die redaktionelle Verknüpfung von Weisheitssatz und V. 3 zurück.

V. 5: Das Wundermotiv ist redaktionell (s. oben zu V. 2).

V. 6: Mit der Schlußbemerkung V. 6a erscheint die Wortgruppe Glaube/Unglaube zum vierten Mal innerhalb des Großabschnittes 4,35-6,6a.

Das V. 6b erwähnte Lehren Jesu zieht sich wie ein roter Faden durch das MkEv (vgl. 1,21f; 2,13; 4,1) und knüpft an V. 2 an.

Tradition

Es gibt zwei Möglichkeiten, die Entstehungsgeschichte der überlieferten Szene zu rekonstruieren: a) In Mk 6,1-4 liegt ein Musterbeispiel dafür vor, wie aus einem allgemein-weisheitlichen Satz (V. 4a) heraus eine Erzählung gestaltet worden ist. Das für die Komposition der Geschichte ausschlaggebende Stichwort ist »Vaterstadt« (V. 1/V. 4). b) V. 4a, der allgemein-weisheitliche Satz, ist von Mk in eine Geschichte von dem erfolglosen Auftreten Jesu in seinem Heimatort (Nazareth) eingefügt worden. Mk hat sich vom Stichwort »Vaterstadt« anregen lassen, den weisheitlichen Satz anzufügen.

Die zuletzt genannte Möglichkeit dürfte wahrscheinlicher sein, denn die Nachrichten über Jesu Auftreten in seiner Vaterstadt sind sehr konkret. Die Form der überlieferten Erzählung vom erfolglosen Auftreten Jesu in seinem Heimatort ist aber nicht mehr zu bestimmen. Es empfiehlt sich die Annahme, Mk habe aus allgemeinem Wissen geschöpft, aus welcher Quelle oder Erzählung auch immer, und es zur Komposition dieser Szene benutzt. Ich bezeichne dieses Stück als Tradition 1. Gleichzeitig dürfte die separat überlieferte Sentenz V. 4a versuchen, die für die christliche Gemeinde schwer verständliche und anstößige Tatsache einer Erfolglosigkeit Jesu zu verarbeiten. Ich bezeichne sie im folgenden als Tradition 2.

Innerhalb von Tradition 1 sticht als Argument gegen Jesus die Bemerkung heraus, er sei der Sohn der Maria. Dieses Argument entschärft Mk offenbar durch einen neutralen Familienkatalog, der wegen der dort gegebenen Namen auf Überlieferung zurückgehen dürfte. Doch bleibt der Satz »Sohn der Maria« um so ungewöhnlicher, als ein jüdischer Mann normalerweise mit dem Namen seines Vaters verbunden wurde, selbst dann, wenn der Vater schon gestorben war.

Die Wendung »Sohn der Maria« dürfte einer Überlieferung entstammen, die in der allerersten, bald von der Kontroverse um die Vollmacht Jesu geprägten Zeit geläufig war. Einen wesentlichen Grund für die Annahme, »Sohn der Maria« sei polemisch gemeint, liefern nämlich die beiden Seitenreferenten, Mt und Lk, die »Sohn der Maria« in »Sohn des Handwerkers« bzw. »Sohn des Joseph« ändern. Außerdem sei auf die Textüberlieferung des MkEv hingewiesen: Ein (an dieser Stelle leicht beschädigter) Evangelienpapyrus aus dem 3. Jahrhundert bringt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in Mk 6,3 folgende Textkorrektur: »Ist dieser nicht der Sohn des Handwerkers und der Maria?« (Papyrus 45).

Die drei wichtigsten Gründe für die Annahme, der Ausdruck »Sohn der Maria« nehme die fehlende Legitimität Jesu aufs Korn, sind folgende:

1. Die Wendung wird in Jesu Heimatstadt (Nazareth oder Kapernaum) ausgesprochen.

2. Sie erscheint auf den Lippen derjenigen, die Jesus nicht völlig verstanden haben bzw. ihm gegenüber feindlich sind.

3. Mk wiederholt den Satz von Mk 6,3 nicht. Er beantwortet den Vorwurf nicht dadurch, daß er ihn zurückweist, sondern indem er in V. 4b die Verwandten für unwichtig erklärt.

Abschließend sei aufgewiesen, wie Tradition 1 und Tradition 2 zusammengewachsen sein mögen. Es besteht die Möglichkeit, der Vorwurf der Unehrenhaftigkeit in Tradition 2 (Mk 6,4) hänge direkt mit dem Hohnwort »Sohn der Maria« aus Tradition 1 zusammen. Man vgl. Weish 3,16f: (16) »Aber die Kinder der Ehebrecher geraten nicht, und die Nachkommen aus gesetzeswidrigen Ehen werden vertilgt. (17) Denn wenn sie auch lange leben, werden sie doch nichts gelten, und ihr Alter wird zuletzt doch ohne Ehre sein …« Das hieße dann, Jesus sei unehrenhaft, weil er von illegitimer Herkunft ist.

Historisches

Tradition 2: Der Mk 6,4 zugrundeliegende Spruch geht vielleicht auf Jesus zurück. Er könnte Jesus aber auch später in den Mund gelegt worden sein.

Tradition 1: Jesu Erfolg in seiner Heimatstadt war gering. Als historisch ist zu erschließen, daß die Bezeichnung Jesu als »Sohn der Maria« bereits in seinem Heimatort gegen ihn geäußert wurde. Die Wendung ist dann als Hohnwort zu bezeichnen, das den Finger auf einen wunden Punkt der Abstammung Jesu legt. Wenn die aufgebrachten Leute seines Heimatortes ihren Landsmann Jesus als »Sohn der Maria« bezeichnen, so ist das ein arges Schimpfwort. Der Schlüssel für sein Verständnis ist, daß Jesus verächtlich nach seiner Mutter und nicht nach seinem Vater, wie es üblich war, benannt wird. Der Vorwurf bringt also zum Ausdruck: Dieser Bursche, der uns da Predigten halten will, hat keinen richtigen Vater; er ist ein Bastard (vgl. Stauffer, 22-24).

Abschließend gehe ich auf zwei Sichtweisen des Textes ein, deren Zurückweisung die obige Analyse noch bekräftigen wird:

a) Mk habe den Namen Josephs aus der Tradition hinter Mk 6,3 entfernt, weil Joseph einen Ehrenplatz in der Kirche Jerusalems innehatte. Auf diese Weise habe er ein Manifest gegen die rechtliche und lehrhafte Hegemonie der Jerusalemer Kirche geschrieben. Daher das positive Desinteresse an Joseph. Dies ist reine Spekulation.

b) Die Aussage, Jesus sei der Sohn Marias, sei ein indirekter Hinweis auf die Jungfrauengeburt. Denn im anderen Fall wäre zu erwarten gewesen, daß Jesus Josephs Sohn genannt worden wäre. Doch läßt sich das nicht aus dem Text herauslesen, um so weniger, als Mk an keiner Stelle Interesse an der Jungfrauengeburt zeigt.

Noch einmal: Der Vater Jesu wird an dieser Stelle nicht genannt, weil Zweifel darüber besteht, wer sein wirklicher Vater ist. Wäre Jesus ein leiblicher Sohn Josephs gewesen, hätte der Ausdruck »Sohn der Maria« niemals Eingang in einen frühchristlichen Text gefunden. Die Wendung »Sohn der Maria« ist so schockierend, daß nur Mk den Mut hat, sie zu wiederholen.

Jesus nach 2000 Jahren

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